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Fast alle der folgenden Kapitel wurden zuerst im Berliner Tageblatt gedruckt.
(Tagebuch der Überfahrt)
I
Am Abend vor der Abfahrt nach Newyork sah ich von dem steinernen Zimmeraltan im obersten Stock des schönen Gasthofs an der Alster; wo ich manches Mal gehaust, auf Schiffe wartend, – als die Welt noch vor dem Kriegsjammer stand …
Tramdampfer zogen im Abendgold über das Alsterbecken. Die Leute schienen jetzt nach langem Regen beglückt.
Vor dem Schlafengehen saß ich bei Siechen, schräg vom Jungfernstieg. Aß Labskaus, das Schiffergericht; einen Käse zum Schluß … Und las die frischgekaufte Zeitung »Der Klugschieter« (sie war jedoch mehr Schieter als klug).
Am nächsten Morgen ging es nach Cuxhaven, durch besonntes Gefild.
II
Im Kriege schien Hamburg zu sterben. Jetzt, Mai 1922, glaubt man wieder, daß es lebt.
In Hamburg erklang 1913 das beseligend stolze Wort: »Das größte Schiff der Welt ist hier auf dem größten Helgen der Welt erbaut – und unter dem größten Kran der Welt vollendet.« Dann kam der blöde Massenmord.
Aber das Denkmal deutschen Kauffahrteiglanzes »Hapag«, die vormals größte Schiffsgesellschaft des Erdballs, ist heute kein verschollener Mythus. Sie mußte zwar den gigantischen »Bismarck« an England geben, als Friedenstribut (»sic vos non vobis!« – ein Zollaufseher sagt mir, in fast lyrisch gehobenem Ausdruck, daß bei der Ablieferung »mancher Mund sich zusammengekrampft« habe).
Doch neues Leben blüht aus der Verbindung mit Amerika; von dort streckten, mit Hilfe des Eisenbahnkönigs Harriman, die »United American Lines« eine Hand aus, die nicht leer war.
Das ist: Wiederbeginn und Zukunft.
Ballins treue Diadochen, Cuno, Huldermann, Mein Freund Huldermann starb, während ich in Newyork war. Dieses wertvollen, stillen Menschen, der in meinen Büchern öfters aufgetaucht ist, wird in diesem an anderer Stelle noch gedacht. Sein Amt übernahm Dr. Hasselmann. Cuno wurde Reichskanzler. Holtzendorff, Warnholz, Ritter, Hopf, arbeiten jetzt mit dem Sohn Harrimans und mit seinem Kanzler W. G. Sickel. Das erste Schiff der Amerikaner, die »Resolute« mit ihren 20 000 Tons, trägt mich hinüber.
Was die Deutschen im Schiffsbau geleistet, bleibt unsterblich. Deutsche Hände hämmerten auch dieses amerikanische Fahrzeug fortgeschrittenen Wuchses.
Hamburgs eigne Schiffe großen Umfangs werden bald fertig sein. Geht es wieder los?
… Die acht schlimmen Jahre sind vorbei. Der Hafen ist nicht mehr verödet. Und wenn in der Zollstadt, hinter Dovenfleth, wieder das alte Getrieb', das alte Gewimmel einst erwacht: dann wird hier ein Gleichnis dämmern für das Sichaufraffen eines nicht unterzukriegenden Volks.
III
Drei Gruppen sind auf dem Schiff: Amerikaner, Deutschamerikaner, Deutsche. Die amerikanischen Leiter vorneweg: Sickel – hagerschlank, Fünfziger mit zerdachtem Gesicht. Keine Spur vom sagenhaften Yankee-Manager, sondern Vertrauen weckender Ernst. Sehr anziehend.
Robinson – mit Energie bis zur Bedrohlichkeit geladen, jung bei grauem Haar, guter Tänzer, federnde Kraft.
Deutschamerikaner dann; bei manchem wittert noch der Regimentston durch (wenn er zum Kellner spricht). Untereinander jedoch reden sie Englisch. Erfolgreicher Drang nach mimicry.
Amerikanerinnen auf dem Schiff tragen auffallend oft Leopardenpelz (oder ist das Zeugs getuscht?), das Futter blaue Seide, bunt bestickt. Ha, das Aug' eines Ehemanns träumt hier von kommenden kleidsamen Moden … bei besserer Valuta. Ha, sag' ich nur.
IV
Ein alter Pfälzer und ein junger Pfälzer. Der alte, rundköpfige, seit vierzig Jahren amerikanisch – doch hängt sein Herz an dem Heimatslaut. (Und an einem besseren Tropfen.) Er sagt: die Zustände drüben seien verändert. Er meint die prohibition bill. Er sagt eines Vormittags düster, wörtlich: »Wo kein Alkohol ist, ist auch keine Freundschaft.« Die saloons drüben seien jetzt öd'. »Trinke Sie ä Pilsner Bier mit?« Vergrämt ist er über diesen Zustand in Amerika. Vielleicht hat er deshalb das Geburtsländle besucht … Haß gegen die Deutschen, meint er sonst, besteht nicht mehr. »Das hat umg'schlage.«
Der jüngere Pfälzer, fünfzehn Jahre lang in Californien, klagt: Mit einem Mädel sei es auch schwer drüben. Er räuspert sich, stockend. Gleichviel ob eine reelle Liebschaft oder was Gewerbsmäßiges – man könne verhaftet und eingesperrt werden.
Der Alte: »Wenn Sie Wein oder Bier im Haus habbe – und setzen dem Nachbar ä Glas vor und der zeigt Sie an … könne Sie bis zu zehn Jahr' Gefängnis kriege.« Es sei schrecklich.
»Also trinke Sie ä Pilsner Bier mit?«
(Auf amerikanischen Schiffen darf man das; was für Cocktails trank ich anno 14 drüben; einen aus Gin, Früchten, Wermut, auf der Basis von deutschem Markobrunner.)
V
Der jüngere Pfälzer ging zwanzigjährig als Goldschmiedegesell mit dreihundert Mark im Zwischendeck nach Buenos Aires. Wird hernach Dolmetsch auf einem englischen Schiff, weil er ein bissel Französisch in Genf gelernt. Schlief unten mit den Stewards. Verdient so in vier Wochen zweihundertzwanzig Dollars. Kauft hiervon (aus Kalifornien) heimatliche Bijouterieketten nach dem Meter – die er durchschneidet und selber »finiert«, spart also beim Verkauf den Arbeitslohn.
Machte jetzt in der Geburtsstadt eine wohltätige Stiftung beim Bürgermeister. Fährt erster Kajüte.
In Deutschland fand er die Mädels anno 1922 heruntergekommen. Sie laufen einem Mann, ganz junge, gleich zu vieren nach … meint er mißbilligend, aber mit Glanz in den Augen. Und in Amerika wieder gehn weibliche Spitzel um – die verleiten Männer zum Anspreche' … und übergebe' sie dann der Polizei. Von diesem Gedankenkreis kommt er nicht los.
Ein gutartiger Raunzer. Schimpft auf alles: auf Amerika, auf die Japs, auf die Engländer, auf die Judde. Die Amerikaner haben, erklärt er, nur ein großes Maul. Die Japs kontrollieren sehr viel von der kalifornischen Agrikultur! Sie erwerben Land »hinnerum«. Die Amerikaner, behauptet er arglos, tragen schwarze Brillen, um ihr Gesicht zu verbergen. Sämtliche Völker sind für diesen belfernden, doch ganz duldbaren Kerl … nicht minderwertig (das wären sie für einen Norddeutschen), sondern verdächtig: als betrügerisch, als prahlhaft, als unsolid.
Der Goldarbeiter hat rund dreißigtausend Dollars in fünfzehn Jahren weggelegt; mit diesen zweihundertvierzig Millionen Mark will er sich nach Deutschland zurückziehn …
VI
Ich las auf Deck das jüngst erschienene wertvolle Buch des Franzosen Hesnard über Fr. Th. Vischer … und sah plötzlich Dovers Kreidefelsen. (Zum erstenmal wieder nach dem Krieg.) Das Schiff zog ruhig über den Kanal. Kein Wellenstoß. »Guter Mond, du gehst so stille durch die Paddengasse hin« – dacht' ich.
Vor Southampton ein langer Halt, Öl zu pumpen. Zwischendurch schmissen wir an Bord nach einem senkrechten Pfahl – mit Tauringen (nicht Trauringen, Setzer!).
VII
Wie behaglich die hellgrüne Heiterkeit Southamptons am Morgen. Allerhand blanke Britenschiffe aalen sich; oben weiß und leuchtgelb. Eine Luft wie von William Turner. Der Buchtrand niederhüglig, sprießend, bebaumt.
Reede von Southampton und Wight! nun satt opalisierend, mit fern schwindenden bläulichen Berglein.
Mit Kulissen, Böschungen, Buschungen – mit Schloßhäusern im Grün. Mit roten Streifen, Burghausungen, Halden … wo der Golfstrom ein Nebel-Eiland begönnert.
(Deutsche Schiffe dürfen bei Southampton und Cherbourg noch nicht ankern … Unaussprechliche Blödheit.)
VIII
Ein Kind wurde heut unterwegs geboren. Deutsches Mädelchen.
Wieviel Schicksale herbergt so ein Schiff.
Ja, Menschen ziehn hinüber und herüber – die mit einer Wunde, die mit einer Zuversicht. Alle hinter etwas Glück her.
Im schwimmenden Stahlhaus ist Rast zum Bedenken …
Eine Irin, nach Mecklenburg verpflanzt. Ein Moselkind, in Long Island zu Haus; ihre zwei Männer tot, der Bub' tot; sie war in Deutschland, den Jugendgeliebten zu sehn, – der indes Generalmajor geworden ist … Ein gütiges, ruheloses Herz. Die andre wieder, von Jersey, verlor unterwegs den Mann an Blutvergiftung. Eine von Salzburg entwirft Kleider in Newyork, um ein Häusel am Mönchsberg einst zu kaufen. Ein junges Paar in Wonne, sie hold aus Ungarn, er von der Spree. Ein Potsdamer Offiziersmädel, hell und entkastet. Ein feiner, fast zarter Großkaufmann aus Hamburg und sein munterer Jurist. Heinrich Hagenbeck, der Sohn; versorgt wieder zoologische Gärten in Cincinnati, in St. Louis; erwartet sechzehn Elefanten und einen Zebratrupp. Ein Bleistift-Faber, schon in Amerika geboren, Fünfziger; spricht noch Deutsch und spielt mit Kindern.
Die schweizerische Gattin eines kalifornischen Farmers predigt am Sonntag hinter ihrem Tisch mit weißrotem Tuch die neue »Universal-Welt-Religion« des Persers Bahdollah. Eine Morgenlandslehre für alle Rassen. Sehr eifernd. Jemand sagt nachher: »She went too far« – sie ging zu weit.
Aber man lachte nicht über sie.
IX
Hinter Cherbourg schnob der Sturm. Wieviel Ungewitter brachen los …
Dem Schiff taten sie nichts – mit seinem Blumenladen, Buchladen, Friseurladen, seinem Lift, seinem Wintergarten, seinem Turnsaal, seinen weißen Badezimmern, seinem Schwimmbecken, seiner drahtlosen Zeitung, seinem Orchesterle mit Traviataweisen und Solveigs Lied.
Am Eingang zum Wintergarten singen zwei Harzer Roller. (Einen, der bloß kein Roller war, hatt' ich am Abend vor der Abfahrt bei Siechen gespeist; vgl. oben.)
Was ich sagen wollte: der Kapitän, D. Malman, fuhr wacker durch die Dünung. Dies Wetter bedingt ein tagelanges Verzögern. (Die Nachricht von den Stürmen jener Woche ging damals durch die Zeitungen.)
Das Meer grau, mit hellgrünen Lichtflecken. Am Hinterschiff zerdröhnende Berge. Ganz abseits ein Regenbogen. So fing es an.
Dann vorn, über der wildschwarzen See, eine regenziehende Sonne mit blödsinnig blendendem, fast silbernem Glanz.
X
In der Nacht … Das Sofa reitet durch mein Kabinenzimmer bis ans Bett. Der umgestürzte Tisch trabt, galoppt. Und (phantastisch!) Schränke springen auf – innen erleuchtet. Denn weil beim Öffnen eine witzige Vorrichtung Licht erglühen läßt, auf daß man drin ordentlich sehn kann: so ergeistert in finstrer Nacht jäh aufspringend ein Leuchtschrank. Strindbergisch-vampyrisch (möcht' man sprechen). Draußen donnert wildes Wasser.
Ich muß beim Durchschreiten des Zimmers schräg hinaufklettern … oder hinabrutschen. Im Bett kugelt man. Durch mein schönes Zimmerle kollern Frackhemden, Stiefel, Hüte.
Rasierzeug segelt unter den Schreibtisch. Der Koffer kommt gewackelt, gewackelt.
Als der Morgen dämmert, wird es manchmal jählings wieder dunkel, weil schwarze Wellen übers Fenster gehn. Ein Posaunengeriesel; ein Schlag.
XI
Ich bin bei alledem nie seekrank. Dies Rollen im Bett schafft eine spaßige Körpermüdheit (von den Gehirnschwankungen?); man fläzt sich aus – in einem zuletzt lullenden Hochgehn und Sinken.
XII
Beim Frühstück wandeln die Stewards nun schräg auf der wechselnden Gleitbahn. Was gab es noch gestern, was jeden Tag zu schmausen! Languste, Poularden, Wachteln auf Ananas, Hummern für Amerikaner warmgebräunt, Kaviar, Artischocken, britische Austern, Birnen aus Florida, Eisfrüchte, nicht zuletzt jene saftquellende grape fruit aus Californien: Zitrone vom Umfang eines Kinderkopfes … und schmeckt orangenherb.
XIII
Am späten Morgen: silbernd bläulicher Himmel über der fauchenden Sturmsee.
Das Schiff ist meistens gewissermaßen im Kessel. Das Ende des heulsingenden Wasserkreises liegt ganz hoch, das Schiff tief in der Mitte. Malman fährt wacker durch.
Die Flut ist jetzt am Vormittag schwarzgolden … und auf schwindende Strecken hin gletscherweiß. Ein steigendes Gletschermeer.
XIV
Alles legt sich. Ruhe kommt. Menschen gucken wieder vor. – Der Palmstamm im Blumensaal ist ramponiert an eine Säule gebunden. Von den zwei Karnalljenvögeln fehlt einer … der andre zühkt betreten. Dann rollt er.
Neben ihn hat ein Amerikaner seinen ausgestopften Kanari gestellt; der singt genau so schön … Grammophonisches Wunderwerk.
Am Abend wieder Tanz. »Salomé«. Fox. Destinée-Walzer …
Am nächsten Morgen fährt man in kompletter Himmelswonne, Himmelssonne still wie auf dem blauen Mittelmeer.
(Der Golfstrom hat mit der Pupille geblinkt.)
XV
… Tage vergehn. Amerika rückt heran. Die Luft ist klar und kalt geworden.
XVI
Adieu, »Resolute«. (Du warst »homelike« – wie eine Yankeefrau sagte.)
Jetzt wird es kenntlich, das Standbild der Freiheit – über dem Wasser in Salzduft.
Hier dehnt sich die seltsamste Siedelung dieses Sterns … wo unter Manhattans Himmelsriesen eine kopfscheu gewordene Menschheit neue Hoffnung sucht.
XVII
Dies Volk hat gekonnt, was Europa nicht konnte. Dies Volk hat den Nordpol entdeckt. Dies Volk hat das Flugzeug erdacht. Dies Volk hat den Krieg der Erde gestoppt …
Kommt eines Tages von hier das Heil für die Welt?