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Viertes Kapitel

Als er vor nun bald vier Jahren sein Vaterhaus und seine Heimat verließ, war zu seinem Eintritt in die Welt die mäßige Barsumme bestimmt, welche seine Mutter während ihres Witwenstandes, trotz ihrer beschränkten Verhältnisse und ungeachtet sie zu gleicher Zeit einen Sohn erzog, doch unbemerkt erspart hatte. Diese Summe war bei bescheidener Lebensweise für etwa ein Jahr hinreichend, nach dessen Ablauf sich ernähren und zugleich weiterbilden zu können Heinrich nicht zweifelte und seine Mutter ebenso sicher hoffte, da es geschehen mußte und sie ihrer ganzen Lebensart nach selbst von nichts anderem wußte, als dem Notwendigen sich zu fügen und ihm gerecht zu werden. Sie nannte dies »sich nach der Decke strecken« und verzierte jeden ihrer Briefe, die sie an den Sohn schrieb, sorgfältigst am Eingang und am Schlüsse mit dieser Metapher, und der Sohn nannte dieselbe scherzweise das Prokrustesbette seiner Mutter. Indessen, um für alle Fälle das Ihrige zu tun, veränderte sie sogleich am Tage nach seiner Abreise ihre Wirtschaft und verwandelte diese beinahe vollständig in die Kunst, von nichts zu leben.

Sie erfand ein eigentümliches Gericht, eine Art schwarzer Suppe, welches sie jahraus, jahrein, einen Tag wie den anderen um die Mittagszeit kochte, auf einem Feuerchen, welches ebenfalls beinahe von nichts brannte und ein Klafter Holz ewig dauern ließ. Sie deckte während der Woche nicht mehr den Tisch, da sie nun ganz allein aß, nicht um die Mühe, sondern die Kosten der Wäsche zu ersparen, und setzte ihr Schüsselchen auf ein einfaches Strohmättchen, welches immer sauber blieb, und indem sie ihren abgeschliffenen Dreiviertelslöffel in die Suppe steckte, rief sie pünktlich den lieben Gott an, denselben für alle Leute um das tägliche Brot bittend, besonders aber für ihren Sohn. Nur an den Sonn- und Festtagen deckte sie den Tisch förmlich und setzte ein Pfündchen Rindfleisch darauf, welches sie am Sonnabend eingekauft. Diesen Einkauf selber machte sie weniger aus Bedürfnis – denn sie hätte sich für ihre Person auch am Sonntage noch mit der lakonischen Suppe begnügt, wenn es hätte sein müssen – als vielmehr um noch einen Zusammenhang mit der Welt und Gelegenheit zu haben, wenigstens einmal die Woche auf dem alten Markt zu erscheinen und den Weltlauf zu sehen. So marschierte sie denn still und eifrig, ein kleines Körbchen am Arm, erst nach den Fleischbänken, und während sie dort klug und bescheiden hinter dem Gedränge der großen Hausfrauen und Mägde stand, welche lärmend und stolz ihre großen Körbe füllen ließen, machte sie höchst kritische Betrachtungen über das Behaben der Leute und ärgerte sich besonders über die munteren leichtsinnigen Dienstmägde, welche sich von den lustigen Metzgerknechten also betören ließen, daß sie, während sie mit ihnen scherzten und lachten, ihnen unversehens eine ungeheure Menge Knochen und Luftröhrenfragmente in die Waagschale warfen, so daß es die Frau Elisabeth Lee fast nicht mitansehen konnte. Wenn sie die Herrin solcher Mädchen gewesen wäre, so hätten diese ihre Verliebtheit an den Fleischbänken teuer büßen und jedenfalls die Knorpel und Röhren der falschen trügerischen Gesellen selbst essen müssen. Allein es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und diejenige, welche von allen anwesenden Frauen vielleicht die böseste und strengste gewesen wäre, hatte dermalen nicht mehr Macht als über ihr eigenes Pfündlein Fleisch, das sie mit Umsicht und Ausdauer einkaufte. Sobald sie es im Körbchen hatte, richtete sie ihren Gang nach dem Gemüsemarkt am Wasser und erlabte ihre Augen an dem Grün, an den frischen Früchten, welche aus Gärten und Fluren hereingebracht waren. Sie wandelte von Korb zu Korb und über die schwanken Bretter von Schiff zu Schiff, das aufgehäufte Wachstum übersehend und an dessen Schönheit und Billigkeit die Wohlfahrt des Staates und dessen innewohnende Gerechtigkeit ermessend, und zugleich tauchten in ihrer Erinnerung die grünen Landstriche und die Gärten ihrer Jugend auf, in welchen sie einst selbst so gedeihlich gepflanzt hatte, daß sie zehnmal mehr wegzuschenken imstande war als sie jetzt bedächtig und teuer einkaufen mußte. Hätte sie noch große Vorräte für eine zahlreiche Familie einzukaufen und zu ordnen gehabt, so würde das ein Ersatz gewesen sein für das Pflanzen und Graben; aber auch dieser Beruf war ihr genommen und daher war die Handvoll grüner Bohnen, Spinatblättchen oder junger Rübchen, welche sie endlich in ihr Körbchen tat, nachdem sie manchen scharfen Verweis und Zuspruch wegen Überteuerung ausgeteilt, ihr ein notdürftiges Pfand und Symbolum, samt dem Büschelchen Petersilie oder Schnittlauch, das sie gratis erkämpft. Dies war ihre Poesie, Elegie und Samstagstragödie.

Das schöne weiße Stadtbrot, das bislang in ihrem Hause gegolten, schaffte sie nach Heinrichs Abreise sogleich ab und bezog alle vierzehn Tage ein billiges rauhes Landbrot, welches sie so sparsam aß, daß es zuletzt immer steinhart wurde, und dasselbe vergnüglich und zufrieden bewältigend, schwelgte sie ordentlich in ihrer freiwilligen Aszese.

Zugleich wurde sie karg und herb gegen jedermann, in ihrem gesellschaftlichen Leben vorsichtig und zurückhaltend, um alle Ausgaben zu vermeiden, und bewirtete niemanden, oder doch so knapp und ängstlich, daß sie bald für geizig und ungefällig gegolten hätte, wenn sie nicht durch eine verdoppelte Bereitwilligkeit mit dem, was sie durch die Mühe ihrer Hände, ohne andere Kosten, bewirken konnte, jene herbe Sparsamkeit aufgewogen hätte. Überall wo sie mit Rat und Tat beistehen konnte, im ganzen Umkreise ihrer Nachbarschaft, war sie immer wach und rüstig bei der Hand, keine Mühe und Ausdauer vermeidend, insofern sie nur nichts kostete, und da sie für sich bald fertig war und sonst nichts zu tun hatte, so verwandte sie fast ihre ganze Zeit zu solchen Dienstleistungen, still und fleißig denselben obliegend, bald in diesem Hause, bald in jenem, wo Krankheit oder Tod die Menschen bedrängten.

Aber überallhin brachte sie ihre strenge Einteilung und Sparsamkeit mit, so daß die unerfahrenen und behäbigen Weiber, während sie dankbar und rühmend ihre unermüdliche Hilfe sich gefallen ließen, doch hinter ihrem Rücken sagten, es wäre eigentlich doch eine Sünde von der Frau Lee, daß sie gar so ängstlich sei und spröde in sich verschlossen dem lieben Gott nichts überlassen könne oder wolle. Dies war aber durchaus nicht der Fall; sie überließ der Vorsehung des Gottes alles, was sie nicht verstand, vorerst die Verwicklungen und Entwicklungen der moralischen Welt, mit denen sie nicht viel zu tun hatte, da sie sich nicht in Gefahr begab; nichtsdestominder war Gott ihr auch der Grundpfeiler in der Viktualienfrage; aber diese hielt sie für so wichtig, daß es für sie eine eigentliche Ehrensache war, sich zuerst selber mit Hand und Fuß zu wehren. Denn ein doppelter Strick halte besser, und wenn auf Erden und im Himmel zugleich gesorgt würde, so könne es umso weniger fehlen!

Und mit eiserner Treue hielt sie an ihrer Weise fest; weder durch die Sonnenblicke der Fröhlichkeit noch durch düsteres Unbehagen, weder im Scherz noch im Ernst ließ sie sich verleiten und überrumpeln, auch die kleinste ungewohnte Ausgabe zu machen. Sie legte Groschen zu Groschen, und wo diese einmal lagen, waren sie so sicher aufgehoben wie im Kasten des eingefleischten Geizes. Mit der Ausdauer und Konsequenz des Geizes sammelte sie Geld, aber nicht zu ihrer Freude und zur Lust ihrer Augen, denn das Gesammelte beschaute sie niemals und überzählte es nie, und hierdurch unterschied sich ihr Tun und Lassen von demjenigen der Geizigen.

Allein diese ihre Art, indem sie zurückhaltend, ängstlich und geizig erschien und zugleich dienstfertig, still, hilfereich und liebenswürdig war, verlieh ihr einen eigentümlichen und einsamen Charakter, so daß die Leute ihre freundliche und nützliche Seite annahmen und über ihr stilles, strenges Sorgen, Hoffen und Fürchten sie nicht befragten.

Zudem würden sie dasselbe weder begriffen noch gebilligt haben; denn alle verlangten von ihren eigenen Söhnen, wenn sie nicht Gelehrte wurden, daß sie sich zeitig selbst ernährten, und wenn je einmal eine ganz behagliche Familie ihrem in die Klemme geratenen Sohn Schreiner oder Schlosser einige Taler übersandte, so geschah dies mit einem erheblichen Aufwande von Lärm, und des Goldeinwechselns, Verpackens, Versiegelns, Versicherns auf der Post und des Sprechens von alledem war kein Ende; daß aber Heinrich schon abgereist war, um förmlich im Auslande von einer bestimmten Summe zu leben, dazu hatten die Nachbaren schon die Köpfe geschüttelt und gemeint, er hätte doch schon genug gekostet und könnte nun sehen, etwas zu verdienen, wie anderer Leute Kinder auch. Deshalb sagte seine Mutter zu niemanden, warum sie so sparsam sei.

Der Held dieser Geschichte reichte auch mit jener Summe für ein Jahr so knapp aus; denn obgleich dieselbe sehr bescheiden war, so waren seine Gewohnheiten und Ansprüche zu jener Zeit trotz aller Anlage zu einem tüchtigen Aufschwünge ebenso bescheiden, und da die Mutter ihm das Geld vorsorglich nur in vielen kleinen Abteilungen übersandte, jede in einen Brief mit obigem Motto gewickelt, so kam mit den guten Silberstücken, von denen sie jedes einzelne in den sparsamen Händen gehabt, jedesmal auch ihr häuslicher Machteinfluß und die eiserne Gewohnheit der Bescheidenheit und des Respektes mit. Als jedoch das erste Jahr und mit ihm die mütterlichen Sendungen zu Ende gingen, da hatte Heinrich noch nicht die mindesten Anstalten getroffen, sich auf eigene Faust zu ernähren; denn hier trat nun der Zeitpunkt ein, wo die allgemeine und doch so geheimnisvolle Macht dieser modernen Kunst und Heldenschaft sich ihm offenbaren sollte. In der heutigen Welt sind alle, die in der Werkstatt der fortschreitenden Kultur beschäftigt sind und es mit einem Zweige derselben zu tun haben, geschieden von Acker und Herde, vom Wald und oft sogar vom Wasser. Kein Stück Brot, sich zu nähren, kein Bündel Reisig, sich zu wärmen, keine Flocke Flachs oder Wolle, sich zu kleiden, in großen Städten keinen frischen Trunk Wasser können sie unmittelbar durch eigene frohe Mühe und Leibesbewegung von der Natur gewinnen. Viele unter ihnen, wie die Künstler und Schriftmenschen, empfangen ihre Nahrung nicht einmal von denen, welche der Natur näher stehen, sondern wieder von solchen, welche ihr ebenso entfernt stehen wie sie selbst und eine künstliche abstrakte Existenz führen, so daß der ganze Verkehr ein Gefecht in der Luft, eine ungeheure Abstraktion ist, hoch über dem festen Boden der Mutter Natur. Und selbst dann noch, wenn die einen die Mittel ihres Daseins von den anderen empfangen, geschieht dieses so unberechenbar, launenhaft und zufällig, daß jeder, dem es gelungen ist, dies nicht als den Lohn seines Strebens, sein Verdienst betrachten darf, sondern es als einen blinden Glücksfall, als einen Lotteriegewinst preisen muß. In diesem seltsamen Zusammentreffen der Geister, oder vielmehr der Leiber, ist der unmittelbare Prozeß des Essens, des Zusichnehmens der Nahrung zwar noch nicht offen als eine Tugend und Ehre an sich ausgesprochen, und noch immer gilt zur Notdurft die Moral, daß das Essen eine verdienstlose Notwendigkeit sei, obgleich mancher sein Brot so ißt, daß man sieht, er macht sich das Beißen und Kauen schon zur Ehre und kaut dem, der keines hat, recht unter die Nase; aber der glückliche Erwerb des Brotes ist zu dieser Zeit aus einer einfachen Naturpflicht zu einer ausgesuchten Ehrentugend und Ritterschaft geworden, zu deren Erlangung der Neuling nicht ohne weiteres zugelassen wird, sondern verschiedene freimaurerische Grade der Niederträchtigkeit oder der Verdrehtheit und zweckwidrigen Unsinnes jeder Art durchmachen muß. In der Bevölkerung, welche ihr Leben unmittelbar der Natur und dem untersten Bedürfnis abgewinnt, ist die Heiligkeit und die Bedeutung der Arbeit noch klar und verständlich; da versteht es sich von selbst, daß keiner dem anderen zusehen darf, wie er gräbt und schaufelt, um ihm das Herausgegrabene wegzunehmen und zu verzehren. Alles, was einer da tut, hilft ihn und die Welt erhalten und hat einen unbezweifelten, wahren und sicheren Zweck. In jener höheren abstrakten Welt aber ist einstweilen alles auf den Kopf gestellt und die Begriffe von der Bedeutung der Arbeit verkehrt bis zum Unkenntlichwerden.

Hier führt ein bloßes Wollen, ein glücklicher Einfall ohne Mühe zu reichlichem Erwerb, dort eine geordnete und nachhaltige Mühe, welche mehr der wirklichen Arbeit gleicht, aber ohne innere Wahrheit, ohne vernünftigen Zweck, ohne Idee. Hier heißt Arbeit, lohnt sich und wird zur Tugend, was dort Nutzlosigkeit, Müßiggang und Laster ist. Hier nützt und hilft etwas teilweise, ohne wahr zu sein; dort ist etwas wahr und natürlich, ohne zu nützen, und immer ist der Erfolg der König, der den Ritterschlag in dieser künstlichen Welt erteilt. Und alle diese Momente vermischen und kreuzen sich auf so wunderliche Weise, daß für die gesunde Vernunft das Urteil schwer wird.

Ein Spekulant gerät auf die Idee der Revalenta arabica und bebaut dieselbe mit aller Umsicht und Ausdauer; sie gewinnt eine auffallende Ausbreitung und gelingt glänzend; Hunderttausende, vielleicht Millionen werden dadurch in Bewegung gesetzt und gewonnen, und doch sagt jedermann: es ist ein Betrug und ein Schwindel! Und doch muß man die Sache näher ansehen. Betrug und Schwindel nennt man sonst, was gewinnen soll ohne Arbeit und Mühe, gegründet auf eine Vorspiegelung oder Täuschung. Niemand wird aber sagen können, daß das Revalentageschäft ohne Arbeit betrieben werde; es herrscht da gewiß eine so gute Ordnung, Fleißigkeit, Betriebsamkeit, Um- und Übersicht wie in dem notwendigsten, solidesten Handelszweige oder Staatsgeschäfte; es ist, gegründet auf den Einfall des Spekulanten, eine umfassende Tätigkeit, eine wirkliche Arbeit entstanden.

Die Beschaffung des Mehles, die Anfertigung der Blechbüchsen, die Verpackung und Versendung, der Vertrieb in den verschiedensten Ländern schafft vielen Menschen Handarbeit und Gewinn. Die zahllosen marktschreierischen Ankündigungen, mit einer durchdachten und mühevollen Umsicht betrieben, bringen Hunderten von Zeitungen reichlichen Gewinn, und diese brauchen in gleichem Maße vermehrte Arbeitskräfte; Setzer und Drucker finden viele Tage Nahrung in dem weitesten Umkreise nur durch die Inserate der Revalentamänner, und diese selbst, das Ganze beherrschend, nennen ihre Tätigkeit gewiß nicht minder Arbeit, wenn sie aus ihrem Komptoir kommen, als ein Rothschild die seinige. Hier sind der spekulative Einfall, oder was die Unternehmer wahrscheinlich die Idee nennen, und die Mühe, die wirklichste Arbeit verbunden; es wird gewirkt und genützt im vollen Maße und wohl niemandem was geschadet, und doch ist das Ganze ein skandalöser Schwindel und sein Kern eine hohle Nuß, indem die Hauptsache, der vorgegebene Zweck, die Eigenschaft des Gegenstandes dieser ganzen Tätigkeit eine offenkundige Täuschung ist, und dessenungeachtet doch wieder der Chef dieser ungeheuren Blase der Zeit in seiner Umgebung so geachtet und geschätzt wie jeder andere Geschäftsmann. Wo liegt hier die Ehre und wo die Schande? Dies ist aber nur ein grobes Beispiel aus dem gröberen Weltverkehr. Es wird Revalenta arabica gemacht in Kunst und Wissenschaft, in Theologie und Politik, in Philosophie und bürgerlicher Ehre aller Art, nur mit dem Unterschied, daß es nicht immer so unschädliches Bohnenmehl ist, aber mit der gleichen rätselhaften Vermischung von Arbeit und Täuschung, innerer Leerheit und äußerem Erfolg, Unsinn und weisem Betriebe, von Zwecklosigkeit und stattlich ausgebreitetem Gelingen, bis der Herbstwind des Todes alles hinwegfegt und auf dem öden Stoppelfelde nichts übrig läßt als hier ein seltsam zusammengewürfeltes Vermögen, dort ein Haus, dessen Erben nicht zu sagen wissen, auf welchem Grund und mit welchem Recht es gegründet ist, und wenn dies Erbe auch noch verweht ist, so ist weder eine geistige noch leibliche Spur noch ein Zusammenhang mehr zu finden zum Zeugnis, daß jene Betriebsamen einst auch dagewesen seien und sich, obgleich fleißig, doch mit Recht und Ehre genährt haben, während jeder wohlbestellte Acker ein Denkmal ist dessen, der ihn einst geackert hat.

Will man hingegen aus der großen öffentlichen Welt ein Beispiel wirkungsreicher Arbeit, die zugleich ein wahres und vernünftiges Leben ist, betrachten, so muß man das Leben und Wirken Schillers ansehen. Dieser, aus dem Kreise hinausflüchtend, in welchem Familie und Landesherr ihn halten wollten, alles das im Stiche lassend, zu was man ihn machen wollte, stellte sich in früher Jugend auf eigene Faust, nur das tuend, was er nicht lassen konnte, und schaffte sich, um ein eigenhöriges Leben zu beginnen, sogar durch eine schreiende Ausschweifung, durch eine überschwengliche und wilde Räubergeschichte, durch einen Jugendfehler Luft und Licht; aber sobald er dies gewonnen, veredelte er sich unablässig von innen heraus und sein Leben ward nichts anderes als die Erfüllung seines innersten Wesens, die folgerechte und kristallreine Arbeit der Wahrheit und des Idealen, die in ihm und seiner Zeit lagen. Und dieses einfach fleißige Dasein verschaffte ihm alles, was seinem persönlichen Wesen gebührte; denn da er, mit Respekt zu melden, bei alledem ein Stubensitzer war, so lag es nicht in demselben, ein reicher und glänzender Weltmann zu sein. Eine kleine Abweichung in seinem leiblichen und geistigen Charakter, die eben nicht Schillerisch war, und er wäre es auch geworden. Aber nach seinem Tode erst, kann man sagen, begann sein ehrliches, klares und wahres Arbeitsleben seine Wirkung und seine Erwerbsfähigkeit zu zeigen, und wenn man ganz absieht von seiner geistigen Erbschaft, welche er der Welt hinterlassen, so muß man erstaunen über die materielle Bewegung, über den bloß leiblichen Nutzen, den er durch das bloße treue Hervorkehren seines geistigen Ideales hinterließ. Soweit die deutsche Sprache reicht, ist in den Städten kaum ein Haus, in welchem nicht seine Werke ein- oder mehrfach auf Gesims und Schränken stehen, und in Dörfern wenigstens in einem oder zwei Häusern. Je weiter aber die Bildung der Nation sich verbreitet, desto größer wird die jetzt schon ungeheure Vervielfältigung dieser Werke werden und zuletzt in die niederste Hütte dringen. Hundert Geschäftshungrige lauern nur auf das Erlöschen des Privilegiums, um die edle Lebensarbeit Schillers so massenhaft und wohlfeil zu verbreiten wie die Bibel, und der umfangreiche leibliche Erwerb, der während der ersten Hälfte eines Jahrhunderts stattgefunden, wird während der zweiten Hälfte desselben um das Doppelte wachsen und vielleicht im kommenden Jahrhundert noch einmal um das Doppelte. Welch eine Menge von Papiermachern, Papierhändlern, Buchdruckersleuten, Verkäufern, Laufburschen, Kommentatoren der Werke, Lederhändlern, Buchbindern verdienten und werden ihr Brot noch verdienen, welch eine fortwährende Tat, welch nachhaltiger Erwerb im materiellsten Sinne waren also die kurzen Schillerschen Arbeits- und Lebensjahre. Dies ist, im Gegensatz zu der Revalenta arabica manches Treibens, auch eine umfangreiche Bewegung, aber mit einem süßen und gehaltreichen Kern, und nur die äußere derbe Schale eines noch größeren und wichtigeren geistigen Glückes, der reinsten nationalen Freude.

Gegenüber diesem einheitlichen organischen Leben gibt es nun auch ein gespaltenes, getrenntes, gewissermaßen unorganisches Leben, wie wenn Spinoza und Rousseau große Denker sind ihrem inneren Berufe nach und, um sich zu ernähren, zugleich Brillengläser schleifen und Noten schreiben. Diese Art beruht auf einer Entsagung, welche in Ausnahmsfällen dem selbstbewußten Menschen wohl ansteht, als Zeugnis seiner Gewalt. Die Natur selbst aber weist nicht auf ein solches Doppelleben, und wenn diese Entsagung, die Spaltung des Wesens eines Menschen allgemein gültig sein sollte, so würde sie die Welt mit Schmerz und Elend erfüllen. So fest und allgemein wie das Naturgesetz selber sollen wir unser Dasein durch das nähren, was wir sind und bedeuten, und das mit Ehren sein, was uns nährt. Nur dadurch sind wir ganz, bewahren uns vor Einseitigkeit und Überspanntheit und leben mit der Welt im Frieden, so wie sie mit uns, indem wir sie sowohl bedürfen mit ihrer ganzen Art, mit ihrem Genuß und ihrer Müh, als sie unser bedarf zu ihrer Vollständigkeit, und alles das, ohne daß wir einen Augenblick aus unserer wahren Bestimmung und Eigenschaft herausgehen.

Wenn nun schon unter den hervorragenden Existenzen jenes künstlichen Ernährungsverkehres ein solches Durcheinander von Geltung, Pflicht, Ehre und Zweckmäßigkeit herrscht, so daß diese in jedem Augenblicke und an jeder Stelle einen anderen Maßstab und eine andere Anerkennung verlangen, eine andere Energie und eine andere Geschicklichkeit, wie schwierig wird diese Verwickelung erst für den unbefangenen und einfach gearteten Neuling, Kleinen und Werdenden! Weit entfernt, sein wahres Wesen hervorkehren zu dürfen und dieses einfach wirken zu lassen, soll er tausend kleine Künste und Fähigkeiten lügen oder gewaltsam erwerben, welche zu allem, was er sonst ist, treibt und gelernt hat, sich vollkommen unsinnig und zweckwidrig verhalten. Er soll lernen, auf den Vorteil zu schießen, wie eine Spinne auf die Mücke, während vielleicht die besondere Natur seines Berufes langsam, gründlich und beschaulich ist; er soll demütig und kriechend sein, wo er stolz sein möchte, und hinwieder unverschämt und prahlerisch, wo er nur bescheiden sein kann; er muß geizig und zurückhaltend sein mit dem Reifen und Fertigen, das sich wie die Frucht von dem Baume seines Daseins ablösen will, und er muß hinwieder mit blutendem Herzen freigebig sein mit dem Unreifen und Werdenden und es wegwerfen um des Erwerbes willen. Wenn er nimmt, was ihm gebührt, so muß er dafür danken, und erst wenn er empfängt, was ihm nicht gebührt, so ist er des Dankes quitt und hat Ehre davon, so daß schon die notwendige Angewöhnung und Gewandtheit des Erwerbes unwillkürlich nach einem verwerflichen Ziele führt.

Welch eine Menge von kleinen persönlichen und gesellschaftlichen Verumständungen gehört dazu, wenn es dem jungen Künstler gelingen soll, sein Erstlingswerk an den Mann zu bringen, und von diesem einzigen Erfolge hängt meistens das weitere glückliche Fortschreiten der nächsten fünf, ja zehn Jahre ab, die Entscheidung, ob die lange Jugend bis tief in die Männerjahre hinein eine blühende und glückliche Zeit oder eine dürre und finstere sein, freilich auch oft, ob der Mann auf der leichtfertigen und oberflächlichen oder auf der tieferen und nachhaltigen Seite des Lebens stehen soll. Gleich dem armen Weibe, dessen Leben im Niedergange ist und welches aus zarter Baumwolle und etwas Goldschaum ein Schäfchen wickelt, dasselbe auf den Weihnachtsmarkt trägt und dort mit seinen vier steifen Beinchen auf einen trockenen Stein setzt, gewärtigend, ob einer von den tausend Vorübergehenden seinen Blick auf das Schäfchen lenke und dasselbe kaufe, stellt in der Regel der junge Kunstmann, dessen Leben im Aufgange ist, sein erstes Werk an einen öffentlichen Ort, und all sein Vertrauen und seine Hoffnung auf das, was er gelernt und geleistet hat, vergessend, ist er schon bereit, nur den Zufall zu preisen, der einen geneigten Käufer vor sein Weihnachtlämmchen führt und durch ein halbes Almosen vielleicht seinem Lebenslaufe den Ausschlag gibt.

Als Heinrich zu Ende des ersten Jahres seinen letzten Taler in der Hand hielt, und vorher keinen Augenblick, machte er endlich ernstliche Anstalten, sich sein Brot zu erwerben, und zweifelte nicht im mindesten, daß dieses, bei der ersten offenen Bemühung sofort gelingen werde, zumal er täglich Arbeiten verkaufen sah, welche zustande zu bringen er für kein Hexenwerk hielt. Er beschloß, ein Bild auszustellen, und ersann zu diesem Ende hin ein anmutiges und reichhaltiges Motiv, welches nicht nur die Entfaltung poetischer Einfälle und feiner Zeichnung, sondern auch schöne Farbenverhältnisse von selbst bedingte und mithin ein sehr glücklich und richtig gewähltes war.

Als er es entworfen hatte, ersuchte er einen Künstler, welchem er vom Sehen einigermaßen bekannt war, ihn einmal mit seinem Besuch zu beehren und seines guten Rates teilhaftig zu machen. Der Künstler, ein stattlicher verheirateter Mann mit einem ansehnlichen Leibe, war einer von denen, die in der Wolle sitzen, und er verdiente es auch vollkommen; denn er war ein gesunder und meisterhafter Kumpan und schritt mit seinen schön und energisch gemalten Bildern, die von selbst eine glänzende Kritik alles Schwächlichen waren, rüstig über den krabbelnden und kletternden Anspruch des gedankenlosen Haufens hinweg. Sein Wahlspruch war: »Erst etwas recht lernen und dann gute Musik machen! Nichts trübseliger, als allerlei lernen und dann schlecht musizieren!«

Es war seit Jahren das erste Mal, daß ein erfahrener Meister wieder Heinrichs Arbeit beriet und kritisierte, und dieser fand alle Ursache, über sein eigenes Ungeschick zu erstaunen, als der Mann in seinem Entwurfe herumwirtschaftete und denselben so trefflich behandelte und zusammenrückte, daß durch die Anwendung der kräftigen und praktischen Meisterkünste des dicken Herrn Heinrichs Idee erst schön und wahrhaft idealisiert wurde. Es zeigte sich, daß das reale technische Wissen und Empfinden allein die Gedanken gut macht und noch bessere von sich aus vermittelt und hervorzurufen imstande ist. Durch das bloße Besprechen und Durcharbeiten der äußeren technischen Seite des Gegenstandes taten sich mehrere ganz neue und glückliche Motive auf, welche gewissermaßen in der Natur der Sache lagen und doch die ursprünglichen Erfindungen des armen Heinrich, so geistreich dieselben waren, an Wirkung weit hinter sich ließen.

Der Künstler hatte in einer halben Stunde, immerfort sprechend, auf ein besonderes Blatt seine Meinung hingezeichnet und so in aller Raschheit eine treffliche Meisterskizze hergestellt, welche füglich für eine wertvolle Handzeichnung gelten konnte und welche Heinrich mit äußerstem Wohlgefallen betrachtete. Als aber die Audienz beendigt war, faltete der Meister ruhig das Blatt zusammen, steckte es in die Tasche und überließ den dankbaren Heinrich freundlich seinen weiteren Bestrebungen.

Dieser setzte sich denn auch rüstig an die Arbeit; allein hier ahnte er eben nicht, woran es lag, daß sein Bild nun doch nicht so wurde, wie es nach allen diesen Umständen hätte werden sollen. Das zu einer Sache berufene besondere Talent macht diese, sobald ihm ein Licht aufgesteckt ist, ohne weiteres immer gut, und das erste, was es von Hause aus mitbringt, ist ein glückliches Geschick zum vollständigen Gelingen. Der allgemeine wohleingerichtete Kopf aber kann sich mit hundert Dingen beschäftigen, dieselben verstehen und einsehen, ohne es darin zu einem reif gestalteten Abschluß zu bringen; nur eine lange und bittere Erfahrung oder eine augenblickliche Erleuchtung können manchmal ein vorübergehendes Zusammenraffen und eine Ausnahme hervorbringen, welche aber das ganze Wesen nur noch rätselhafter und meistens mißlicher machen. Dies ist das innere Wesen des gebildeten, strebsamen, talentvollen Dilettantismus, und tausend Existenzen in allen Lebenstätigkeiten, berühmt oder unberühmt, haben in ihm ihr Geheimnis. Sie treiben und betreiben, suchen und haschen im Schweiße ihres Angesichtes und mit hochtrabender Zufriedenheit, während ihr wahres Geschick, ihre eigentümliche Kraft schlummert für ewige Zeiten oder für eine andere Sache aufbewahrt bleibt. Besonders in Literatur und Kunst sucht der Dilettantismus die mangelnde naive Meisterschaft durch Neuheit und Betriebsamkeit in allerhand Versuchen zu ersetzen, zeichnet sich fortwährend durch halbe Anläufe aus und gewinnt nach diesen einige Poesie, einiges Pathos in einem wehmütigen elegischen Ende. Er bereitet die Blütenzeit vor, bringt sie zu Fall und verscharrt sie eifrigst, düngt aber wieder ihr Grab zu neuem Wachstum. Er ist der große Vermittler, Dämpfer und Hinhalter in der Weltökonomie; denn wenn die schlafenden Meisternaturen, die zweifelsohne jeden Augenblick vorhanden sind, aber unbewußt hinter dem Pfluge gehen oder auf dem Dreifuß des Schusters sitzen, alle ihre Bestimmung entdecken und erfüllen würden, so würde unsere Erdenherrlichkeit längst ihr Lied abgeschnurrt haben, gleich einer Uhr, aus welcher man die Hemmung genommen hat; denn jenes Liedchen hat eigentlich einen einfachen und eintönigen Inhalt. Indessen ist der Dilettantismus trotz seiner umfangreichen Macht ein unerfreuliches Dasein; im Grunde sind trotz aller äußeren Schicksale nur die Meister glücklich, d. h. die das Geschäft verstehen, was sie betreiben, und wohl jedem, der zur rechten Zeit in sich zu gehen weiß. Er wird, einen Stiefel zurechthämmernd, ein souveräner König sein neben dem hypochondrischen Ritter vom Dilettantismus, der im durchlöcherten Ordensmantel melancholisch einherstolziert.

Heinrichs Werklein, als es fertig war, sah nun höchst seltsam aus. Er hatte sich die vollsaftige Frische des Vertrages, auf welche die von dem Meister geratene Anordnung durchaus berechnet war, doch nicht geben können und war unwillkürlich wieder in seine blasse traumhafte Malerei verfallen, während die vielen naiven und liebenswürdigen Züge eines erfindungslustigen Gemütes, welche auch ein solches mangelhaftes Werk gewissermaßen ansprechend und unterhaltend machen, daraus entfernt waren. So stellte es nun durch seinen gesichteten Inhalt und das magere scheinlose Machwerk den geübten geistreichen Dilettantismus dar, obgleich es auf der Stube noch ziemlich respektabel aussah und von den Leuten, welche das ernstlich Angestrebte, aber nicht ganz Gelungene immer zärtlicher behandeln als das schlechtweg Gute, vergnüglich belobt wurde.

Er ließ es nun mit einem knappen hölzernen Rahmen versehen, um dem Bilde noch mehr ein ernstgemeintes und gelehrtes Ansehen zu geben, brachte es auf den Saal, wo wöchentlich die neuesten Arbeiten ausgestellt wurden, gab schüchtern und verschämt die Anzeige der Verkäuflichkeit und den Preis ab, der ihn nun bis auf weiteres ernähren sollte, und zog sich so eilig aus dem Hause zurück, als ob er etwas darin habe entwenden wollen.

Als der Sonntagmorgen kam, wo ein elegantes Publikum die Räume füllte, in welchen die neuen glänzenden Bilder hingen, ging Heinrich mit einigen Bekannten hin und sah sein Werk, weit weg an ihm vorübergehend, mit einem halben Blick dahängen. Sogleich kam es ihm, indem sein Auge auf andere stattliche Gegenstände hinüberstreifte, unerträglich vor in seiner bleichen Farblosigkeit. Als er aber in einen Nebensaal trat, hing da im besten Lichte der gleiche Gegenstand, unübertrefflich gemalt mit wenigen sehr zweckmäßigen Abänderungen von jenem tüchtigen Meister, welcher seine Skizze kritisiert und die hübsche Kritik in die Tasche gesteckt hatte. Wie vom Donner gerührt, betrachtete Heinrich das Bild und konnte nicht umhin, über das, was der Künstler daraus gemacht hatte, die größte Freude allmählich zu empfinden und sich sogar geschmeichelt zu fühlen. Übrigens war das Bild schon mit einem Zettel versehen, welcher anzeigte, daß die Kommission dasselbe bereits zu einem sehr erklecklichen Preise angekauft, noch ehe es ausgestellt gewesen, und jedermann lobte den Kauf.

Heinrichs Bekannte, welche so schlecht und recht zum betriebsamen, nicht ungeschickten Mittelschlage gehörten, waren höchlich entrüstet über das Verfahren eines wohlversorgten und glücklichen Meisters und nannten sein frisch und munter glänzendes Werk einen Diebstahl und eine rücksichtslose Räuberei, eine Herzlosigkeit und eine Gemeinheit. Heinrich jedoch schwieg still und verarbeitete, als ein löblicher und gelehriger Jüngling, die soeben gemachte Erfahrung, die er sogleich begriff: daß es in Sachen der Kunst keinerlei Patent gibt, sondern nur den einen Satz: Machs, wer kann! Seis, wers wolle, wenns nur entsteht! und daß, wer eine gute Idee schlecht ausführt, dem Rabenvater gleicht, welcher ein Kind aussetzt, wer sie rettet, demjenigen, der es aufnimmt und pflegt!

Er fühlte keinen Groll gegen den behenden Meister, sondern veranstaltete stracks die Wegnahme seiner eigenen Arbeit und steckte beschämt jenen Zettel wieder ein, auf welchem er seinen Preis angegeben hatte nebst seinem Namen.

Dies war einstweilen der erste und letzte Versuch Heinrichs, durch seiner Hände Arbeit sein Leben zu gewinnen, und nichts ging daraus hervor als die unbezahlte Rechnung für den ernsthaften stoischen Rahmen. Er begann zwar bald einige andere Sachen, welche er besser zu machen gedachte, und man sollte glauben, daß er bei seiner Unbefangenheit und Einsicht dies wirklich hätte müssen zuwege bringen; aber es ist eben das Kennzeichen der berufenen Meister einer Art, daß sie von selbst mit dem Guten und Richtigen den Drang verbinden nach gemeiner Brauchbarkeit und Genießbarkeit und das Ziel erreichen, ohne ihrer Ehre zu vergeben; der Dilettanten dagegen, daß sie immer wieder in ihren unfruchtbaren Eigensinn zurückfallen und dem angenehmen Erfolge hochfahrend entsagen. Dies nennen sie meistens edlen Stolz und treues Beharren am Höheren. Bei Heinrich war es indes nicht sowohl dieser Eigensinn als die zuströmende Gedankentätigkeit, welche, keinen anderen Ausweg sehend, ihn abermals bald auf das alte Erfindungswesen und die wechselnde Unternehmungslust geraten ließ, das dringende Lebensbedürfnis allmählich vergessend. Dazu war er scheu und zag geworden, der Welt seine Arbeit gegen Geld anzubieten, und war aufrichtig überzeugt, daß dieses unrechtmäßig gewonnen wäre, solange er nicht selbst zufrieden sei mit seinen Erzeugnissen, ungleich jenen rüstigen Weltmenschen, welche sich desto mehr mit einem glückhaften Erwerbe brüsten, je wertloser und törichter das ist, was sie leisten und durch irgend eine verkehrte Laune des Geschmackes unterzubringen wissen.

Während er aber solche stolze Ehrlichkeit besaß, besann er sich, da er Kredit fand als ein unbescholtener junger Mensch, gar nicht, Schulden zu machen, und fand es ganz in der Ordnung, auf diese Weise bequem und ohne weiteres Kopfzerbrechen das zweite Jahr hindurch zu leben.

Die Schulden sind für den modernen Menschen eine ordentliche hohe Schule, in welcher sich sein Charakter auf das trefflichste entwickeln und bewähren oder in welcher er, falls dieser von Hause aus fest ist, sein Urteil und seine Anschauungsweise der Welt gründen und regulieren kann. Jener beliebte Paragraph in den gang und gäben Verhaltungslehren »eines Vaters an seinen Sohn«: Borge von niemandem, aber borge auch niemandem, denn das Borgen entfremdet die besten Freunde und stört alle Verhältnisse! ist ein gedankenloser, schäbiger Paragraph, der Paragraph der Kindsköpfe, die nichts erfahren haben, nichts erfahren wollen und nichts sein und bleiben werden als eben Kindsköpfe. Verhältnisse, welche durch Schulden zerstört werden, haben von Anfang an nichts getaugt, und es ist ein närrisches Wesen der Leute, daß sie wollen Leute sein und gute Freunde bleiben, ohne ihr gemütliches Vertrauen, ihre Achtung und Liebe irgendwie auf eine wirklich »unbequeme« Weise prüfen und beweisen zu müssen. Ein kluger Mann wird daher jene kurzgeschorene Kahlmäuser-Weisheit kassieren und zu seinem Sohne sagen: »Mein Sohn! wenn du ohne Not und sozusagen zu deinem Vergnügen Schulden machst, so bist du in meinen Augen nicht sowohl ein Leichtsinniger als vielmehr eine niedrige Seele, die ich im Verdachte eines schmutzigen Eigennutzes habe, der andere unter dem Deckmantel einer gemütlichen Liederlichkeit absichtlich um ihre Habe bringt. Wenn aber ein solcher von dir borgen will, so weise ihn ab; denn es ist besser, du lachest über ihn als er über dich! Wenn du hingegen in Verlegenheit gerätst, so borge so viel es sein muß, und ebenso diene deinen Freunden, ohne zu rechnen, und alsdann trachte, für deine Schulden aufzukommen, Verluste verschmerzen oder zu dem Deinigen gelangen zu können, ohne zu wanken und ohne schimpflichen Zank; denn nicht nur der Schuldner, der seine Verpflichtungen einhält, sondern auch der Gläubiger, der ohne Zank dennoch zu dem Seinigen kommt, beweist, daß er ein wohlbestellter Mann ist, welcher Ehrgefühl um sich verbreitet. Bitte keinen zweimal, der dir nicht borgen will, und laß dich ebensowenig drängen; denke immer, daß deine Ehre an die Bezahlung der Schulden geknüpft sei, oder vielmehr denke das nicht einmal, denke an gar nichts, als daß so und so viel zu bezahlen sei; aber hüte dich, über einen anderen, der dir ein gegebenes Versprechen nicht einhalten kann, sogleich den Stab zu brechen und dich auf seine Ehre zu berufen. Nach dem Maße aber, in welchem du dich in Verpflichtungen begibst und deine in dir selbst liegenden Kräfte dabei in Erwägung ziehst, wirst du erfahren, ob du dich überhaupt unter- oder überschätzest, und wenn eines von beidem der Fall wäre, so würde es gleichgültig sein, ob du es gerade noch in Schuldsachen tätest, da du es in allen anderen Dingen doch auch tun und ein unglückseliger Patron mit oder ohne Schulden sein würdest. Wenn du aus alledem unbescholten und als ein Freund deiner Freunde hervorgehst, so bist du mein Mann! Du wirst die Abhängigkeit unseres Daseins menschlich fühlen gelernt haben und das Gut der erkämpften Unabhängigkeit auf eine edlere Weise zu brauchen wissen als der, welcher nichts geben und nichts schuldig sein will.«

Idealisiert ist das wahre Wesen des ehrlichen Schuldenmachens im Cid, welcher den Juden eine Kiste voll Sand versetzt und sagt: Es ist Silber drin! und dann erst auszieht, um auf gut Glück mit dem Schwerte in der Hand seine Lüge wahr zu machen! Welche Verdrießlichkeiten, wenn ein Neugieriger vor der Zeit die Kiste erbrochen und untersucht hätte! Und doch wäre es derselbe Cid gewesen, dessen Leiche noch das Schwert ein bißchen aus der Scheide zog, als sie ein Jude am Bart zupfen wollte!

Wir wollen indessen den grünen Heinrich nicht mit jenem tapferen Cid vergleichen, welcher in seinem Manneshandwerk ein Meister war und jeden Augenblick wußte, was er wollte. Heinrich wußte dies, als er wie ein Robinson in der zivilisierten Wildnis nach Nahrungsmitteln ausgehen sollte, schon nicht mehr deutlich, und die beiden Entdeckungsreisen, diejenige nach seiner menschlichen Bestimmung und diejenige nach dem zwischenweiligen Auskommen, trafen auf höchst mißliche Weise zusammen. Genug, da er vor allem Muße brauchte, so war er sein eigener Mäzen und machte Schulden.

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