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Die Handlung der Josephs-Legende

(1914)

Der Inhalt des ›Joseph‹ ist der Gegensatz und Kampf zwischen zwei Welten. Der Kontrast reicht vom Kostüm bis in das innerste, durch Gebärden und Musik sich offenbarende Seelenleben der Figuren. Die eine Welt, die des Potiphar, ist emporgekommen und hat allen Reichtum, alle Macht, Schönheit, Lebenskunst in sich aufgesammelt; aber diese Elemente haben sich infolge ihrer Fülle aneinander so abgeschliffen, so gesättigt, daß kaum noch irgendwelche Reize oder Spannungen in einer solchen Welt möglich sind; sie ist prunkhaft, üppig, schwül, voll von seltsamen Düften und Geschöpfen wie ein tropischer Garten, aber ohne Geheimnis, in sich ausgeglichen, klassisch, hart, schwer, eine Welt, in der selbst noch die Luft mit Goldstaub geladen scheint. Was an ihr dem Zuschauer aufzufallen hat, ist ihr Goldreichtum und die Größe und Grazie ihrer Gesten.

 

Die andere Welt ist die des Joseph. Er kommt aus der Wüste, ein Hirtenknabe, der Sohn eines Fürsten. Er ist anmutig, wild und herb. Seine Gestalt ist kindlich und frisch; nichts an ihr darf süß oder weich wirken: sie schmeckt, wenn man sich so ausdrücken darf, wie ein nicht ganz reifer Apfel; er ist im Alter, wo die Stimme umkippt, das ist seine eigentliche Note.

Und weil er noch halb ein Kind ist, ein adliges Kind, hängt er an den Sitten seines Volkes; er trägt noch »die Farben seines Hauses«. Insofern ist er fromm. Aber seine Frömmigkeit ist nicht christlich, nicht asketisch und intellektuell wie die des Jochanaan. Denn die Sitte, die in ihm lebendig ist, ist die Hirtensitte; sie kommt aus der hellen, freien Wüste und ist nichts als die natürliche Haltung einer ganz in Sonne getränkten, vom Wüstenwind in Spannung gehaltenen, vom weiten Schweifen durch die endlose Ebene sehnig und stark gewordenen Geistigkeit und Leiblichkeit.

Doch diese Kraft sammelt sich in Joseph zum Heldentum: sie beschwingt seine Phantasie, daß sie sich mit Bildern füllt; sie stählt seinen Glauben, daß er feste Ziele greift; sie gibt ihm leichte Füße, die ihn aus der Enge forttragen; sie spannt ihn, bis er über sein Volk hinausfliegt. Das innerste Motiv dieser Figur ist das Springen, Fliegen, Schweben, bald im Tanz, bald im Traum, bald in einer intimen Verquickung von Phantasie und Bewegung. Joseph ist ein Tänzer und ein Träumer. Doch sein Traum und sein Tanz haben nichts Weichliches oder Schwüles; beide sind im Gegenteil nur Formen seiner Kraft, die ihn hinausträgt aus dem Bereich seiner Kameraden in eine Welt, die das Abbild seines eigenen Wesens ist; eine Welt, wo alles stark und leicht, blütenhaft und frisch, voll gegenseitiger Überraschungen und Reize ist, wo eine aus dem Überschuß an Kraft geborene Heiterkeit die Dinge in ein schattenloses Licht hüllt, eine Welt aber, die in ihrer Abgeschiedenheit geheimnisvoll und ernst, fast geisterhaft wie ein auf Bergeshöhen fernes Paradies wirkt.

Diese drei Stufen seines Wesens bringt Josephs Tanz zum Ausdruck: er zeigt ihn zuerst als adligen, in der Sitte seines Volkes glücklichen Knaben, dann als kraftbeschwingten Helden, dann als Entdecker oder Schöpfer einer neuen, fernen, lichten Welt.

Im letzten seiner Tänze schildert er vorahnend in Verzückung diese Welt, seine künftige, die er sich als Jüngling und Held erobern wird, ganz klar; sonst schimmert sie nur verschleiert durch seine noch halb kindliche Figur hindurch. Dieses Durchschimmern der einen durch die andere Seele ist sein Zauber: sein Reiz besteht wie der jedes Knaben in der Zukunft, die er in sich trägt. Doch aus Joseph strahlt seine Welt, die in ihm wird, oft wie ein kaum verhülltes Licht hervor; sie umgibt ihn mit einer besonderen Atmosphäre, er schwimmt, wo er auch steht, in einer fremdartigen überirdischen Helligkeit.

Am geheimnisvollsten wird das Durchschimmern jener fernen Welt durch seine Gestalt im Augenblick, wo er vor Potiphars Weib den Mantel fallen läßt. Er zeigt sich ihr ganz, was er war und was er sein wird, in mystischer Doppelheit. Mystisch: denn, wie das Künftige aus dem Früheren werden wird, – werdend schon jetzt ist, – bleibt verborgen, ja unergründlich. Das Heldentum, das die Wandlung begleitet, erscheint hier, wo die zwei Gestalten gleichzeitig ineinander da sind, wie eine Maske, die Tieferes, Unfaßbares, ein Mysterium einhüllt. Joseph wird in diesem Augenblick zu einer mystischen Figur. Aber seine Mystik ist nicht die des Parsifal. Sein Geheimnis ist das des Wachsens und Werdens, seine Heiligkeit die des Schaffens und des Gebärens, seine Vollkommenheit die der Dinge, die noch nicht gewesen sind. Er ist ein Frühlingsgott, unnahbar, ungreifbar, undurchdringlich in seiner Fruchtbarkeit. Nichts erschüttert, nichts trübt seine Heiterkeit. Er kennt als Gott weder Mitleid noch Sehnsucht. Ganz dem Wunder des Blühens hingegeben, leuchtet sein Fleisch im Augenblick, wo er es enthüllt, wie Alpenschnee in einer Sternennacht.

Die beiden Gesichter Josephs, das kindliche und das künftige, wechseln im Laufe der Handlung beständig miteinander ab; bald zeigt sich nur das eine, bald scheinen beide, stark oder schwach, durch einander durch. Als man ihn schlafend hereinträgt, ist der Abglanz seines Traumes auf ihm blendend; doch nur einen Augenblick: dann schwindet dieser überweltliche Schein, und sein erster Tanz ist der eines unschuldigen reinen Kindes, wie sein letzter ausschließlich seine künftige Welt ausdrückt. Einen Augenblick wird er dann wieder Kind; bis der geheimnisvolle Schein leise und wachsend wiederkehrt, als er, ganz in sich versonnen, am Hochsitz der Frau des Potiphar gegenübertritt.

Diese Frau war bisher in Macht, Schönheit, Sättigung königlich wie in einen Panzer eingeschlossen. Sie fühlt nichts, liebt nichts, lebt nichts. Nichts hat für sie Geschmack oder Reiz. Auch sie ist ohne Sehnsucht, ohne Mitleid, aber innen tot wie ein dunkler, kalter See, den kein Lichtstrahl je erwärmt. Sie bewegt sich nicht: wunschlos verharrt sie starr unter ihrem Golde wie ein Idol.

Zum ersten Mal, da Joseph tanzt, fühlt sie einen Reiz. In einer Welt, die ohne Geheimnis ist, ist an ihm für sie alles ein Geheimnis: seine Frische, seine Leichtigkeit, die wilde Anmut seiner Bewegungen, der Ernst seiner Phantasie, der Lichtschein einer fremden Welt, der von ihm ausgeht. Als sie ihn heranruft, will sie in ihn hineinsehen, ihn ergründen, ihn besitzen; sie begehrt seine Welt, sein Geheimnis, ihn mit Leidenschaft, weil nichts sonst für sie Reiz oder Wert hat.

So läßt sie ihn nach der Tafel, wie einen kostbaren, bereits gesicherten Besitz, in ihrer Schatzkammer. Da erscheinen, als Joseph allein ist, noch einmal nacheinander gesondert seine zwei Gestalten: in seinem Beten das Kind, gleich darauf in seinem Traum die künftige, göttliche Region, der er zuwächst. Als Potiphars Frau an sein Bett zurückkehrt, sieht sie ihn im Glanze seines Traumes noch heller und geheimnisvoller strahlen als am Hochsitz. Zuerst steigert das ihre Leidenschaft; dann erschrickt sie und versucht, den Glanz dieser fremden Welt vor sich auszulöschen. Sie ahnt jetzt, daß sie sein Geheimnis nicht enträtseln kann. Und als er die Augen aufschlägt, sinkt sie, wie vor einer Gottheit, vor ihm nieder; sucht darauf diesem Überirdischen zu entfliehen; kehrt zurück, weil sie sich einen Augenblick ein anderes Verhältnis zu ihm vortäuscht: als Mutter, die das geheimnisvoll Wachsende im Herzen bergen könnte. Dann aber überwältigt sie ihre Leidenschaft. – Als Joseph ihre Lippen fühlt, wird er im Erwachen zuerst wieder ganz ein Kind; ja seine Kindlichkeit kommt in diesem Augenblick so stark wie nie zum Ausbruch. Er springt heftig und erschrocken auf, weil er ein noch nicht mit dem Weibe zusammengekommener Knabe ist und reflexartig Scheu vor der Frau hat; dann weil er an die tiefverschleierten keuschen Mädchen seines Stammes denkt, an die ehrwürdigen und heiligen Sitten, wenn der Mann sich ihnen nähert, an die patriarchalische Reinheit des Hirtenlebens; schließlich weil er edel ist und als adliger Knabe die plötzliche physische Berührung wie etwas Gemeines, wie eine Beschmutzung empfindet. Auch die Sinnlichkeit erwacht: er weiß nicht; er möchte wissen. – Doch er hat in sich ein eigenes Geheimnis. Seine künftige Welt tritt wieder, zuerst schattenhaft, dann durch den Kontrast zur Laszivität der Frau mit äußerster Gewalt in ihn ein. Seine zwei Gesichter ringen miteinander. Als das noch jenseitige, künftige sich zu derselben Kraft verdichtet hat, wie das kindliche, als beide wunderbar mächtig und wunderbar gleich an Glut dastehen, zeigt er sich. In diesem Augenblicke sieht das Weib, daß sie das, was sie begehrt, nie besitzen kann, weil sie etwas Ungreifbares greifen will: ein Geheimnis, das sich nicht ergründen, ein Göttliches, das sich nicht fassen läßt. Für sie hat, in ihrer Übersättigung, nur das Göttliche noch Wert; doch das Göttliche in einem Wesen ist gerade das, was keine Leidenschaft erobern kann.

Und nun beginnt ihr Untergang. Sie geht zu Grunde, weil sie den Gott, den sie nicht besitzen kann, zu zerstören sucht. Denn das Göttliche läßt sich ebenso wenig zerstören wie besitzen. Der Gott, der in sie eingedrungen ist, Joseph in seiner mystischen Doppelheit, Joseph in seinem visionären Blühen, erniedrigt sie vor sich, peitscht ihre Leidenschaften, läßt ihre bösen Triebe emporwuchern im Glanze seiner Strahlen zu Dämonen, bricht ihre Seele, vernichtet sie. Er tut nichts, bewegt sich nicht, will nichts als Blühen; aber alles, was in ihm geheimnisvoll jenseitig, göttlich ist, treibt sie ins Verderben. Er handelt nicht, er wirkt. – Wobei zu bemerken ist, daß das Handeln vielleicht im Widerspruch steht zu unserem Begriff des Göttlichen, (Nichts ist menschlicher als eine Handlung) und es daher fraglich ist, inwiefern ein Gott auf der Bühne überhaupt handeln kann, ohne seinen göttlichen Charakter zu verlieren. – Deshalb muß Joseph in allem, was auf den Augenblick seiner mystischen Nacktheit folgt, nur in sich gekehrte Spannung sein. Seine Gebärde, als er das Weib abwehrt, ist ein Symbol, ein mächtiges und strenges Zeichen. Nachher bleibt er gebärdenlos.

In ihr erwacht, vor seiner geheimnisvoll göttlichen Entrücktheit, von den bösen Gefühlen zuerst die Scham, dann der Haß, dann in wildem Jähzorn das wahnsinnige Verlangen, ihn zu töten. Als er ihren Angriff abschlägt, überwältigen sie das Gefühl ihrer Schwäche und die Scham: sie verbirgt vor ihm ihr Antlitz. Aber vor den Dienern reckt sie sich noch einmal auf zu königlicher Höhe: sie erteilt den Befehl, ihn festzunehmen. Doch die Spannung ist zu stark: sie bricht bei der ersten Berührung wie eine Nachtwandlerin ohnmächtig in den Armen ihrer Sklavin zusammen: man fühlt, daß die Grundvesten ihres Wesens erschüttert sind; sie ringt jetzt um ihr Leben. In der Schwüle ihres Fiebers steigen die dunklen Triebe aus dem Grunde ihrer Seele: Furcht, Lüge, Aberglaube auf; verdichten sich, nehmen Gestalt an, werden sichtbar in dem Schwall von Weibern, die aus allen Winkeln des Palastes hervorkommen: der Hexentanz ist die Ausstrahlung ihres Fiebers.

Als sie noch halb bewußtlos den Mantel in ihren Händen fühlt, ruft er ihr zuerst nur Joseph in seiner Anmut, Frische, Unschuld vor die Augen: das Bild bezaubert sie noch einmal; dann dringt es ihr schneidend ins Herz, sie erwacht, und Scham, Zorn, Rachedurst, Furcht kehren wie nach einer Windstille doppelt stark zurück. Die Dämonen peitschen sie alle in derselben Richtung vor sich her: sie vermag nur noch eins zu denken, eins zu wollen: Joseph vernichten, ihn nicht mehr sehen, sein Bild vergessen, ihn auslöschen, ihn vernichten. Die Geschlossenheit ihrer Leidenschaften macht sie äußerlich wieder kühl. Berechnend, eisig, königlich gibt sie sich der Lüge hin. Sie bietet Potiphar ihren Mund und erhebt die Anklage. Dann wird sie von der Macht der inneren Bewegung einen Augenblick noch über den Bereich der Leidenschaft hinausgetragen: sie zerreißt den Mantel, ist befreit. Joseph zieht sie wieder in ihr Selbst herab durch das Wunder seiner Entrücktheit. Als er vor dem Feuerbecken nichts fürchtet, nichts zu fühlen scheint, bannt sie das Geheimnis dieser Ruhe wie früher das seiner Anmut, seiner Fremdheit. Jetzt genügt es ihr nicht mehr, ihn zu vernichten, sie muß ihn leiden sehen, will ihm wehe tun; die Folter soll ihr sein Geheimnis liefern, seine Qualen ihr eine Brücke in ihn hineinbauen, wie vordem seine Sinne. Er reizt sie wieder ebenso stark, wie als er tanzte, aber schmerzlich, wie ein Stachel, wie ein Alb, wie eine offene Wunde. Sie betrachtet ihn, als ob nur sein Blut einen Durst in ihr stillen könnte. Mit der Grausamkeit vermischt steigt die Begierde wieder auf. Doch gleichzeitig fühlt sie ihre Ohnmacht; Angst schüttelt sie, sie ist erschöpft, innerlich zerfleischt, verblutet. Eine große Mattigkeit sinkt auf sie herab. Je heller Joseph blüht, um so dunkler wird ihre Welt. Als Josephs Welt im Erzengel visionär greifbar ihr vor Augen tritt, macht sie noch einmal eine hoffnungslose kindliche Gebärde, um der Erscheinung dorthin zu folgen. Dann bleibt ihr nichts als der Tod.


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