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Die Arts-and-Crafts-Ausstellung in London

(1904)

Das englische Kunstgewerbe steht im Ruf, seit Morris dem kontinentalen irgendwie vorauszueilen. Die siebente Ausstellung der Arts and Crafts Society in London bietet jetzt eine Gelegenheit, diese Überzeugung nachzuprüfen.

Wenn man aus dem grellen Gewirr und Wagengedränge von Regentstreet in die Hallen der New Gallery eintritt, die die Ausstellung beherbergen, steht man zuerst einen Augenblick wie betroffen: so vollkommen wechselt die Empfindungswelt. Sanfte, feierliche Töne überall, Ultramarin, Olivengrün, klassische Linien, Silber, Emaille und Elfenbein wie in einem Kirchenschatz. Das Leben draußen wirkt dazu wie ein häßlicher, ein gemeiner Kontrast, den man vergessen muß, um hier zu genießen.

Und was man sieht, reizt zum Genuß, nicht zum Davonlaufen wie bei uns »das Kunstgewerbe«.

Der Unterschied, der zuerst auffällt, ist, daß hier fast alles Material edel ist, – nicht kostbar, sondern edel: d.h. in seinem eigenen Charakter vollendet durchgebildet und zu einer Augenweide ausgebildet.

Das Glas von Powell ist das echteste Glas, das seit den Zeiten Aretins Tafeln geschmückt hat. Nicht Kristall; denn Glas ist leichter und flüssiger. Nicht Wasser; denn Glas hat Form und Biegsamkeit. Aber Etwas, das zwischen Kristall und Wasser die Mitte hält und dieses Zwischenreich in Märchenformen wirklich macht.

Ebenso findet das Silber unter dem feinen Hammer der Schmiede von Birmingham, von Keswick, von Gloucestershire seinen Edelsinn. Deutsches Silber, und auch französisches oder belgisches, ist blank wie Blech und dumpf von Form wie Blei. Es wird gepreßt, nicht gehämmert, und dann glatt poliert wie ein Uniformknopf, oder oxydiert und blind wie Aluminium gemacht. Aluminium, Blech und Blei könnten alle Reize hergeben, die das Schaufenster eines deutschen Silbergeschäfts ausbietet. Hier dagegen bleibt dem Silber sein eigener Ton, jene klare Tiefe seines Spiegels, die wie Perlenglanz halb Licht, halb Farbe ist. Und Hammer und Feile geben ihm seine eigene Form, die Nervosität der Linien und Flächen, die die Spannkraft des Stahls mit der Feinheit des Goldes zu vereinigen scheint, so daß Hafis sagen könnte, Silber verhalte sich zu Gold wie der Körper des Knaben zu dem der Frau.

Linnen, Holz, Töpferglasuren, Messing, Emaille und das Papier der gedruckten Bücher sind in derselben Weise zur Wirkung gebracht. Die Handwerker unter Cobden-Sanderson, Crane, Powell, Ashbee oder den Gaskins beherrschen nicht nur ganz ihr Material; sie sind auch offenbar fähig und angeleitet, selber zu fühlen, was das Auge oder das Tastgefühl an ihm reizen kann. Diese Sinnlichkeit der Arbeit macht die Materialien, die sie formen, edel.

Und zu der Sinnlichkeit der Arbeit kommt deren Sorgfalt und Intelligenz. Sorgfalt ist mehr als Genauigkeit; sie enthält auch Liebe. Und unter Intelligenz verstehe ich hier die Kunst, die Arbeit dem Zweck und der Konzeption des Werkes anzupassen. Beide Eigenschaften sind hier fast Gemeingut. Von ihnen kommt eine Frische der Formen, daß sie aussehen, als habe der Arbeiter selbst sie bei der Arbeit erfunden.

Deshalb wirkt fast jedes Stück auch individuell. Hinter jedem empfindet man die Sinnlichkeit, die Sorgfalt und die Intelligenz des Arbeiters, einen Charakter, einen Menschen.

Diese Vorzüge: die Schönheit des Materials, die Frische der Formen, die individuelle Färbung der Gegenstände, sind das Erbe von Morris und Ruskin, ihr eigentliches Verdienst und ihr Denkmal. Denn Sorgfalt und Intelligenz, Sinnlichkeit und Freude bei der Arbeit sind, was beide rastlos gepredigt und, wie sich zeigt, durchgesetzt haben.

Und schließlich erfreut noch eine Eigenschaft: die Zartheit aller Wirkungen. Keine Form, kein Ornament ist zu stark oder groß. Nichts drängt sich dem Auge auf. Die Teppiche, Möbel, Tapeten, die Kannen, Karaffen und Gläser wollen entdeckt werden. Und das Auge kann sich ohne Mühe auch wieder fortwenden. Diese Unaufdringlichkeit müßten die Zimmergegenstände, die Schreibgarnituren, der Tafelschmuck, alles, was auf die unmittelbare Umgebung und Nähe berechnet ist, auch bei uns wiederfinden. Sie wirkt nach gewissen Roheiten schon für sich allein künstlerisch.

Die Summe dieser Vorzüge, die hier auffallen, ist so groß und die Wiederkehr immer derselben guten Eigenschaften macht den Zuschauer so sicher, daß man fast vergißt, ob nicht noch andre Qualitäten nötig sind, damit ein Kunsthandwerk gesund sei oder damit es durchaus als Vorbild dienen könne; – bis einem wieder das Leben draußen einfällt, und sein Mißton zeigt, daß von dieser Schönheit eigentlich nichts aus ihm hervorgeht und deshalb nichts in seinen Strom zurückfließt.

Keine einzige Form oder Linie hier ist angeregt durch die Formen und Linien, die dem neunzehnten Jahrhundert eigen sind, durch die Formen und Linien, die das Eisengewerbe, die Elektrotechnik, die Mechanik, die Statik täglich in solcher Fülle immer wunderbarer und mannigfaltiger neu schaffen und in alle Gassen und Häuser tragen. Das Linienspiel und der Formenrhythmus der ausgestellten Gefäße, Stoffe, Beleuchtungskörper stammt noch von den griechischen Vasentöpfern, vom Parthenon, von Botticelli, von Wedgwood und Chippendale.

Kein einziges von den Materialien, die das neunzehnte Jahrhundert neu entdeckt hat, ist verarbeitet. Man sieht hier Silber und Glas, Pergament und Gold und Elfenbein, Emaille und Eisen, Linnen und Seide. Aber wenn man daneben Nickel, Celluloid, Linoleum, Guttapercha nennt, so genügen die Namen, um zu belegen, daß auch das englische Kunstgewerbe nichts getan hat, um diese neuen Stoffe zu veredeln, wie Chippendale das Mahagoni, oder wie die Japaner den auch nicht schöneren, feineren Lack.

Und schließlich ist auch keine einzige von den neuen Maschinen und Techniken benutzt. Die meiste Arbeit hier ist Handarbeit. Das Übrige sind alte Verfahren. Den neuen Kräften und Maschinen Kunst abzugewinnen, ist nicht versucht. Es ist, als ob die griechischen Kunsttöpfer die Töpferscheibe den Bauern überlassen hätten, oder wie wenn die Druckerpresse keinen Radtolt und keinen Jenson gefunden hätte.

Die Formen, die Materialien, die Technik des englischen Kunstgewerbes sind also ein alter Schatz; und die Handwerker verbrauchen ihn mit Geschmack. Aber neues Kapital kommt nicht hinzu. Das englische Kunsthandwerk lebt umgekehrt wie seine Vorbilder von einer liebenswürdigen und etwas einfältigen Verschwendung.

Die Gestaltungskraft scheint ihm zu fehlen, d. h. die Gabe, Wirklichkeit und Sinnlichkeit zu einer künstlerischen Konzeption zusammenzufassen. Deshalb spielt die Sinnlichkeit mit dem Hergebrachten, bis es reizlos und verbraucht sein wird. Die Wirklichkeit aber bleibt draußen.

Sie bleibt draußen und bleibt häßlich. Denn die neuen Dinge, die Gegenstände, die das neunzehnte Jahrhundert neugeschaffen hat, werden durch die Beschränkung auf die alten Formen, Materialien und Arbeitsweisen ebenfalls ausgeschlossen. Kaum etwas von ihnen ist hier zu sehen. Sie sind beiseite gelassen oder werden versteckt. Nirgends erscheinen sie offen als Neugut im alten Schönheitsschatz. Jede frühere Kunst, die griechische, die römische, die gotische, das Rokoko, unterscheidet sich von den voraufgegangenen auch durch neue Gegenstände. Die griechische Münze, die römische Schreibtafel, das gotische Buch, das Renaissance-Tafelbesteck, die Rokoko-Teekanne und -Wandkommode sind nicht anders, nicht schöner zur Welt gekommen als die Glühbirne oder der Telephonkasten. Aber damals hat die Kunst die neue Form aufgenommen, nicht verworfen oder versteckt. Das Leben wurde zu einem Teil der Schönheit. Hier dagegen ist das Neue draußen gelassen, oder es ziert sich hinter alten Schönheitsmasken, deren Linien und Falten nicht gestört werden sollen; und das Leben bleibt so, wie es zufällig geboren wird. Ja, es scheint noch häßlicher. Denn die edlen Materialien und Linienspiele der Kunst entwerten durch den Vergleich die Stoffe und Formen des Lebens, wenn diese unveredelt und sozusagen verwahrlost daneben stehen.

Eine machtvolle Kunst kann diese Wirkung allerdings gutmachen, durch die Kraft, die von ihr ausströmt. Die gestärkte und gespannte Seele erträgt das Leben trotz des Kontrasts leichter, tapferer. Lebensfeindlich ist in Wirklichkeit nur eine Kunst: die mittelmäßige oder schwache.

Aber gerade schwach ist die englische Kunst. Nicht nur weiß sie nicht, Wirklichkeit und Sinnlichkeit zu vermählen; ihr fehlt die Kraft, das Sinnliche selbst zusammenzufassen. Sie spielt damit virtuos; Konzeptionen aber, in die sie es einspannte, mangeln ihr. Sie ersetzt sie durch Anekdoten, Allegorien, Heiligenlegenden. Die aber kräftigen nicht; sondern Rhythmen und Harmonien, die so tief und neu sind, daß die Seele sich in ihnen frisch badet. Hier, wo solche nicht quellen, wird das Leben durch den Gegensatz nur entwertet.

Aber als Ziel der kontinentalen Kunstbewegung erscheint von Jahr zu Jahr immer deutlicher die Bewältigung des modernen, technisch umgewandelten Lebens. Unsere Kunst will die neue, noch ungeschlachte Welt den Sinnen und Gefühlen anpassen, den Gegensatz zwischen ihr und dem Fühlen aufheben, die Wirklichkeit lieben lehren.

So liegt das Endresultat des englischen Stils weit ab vom Ziel der kontinentalen Bewegung. Das englische Kunstgewerbe besitzt zwar Eigenschaften, die für jeden Stil von Wert sind und die auch uns von Nutzen wären; die Schönheit des Materials, die Sorgfalt der Arbeit, die Unaufdringlichkeit der Formen. Es ist dem unsrigen in diesen Dingen fast unendlich überlegen. In der Hauptsache aber ist es der kontinentalen Bewegung nicht voraus, sondern fremd.

In Wirklichkeit liegt die große Zeit des englischen Kunsthandwerks, wie die große Zeit der englischen Malerei, vor Morris, nicht nach Morris. Es ist die Zeit von Gainsborough, Turner und Constable, von Chippendale, Hepplewhite und Sheraton, die Zeit des Töpfers Wedgwood, des Druckers Caslon, der Silberschmiede, aus deren Werkstätten der feinste der modernen Menschen, Whistler, so erstaunlich moderne und feine Stücke in seiner Sammlung diesen Winter den Londonern gezeigt hat. Zur Zeit Chippendales rang das englische Kunstgewerbe, wie jetzt die Kunst des Kontinents, mit den Formen eines neuen, durch die Kolonialprodukte und die Großindustrie umgewandelten Lebens. Mit diesem im Bunde schuf es Formen, die noch heute nicht übertroffen sind. Was England uns bieten kann, stammt aus dieser Zeit. Oder aber es ist wie die Metallwaren von Benson, wie gewisse Beleuchtungskörper aus Birmingham, wie das Tafelglas von Powell oder die Bücher Cobden-Sandersons im Geist und aus den Traditionen dieser großen, lebensfrohen Zeit geboren. Von Morris und seiner Bewegung können wir dagegen nur die Art zu arbeiten, nicht das Ziel der Arbeit lernen.


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