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Fünftes Kapitel

Die beste Gelegenheit, ihren Unmut und Groll zu vergessen und sich wenigstens an dem heraufbeschworenen Glanze früherer deutscher Herrlichkeit zu erheitern, fanden sie, als die ganze reich geartete Künstlerschaft sich zusammentat, um in einem großen Schau- und Festzuge für die kommende Faschingszeit ein Bild untergegangener Reichsherrlichkeit zu schaffen; denn es war ein wirkliches Schaffen, nicht mittelst Leinwand, Pinsel, Stein und Hammer, sondern wo man die eigene Person als Stoff einsetzte und in vielhundertfältigem Zusammentun jeder ein lebendiger Teil des Ganzen war und das Leben des Ganzen in jedem einzelnen pulsierte, von Auge zu Auge strahlte und eine kurze Nacht sich selber zur Wirklichkeit träumte.

Es sollte das alte Nürnberg wieder auferweckt werden, wie es wenigstens in beweglichen Menschengestalten sich darstellen konnte und wie es zu der Zeit war, als der letzte Ritter, Kaiser Maximilian I., in ihm Festtage feierte und seinen besten Sohn, Albrecht Dürer, mit Ehren und Wappen bekleidete. In einem einzelnen Kopfe entstanden, wurde die Idee sogleich von achthundert Männern und Jünglingen, Kunstbeflissenen aller Grade, aufgenommen und als tüchtiger Handwerksstoff ausgearbeitet, geschmiedet und ausgefeilt, als ob es gälte, ein Werk für die Nachwelt zu schaffen. Das Vollkommene hat in dem Augenblicke seinen ganzen Wert, wo es geworden ist, und in diesem Augenblicke liegt eine Ewigkeit, welche durch eine Dauer von Jahren nur weggespottet wird; die Künstler empfanden daher in der sachgerechten und allseitigen Vorbereitung eine anhaltend wachsende Lust und Geselligkeit, welche wohl von der Freude der eigentlichen Feststunden überboten wurde, aber in der Erinnerung endlich der hellere und deutlichere Teil vom Ganzen blieb.

Der große Festzug zerfiel in drei einzelne Hauptzüge, von denen der erste die Nürnbergische Bürger-, Kunst- und Gewerbswelt, der zweite den Kaiser mit Reichsrittern und Helden und der dritte einen mittelalterlichen Mummenschanz umfaßte, wie von der reichen Stadt dem gekrönten Gast etwa gegeben wurde. In diesem letzten Teile, welcher recht eigentlich ein Traum im Traume genannt werden konnte, in welchem die in historische Vergangenheit sich Zurückträumenden mit den Sinnen dieser Vergangenheit das Märchen und die Sage schauten, hatten die drei Freunde ihren Raum gewählt, um als verdoppelte Phantasiegebilde dem Phantasiebilde der gestorbenen Reichsherrlichkeit vorzutanzen.

Die Töchter, Schwestern und Bräute vieler Künstler hatten sich artig und froh ergeben, dem lebendigen Kunstwerke zum höchsten Schmucke zu gereichen, in manchem Hause waren die Hände geschäftig, schöne Frauenkörper in die weiblichen Prachtgewänder der alten Reichsstadt zu kleiden, und es war nicht das geringste Vergnügen der Künstler, auch hier die Hand anzulegen und, die alten Trachtenbücher und den Weißkunig vor sich, in Stoff, Schnitt und Schmuck die eigensinnigen Neigungen, den unkundigen Modegeschmack der Frauensleute im Zaum zu halten. Wo Liebe mithalf, da spielte der anmutigste Roman in den Sammet- und Goldstoffen und um die Perlenschnüre, und manche zur Probe Vollgeschmückte entzog sich den verlangenden Armen ihres augenseligen Geliebten mit einem Lächeln, welches den weisen Sinn der Schönen verriet, daß sie auf einen bessern Augenblick zu hoffen wisse, wann Pauken und Trompeten ertönten und die glänzenden Paarreihen sich schwängen.

Heinrich sah solchem Glücke halb gleichgültig, halb sehnsüchtig zu und war, als frei und ledig und mit seinen eigenen Sachen handlich und ohne Geräusch bald fertig, anderen dienstbar in ihren vermehrten Geschäften. Es war sein mütterliches Erbteil, daß er still und rasch seine eigene Person zu versehen und zugleich alle Aufmerksamkeit anderen zu schenken wußte. Solche Züge verkünden ein tüchtiges Geblüt und weit mehr ein wahrhaft gutes Herkommen als alle angelernten Höflichkeiten und Anstandsformen. Wo sie sich, wie hier, in unwichtigen Dingen, sogar nur in Sachen des Vergnügens äußern, während ihre Ausbildung und Betätigung in den großen Lebenslagen stockt, da muß ein ernstes Schicksal, eine tiefe Verirrung im Anzuge sein, welche sich nur dem unkundigen Beobachter verbergen.

Beide Freunde Heinrichs waren zwei reizenden Wesen für das kommende Fest verpflichtet. In einer vergessenen altertümlichen Gegend der Stadt lag ein ganz kleiner, gevierter sonniger Platz, wo zwischen anderen ein schmales Häuschen im Renaissancestil zierlichst sich auszeichnete, in der Breite ein einziges Fenster von den schönsten Verhältnissen zeigend. Beide Stockwerke bildeten zusammen einen kleinen Turm oder eher ein Monument und waren durch den Gedanken der Gliederung ein Ganzes; die wohlgefügten, von der Zeit geschwärzten Backsteine zeigten eine scharfe und gediegene Arbeit, und selbst der Türklopfer von Erz, welcher ein schlankes, den schmalen Leib kühn hinausbiegendes Meerweibchen vorstellte, verriet die Spuren vortrefflicher Künstlerarbeit. Über der reich verzierten Tür ragte ein morgenländisches Marienbild von schwarzem Marmor, das auf einem stark im Feuer vergoldeten metallenen Halbmonde stand. So erinnerte das Ganze an jene kleinen zierlichen Baudenkmäler, welche einst große Herren für irgend eine Geliebte, oder berühmte Künstler zu ihrem eigenen Wohnsitze bauten. Hierher hatte Ferdinand seine Schritte zu lenken; denn in dem reich gesimsten Fenster sah man ein dunkles Mädchenhaupt auf schmalem Körper schwanken, wie eine Mohnblume auf ihrem Stengel. Die Witwe eines Malers aus der vorhergegangenen Periode wohnte in dem Häuschen, eines Malers, der zu seiner Zeit oft genannt wurde, von welchem aber nirgends mehr die Werke zu finden waren; sogar seine seltsame Witwe, die einst nur außerordentlich schön gewesen, hatte das letzte Fetzchen gefärbter Leinwand weggeräumt und dafür das alte Haus inwendig bekleidet mit allen Erzeugnissen der Modenindustrie und den Spielereien der Bequemlichkeit. Nur ihr pomphaftes Bildnis, wie der Verstorbene sie einst als geschmückte Braut gemalt in aller ihrer Schönheit, bewahrte sie an einem altarähnlichen Platze und betete das Bild unverdrossen an. Sonst war die achtzehnjährige Tochter Agnes der einzige ästhetische Nachlaß des Mannes, und man bedauerte bei ihrem Anblick den Ärmsten, daß er dieses sein bestes Kunstwerk nicht selbst mehr sehen konnte, und man bedauerte umso tiefer, als die Witwe gar kein Auge für das liebliche Wunder zu haben schien, sondern in die Betrachtung ihrer eigenen früheren Schönheit versunken, die zarte Blume des Kindes schwanken und blühen ließ, wie sie eben wollte.

Von einer Schulter zur andern, mit Inbegriff beider, war Agnes kaum eine Spanne breit, aber Hals und Schultern waren bei aller Feinheit wie aus Elfenbein gedrechselt und rund wie die zwei kleinen vollkommenen Brüstchen und wie die schlanken Arme, deren Ellbogen bei der Schlänke ein anmutiges Grübchen zeigten. Bis zu den Hüften wurde der Leib immer schlangenartiger, und selbst die Hüften verursachten eine fast unmerkliche Wölbung; aber diese war so schön, daß sie beinahe mehr Kraft und Leben verriet als die breitesten Lenden. Das Gewand saß ihr schön und sicher auf dem Leibe;

sie liebte es ganz knapp zu tragen, so daß ihre ganze Schmalheit erst recht zutage trat, und doch berauschten sich die Augen dessen, der sie sah, mehr in dieser Erscheinung als in den reichen Formen eines üppigen Weibes, und wer einer vollen Schönheit kalt vorüberging, glaubte dies schmale Wesen augenblicklich in die Arme schließen zu müssen. Auf solchem schwanken Stengel aber wiegte sich die wunderbarste Blume des Hauptes. In dem marmorweißen Gesicht glänzten zwei große dunkelblaue Augen und ein kirschroter Mund, und das Rund des Gesichtes spitzte sich stark in dem kleinen reizenden Kinne zu, und doch war dies Kinn nicht so klein, daß es nicht noch die reizendste Andeutung einer Verdoppelung geziert hätte. Aber der breiteste Teil der ganzen Gestalt im wörtlichen Sinne schien das große volle Haar zu sein, welches sie krönte; die gewaltige, tiefschwarze Last, vielfach geflochten und gewunden und immer mit grünem Seidenbande durchzogen, wuchtete rund um den kleinen Kopf, und da, wenn die schlanke Geschmeidige sich anmutig und leicht bewegte und das schöne Haupt senkte, dies unwillkürlich die Vorstellung erregte, das Gewicht des dunklen Haarbundes verursache das liebliche Schwanken und Beugen, so rief sie von selbst das Bild einer Blume hervor; aber noch froher überraschte es, wenn sie sich unversehens frei aufrichtete und die schwere Krone so leicht und unbewußt trug wie ein schlanker Hirsch sein Geweih.

In ihr geistiges Leben war noch kein sicherer Blick zu tun. Meist schien sie kindlicher zu sein als es ihrem Mädchenalter eigentlich zukam; gelernt hatte sie auch nicht viel und las nicht gern, ausgenommen komische Erzählungen, wenn sie deren habhaft werden konnte; aber sie mußten gut, ja klassisch sein, und alsdann studierte sie dieselben sehr ernsthaft und verzog nicht den Mund. Manchmal schien sie entschieden beschränkten Verstandes und unbehilflich; sobald aber Ferdinand da war, überfloß sie von klarem kristallenem Witze, der noch in der Sonne der Kindheit funkelte, indessen ihre Augen eine reife Sinnenwärme ausstrahlten, wenn sie neckend und zärtlich an seinem Halse hing. Er durfte aber alsdann nicht wagen, sie kosend ebenfalls zu umfassen, wie er überhaupt sich leidend verhalten mußte, wenn er sie nicht erzürnen und von sich scheuchen wollte.

Wie Ferdinand in das Haus gekommen, wußte er selber kaum mehr zu sagen; er hatte das seltene Gebilde im Rahmen des alten Fensters gesehen, und es war ihm nachtwandlerhaft gelungen, sich alsogleich einzuführen und der tägliche Besucher zu werden.

Aber bald mußte er in einen Zwiespalt mit sich selbst geraten, da das eigentümliche und rätselhafte Wesen nicht die gewohnte Art zuließ, das Glück bei Frauen zu erhaschen. Diese Erscheinung war zu köstlich, zu selten und zugleich zu kindlich und zu unbefangen, als daß sie durfte zum Gegenstande einer vorübergehenden Neigung gemacht werden, und auch wieder zu eigen und absonderlich unbestimmt, um gleich den Gedanken einer Verbindung für das Leben zu erlauben. Ferdinand sah, daß das Kind ihn liebte, und er fühlte auch, daß er ihr von Herzen gut war, noch über das leidenschaftliche Wohlgefallen hinaus, welches ihr Äußeres erregte; aber er glaubte überhaupt nicht an seine Liebe, er bildete sich ein, nicht dauernd lieben zu können oder zu dürfen, und wußte nicht, daß Liebe im Grunde leichter zu erhalten als auszulöschen ist; und gerade dieser verzweifelte Zweifel an sich selbst ließ keine tiefere Neigung in ihm reif werden.

»Sie ist ein Phänomen!« sagte er sich und glaubte zu erschrecken bei dem Gedanken, sich für immer ein solches zu verbinden oder, einfach gesagt, ein Phänomen zur Frau zu haben. Und doch war es ihm unmöglich, nur einen Tag vorübergehen zu lassen, ohne das reizende Wunder zu sehen. Nun beschuldigte er sich wieder, daß solches Bedürfnis nur die geheime Begierde sei, die Blume zu brechen, um sie dann zu vergessen, und da er fest gewillt war, sich treu und ehrlich zu verhalten, schon aus einer Art von künstlerischem Gewissen die Verpflichtung fühlend, dies außergewöhnliche Dasein nicht zu verwirren und zu stören, so hielt er sich standhaft in seiner passiven Stellung und suchte derselben einen brüderlich freundschaftlichen Anstrich zu geben. Er behandelte sie mehr als Kind und nahm scheinbar ihre Liebkosungen als diejenigen einer kleinen Freundin hin, suchte sie zu unterrichten und nahm hin und wieder ein kaltes und ernsthaftes Ansehen an. Ängstlich vermied er, das Wort Liebe auszusprechen oder es zu veranlassen, und vermied mit dem Mädchen allein zu sein. So glaubte er als ein Mann zu handeln und seiner Pflicht und Ehre zu genügen und ahnte nicht, daß er echt weiblich zu Werke ging. Denn er war nun wirklich auf dem Punkte angelangt, wo liebenswürdige und geistreiche Männer gerade so auf eigennützige Weise mit weiblichen Wesen spielen, wie es tugendhafte Koketten mit jungen Männern zu tun pflegen.

Auch wußte das ärmste Kind ihm keinen Dank dafür. Sie achtete nicht auf seinen Unterricht und wurde traurig oder unmutig, wenn er die väterliche Art annahm. Hundertmal suchte sie das Wort auf Liebe und verliebte Dinge schüchtern zu lenken; allein er stellte sich, als kennte er dergleichen nicht, und der erwachende Trotz verschloß ihr den Mund. Hundertmal liebkoste sie ihn jetzt und hielt sich dann ein Weilchen geduckt und still, damit er das Kosen erwidern solle, und sie war nicht mehr bereit, zornig davonzufliehen; allein er rührte sich nicht und ertrug das ungeduldige Spiel des schmalen schlangenähnlichen Körpers mit der größten Standhaftigkeit. Dennoch sah die Arme recht gut, daß er mit ganz anderen Gefühlen zu ihr kam als mit denen eines Bruders oder schulmeisterlichen Freundes, und sah wohl das verhaltene Feuer in seinen Augen, wenn sie ihm nahe trat, und das unablässig betrachtende Wohlgefallen, wenn sie umherging; und sie war nur bekümmert, den Grund seines Betragens nicht zu kennen, und fürchtete, da sie die Welt nicht kannte, ihr verborgene, unheilvolle Dinge, die gar in ihr selbst lägen, dürften ihrem Glücke im Wege stehen.

In dem Maße aber, in welchem sie täglich verliebter und trauriger wurde, gewann ihr Wesen an Entschiedenheit und Klugheit, und im gleichen Maße wuchs die Verlegenheit Ferdinands; denn er sah nun ein, daß er nicht länger sich also verhalten durfte. Ihr verliebtes und sich hingebendes Wesen schreckte ihn durchaus nicht ab, weil er dessen Grund und Natur durchschaute und sie darum nur umso reizender fand; dagegen mußte er nun gestehen, daß wohl eine artige und köstliche Frau aus ihr zu machen wäre, und schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken, sie je in eines andern Händen zu sehen, während der Unselige doch immer noch sich nicht entschließen konnte, seine Selbstherrlichkeit mit einem anderen Wesen für immer zu teilen und noch für eine zweite Hälfte zu leben.

Beide Waagschalen standen sich vollkommen gleich und das Zünglein seiner Unentschlossenheit schwebte still in der Mitte, als das Künstlerfest herannahte. Agnes sollte daran teilnehmen; Ferdinand war beflissen, ihre Gestalt vollends zu einem Feenmärchen zu machen, und faßte dabei den Vorsatz, es nunmehr darauf ankommen zu lassen, ob das Fest eine Entscheidung herbeiführe oder nicht; er wollte eine solche weder suchen noch ihr widerstehen; denn noch immer hielt er sich in seiner Selbstsucht für vollkommen frei. Wenn er aber das Mädchen nur ein einziges Mal geküßt habe, gab er sich das Wort, so solle sie unverbrüchlich die Seinige sein.

Agnes aber hatte einen ähnlichen Plan in ihrem Herzchen ausgesponnen, der indessen sehr einfach war. Sie gedachte, in einem geeigneten günstigen Augenblicke ohne weiteres mit ihren Armen den Geliebten zu umstricken und zum Geständnis seiner Neigung zu zwingen und, falls dies noch nicht hülfe, die Aufregung der Festfreude benutzend, ihn so mit Liebeschmeicheln zu berauschen und förmlich zu verführen, daß er das Opfer ihrer Unschuld nähme. Dieser verzweifelte Plan gor und rumorte in ihrem pochenden Busen, daß sie wie eine Träumende umherging und nicht einmal bemerkte, wie Ferdinand starr auf ihren jungen Busen hinsah, als er einen Augenblick beim Probieren der schimmernden Festgewänder entblößt wurde. Sie war in ihrer Unschuld fest überzeugt, daß Ferdinand, wenn ihr Plan gelänge, alsdann für immer der Ihrige würde.

In nicht so bedenklicher Lage befand sich Erikson, welchem sich alle Dinge, außer seinen Bildern, mühelos und körnig gestalteten; er schritt auch mit ausreichenden Waidmannsschritten, obwohl nicht ohne die nötige Behutsamkeit, durch sein Liebesverhältnis und auf das Teil zu, das er oder das Schicksal sich erwählt.

Eine reiche und schöne Brauerswitwe hatte bei der Verlosung der großen Gemäldeausstellung ein Bildchen von ihm gewonnen, welches ihm teuer bezahlt worden war. Die Dame stand nicht im Rufe einer besonderen Kunstfreundin, und Erikson hoffte, sie würde froh sein, ihm den Gewinst um einen ermäßigten Preis wieder abzutreten; er gedachte dann das Bild anderwärts zu versenden zu erhöhtem Preise und so abermals eine Summe einzunehmen, ohne der Qual und Mühsal des Erfindens und der Ausführung eines neuen Gegenstandes ausgesetzt zu sein. Diese Aussicht gewährte ihm so viel Vergnügen, daß er sich unverweilt aufmachte und mit dem Wunsche, alle seine sauern Arbeiten noch einmal und immer wieder verkaufen zu können, das Haus der Witwe aufsuchte.

Bald stand er auf dem Vorsaale des stattlichen Witwensitzes, dessen Pracht das Gerücht von dem unmäßigen hinterlassenen Vermögen des verstorbenen Bierbrauers zu bestätigen schien. Eine alte Aufwärterin, welcher er sein Anliegen mitteilen mußte, brachte ihm indessen gleich den Bericht, daß die Herrin das Bild mit Vergnügen wieder abtrete, daß er aber ein ander Mal vorsprechen möge. Weit entfernt, über diese Willfährigkeit und Geringschätzung empfindlich zu sein, ging Erikson ein zweites und drittes Mal hin, und erst das dritte Mal wurde er etwas betroffen und erbost, als dieselbe Aufwärterin endlich kund tat, daß die bequeme Dame das Bild um ein Viertel des angegebenen Wertes wieder verkaufe und die Summe für die Armen bestimme, daß der Herr Maler, um ihm nicht fernere Mühe zu machen, es am anderen Tage bestimmt abholen und das Geld mitbringen möchte. Er tröstete sich indessen mit der Aussicht, nunmehr sicher ein Vierteljahr nicht malen zu müssen, und das Wetter betrachtend, ob es gute Jagdtage verspräche, machte er sich zum vierten Male auf den Weg.

Die unvermeidliche Alte führte ihn in ihr kleines Wärtergemach und ließ ihn da stehen, um das Kunstwerkchen herbeizuholen. Dieses war aber nirgends zu finden; immer mehr Bedienstete, Köchin, Kammermädchen und Hausknecht rannten umher und suchten in Küche, Keller und Kammern. Endlich rief das Geräusch die schöne Witwe selbst herbei, und als sie, die, nach dem kleinen wunderlichen Bildchen urteilend, gewähnt hatte, einen ebenso kleinen und dürftigen Urheber zu finden, als sie nun den gewaltigen Erikson dastehen sah, der mit der Stirn beinahe die Decke des niedern Verschlages berührte, indessen sein nordisches Goldhaar glänzend auf die breiten Schultern fiel, da geriet sie in die größte Verlegenheit, zumal er, aus einem ruhigen Lächeln erwachend, sie jetzt mit festem und wohlgefälligem Blick betrachtete. Sie war aber auch des längsten Anschauens wert: kaum sechsundzwanzig Sommer alt, stand Rosalie liebreizend da, von der Rosenfarbe der Gesundheit und Lebensfrische überhaucht, von freundlichen Gesichtszügen, mit braunem Seidenhaar und noch brauneren lachenden Augen. Indessen, um ihre Verlegenheit zu endigen, lud sie den Maler ein, in das Zimmer zu kommen, und wie sie eintraten, sahen sie beide zugleich die kleine Gemäldekiste, welche als Fußschemel unter dem Arbeitstischchen der Witwe stand, dieser selbst unbewußt und vergessen, daß sie schon seit einigen Tagen mit ihren Füßchen mutwillig darauf getrommelt.

Errötend lachte sie und zog das Bild eigenhändig hervor. Zugleich aber sagte sie, indem sie einen flüchtigen Blick auf Erikson warf, sie hätte sich eines anderen besonnen und bedaure, ihm das Bild nicht mehr für ein Viertel, sondern nur für die Hälfte des Wertes lassen zu können. Besorgt, sie möchte noch mehr den Preis steigern, zog er seine Börse und legte die Goldstücke auf den Tisch, indessen sie das Bild anscheinend aufmerksam betrachtete und wieder begann: Je mehr sie die Arbeit, welche sie bisher nur oberflächlich besehen, ins Auge fasse, desto besser gefiele sie ihr, sie müsse nunmehr wirklich die volle Summe fordern! Seufzend bot er drei Vierteile der Summe. Allein die schöne Witwe war unerbittlich und sagte: »Ihr Eifer, mein Herr, durch bares Geld Ihr eigenes Bild wieder zu erwerben, beweist mir den Wert, den ich erst verkannt habe. Ich fordere nun die doppelte Summe, die Freiheit der Frauenlaune benutzend, oder ich will das Werk lieber behalten.«

Als Erikson diese seltsame Steigerung auffiel und er sie zu seinen Gunsten auszulegen und zu wenden beschloß, verbeugte er sich lächelnd, strich sein Geld wieder ein und erwiderte: »Da mein kleines Bild eine so gute Stelle gefunden, wäre es lieblos von mir, es derselben zu berauben!« Die Schöne aber fuhr fort: »Und damit Sie sehen, daß nicht Habsucht mich zu dieser Steigerung antrieb, bitte ich, mir ein Seitenstück um diesen verdoppelten Preis zu malen, so bald als möglich, und mir jetzt gleich den Platz für beide Bilder aussuchen zu helfen!«

Erikson spazierte wohl eine Stunde mit ihr in den Gemächern herum, bis er den geeigneten Platz gefunden, und als er sich verabschiedete, grüßte sie ihn freundlich, aber kurz, und lud ihn nicht ein, sonst wieder zu kommen.

Aber er hatte wohlweislich vergessen, das Maß des Bildchens gleich ZU nehmen, und sah sich daher gezwungen, am zweiten Tage sich wieder hinzubegeben, um vieles sorgfältiger gekleidet. Sie erschien sogleich selbst und führte ihn zu dem Bildchen, hielt ihn aber nach getaner Verrichtung durchaus nicht weiter auf. Und doch schien sie dem Weggehenden so froh und munter während des kurzen Besuches, daß er höchst zufrieden nach Hause ging und die neue Arbeit begann. Auch vergingen kaum einige Tage, als ihn Rosalie höchst dringend rufen ließ, um sich wegen des Rahmens mit ihm zu besprechen; derjenige des ersten Bildes gefiele ihr ausnehmend wohl und sie wünsche einen ganz gleichen zum zweiten zu bekommen.

Als er sie über diesen Punkt einigermaßen beruhigt, entließ ihn die ihn stets schöner dünkende Rosalie auf das freundlichste, doch nicht ohne ihn auf den kommenden Sonntag zu Tische gebeten zu haben, indem sie, wie sie anmutig sich ausdrückte, diese Gelegenheit nun zu benutzen wünsche, ihr Haus mit einiger Künstlerschaft zu zieren und etwas zu lernen, damit solche grobe Verstöße, wie der begangene, immer weniger wiederkehren könnten.

Erikson betrug sich ruhig und bescheiden, und wie ein Jäger auf ein edles Wild ging er auf sein schönes Ziel los mit klopfendem Herzen, aber ohne einen Schritt zu viel noch zu wenig zu tun, und zwar nicht aus allzutiefer Berechnung, sondern aus natürlicher Klugheit.

Inzwischen malte er das bestellte Bildchen und ließ sich alle Zeit dazu; er malte diesmal mit wahrer Zufriedenheit ein recht hoffnungsgrünes Frühlingslandschäftchen, welches fast reich und anmutig zu nennen war; denn es schwante ihm, daß dieses seine letzte Schilderei sein werde.

Es war im Spätherbste, als ihm dies Abenteuer begegnete, und im Februar war er schon so weit, daß Rosalie unter seinem offenen Schutze an dem Künstlerfeste erscheinen wollte. Noch hatte weder Erikson Ferdinands wundersame Agnes, noch dieser die anmutsvolle und freundliche Witwe gesehen, und beide waren übereingekommen, daß dies am Feste zum ersten Male geschehen sollte. Heinrich hingegen war beiden Geliebten als ein ungefährliches junges Blut gelegentlich vorgestellt worden, und er freute sich, ohne leidenschaftlich beteiligt zu sein, die kommende Festzeit in dem Scheine solcher zwei Sterne mit genießen zu können.

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