Arthur Kahane
Willkommen und Abschied
Arthur Kahane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

14.

Als er erwachte, lag es wüst und neblig über dem grauen, brodelnden See. Dicke Wolken hingen in die gekappten Berge hinein. Die Luft roch schwer und feucht.

Er war sich dessen bewußt, daß sein Wille zur Entscheidung unvermindert war. Es mußte etwas geschehen und bald. Und mußte durch ihn geschehen. Was und wie, war ihm noch unklar. Tat stand ihm bevor: aber ihre Form wird Sprechen sein. Zwei harte, grausame, böse Gespräche mit seinem Bruder und seiner Braut. Mit Überraschungen, Unerbittlichkeit, großen, erstaunten Augen, weinenden vielleicht, vielleicht auch tränenlosen, die noch erschreckter, noch schmerzlicher blicken werden. Und seine Stimme wird sich bemühen, weich zu sein, bis zur Unerträglichkeit weich für sein eigenes Ohr, je härter sein Entschluß stand.

Blanche und Sibylla saßen auf der Veranda am Frühstückstisch. Man begrüßte einander. Blanche reichte ihm eine Hand, die fiebrig eisig war wie die seine.

Draußen begann es zu nieseln. Otto kam hinzu und schimpfte über das Wetter. Gott weiß, wie lange das jetzt so bleibt. In diesen verwünschten Bergen kann man sich auf vier Wochen Hausarrest gefaßt machen. Florentin und Blanche erbleichten. Unwillkürlich sahen sie einander an.

Als, nach beendetem Frühstück, Otto Moser sagte: »Ich gehe aber doch hinunter. Ich muß. Ich habe es versprochen«, leuchteten ihre Augen auf, und Blanche erwiderte schnell: »Aber vergiß wenigstens deinen Lodenmantel nicht!« Und senkte sofort den 164 Kopf, denn sie fühlte, wie sie errötet war. Und Florentin, ohne hinzusehen, fühlte dasselbe.

Otto war ins Nebenzimmer gegangen, um Hut und Mantel zu holen, und rief ein paar Worte heraus, die sie nicht sofort verstanden. Als sie sich, in derselben Richtung gegen das Zimmer, nach ihm umwandten, streiften, unter dem Tisch, ihre Knie einander. Da war es beiden, als müßte, in diesem Augenblick, der Boden sich unter ihnen auftun und sie verschlingen.

Da sagte Sibyl auf einmal: »Nimm mich doch mit, Papa! Ich möchte dir etwas erzählen. Das Wetter geniert mich nicht und die frische Luft wird mir gut tun. Willst du?« Und beide durchschoß blitzschnell derselbe Gedanke. Er war lächerlich, sinnlos, närrisch. Aber beide hatten ihn, fühlten, daß sie ihn hatten, fühlten, wie unsinnig er war, und schämten sich voreinander und füreinander.

Natürlich war Otto Moser einverstanden und stapfte mit Billy los. Die beiden Zuhausegelassenen sahen den beiden anderen nach, wie sie durch den Garten gingen, den Uferweg hinunter und rechts um die Ecke verschwanden und fühlten: Die zwei ohne uns zwei! Wir zwei gegen die zwei!

Wie schwer wurde ihnen das Reden! Es gab kein Flüchten in Gleichgültiges mehr, kein Sichfinden in einer fremden, alles versöhnenden Schönheit, kein Schwärmen von künftiger Lebensgestaltung, kein gegenseitiges Sichaufstacheln zu Freude und Mut und Entschlüssen. Das alles war vorbei. Jetzt gab es nur Eines mehr für sie und das durfte es noch nicht geben.

Florentin war es, als müsse er, abgewendeten Auges, nach ihrer Hand tasten, um sich daran zu klammern, und könne es nicht, und als fühle er, wie sie sie, angsterfüllt, zurückzog, bevor er noch danach gegriffen. Immer wieder setzten sie zum Reden an, aber die Fülle ihres Herzens überschrie, was sie einander mit Worten zu sagen hatten, und auf einmal, ehe sie noch gesprochen hatten, stoben sie, die einander noch gar nicht nahegekommen 165 waren, auseinander, denn Sibyl stand vor ihnen und sagte: »Papa hat mich zurückgeschickt. Es ist doch nichts bei dem Wetter. Die Nässe peitscht einem ins Gesicht.«

Was hatte das zu bedeuten? Was hatte das alles zu bedeuten?

Sie saßen eine Weile zu dritt, aber ein Gespräch kam nicht in Gang. Billy erklärte auf einmal, sie vertrüge das Wetter nicht, in den Bergen müsse man gehen und nicht in Zimmern hocken.

Dann verzog sich jeder auf sein Zimmer und schützte Arbeit vor.

Otto Moser kam früher als sonst zu Mittag nach Hause.

Während der Mahlzeit sagte Billy einmal: »Die beiden.« Es handelte sich um einen kleinen Waldsee in der Nähe. »Die beiden wären von seiner Einsamkeit ganz entzückt gewesen.« Und ein anderes Mal bemerkte Otto Moser: »Ihr beide bildet euch ein, die Menschen zu hassen, und dabei seid ihr beide ganz verliebt in die Menschheit.« Und beidemal traf sie dieses »die beiden« wie eine heimliche Anklage.

Nach dem Essen verlangte Frau Blanche nach einer Zigarette. Otto Moser meinte zwar, das sei noch eine Reminiszenz aus ihrer ersten Ehe, reichte sie ihr aber und setzte hinzu: »Gib ihr Feuer, Florentin!« Als Florentin ihr das angezündete Streichholz hinhielt, fühlte er oder glaubte er zu fühlen, wie sich ihre bebende Hand an seinem Finger festhielt, und es war ihm, als stünde er selber in Brand.

Nachmittag blieb Otto Moser ausnahmsweise zu Hause und versuchte aus liebgewordener Gewohnheit, hier eine kleine Kartenpartie zu veranstalten, was an dem gemeinsamen Widerstand der anderen scheiterte. Das machte ihn nicht wenig übellaunig. Billy schlug vor, ein wenig zu musizieren, aber das wollte Frau Blanche nicht. »Du siehst,« sagte Otto, »die sind für nichts Vernünftiges zu haben. Am liebsten, glaube ich, möchte sich Mama Florentins Lebensgeschichte noch einmal anhören.«

166 Beim Abendbrot rächte er sich, indem er fortgesetzte Anspielungen auf diese Lebensgeschichte machte, die Florentin, so peinlich sie ihm waren, stillschweigend hinnahm. Frau Blanche versuchte abzulenken, aber heute mißlang es ihr. Otto Moser insistierte beharrlich und zeigte plötzlich einen bürgerlichen Hochmut, den er sich sonst zu verstecken bemüht hatte. Der Name Lederer fiel. »Man kann doch nicht bloß im Hause Puyfourcat verkehren«, bemerkte Otto. Draußen schlug die Hexe an. Otto witzelte: »Dein Freund Vojevič oder so was Ähnliches wird in der Nähe sein.« Blanche und Florentin erwiderten nichts, wurden im Gegenteil, wie auf Verabredung, ganz sanft und nachgiebig. Der andere immer gereizter. »Verschont mich, bitte, mit eurem Geist!« schrie er, ohne daß jemand das ominöse Wort ausgesprochen hatte. »Der Geist einer Frau beweist sich im Anzug. Und darum sind mir die Damen der Gesellschaft da unten tausendmal lieber als deine Weiber in Zürich und München.« Florentin war bleich geworden, bezwang sich aber Blanche zuliebe, der Blutröte ins Gesicht schoß. »Natürlich: seine Weiber! Was hast denn du geglaubt?!« Blanche antwortete nicht und stand auf. Etwas verdutzt, brummelte Otto: »Ach was! Ich lasse mir bloß nichts vormachen«, und zündete sich umständlich eine neue Zigarre an. »Bist du mir denn auch böse?« wendete er sich zu Florentin. Dieser schüttelte den Kopf. »Aber sie natürlich. Die es am wenigsten angeht!«

Frau Blanche verließ den Raum. Sibylla sah erschreckt von einem zum anderen und wußte sich keinen Rat. 167

 


 << zurück weiter >>