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In derselben Nacht stand Florentin, in seinen Mantel gehüllt, an der Gartentür, hart am See, und wartete. Das Haus schien in Schlaf versunken, so still und dunkel lag es in der pechschwarzen Nacht da. Keiner Menschenstimme Laut war mehr vernehmbar, nur die Elemente kreischten, wie toll geworden, gleich aufgescheuchten, todesängstlichen Raubvögeln, in den wüstesten Tonarten durcheinander.
Florentin hörte es nicht, spürte den Wind nicht, der ihm in Gesicht und Ohren schnitt, den Regen nicht, der ihm von Hut und Mantelkragen in den Hals troff. All seine Sinne ballten sich zu einer einzigen ungeheuren, gespannten Erwartung, neben der die ganze übrige Welt versank.
Ohne zu sehen, starrte er hinaus. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Ohne sich umzudrehen, flüsterte er: »Blanche!«
»Ja, Florentin«, kam es, ebenso geflüstert, zurück. »Ahntest du, daß ich kommen würde?«
»Ich wußte es. Hörtest du nicht, wie es in mir nach dir schrie?«
»Ich wußte es.«
Ihre Hände tasteten nacheinander. Sie fühlten sich eisigkalt an.
»Du frierst«, sagte er, und seine leise Stimme zitterte vor Angst um sie. »Armes Kind! In einer solchen Nacht!«
»In solcher Nacht!« erwiderte sie, und die Reminiszenz zog ein trauriges Lächeln um ihren Mund. »Dürfen wir auf eine andere warten?«
188 »Aber wir können doch unmöglich hier bleiben, in diesem Höllenwetter!«
»Wo sollten wir sonst hin?«
»Wohin sonst?« wiederholte er ratlos.
»In jener Gartenlaube könnte man uns von allen Seiten sehen. Und im Haus, in meinem Zimmer, wo uns niemand sehen und niemand hören kann, läßt sich das nicht sagen, was wir uns heute zu sagen haben. Heute zum erstenmal nicht mehr. Ich könnte es nicht. Fühlst du das anders?«
»Nein, nein!« Er schrie beinahe auf. »In diesem Hause? Nicht, wenn es unser Leben kosten sollte!«
»Ich wußte es ja. Und schließlich, was soll uns dieser Sturm anhaben! Kann irgend etwas, das von draußen kommt, uns noch etwas anhaben? Wenn ich ganz ehrlich sein soll, mich freut der Sturm. Seine Melodie gefällt mir. So lächle doch, Florentin! Kann man nicht, soll man nicht das Ernsteste mit Lächeln erleben? Du siehst so traurig drein.«
»Ich habe Angst um dich, Blanche.« Er zog den Mantel, den sie umgeworfen hatte, fester um ihre Schultern, rückte die Kapuze, die sie statt des Hutes trug, tiefer in ihre Stirn, um sie vor der Nässe zu schützen.
»Das brauchst du nicht. Du weißt, ich bin gar nicht so leichtfertig und habe selbst für mich gesorgt. Und bin auch gar nicht so überempfindlich. Aber habe Dank für deine Sorgfalt, du Guter!« Und sie drückte seinen Arm.
So standen sie beide, Hand in Hand, umgeben von der Gewitternacht, fühlten nur ihre aufsteigende Zärtlichkeit und wußten sonst nicht aus und ein.
Aber Blanche gab sich einen Ruck. »Weißt du, eigentlich paßt das gar nicht zu uns, diese Hilflosigkeit, weder zu mir, noch zu dir. Und nun weiß ich auch, was wir machen. Wir setzen uns ruhig in das kleine Gebüsch, siehst du, dort, wo der Uferweg endigt.«
189 »In jenes kleine Gebüsch?« Die erste Nacht fiel ihm ein, die er hier vor der Villa verbracht hatte.
»Ja. Wir finden schon genügend Platz drin, nützen unsere Mäntel aus, und ein wenig geschützter sind wir ja doch im Gebüsch unter dem dichten Laubdach von Ginster und Rotdorn. Und lange, glaube ich, wird unser Gespräch heute nicht dauern können, Florentin. Jetzt gibt es für uns nur noch Entscheidung und einen kurzen Entschluß, und ich fühle, es ist uns keine Wahl gegeben.«
»Ich fürchte, es wird länger dauern, als du denkst«, sagte er, unhörbar, zwischen den Zähnen, und, in seiner grenzenlos sich steigernden Liebe, wußte er nicht, was stärker in ihm war, Bewunderung für diese Frau, die in all ihrer Zartheit den härtesten Kampf mit ihrem Schicksal aufnehmen wollte, oder Mitleid für die nicht Ahnende, was diese Nacht in ihm gereift hatte.
Sie ging voran und zog ihn nach. Vorsichtig hob er das Laubwerk empor, damit die Äste ihr nicht in die Augen schlagen, die fallenden Tropfen sie nicht nässen konnten, bereitete ihr einen Sitz, wickelte sie sorgfältig ein, sie vor Nässe und Regen zu schützen, innerlich für jede Sekunde auf den Knien zu danken bereit, in der er sich um sie bemühen und um die er das erste Wort herausschieben durfte. Sie sah ihm zärtlichen Blickes zu, und als er endlich fertig war, langte sie nach seiner Hand und wollte ihn zu sich herniederziehen. Aber, fast erschrocken, fuhr er einen Schritt zurück. Sie lächelte und glaubte ihn zu verstehen. Ganz leise, ganz zart sagte sie: »Lieber Florentin, lieber, nicht wahr, du glaubst immer noch an mich?«
»Ja«, sagte er, ganz leise.
»So komm! Setz' dich zu mir und sieh mir noch einmal in die Augen und sprich! Denn ich fühle, wie es dir das Herz abdrückt, daß du mir etwas sagen willst und das erste Wort nicht findest. Braucht es das zwischen uns? Sieh mir in die Augen und du wirst es finden!«
190 »Nein, Blanche, nicht so!« erwiderte er, fiel zu ihren Knien nieder und barg seinen Kopf in ihrem Schoß. »Nicht mich anschauen! Zu deinen Füßen will ich liegen, den Kopf in deinem Schoß und dir alles sagen. Mein ganzes Leben will ich vor dir ausbreiten, nicht jenes meine ich, das du schon gehört hast, das auch andere gehört haben, nicht die Geschichte meines Lebens, nicht die Abenteuer, nicht die Zufälligkeiten, nein, das Eigentliche, das Geheimste, mein Herz, meine Seele, mein Geheimnis, das, was niemand von mir weiß, kaum ich selber, das, was nur für dich bestimmt ist, das will ich dir schenken und es von deiner Hand neu empfangen, und dann werden wir beide wissen, was zu tun ist, dann wird es keine Wahl mehr geben, sondern Notwendigkeit. Hüllenlos sollst du meine Seele sehen und was mich bis jetzt am stärksten gebunden hat, Scham, und was mir bis jetzt den Mund verschlossen hat, vor allen Menschen, und auch vor mir selbst, daß ich stumm durch mein Leben gegangen bin, wortlos dem Zufall ausgeliefert, weil mir Scham die Lippen aufeinanderpreßte, das kann ich vor dir nicht mehr, ja, es drängt mich, mit einer beispiellosen Gewalt, dich in mein Innerstes sehen zu lassen, und daß ich es darf, ist mir der wundervollste Genuß meiner selbst, ist mir Gottlosem Verzückung und fromme Wollust, wie sie nur der Ekstatiker im Anschauen des Göttlichen empfindet. Aber daß ich es tue, das danke ich dir: denn du hast mich gelehrt, mein Leben in die eigenen Hände zu nehmen und mich zu erfüllen. Und dieses ist der erste Schritt, daß ich dir das alles sagen kann, daß ich zum erstenmal vor mir selber alle Schleier lüfte und mich meines Innersten bewußt werde und es dir mitteile, es mit dir teile, daß ich nur noch mein Gesetz kenne und es, bewußt und in Freiheit und in Notwendigkeit erfülle, auch wenn es gegen mich geht, auch wenn es – höre, Blanche! – auch wenn es gegen dich geht, das danke ich dir. Und es ist das herrlichste Geschenk, das ein Mensch dem anderen danken kann, und wenn ich es mit meinem 191 Glück danke, dann habe ich es nicht genug gedankt. Und mit meinem, mit unserem Glück werde ich es danken müssen.«
Es überwältigte ihn und er konnte nicht weiter. Er griff mit seinen Händen nach ihren und hielt sie krampfhaft fest. Dann hob er seinen Kopf und sah sie lange flehend an. Sie war erbleicht und er sah, wie sie nach Worten rang. Schnell fuhr er fort, und seine Stimme, noch immer leise und flüsternd, hatte einen so innig bittenden Ausdruck, daß sie ihr Innerstes erbeben fühlte.
»Bitte, sprich jetzt nicht! Ich kenne den Zauber deiner Stimme, der mir lieber ist, als alle Musik der Welt, und wenn ich auch nicht fürchte, ihm zu unterliegen, denn mich kann nichts mehr irremachen an dem, was ich als meine Notwendigkeit erkannt habe, so will ich auch das leiseste Schwanken nicht mehr erleben und will nicht, daß es mir von dir kommt. Höre mich ganz zu Ende! Einmal, in meinem Leben ein einziges Mal, muß ich sprechen können. Ohne die liebe Stimme zu hören, ohne den Blick der geliebten Augen zu sehen, den Kopf in deinem Schoß, will ich dir mein Leben sagen, wie der Christ im Beichtstuhl seinem unsichtbaren Gotte beichtet!«
Sie nickte stumm und er versenkte seinen Kopf wieder in ihren Schoß, während sie ihm mit den Händen streichelnd über die heißen Haare fuhr.
»Also höre! Ich liebe dich grenzenlos. Ich liebe dich mehr als mein Leben. Ich liebe dich mehr, als ich jemals irgend jemanden oder irgend etwas geliebt habe. Ich liebe dich mehr, als ich Vater und Mutter liebte. Ich liebe dich mehr, als ich je geahnt habe, lieben zu können. Ich liebe dich mit allen meinen Sinnen. Mit allen Kräften und Trieben meines Körpers und meiner Seele. Alles an mir liebt dich. Was ich tue, was ich fühle, was ich denke, gehört zu dir, bezieht sich auf dich, ist Ausfluß meiner Liebe für dich. Es ist nichts in meinem Geist, das nicht irgendwo dieser Liebe diente, aus ihr Nahrung und Leben zöge, es wird nie etwas in meinem Werk sein, das ich nicht 192 dir verdankte, und das sich nicht an dich richtete. Und ich liebe alles an dir. Ich liebe deinen Körper, deinen Blick, deinen Gang, deine Bewegungen, deine Stimme. Ich liebe deine Art zu sprechen, das, was du sprichst, deine Meinungen, deinen Geist, deinen Tonfall, deine Art, die Worte zu betonen, das Vibrieren in deiner Stimme, alles, und eins ist mir so lieb wie das andere, und das Unwichtigste so wichtig wie das Wichtige, und alles kenne ich an dir, jede kleinste Gewohnheit von dir, jede leise Biegung in deinem Organ, deine Art, die Worte zu setzen und die Sätze zu bilden, und ich warte darauf und alles berauscht mich, dein Fragen, dein Erstaunen, dein Erraten, dein Verstehen. Und jede kleine Handlung von dir, die Biegung deines Armes und das Heben deines kleinen Fingers und das Zucken deines Augenlids, und jeder Schatten über deinen Brauen ist mir ein Fest aller meiner Sinne und Offenbarung deines tiefsten Wesens. Und alles das ist so tief in mir wie nichts von mir selbst, und es noch tiefer, es ganz in mich hineinzureißen, hineinzutrinken, hineinzusaugen, mich ganz mit dir zu erfüllen, ist meines Daseins tiefer, brennender Wunsch. Nicht bloß nach deiner Seele verlange ich, nicht bloß nach deinem Geiste, auch nach deinem Körper, nach allem in einem, denn alle sind sie mir eins, sind mir du: nach dir begehre ich, dich verlange ich, alles von dir, mit jedem Teilchen meines Wesens, in jeder Sekunde meines Tages und meiner Nacht. Und dies ist nicht bloß von heute, von jetzt, du warst immer in mir, genau so wie du bist, und nichts an dir, nichts, auch nicht das Kleinste, nicht der Schimmer eines Härchens, nicht ein Wort aus deinem Munde konnte anders sein. So wie du bist, nur so, war die Frau, die mich von Anbeginn erfüllte.«
Sie schloß die Augen, trank seine Worte, zitterte am ganzen Körper. Die Hände hielt sie um seinen Kopf geklammert, den er noch tiefer in ihren Schoß versenkte, während er, noch leiser, fortfuhr:
»So war es von Anbeginn an. Jetzt weiß ich es. Schon als Knabe trug ich dich in mir. Ganz früh schon. Jenes 193 unbestimmte Bild, das über meinen Knabenjahren schwebte, und an das ich eine rasende Zärtlichkeit hängte, war gar nicht unbestimmt, trug deine Züge, konnte nur deine Züge tragen. Heute weiß ich es ganz genau, wie erdenschwer, wie verhaßt, gemein und plump mir alles erschien gegen das elfenleichte, zierliche, schlanke, sprühende, schwebende Wesen, das ich in meinen Träumen trug, in meinen Armen durch meine Träume trug. Ganz allein war ich mit ihm in der Welt, gegen die Welt. Es sonderte mich von allen anderen, riß mich aus der Zärtlichkeit meiner Eltern, die mir fremd und kühl und arm vorkam gegen die Zärtlichkeit, die ich zu dem Bild in meinem Innern fühlte. Sie wuchs und wuchs und wurde zu einem Übermaß, das sich ausströmen wollte und, von der Armut der anderen enttäuscht, immer wieder in mich und zu meinem geliebten Wunschbild zurückflutete. Alle Zärtlichkeit, die ich an andere verschwendete, war aus diesem Übermaß, und wenn ich Vater und Mutter glühender zu lieben glaubte als andere lieben können, war es irgendwie dieses Bild in mir, das ich in ihnen liebte, dein Bild, und du warst es, um derentwillen mich die Zärtlichkeit aller anderen enttäuschte. So wurde ich aus diesem Übermaß, das mich erdrückte und das ich mich schließlich zu verstecken bemühte, schamhaft, verlegen und stumm. Dann kamen die Jahre, in denen ich mich meiner Scham schämte, mein Inneres betäubte, meine Stummheit überschrie: ich wurde lustig wie die anderen, lustiger als sie. Bis ich nicht mehr konnte, und Sehnsucht und Zärtlichkeit in mir zu einem Orkan wuchsen, der alle meine Sinne mitriß. Das Frauenbild in mir war stärker geworden als alles andere, machte mir meine Umwelt in ihrer groben, verständnislosen Deutlichkeit zum Ekel, ich floh. Ich floh vor ihr, vor meinen Eltern, vor mir, hinter dem Bilde her. Nannte es Freiheit, Kunst, Kultur, mit tausend Namen, die sein Wesen nicht trafen, nicht treffen konnten, denn du warst es. Dich suchte ich, in allen Umarmungen, in allen Abgründen, Sümpfen und Pfützen 194 des Lebens, immer wieder dich, tauchte tief unter, watete durch allen Schlamm und Schmutz, aus Sehnsucht und Zärtlichkeit war eine rasende Sinnlichkeit geworden, die nach dir schrie, hinter dir her jagte in steigendem atemlosem Verlangen. Ich will nicht lügen, ich bin nicht rein, nein, ich bin nicht rein, ich bin nicht so wie du mich siehst, ich bin wissend, ich bin durch alle Laster hindurchgegangen, denn als ich dich in den blauen Himmeln meiner Träume nicht fand, habe ich dich in allen Höllen gesucht, dich allein, bis ich dich in der letzten und schwärzesten gefunden habe, als das Weib meines Bruders.«
Und, indem er sich mit aller Kraft seiner Hände an ihren Leib klammerte, schloß er, mit zitternden Lippen, von Leidenschaft geschüttelt, so daß das Flüstern seiner vor Erregung heiseren Stimme wie ein Aufschrei aus tiefstem Innern klang:
»Ich liebe das Weib meines Bruders. Das Ungeheuerlichste ist wahr. Keine Lüge soll es uns beschönigen; kein Sophisma soll uns darüber wegtäuschen, keine Dialektik kann uns diese Wirklichkeit verschleiern. Und nicht mit einer reinen, nicht mit einer geistigen, nicht mit einer freundschaftlichen Liebe: mit einer Liebe, die aus allen Erfahrungen eines wüsten Lebens gelernt hat, liebe ich es, begehre ich es, verlange ich nach ihm. Und auch das Letzte will ich sagen. Ich fühle die Sünde, aber ich scheue sie nicht. Sie stört mich nicht. Ich liebe dich trotz der Sünde, durch die Sünde hindurch, ich liebe unsere Sünde um deinetwillen, so sehr fühle ich, wie wir füreinander bestimmt sind, zueinander gehören, ich zu dir und du zu mir, und daß nichts, auch die Sünde nicht, uns voneinanderreißen kann, nein, alles, was zu unserer Liebe gehört, auch die Sünde, auch daß du die Frau meines Bruders bist, uns nur tiefer und unlösbarer aneinanderbindet. Nun weißt du es, wie dein ich bin: hier hast du mein Herz: ich habe es vor dir ausgeschüttet, es ist nichts mehr darin, was nicht dein geworden ist. Das ist es, was ich dir habe sagen müssen, ehe das geschieht, was geschehen muß.«
195 So bekannte er seine Liebe in ihren Schoß. Sie aber neigte sich über ihn und sprach sanft: »An dir ist keine Sünde. Was immer du tust, wird dadurch, daß du es tust, rein und geheiligt. Mein Herz spricht dich frei. Und alles, was dich drückt, will ich auf mich nehmen. Und wäre es Sünde, so will ich teilhaben an ihr: aber ich glaube nicht an Sünde. Was soll dieses fremde Wort zwischen dir und mir? Nur das Fremde, der fremde Wille, das Gesetz, das von außen kommt, wäre Sünde. Aber das, was uns zueinander treibt, ist heilig, weil es unsere eigenste Natur ist. Nichts an dir ist mir fremd. Und alles, was du mir gesagt hast, das wußte ich von jeher. So rein und klar liegt deine Seele vor mir. Und ebenso rein und klar soll meine Seele vor dir liegen. Das will ich. Nichts sei in mir, was du nicht kennst. Und wie du mir dein Leben gegeben hast, so will ich meines in deine Hände legen und es von dir als Geschenk zurückempfangen. Richte dich auf, Florentin, und laß mich in deine guten Augen sehen, deine Hände halten, dich fühlen! Dann wird es mir leichter werden, von einem Leben zu sprechen, dessen ich mich schäme, weil du nicht drin warst, von einer Vergangenheit, die mir, seit ich dich kenne, so fremd geworden ist, wie das Leben eines anderen Menschen. Aber du sollst alles von mir wissen, Florentin, wie ich alles von dir weiß.«
So saßen sie da, Hand in Hand, spürten nicht, daß der Sturm um sie tobte, vergaßen, daß es draußen eine Welt gab, vergaßen an Mann und Bruder, Kind und Braut, und sahen einander in die Augen, als wenn es das erstemal wäre. Und nach einer langen Pause begann sie erst:
»Mein ganzes Leben war Warten. Ein Warten auf dich. Was vor dir war, zählt nicht. Wie hinter einem Schleier liegen Kinder- und Mädchenjahre in meiner Erinnerung. Ich sehe mich an Fenstern sitzen und in eine blaue Ferne starren. Träume, ganz unbestimmte, tauchen verschwimmend auf, ein Leben außer Zeit und Raum, in Phantasien vertändelt, das nie zu einem 196 klaren Bewußtsein kam. Von der Welt wußte ich nichts, viel weniger, als alle anderen Mädchen meines Alters. Meine Eltern starben früh und ich war allein. Von den Menschen, die mich umgaben, weiß ich nichts, wußte ich damals noch weniger. Sie interessierten mich nicht und ich kannte sie nicht, gab mir auch keine Mühe, sie kennenzulernen. Sie waren wie blasse Schatten, die an meinem Leben vorüberglitten. Die Realitäten der Existenz blieben mir gleichgültig. Unwillkommene Störungen meiner Traumstunden. Ich las unendlich viel, am liebsten phantastische Bücher, trieb auch viel Musik, sang. Das waren meine Lebensfunktionen. Am stärksten spürte ich sie, wenn ich tanzte. Da konnte ich meine letzte Leidenschaft ausgeben. Der Tanz war mir wie eine Erfüllung meiner Träume und Phantasien. Die Tänzer spürte ich gar nicht, merkte sie kaum. Nur mich selber fühlte ich im Tanz und diese ewige Erwartung von etwas Wunderschönem. Alles war Vorbereitung und der Tanz die festlichste. Das Eigentliche sollte erst kommen. Mußte kommen. Ich dachte nicht, ich wollte nicht, ich wartete. Und als der erste Mann kam, der mich wollte, fiel ich ihm, fast ein Kind noch, anheim. Es war nicht einmal die künstlerische Attrappe, die mich täuschte. Ich machte mir gar keine Gedanken über ihn, er wollte mich und ich hatte nie widerstehen gelernt. Es war mir so fremd, so ermüdend, Willen gegen Willen zu setzen, er hatte so gar nichts mit meinem Leben in Traum und Phantasie gemein, es war so gar nichts in meinen Instinkten, das für ihn oder gegen ihn sprach, daß ich willenlos mit mir geschehen ließ, was geschah. Ich hatte mir nichts vorgestellt, nichts erwartet, als mein Mädchenleben, mein Traumleben fortsetzen zu können. Aber sofort nach der Hochzeit fiel die künstlerische Maske und ein Abenteurer, ein brutaler Zweckmensch, habgierig und wollüstig, trat zutage. Ich erschrak furchtbar. Das also war die Welt, das war die Ehe. Eine unsägliche Scham überfiel mich. Noch glaubte ich, daß es in allen Ehen so aussah: aber dann konnte man doch nicht weiterleben in einer so 197 schmutzigen, so häßlichen Welt. Sibyl sollte zur Welt kommen, sehr gegen den Willen meines Mannes, der jede Verantwortung, jede Beeinträchtigung seiner Zügellosigkeit fürchtete. Und nun begann für mich eine Zeit der letzten körperlichen und seelischen Erniedrigung, der widerlichsten, schmählichsten Zumutungen und Vergewaltigungen, eine Zeit, in der mein Körper gemißbraucht, meine Seele gedemütigt wurde. Und diese Qual durchsetzt und vermengt mit den unsaubersten Geldgeschichten, die nun einmal das Lebenselement dieses Mannes bildeten. Glaube mir, daß alle Laster, die du in den Hafenspelunken der ganzen Welt mitangesehen und erlebt hast, in ihrer ehrlichen Unverfrorenheit nichts sind gegen die heimliche Sünde, die durch den Alkoven unserer bürgerlich legitimierten Ehe gedeckt wurde. So war ich aus der traumhaften Unbewußtheit meines Blumendaseins zu einem Leben erwacht, das vom Tode gezeichnet war, das ein langsames Sterben war. Mit einem Male war ich sehend geworden. Und nun war auch mein Wille erwacht, und als Sibyl zur Welt gekommen war, zerbrach ich diese Ehe, bevor sie mich zerbrochen hatte, und entlief meinem Manne. Nun begann dieser Kampf um mein Kind, der in erster Linie ein Kampf um mein Geld war. Wie sollte ich, siebzehnjähriges Geschöpf, hilflos, weltfremd, unvertraut mit diesen unverständlichen Gesetzen und Verfahren, gegen eine Meute brutaler Männer und Juristen aufkommen? Ich war am Zusammenbrechen, als Otto kam und sich meiner annahm. War es ein Wunder, daß ich mich an ihn anlehnte? Er war gut zu mir und war anständig, das fühlte ich, und meine Schwingen waren gebrochen. Und jenes Eigentliche, auf das ich wartete, um dessen willen ich lebte, gab es das überhaupt in der Welt der Wirklichkeiten? Ich zweifelte, verzweifelte daran, und so griff ich denn, in meiner Verzagtheit, noch schaudernd unter dem Druck der frischen Erinnerung an die Wüstheit meiner ersten Ehe, nach dem Entgegengesetzten, nach der festen Hand, die sich mir bot, nach der Stille und sicheren Ruhe einer 198 bürgerlichen Versorgung. Schon um meines Kindes willen, wie ich mir sagte.
Florentin, Otto ist dein Bruder, und du wirst mein Schweigen ehren. Aber du wirst es verstehen, daß diese zweite Ehe mich zur Einsamkeit erzogen hat. Und daß es aller meiner allmählich wachsenden und sich ihrer bewußt werdenden Kraft bedurfte, mich der hereinbrechenden Bürgerlichkeit zu erwehren und zu mir zu entwickeln. Glaube mir, es war ein schwerer Kampf, nicht leichter als der erste. Ein Frauenleben ist ein dünnmaschiges Gewebe, und tausend Lücken gibt es, durch die Konvention, Kleinlichkeit, Borniertheit, Philistrosität, Splitterichterei hineinschlüpfen, um unsere Freiheit zu umgarnen, unsere Persönlichkeit zu ersticken. Es hat lange gedauert, bis ich darauf kam, was das Wesentliche sei, bis ich meine eigene Natur erkannt habe und mir die Freiheit erobert habe, nur ihr zu leben. Und wer mir am meisten dabei geholfen hat, war Sibylla; an ihr, im Leben mit ihr bin ich reif geworden, habe ich erkannt, daß es Schönheit, Freude, Güte und Takt sind, worauf es im Leben ankommt. Mit ihr habe ich die Freude am Leben der schönen Dinge entdeckt, die Seele der Gegenstände und die Seelenlosigkeit der Gesellschaft. Ich habe es sie gelehrt und durch sie gelernt, dem Geschick nicht willenlos gegenüberzustehen, sondern es in die eigenen Hände zu nehmen, nicht Objekt, sondern Subjekt, tätiges, wollendes, wirkendes Subjekt seines Schicksals zu sein. Und so wurde mein Leben, durch mich selbst gestaltet, schön, freilich nicht Erfüllung, sondern immer noch festliche Vorbereitung, festliches Warten, immer noch, auf das Eigentliche, das kommen soll. Über all den Jahren dieser zweiten Ehe lag Erwartung. Ich wußte, daß es kommen muß. Und es ist gekommen. Ich wußte, wie man sein Schicksal ahnt, wie man seine Erlösung ahnt, wie man seinen Tod weiß, daß es den Mann gibt, der zu mir gehört, zu dem ich gehöre, für den ich bestimmt bin, der mich versteht und den ich verstehe, den mein tiefstes Fühlen erahnt, der mein 199 tiefstes Wollen erlöst, der mein tiefstes Denken erfüllt. Auf dich habe ich ein Leben lang gewartet und du bist gekommen.«
Und, indem sie seine Hände gegen ihr Herz drückte: »Als du kamst, wußte ich alles. Ich wußte, warum ich gelebt habe und wozu ich gelebt habe. Du bist der Sinn, der Inhalt, der Zweck meines Lebens. Du bist die Erlösung und die Erfüllung meines Schicksals. Du bist meine Brücke zur Welt, mein Weg zur mir selbst, der Schlüssel zum Verständnis meiner eigenen Seele. Du bist der einzige, den ich lieben kann, der einzige Mann, in dessen Armen mir die Liebe nicht Schmach ist. Deine Liebe hat den Schmutz zweier Ehen von meiner Seele genommen. Du bist der Nächste meiner Seele, mir näher als mein Kind selbst, mir verwandt in Denken und Fühlen, in Art und Wesen, und nichts, nichts, nichts ist an dir, was mir fremd ist oder je fremd werden könnte. So nahe bist du mir.«
Ihre Hände hatten sich gelöst, beide senkten ihre Augen und es war ihnen, als müßten sie niederknien, und hinter ihnen stände ein Unsichtbares, Heiliges, ihre Hände für immer ineinanderzulegen, wie sie ihre Seelen miteinander getauscht hatten.
Und Blanche schloß: »Tu mit mir, was du willst! Ich bin dein. Und folge dir, wann du willst, wohin du willst, jetzt, bis ans Ende der Welt.«
Und während sie ganz nahe an ihn heranrückte, nach seinen Händen tastete und mit ihrem Auge seines suchte, geschah ihm ein Wunder. Eine unsichtbare, heilige Macht kam über ihn, ohne daß er zu widerstehen vermochte, ohne daß er wußte, was mit ihm geschah. Es zwang ihn mit einer unwiderstehlichen Gewalt auf die Kniee und seine Augen schlossen sich. In drei Sekunden, während derer sich angstvoll, erwartungsvoll der Blick der Frau an sein Antlitz heftete, erlebte er sein ganzes Leben, vergangenes und künftiges, erkannte er zum ersten Male sein tiefstes, eigentlichstes Wesen, sah es anders als je vorher, sah Dinge, die unentdeckt schon immer in ihm geschlummert hatten, in aller Deutlichkeit, 200 fühlte er, daß dieser Augenblick der Höhepunkt seines Lebens war, um dessentwillen es geschah. Als er seine Augen öffnete und sich erhob, war er ein anderer geworden.
Er stand ganz ruhig und sah mit einem Blick voll unendlicher Güte auf die Erschreckte hernieder, deren Auge suchend an seinem hing.
»Nein,« sagte er, ganz still, »das, was du von mir willst und erwartest und erwarten mußt, das kann ich nicht. Jetzt nicht mehr. Jetzt weiß ich, daß ich es nicht kann. Und was ich nicht kann, das tue ich nicht.«
»Ich verstehe dich nicht«, kam es fragend von ihren bebenden Lippen.
»Ich kann nicht über Leichen gehen. Ich kann nicht auf dem zerschmetterten Glück anderer mein Glück aufbauen. Ich bin kein Räuber, der in fremdes Leben einbricht, sich sein Glück zu stehlen. Meine innerste Natur empört sich dagegen, bäumt sich, sträubt sich dagegen. Ich fühle es, bis in alle Nerven, daß ich es nicht darf, weil ich es nicht kann, und daß ich es nicht kann, weil es gegen meine Natur ist.«
»Aber, Florentin, liebst du mich nicht mehr?«
»Ich dich nicht lieben? Ich liebe dich glühend, wahnsinnig, mehr als je. Und jedes Wort, das ich dir von meiner Liebe sagte, ist heiligste Wahrheit, die ich jeden Augenblick mit meinem Blute besiegeln will. Es ist wahr, daß du und ich unlöslich zueinander gehören, und es ist wahr, daß dich zu besitzen mein einziger Wunsch, mein einziges Glück ist, und daß es für mich kein Glück gibt außer deinem Besitz. Ich lüge mir nichts vor und ich will dir nichts vorlügen. Wir beide können nicht mehr glücklich werden ohne einander. Aber du und ich, wir stehen über dem Glück, und unsere Liebe steht über dem Glück, und wenn es für uns nur ein Glück auf dem zerbrochenen Glück der anderen gibt, dann will ich lieber, bewußt, unser eigenes Glück zerbrechen. Wir brauchen kein Glück, wir haben uns, 201 und das ist mehr als Glück. Dieses weiß ich heute: das Gesetz, das mir auferlegt ist, ist Menschlichkeit, und ich schäme mich nicht, mich zu ihr zu bekennen. Dies ist mir vorgeschrieben: anderen Menschen nicht weh tun zu können. Und ich will lieber mir weh tun. Ich bin nicht wehleidig. Ich ertrage es besser als die anderen. Zu tief bin ich heute schon in mir verwurzelt, stehe zu fest auf meines Wesens Boden, als daß mich des Lebens Sturm noch einmal umwerfen könnte. Ich werde meinen Schmerz und meiner Wünsche Zerstörung so zu tragen wissen, daß es keiner mir anmerkt. Und irgendwann einmal wird es Früchte treiben, auch für mich. Nicht fruchtlos wird mein Leben verdorren. Laß mir diese Hoffnung und diesen Stolz! Und wenn ich stolz bin, laß es mich für dich mit sein! Du hast es mich ja gelehrt, auf mich stolz zu sein. Sei du es ebenso! Nicht wie ein Opfer wollen wir Trennung und Einsamkeit tragen. Nicht Opfer sind es, was ich von mir und dir verlange. Dies ist kein Opfer, kein großmütiger Verzicht. Ich verzichte ja nicht auf dich. Dich habe ich in meinem Leben, und nichts kann dich mir mehr aus meinem Leben nehmen.«
War dies ein Traum? Die Welt versank ihr. Sie streckte die Arme, als könnte sie die versinkende halten. »Florentin!« schrie sie auf, »dies alles ist nicht wahr! ist unwirklich! Das alles sind Hirngespinste, Gedanken, Theorien! Nur eins ist wirklich: das ist unsere Liebe. Sonst weiß ich nichts! Sonst will ich nichts wissen!«
Noch begriff sie von allem nichts, als daß das Glück, das ein Leben lang erwartete, kaum aufgetaucht, wieder zu entweichen begann, und daß es galt, es festzuhalten. Und sie war bereit, sich zur Wehr zu setzen.
»Florentin, ich kann ohne dich nicht leben. Florentin, ich habe die Kraft, mein Glück zu nehmen. Es mir zu stehlen, wenn es not tut. Ich bin eine Frau, ich habe den Mut zur Sünde, wenn du, Mann, ihn nicht hast.«
202 Er erwiderte, furchtbar ernst: »Nein, Blanche, dies sind keine Theorien. Dies ist meines Wesens Gesetz und tiefste Notwendigkeit. Gott sei vor, daß ich in diesem wichtigsten Augenblick meines Lebens philosophiere. Und wenn du Frau bist, so bin ich Mann, durch dich Mann geworden, und stehe zu meines Lebens erkannter Notwendigkeit. Und wenn du die Kraft und den Mut zur Sünde hast, so habe ich die größere Kraft, nicht stark zu sein, und den Mut zur Schwäche. Weil ich den Mut habe, ganz ich selbst zu sein. Alle, vielleicht alle anderen, hätten die Kraft, über die Ehe des Bruders weg, über das Glück und den Frieden dieses ahnungslos unschuldigen Kindes weg, mit starken Händen ihr Glück an sich zu reißen. Oder hätten geschwiegen, hätten ihre Liebe tief in sich verschlossen und geschwiegen. Vielleicht hätte auch ich schweigen sollen. Ich habe nicht geschwiegen. Zu hoch habe ich uns beide eingeschätzt, als daß wir es nötig hätten, dem Bewußtwerden unserer Leidenschaft feige auszuweichen. In Bewußtheit mußten wir unser Schicksal auf uns nehmen, es komme, wie es wolle. Ich fürchte nichts mehr. Keine Macht und Meinung der Menschen, aber auch kein Gewissen und keinen Richter in mir. Nicht aus irgendwelcher Moral gebe ich deinen glühend ersehnten, begehrten Besitz preis. Nicht vor der Sünde fürchte ich mich. Du hattest recht, es gibt keine. Keine andere, als das Fremde zu tun, fremdem Gesetz zu gehorchen. Und mir wäre es ein Fremdes, dich zu stehlen. Ich tue, was ich muß, und ich lasse, was ich lassen muß. Ich kann die Vorstellung nicht vertragen, daß mein Bruder, daß Billy in den Ruinen dieses zerstörten, besudelten Hauses hinter uns her weinen sollen. Wie ein Fremdkörper würde der Gedanke an durch mich vernichtetes Glück mein Blut vergiften. Lieber vernichte ich meines und deines, denn du gehörst zu mir. Und von mir und dir weiß ich, in tiefster Seele, in klarstem Bewußtsein weiß ich es, daß wir ein Schicksal zu tragen wissen, wenn wir erkannt haben, daß es unser Schicksal, unsere Notwendigkeit ist.«
203 Sie schwieg. Keinen Laut brachte sie hervor. Ihr Blut stand in Flammen. Ihre Augen bohrten sich in die seinen, sie hing an seinen Lippen, jedes seiner Worte trank sie, fühlte, wie jedes, mit Hammerschlägen, eine Lebenshoffnung in ihr zertrümmerte, die Fäden durchschnitt, die ihren Willen zum Glück mit der Zukunft verbanden, und konnte doch nicht unterlassen, sie wie ein köstliches, tödliches Gift in sich zu saugen. Jetzt war er so, wie sie den Mann geträumt hatte; dieses war der schicksalhafte Trotz, den sie in ihn gepflanzt hatte, und nun wandte er sich gegen sie und zerschlug ihr Glück. Aber auch in ihr war von diesem Trotz, und sie wehrte sich, wenn sie auch, vergehend vor Liebe und stolzer Bewunderung, die Kraft ihres Widerstandes hinschmelzen fühlte.
Er aber fuhr fort: »Ich gehe. Aber ich gehe ein anderer, als ich kam. Daß ich ein anderer geworden bin, verdanke ich dir. Ich habe ein neues Leben aus deinen Händen empfangen. Als ich kam, war ich zerfahren, ratlos, wußte nicht aus und ein in meinem Leben, ein Spielball des Geschickes, von Zufälligkeiten hin und her getrieben, vom Augenblick regiert, fremdem Willen gefügig. Du hast mich gelehrt, mein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Nun kann ich es, nun bin ich der Herr meines Geschicks, nun habe ich die Wahl: Glück oder Unglück, aber nach meiner Wahl, nun ist kein fremder Wille mehr in meinem Leben. Keiner. Auch der deine nicht. Du hast mich gelehrt, mich auf mich zu besinnen, meiner eigensten Natur bewußt zu werden, nur nach dem Gesetz meines Lebens zu fragen und sonst nach nichts in der Welt. Nun habe ich mich erkannt, nun weiß ich Bescheid in mir, bin ich meinem eigenen Leben zu Hause und kenne sein Gesetz. Und nun verteidige ich es gegen jeden, auch gegen dich, das Werk deiner Liebe auch gegen deine Liebe, wenn sie es vernichten will.«
So rangen ihre Seelen miteinander.
Ihre schrie: »Ich lasse dich nicht.«
Und seine: »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.« 204