Arthur Kahane
Willkommen und Abschied
Arthur Kahane

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2.

Otto Moser saß mit den beiden Damen noch am Frühstückstisch auf der Veranda und zündete sich eben, langsam, mit Bewußtsein und mit Behagen, die Frühstückszigarre an, die ihm die wichtigste unter den Zigarren des Tages war, als das Mädchen meldete:

»Unten ist wer, der den gnädigen Herrn zu sprechen wünscht.«

Otto Moser wiederholte: »Ist wer? Was heißt das? Wer ist wer? Wie schaut er aus? Und gerade beim Frühstück? Man frühstückt doch nur einmal am Tage. Sagen Sie ihm, er soll später kommen. Ich bin in Geschäften jetzt nicht zu sprechen. In Geschäften bin ich während des Sommers überhaupt nicht zu sprechen. Ich arbeite gerade genug im Winter, in der Stadt. Hier auf dem Lande erhole ich mich. Wenn mich ›wer‹ sprechen will, soll er mich im Winter in der Stadt aufsuchen. Sagen Sie ihm das!«

Herr Moser war, in seinem Heiligsten getroffen, förmlich böse geworden. Das Mädchen schickte sich an, den Auftrag auszuführen, als das Fräulein, ganz aufgeregt, eingriff.

»Aber Papa, schicke ihn doch nicht so weg! Du weißt ja gar nicht, wer es ist. Warten Sie doch noch, Kathi! Der Mann braucht ja gar nicht in Geschäften zu kommen. Es ist doch gar nicht wahrscheinlich, daß er in Geschäften gekommen ist. Man weiß ja, daß du hier nicht arbeitest. Es kann sich ja um etwas ganz anderes handeln. Du weißt ja nicht, was dir der Herr zu sagen haben kann. Wer weiß, wie weit er hergekommen ist, 20 um dich zu sprechen. Man kann doch einen Menschen nicht so wegschicken!«

Sie hatte sich ganz in Erregung gesprochen. Moser sah sie besorgt an.

»Was hast du denn, Kind? Du bist ja ganz außer dir. Während des ganzen Frühstücks warst du still und hast keinen Ton gesprochen und jetzt, mit einem Male, bist du ganz aufgeregt. Gewiß hast du wieder des Morgens gebadet. Sage ich nicht immer, daß dir das Morgenbad nur schadet? Alle vernünftigen Leute baden mittags.« Und durch das Bewußtsein der großen eigenen Güte schon etwas besänftigter: »Also, was ist mit dem Mann, Kathi? Wie schaut er denn eigentlich aus?«

»Na, nobel sieht der Herr gerade nicht aus. Er hat einen schäbigen Mantel um.«

»Na, siehst du? Es wird sich um eine Bettelei handeln. Das habe ich mir ja gleich gedacht. Wo ist er denn? Wo haben Sie ihn hingeführt?«

»In das Arbeitszimmer des gnädigen Herrn.«

»Nächstens werden Sie die Leute in mein Schlafzimmer führen. Und haben ihn womöglich allein gelassen. Und die Zigarrenkisten liegen offen herum. Adieu, meine lieben Partagas! Wer weiß, wer euch jetzt rauchen wird!«

»Aber Papa!«

»Was denn?«

»Sprich mit ihm! Tu es mir zuliebe! Du wirst sehen, es ist nichts Unangenehmes. Und es wird nicht lange dauern und du kannst dann ruhig weiterrauchen.«

»Und was meinst du, Blanche?«

Frau Blanche, die bis jetzt geschwiegen hatte und mit ihren Gedanken ganz anderswo schien, nur daß von Zeit zu Zeit ein unbemerkter, prüfender Blick ihrer klugen, hellen Augen das Gesicht ihrer Tochter zärtlich streifte, sagte: »Ich meine, du mußt ihn empfangen, Otto. Auf Billys feines Gefühl kannst du dich 21 verlassen. Und ich glaube sogar, daß dir eine freundliche Überraschung bevorsteht.«

»Wieso vermutest du das? Du hast ihn ja nicht gesehen.«

»Ich kombiniere bloß. Bettler reisen nicht hierher und Wanderburschen lassen sich nicht ins Arbeitszimmer führen, sondern bleiben von selber draußen. Völlig Fremde aber oder geschäftlich Interessierte warten passendere Stunden ab. Es kann sich also nur um jemanden handeln, der das Recht zu einer gewissen Intimität hat, vermutlich also um einen deiner Freunde aus der Stadt oder, noch wahrscheinlicher, weil er deine jetzigen Lebensgewohnheiten nicht zu kennen scheint, um einen jener Jugendfreunde aus der Florentinzeit, von denen du so viel erzählst.«

Noch zwingender als ihre Beweisführung war der Ton dieser gescheiten, hellen, feinen Stimme, die etwas Geschwindes, Hüpfendes, fast Zwitscherndes und dabei doch vorsichtig Tastendes hatte und gerade dadurch so überlegt und endgültig bestimmend wirkte, daß jeder Widerspruch verstummte. Moser sagte denn auch, wie immer: »Also schön. In Gottes Namen! Sagen Sie dem Herrn, Kathi, ich komme gleich. Der Herr kommt gleich.« Das Mädchen ging. »Aber daß du es weißt, Billy, nur dir zuliebe!«

Zündete die ausgegangene Zigarre noch einmal an, brummte noch: »Nicht einmal in Ruhe frühstücken lassen sie einen!«, erhob sich seufzend, ging schwer die Treppe ins untere Stockwerk hinunter, öffnete die Türe, warf einen mißtrauisch neugierigen Blick auf die hohe, in ihren Havelock gehüllte Gestalt des Fremden, der in der Mitte des Zimmers stand, erkannte ihn beim ersten Blick nicht, um, beim zweiten, ihm mit einem lauten, lärmenden Aufschrei um den Hals zu fallen: »Florentin, du? Bruder! Flori! Wer hätte das gedacht!« und fiel ihm wieder um den Hals und küßte ihn herzhaft auf beide Wangen.

Und Florentin erwiderte die herzliche Begrüßung ebenso herzlich, wenn auch etwas stiller.

»Und denk' dir, meine Frau scheint so etwas geahnt zu haben. 22 Ja so, du weißt ja noch gar nicht, du kannst es ja gar nicht wissen, ich habe eine Frau. Und was für eine. Ich sage dir, viel zu gut für mich. Etwas ganz Besonderes, sage ich dir. Wie aus einer anderen Welt. Na du wirst sie ja sehen! Auf den Moment warte ich seit fünf Jahren. Ich habe immer zu meiner Frau gesagt: Am neugierigsten bin ich darauf, was Florentin zu dir sagen wird. Du kannst sie fragen. So eine Frau hast du mir bestimmt nicht zugetraut. Ich kann es gar nicht erwarten, daß ihr euch kennenlernt. Soll ich sie rufen? Sie und Sibylla. Ja so, du weißt ja gar nicht, daß ich auch eine Tochter habe. Eine erwachsene Tochter. Das heißt, eigentlich nicht ich, sondern meine Frau natürlich. Aber das Kind hängt an mir, wie an einem leiblichen Vater. Ein entzückendes Mädel! Weißt du was, ich hole sie jetzt beide. Doch nein, ich erzähle dir lieber zuvor, wie das alles gekommen ist. Ich habe dir ja so viel zu erzählen. Das ist ja alles so interessant und kompliziert. Direkt psychologisch. Aber zuerst einmal setz' dich und zünde dir eine Zigarre an. Vorher aber mußt du mir den Gefallen tun und einen Blick auf die Aussicht werfen. Nur einen einzigen Blick! Was sagst du zu der Aussicht?«

»Ich kenne sie ja, Otto, und habe sie wirklich nicht vergessen.«

»Natürlich kennst du sie. Und weißt du schon, daß die Villa jetzt mir gehört? Nach dem Tode der Eltern habe ich sie gekauft. Fabelhaft billig. Geschenkt. Und habe sie ganz neu einrichten lassen. Ganz im Geschmack meiner Frau. Sie hat einen ganz merkwürdigen Geschmack in diesen Dingen. Maler, die bei uns verkehren, sagen, die Villa sei ganz einzig in ihrer Art. Weißt du, gar kein bestimmter Stil, sogar eher altmodisch, aber ganz apart. Die Einrichtung hat auch ein schönes Stück Geld gekostet, mehr als die ganze Villa. Aber für meine Frau ist mir nichts zu teuer. Und, unter uns gesagt, ich hab's ja auch. Ich habe in den Jahren eine schwere Menge verdient. Das heißt, eigentlich 23 sind die Zeiten ja schlecht. Und sag' doch, wie geht's denn dir eigentlich? Aber vor allem, setz' dich! Hast du denn schon gefrühstückt? Ich lasse dir einen Wein kommen. Einen Wein, sage ich dir, wie du ihn noch nicht getrunken hast. Willst du?«

»Bitte nicht, Otto, laß mich ein bißchen niedersetzen, hier, so, und erzähle!«

»Aber um Gottes willen, Menschenskind, willst du denn nicht ablegen?«

»Nein, laß nur, meine Kleider sind ein wenig feucht. Ich habe einen kleinen Unfall gehabt.«

»Einen Unfall? Um Gottes willen! Ja, was denn?«

»Ich erzähle es dir später. Nicht der Rede wert. Und jetzt laß dich einmal ansehen!«

»Nein, laß dich ansehen! Wie schaust du denn eigentlich aus? Ich hab' dich noch gar nicht recht angesehen. Aufrichtig gestanden, eigentlich nicht berühmt. Du bist ja mager geworden. Wie machst du das nur? Ich kann anstellen, was ich will, ich werde immer dicker. Ich schäme mich förmlich vor meiner Frau. Und nun sage einmal, wie lange ist es eigentlich her, daß wir uns nicht gesehen haben?«

»Zehn Jahre«, sagte Florentin und dachte: Aber dich haben sie nicht geändert.

»Zehn Jahre!« wiederholte Otto. »Zehn Jahre warst du verschollen. Du mußt tolle Dinge erlebt haben in diesen zehn Jahren. Manchmal drangen die kuriosesten Gerüchte zu uns. Du selbst hast ja kein Wort von dir hören lassen. Aber man hörte kuriose Dinge. Sogar aus der Zeitung. Tolle Dinge! Was?«

»Es reicht«, meinte Florentin lakonisch.

»Ja, glaubst du, wir wissen hier nichts? Alles haben wir erfahren. Ich habe alles gewußt. Die Welt ist ja so klein. Die Züricher Geschichte, und dein Leben in Paris, und von der Zeitung, die du in München herausgegeben hast und wegen der du angeklagt warst, und deine Abenteuer in Marseille und das Jahr 24 in Rom, du siehst, ich bin von allem unterrichtet, wie wenn ich dabeigewesen wäre, und so oft so etwas zu uns gedrungen ist, der Vater hat's in sich hineingefressen und die Mutter hat geweint, aber ich habe dich verteidigt, denn, das weißt du ja, ich war immer der einzige, der dich verstanden hat. Und ich habe auch das begriffen, daß du nach dem großen Krach, den dir der Alte übrigens nie verziehen hat – was hast du?«

Florentin hatte eine unwillkürliche Bewegung gemacht, sich mit den Fingern in die Tischdecke verkrampft, und der Gedanke würgte in seinem Halse: also nie verziehen! im Zorn auf ihn aus dem Leben gegangen! und die Mutter hatte ihre letzten Lebensjahre um ihn verweint! und beide, ohne je zu erfahren, mit welcher Liebe für sie jede Stunde seines Lebens getränkt war! Aber er biß die Zähne zusammen und sagte: »Nichts hab' ich! Rede aus! Was wolltest du sagen?«

»Ich wollte sagen, daß ich auch das begriffen habe, daß du nicht früher von dir hören ließest und nicht eher nach Hause kommen wolltest, als bis du etwas erreicht hattest und ihnen zeigen konntest, daß aus dir etwas Großes geworden war. Das wolltest du ihnen beweisen. Ich kenne dich ja: Stolz war immer deine Haupteigenschaft. Habe ich recht?«

Nein, lieber Bruder, du irrst, schrie es in ihm. Nichts wollte ich beweisen, und nichts war mir in meinem Verhältnis zu ihnen gleichgültiger, als ob ich etwas erreicht habe oder nicht; nichts lag mir ferner als Stolz vor ihnen, ich wollte nichts Großes werden, sondern ganz klein und demütig zu ihnen kommen, und habe jahrelang auf ein Wort der Liebe gewartet, und wenn ich nicht gekommen bin, dann hat mich nicht Stolz zurückgehalten, sondern nichts anderes als Schuldbewußtsein und Liebe, unaussprechliche Liebe. Aber er schwieg, und der andere fuhr fort: »Na siehst du? Und weil du –«, hier stockte er, und Florentin ergänzte lächelnd: »nichts geworden bist. Sag's heraus! Ich bin nicht empfindlich.«

25 »Das habe ich nicht sagen wollen. Aber jedenfalls nicht das erreicht hast, was du dir vorgenommen hast, bist du eben nicht gekommen. Ist das nicht logisch?«

»Zwingend.«

»Ich hab's ihnen auch hundertmal gesagt. Aber dafür hatten sie kein Verständnis. Sie waren eben doch aus einer anderen Zeit als wir. Seine Autorität war Vater die Hauptsache, und das einzige, was er verlangte, war Respekt. Sieh mich an, ich bin doch gewiß ein moderner und aufgeklärter Mensch, aber in dem Punkt habe ich ihm eben seinen Willen getan und so bin ich immer leidlich mit ihm ausgekommen. Alles hätte er dir verziehen, auch deine Extravaganzen, so sehr sich sein bürgerliches Herz dagegen empörte. Er war sogar, ohne es zu zeigen, innerlich nicht wenig stolz darauf, weil deine Besonderheit und deine Begabung ihm imponierten. Aber deine Lieblosigkeit, wie er es nannte, wurmte den Alten. Und die Mutter eigentlich auch, wenn sie auch immer zu begütigen suchte. Darüber sind sie nicht weggekommen. Bis zu ihrem Tode nicht.«

Wie Keulenschläge fielen die Worte des Nichtsahnenden auf Florentins Seele, die nichts fühlte als die eine zerschmetternde Klarheit: unversöhnt waren seine Eltern gestorben. Und sie hatten recht, er nicht.

Und ganz leise, stockend, kleinlaut, fast demütig fragte er: »Und wie sind – sie – gestorben?«

Otto erwiderte: »An Altersschwäche natürlich. Zuerst die Mutter. Ganz sanft. Und bald darauf der Vater. Auch er hatte einen leichten Tod gehabt. Aber er war in den Wochen nach Mutters Tode noch unversöhnlicher geworden, fast unerträglich. Und so hat er dich enterbt. Mir hat's ja deinetwegen herzlich leid getan. Wenn es auch zu meinem Vorteil war. Aber es war ja nach allem Vorausgegangenen zu erwarten und nur zu natürlich.«

Florentin schwieg. Wie gleichgültig ihm das war! Aber Otto 26 mißverstand sein Schweigen und fuhr fort: »Deswegen hättest du aber doch nicht vom Begräbnis fortbleiben dürfen. Du weißt, ich habe mich nie in deine Angelegenheiten eingemischt, aber das ging auch mir gegen den Strich. Da bin auch ich nicht mehr mitgegangen. Schon der Leute wegen, die sich darüber das Maul zerrissen. Das mußte ja zu allen möglichen Mißdeutungen Anlaß geben. Und, aufrichtig gestanden, begriffen habe ich es auch nicht.«

Wie sollte er ihm das verständlich machen? Er hatte einfach nicht können. Er hätte sich durch kein Meer der Welt abhalten lassen, wenn er es innerlich über sich vermocht hätte. Als die lächerlichste Komödie, die schändlichste Selbstentweihung wäre es ihm erschienen, vor fremden Zeugen gleichgültige Zeremonien mitzumachen, während er mit diesem Herzen voll Reue und Schuldbewußtsein am Sarge seiner unversöhnlichen Eltern stand.

»Laß das, Otto, ich bitte dich. Ich kann es dir nicht erklären.«

»Ich verstehe, daß dir das peinlich ist. Ich will auch nicht weiter in dich dringen. Schließlich bist du ein erwachsener Mensch und weißt, was du tust. Aber sag' selbst, muß mir das nicht wie ein Wunder vorkommen, daß wir beide hier sitzen, einander gegenüber, in derselben Villa, in der wir alle Ferien unserer Jugend verbrachten, und diese Villa gehört mir, und ich habe sie mit meinem selbstverdienten Gelde gekauft, und ich bin ein wohlhabender, man kann wohl sagen, reicher Mann geworden und habe ein gut, um nicht zu sagen, glänzend gehendes Geschäft in der Stadt und bin Villenbesitzer und habe eine Frau, die das Feinste ist, was man sich denken kann, und habe beinah eine Familie, und du, mit allen deinen Fähigkeiten, bist nichts und hast nichts, wenigstens sieht es so aus –«

Florentin nickte. Und Moser fuhr fort: »Siehst du? Und dabei habe ich immer zu meiner Frau gesagt – du kannst sie 27 fragen – ›Pass' auf, aus dem Florentin wird was ganz Großes oder nichts‹.«

Florentin nickte abermals: »Du hattest recht. Es ist nichts aus mir geworden.«

»Das will ich nicht sagen. Es kann ja noch. Aber vorläufig wenigstens. Und stehst ganz allein in der Welt, und wenn ich dir nicht helfe, weißt du morgen nicht, wo du schlafen sollst. Du weißt, ich tue es furchtbar gerne und nichts lieber auf der Welt. Und du verstehst mich, ich sage das nicht, weil ich dich kränken oder dir Vorwürfe machen will, sondern weil ich euch beweisen möchte, dir und meiner Frau, daß es gar nicht so sehr auf Persönlichkeit ankommt, wie ihr glaubt – das heißt, in einem gewissen Sinne bin ich auch Persönlichkeit und muß der Kaufmann Persönlichkeit haben –, sondern auf Glück und Geschicklichkeit. Glück und Geschicklichkeit aber habe ich. Das kann mir niemand absprechen. Und du wirst sehen, Flori, wenn du dich ganz in meine Hände gibst, bringe ich dich auch noch hoch. Ich manage dich, ganz einfach.«

Warum nicht? dachte Florentin. Warum soll ich es nicht einmal so versuchen? Es ist ja alles so gleichgültig. Und laut sagte er: »Schön, Otto. Ich gebe mich ganz in deine Hände. Fang mit mir an, was du willst!«

»Siehst du, so ist's recht. Glaub' mir, es kommt nur auf Geschicklichkeit an. Wie bin ich denn zu meiner Frau gekommen?« sagte er, vertraulich näherrückend, etwas leiser. »Nur durch Geschicklichkeit. Weil ihr meine Geschicklichkeit imponiert hat. Sie saß da, nach einer unglücklichen Ehegeschichte – sie ist nämlich geschieden – mit ihrem Kinde und einem gar nicht unbeträchtlichen Vermögen, aber alles in Unordnung, und der Schuft von Mann wollte nicht in die Scheidung willigen und mit dem Geld nicht herausrücken, und die arme Frau, hilflos, weltfremd, ohne Ahnung vom Leben und vom Geld, nur in ihre Träume eingesponnen, wußte sich nicht zu raten und zu helfen, bis ich kam, die Sache 28 in die Hand nahm und durch meine Energie alles durchsetzte, die Scheidung und die Herausgabe des Geldes. Und schließlich habe ich es auch erreicht, daß sie mich zum Mann nahm, bloß, weil ich es mir in den Kopf gesetzt hatte: die oder keine. Und weißt du, wer daran schuld ist? Du. Dir wollte ich zeigen, was für eine Frau ich zu erringen imstande bin. Sie ist nämlich ganz dein Geschmack. Ich bilde mir auch nicht ein, daß es bei ihr etwa Liebe auf den ersten Blick gewesen ist. Im Gegenteil. Aber ich habe nicht früher geruht und nachgegeben, bis ich ihren Widerstand gebrochen hatte. Und heute dankt sie es mir. Heute bin ich der glücklichste Ehemann und ist sie die glücklichste Frau von der Welt. Frage sie selbst!«

Nun war es nicht gerade Florentins Art, eine Frau in der ersten Viertelstunde der Bekanntschaft zu fragen, ob sie mit ihrem Mann zufrieden sei, und ein Lächeln über diese Vorstellung erhellte sein traurig gewordenes Gesicht. Auch freute es ihn von Herzen, den Bruder so vor Stolz und Eheglück strahlen zu sehen, und er gönnte ihm neidlos jeden Erfolg, wenn er auch ein wenig seinem Geschmack mißtraute, und am meisten dort, wo er den seinen glaubte getroffen zu haben. Er unterdrückte aber eine leise aufkeimende Angst vor der Begegnung und war innerlich fest entschlossen, dem Bruder zuliebe von der neuen Schwägerin so ehrlich entzückt wie nur möglich zu sein.

Otto, als er sein Lächeln sah, fuhr eifrig fort: »Nun, siehst du, du lachst schon? Das hast du mir nicht zugetraut. Und die Tochter natürlich auch nicht. Ich bin ja so neugierig, was du zu dem Mädel sagen wirst. Sibyl heißt sie. Wir nennen sie Billy. Ein großes Ding, fast so groß wie ich. Und wunderbar schön. Du wirst sie ja gleich sehen. Sechzehn Jahre ist sie alt. Meine Frau war ja noch ganz jung, als sie sie bekam, noch nicht einmal zwanzig. Anfangs hat es mich ja sehr gekränkt, daß wir keine eigenen Kinder hatten. Aber heute ist es mir fast lieber so. Weißt du (er wurde wieder vertraulich), man hat 29 dieselbe Freude, aber ohne die Mühe (er lachte intim, wie Herren unter sich) und ohne die Verantwortung (wieder ernst wie ein Familienvater). Und jetzt stelle ich dich vor. Die werden Augen machen. Wir haben ja von nichts anderem gesprochen als von dir. Weißt du was? Ich stelle dich unter anderem Namen vor. Oder ich lasse sie raten. Was meinst du?«

Florentin erschrak. Er kannte, von früher, die nicht immer zeitgemäße Neigung seines Bruders zu spaßhaften Mystifikationen und bat flehentlich: »Bitte, diesmal nicht, Otto. Ich habe die Heimat und meinen eigenen Namen schon zu lange entbehrt. Diesmal lege ich Wert darauf.«

»Schade!« sagte Otto. »Es wäre lustig geworden. Aber komm jetzt!« und zog ihn über die Treppe hinauf, durch ein dunkles Zimmer durch, riß die Tür auf und schrie, den Bruder immer noch an der Hand haltend, zur Veranda hinaus: »Was sagt ihr zu der Überraschung? Wißt ihr, wer es war? Das errätst du nicht, Blanche. Florentin. Denk' dir, Florentin selber. Billy, denk' dir, Onkel Florentin!«

Die beiden Frauen waren aufgestanden, und Florentin erblickte neben der hohen, schlanken Gestalt seiner jungen Lebensretterin, die jetzt in ihrem einfachen weißen Sommerkleid, fußfreiem Rock mit Bluse, ganz fräuleinhaft aussah, ein unendlich zierliches, kleines Figürchen mit einem lieben, schmalen, etwas blassen Kindergesicht, aschblondem, leicht gelocktem Haar, glatt zurückgestrichen, und klugen, hellen, langgewimperten Augen; auch sie ganz in Weiß gekleidet, in einem leichten Phantasiekostüm, fern von aller Mode, von erlesenem Geschmack in Zeichnung und Schnitt. Wie zwei sehr verschiedene Schwestern wirkten die beiden schlanken, hellen Gestalten, aber ein erster Blick konnte kaum unterscheiden, welches die ältere war. Sie traten auf Florentin zu und Otto stellte, sehr wichtig und aufgeregt, vor:

»Also das ist meine Frau Blanche! Und dies unsere Tochter Sibylla! Und dies ist Herr Florentin Moser, der berühmte 30 Florentin, der Ausreißer, der Weltbummler, mein Bruder, dein Schwager, Blanche, dein neuer Onkel, Billy. Nun, was sagt ihr zueinander? Ihr redet ja gar nicht. Was sagst du zu meiner Frau, Florentin? Was sagt ihr zu Florentin, Kinder?«

Er war furchtbar stolz, auf alle, und jeder Zoll an ihm drückte aus: Wie habe ich das wieder gedeichselt!

»Nichts als: Willkommen zu Hause, Florentin! Und Sie sollen sich nicht einen Moment fremd bei uns fühlen!« sagte Frau Blanche und streckte ihm herzlich die beiden kleinen, zarten Hände entgegen.

»Also Sie sind Onkel Florentin?« sagte Sibyl ganz leise und wurde über und über rot.

Florentin wurde es einen Moment lang ganz heiß. »Ich freue mich ja so,« sagte er, »und seid mir nicht bös, daß ich erst jetzt komme!«

»Und jetzt bleibst du zunächst einmal vier Wochen hier, genau solange, wie ich selbst, und tust nichts und ruhst dich ordentlich aus und erholst dich nur. Er schaut nämlich ein bißchen heruntergekommen aus. Ich meine natürlich körperlich. Aber wir werden dich schon fett füttern. Und dann fährst du mit mir in die Stadt, und ein neues Leben fängt an. Ihr werdet sehen, Kinder, ich mache noch einen großen Mann aus ihm. Was sagst du dazu, Blanche? Ist dir das so recht?«

»Du weißt, Otto,« sagte Frau Blanche, »daß mir immer alles recht ist, was du tust.« 31

 


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