Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

»Nun, wie schmeckt der Erfolg?« fragte Torpenhow, etwa drei Monate später. Er war gerade von einem Ferienaufenthalte auf dem Lande zurückgekehrt.

»Gut,« erwiderte Dick, der vor der Staffelei in dem Atelier saß und seine Lippen leckte. »Ich brauche mehr, ich hoffe auf mehr. Die mageren Jahre sind vorüber, ich heiße die fetten willkommen.«

»Seien Sie vorsichtig, Freundchen. Auf diesem Wege liegt viel Böses.« Torpenhow lag in einem großen Sessel und hatte einen kleinen, schlafenden Dachshund auf seiner Brust liegen, während Dick eine neue Leinwand aufspannte und auf derselben zu zeichnen begann. Eine Estrade im Hintergrund und eine Gliederpuppe waren die einzigen Gegenstände im Zimmer. Dieselben erhoben sich von einem wackeligen Podium, auf dem mit Filz überzogene Wasserflaschen, Gürtel, Fahnen, ein Ballen getragener Uniformstücke und eine Trophäe von verschiedenen Waffen sich befanden. Die Spuren von schmutzigen Füßen auf der Estrade zeigten, daß ein militärisches Modell soeben fortgegangen war. Der wässerige Sonnenschein eines Herbsttages verschwand allmälich, während die Ecken des Ateliers im Schatten lagen.

»Ja,« sagte Dick offenherzig, »ich liebe die Macht, einen Spaß, den Lärm, doch vor allem das Geld; am meisten jedoch liebe ich die Leute, die Lärm machen und das Geld bezahlen. Am meisten! Doch es ist eine sonderbare Bande, eine erstaunlich sonderbare Bande!«

»Wenigstens sind die Leute gut genug gegen Sie gewesen. Diese kleine armselige Ausstellung Ihrer Skizzen muß gut bezahlt worden sein. Haben Sie gesehen, daß die Zeitungen dieselbe eine ›wilde Arbeitausstellung‹ genannt haben?«

»Das thut nichts! Ich verkaufte jeden Faden Leinwand, den ich dazu gebraucht; ich glaube, auf mein Wort, sie hielten mich für einen Künstler, der alles aus sich selbst gelernt hat. Ich hätte gewiß noch bessere Preise erzielt, wenn ich meine Sachen auf Wolle gearbeitet oder auf Kamelknochen eingekratzt hätte, anstatt nur Schwarz und Weiß und Farbe zu gebrauchen. Wahrhaftig, diese Leute sind eine sonderbare Bande. Beschränkt ist nicht das richtige Wort, um sie zu beschreiben. Neulich traf ich einen Burschen, der mir sagte, es sei unmöglich, daß die Schatten auf weißem Sande blau – ultramarin – sein könnten, wie sie wirklich waren. Später erfuhr ich, daß dieser Mensch nicht weiter als bis zur Bucht von Brighton gekommen war, trotzdem wußte er alles, was Kunst betraf; hol ihn der Henker! Er hielt mir eine Vorlesung über dieselbe und empfahl mir, eine Schule zu besuchen, um die Technik zu lernen. Ich möchte wohl wissen, was der alte Kami dazu gesagt haben würde?«

»Wann waren Sie unter Kamis Leitung, Sie Mann von außergewöhnlichen Anfängen?«

»Ich studirte zwei Jahre bei ihm in Paris. Er lehrte vermittelst persönlichem Magnetismus. Das einzige, was er beständig sagte, war: › continuez, mes enfants‹, während man daraus das beste entnehmen mußte, was man konnte. Er hatte einen göttlichen Strich und wußte auch manches über Farbe. Kami pflegte Farben zu träumen; ich möchte schwören, daß er nie den wirklichen, natürlichen Gegenstand gesehen; aber er entwickelte denselben, und es war gut.«

»Entsinnen Sie sich einer jener Ansichten im Sudan?« fragte Torpenhow mit herausforderndem Dehnen.

Dick erbebte auf seinem Platze. »Nichts davon! Es erweckt in mir das Verlangen, wieder dorthin zu gehen. Was waren das für Farben! Opal und Ambra, Bernstein und Weinrot, Ziegelrot und Schwefel – Kakaduschopfschwefel – gegen Braun, mit einem negerschwarzen Felsen, inmitten von dem Ganzen aufsteigend, und einem dekorativen Fries von Kamelen vor einem reinen, hell türkisfarbigen Himmel.« Er fing an auf und ab zu gehen. »Und dennoch, Sie wissen es ja, wenn man versuchte, diesen Leuten hier die Dinge wiederzugeben, wie Gott sie geschaffen, ihrer Fassungskraft angemessen abgeschwächt, und nach den Fähigkeiten, die er uns verliehen –«

»Bescheidener Mann! Fahren Sie fort.«

»Ein halbes Dutzend junger Heiden, die nicht einmal in Algier gewesen sind, wird Ihnen sagen, erstens, daß Ihre Idee entlehnt und zweitens, daß das nicht Kunst sei.«

»Das kommt davon, daß ich die Stadt einen Monat lang verlassen habe, Dickie. Sie sind zwischen den Spielzeugläden spazieren gegangen und haben die Leute schwatzen hören.«

»Ich konnte es nicht ändern,« entgegnete Dick reuevoll. »Sie waren nicht hier und diese langen Abende kamen mir so einsam vor. Ein Mann kann nicht immer arbeiten.«

»Ein Mann hätte in eine Schenke gehen und sich anständig betrinken können.«

»Ich wollte, ich hätte es gethan; aber ich kam mit allerlei Leuten zusammen. Sie sagten, sie wären Künstler, auch wußte ich, daß einige von ihnen zeichnen konnten, doch sie wollten nicht zeichnen, Sie gaben mir Thee – um fünf Uhr nachmittags Thee! – und sprachen über Kunst und den Zustand ihrer Seelen; als ob ich mich um ihre Seelen bekümmerte. Ich habe in den letzten sechs Monaten mehr über Kunst gehört und weniger davon gesehen, als während meines ganzen Lebens. Entsinnen Sie sich Cassavattis, der für irgend ein festländisches Syndikat arbeitete, da draußen bei einer Wüstenkolonne? Er war ein förmlicher Weihnachtsbaum, als er ins Feld zog mit seiner Wasserflasche, Tragbändern, Revolver, Schreibmappe, Haushälterin, Wagenlaternen und der Himmel weiß, was alles. Gewöhnlich tändelte er mit all den Dingen einher und zeigte uns ihren Gebrauch; aber niemals schien er besonders viel zu thun, außer die Berichte von Nilghai zu kopiren.«

»Der liebe alte Nilghai! Er ist in der Stadt und fetter als je. Er muß heute abend herkommen. Ich verstehe vollkommen den Vergleich. Sie hätten sich von all diesen männlichen Narren fern halten sollen; es geschieht Ihnen ganz recht, auch hoffe ich, daß es Ihren Verstand geklärt hat.«

»Es hat mich gelehrt, was die Kunst – die heilige, erhabene Kunst – bedeutet.«

»Geben Sie ihnen, was sie verstehen, und wenn Sie es einmal gethan, thun Sie es wieder.«

Dick holte eine Leinwand hervor, die an der Wand lehnte.

»Hier ist eine Probe von wirklicher Kunst; es soll eine Kopie für ein Wochenblatt werden. Ich nannte es ›Sein letzter Schuß‹. Es ist nach dem kleinen Aquarell gearbeitet, das ich vor den Thoren von El Maghaib anfertigte. Ich köderte mein Modell, einen schönen Schützen, mit einem guten Trunk; ließ ihn dann dursten und wieder dursten, und machte schließlich aus ihm einen wilden, verteufelten Burschen mit dem Helm auf dem Hinterkopfe und der größten Todesfurcht in den Augen, während das Blut aus einem Hiebe über seinen Knöchel tröpfelte. Er war nicht schön, aber ganz ein Soldat und ein Mann.«

»Noch einmal, bescheidenes Kind!«

Dick lachte. »Nun ja, ich spreche ja nur zu Ihnen. Ich malte ihn so gut ich konnte, indem ich Rücksicht auf die Weichheit der Oelfarben nahm. Der Kunstleiter jenes Blattes sagte mir, daß seinen Abonnenten das Bild nicht gefallen würde. Es sei grob, roh und gewaltsam, da ein Mann, wenn er um sein Leben kämpfe, natürlich sanft wäre; man wollte etwas Ruhigeres, mit ein wenig mehr Farbe haben. Ich hätte ihm manches darauf erwidern können, aber man kann eben so gut zu einem Schaf sprechen, als zu einem Kunstleiter. Ich zog meinen ›Letzten Schuß‹ zurück. Betrachten Sie das Resultat! Ich kleidete ihn in einen hübschen roten Rock, ohne einen einzigen Flecken. Das ist Kunst. Ich wichste seine Stiefel, – bemerken Sie das schöne Licht auf der Zehe. Das ist Kunst. Ich putzte auch seine Büchse – im Dienste sind die Büchsen stets geputzt – weil das Kunst ist. Seinen Helm machte ich mit Schlemmkreide blank, – Schlemmkreide wird immer im aktiven Dienste gebraucht und ist für die Kunst unentbehrlich. Dann rasirte ich sein Kinn, wusch seine Hände und gab ihm das Aussehen fetter Ruhe. Resultat: Musterbild für Militärschneider. Preis, dem Himmel sei Dank, doppelt so viel als für die erste Skizze, der ziemlich bescheiden gewesen.«

»Haben Sie die Absicht, das Ding als Ihre Arbeit auszugeben?«

»Weshalb nicht? Ich that es, nur im Interesse der geheiligten, einheimischen Kunst und ›Dickensons Wochenblatt‹.«

Torpenhow rauchte eine Zeit lang schweigend weiter, dann erfolgte der Urteilsspruch, begleitet von rollenden Tabakswolken: »Wenn Sie nur eine Masse von aufgeblähter Eitelkeit wären, Dick, so würde ich nichts sagen, ich würde Sie zum Henker gehen lassen mit Ihrem Malstock; wenn ich jedoch bedenke, was Sie mir sind, und sehe, daß Sie zu der Eitelkeit noch den kindischen Groll eines zwölfjährigen Mädchens hinzufügen, dann rühre ich mich Ihretwegen. Also!«

Die Leinwand riß auseinander, als Torpenhows gestiefelter Fuß hindurch fuhr, während der Teckel hinuntersprang, weil er glaubte, es seien Ratten da.

»Wenn Sie irgend etwas darauf zu erwidern haben, so thun Sie es. Sie können es nicht. Ich fahre also fort. Sie sind ein Idiot, weil kein vom Weibe geborener Mensch stark genug ist, sich mit seinem Publikum solche Freiheiten herauszunehmen, obschon es ist – alles, was Sie eben gesagt, daß es sei.«

»Aber die Leute verstehen nichts Besseres. Was kann man von Geschöpfen erwarten, die in diesem Lichte geboren und erzogen sind?« Dabei deutete Dick auf den gelben Nebel. »Wenn sie Möbelpolitur haben wollen, so laßt sie doch dieselbe haben, so lange sie dafür bezahlen. Sie sind nur Männer und Weiber; Sie sprechen, als ob es Götter wären.«

»Das klingt sehr schön, hat aber mit diesem Falle nichts zu schaffen. So sind die Leute, für die Sie arbeiten müssen, möge es Ihnen nun gefallen oder nicht. Sie sind Ihre Herren. Täuschen Sie sich nicht, Dickie, Sie sind nicht kräftig genug, um mit ihnen spielen zu können; oder mit sich selbst, was viel wichtiger ist. Außerdem, – kommen Sie her, Dickie; diese rote Sudelei hier findet nirgends Beifall; – wenn Sie sich nicht in acht nehmen, so werden Sie unter den Fluch des Checkbuches geraten, und das ist schlimmer als der Tod. Sie werden sich berauschen an leicht erworbenem Gelde, – halb berauscht sind Sie bereits. Für Geld und Ihre eigene höllische Eitelkeit sind Sie willens, leichtsinnig schlechte Arbeit in die Welt zu schicken. Sie werden, ohne es zu wissen, noch genug schlechte Arbeit liefern. Und, Dickie, da ich Sie liebe und weiß, daß auch Sie mich lieb haben, so werde ich nicht zugeben, daß Sie sich die Nase abschneiden, um Ihr Gesicht zu ärgern, nicht für alles Gold in England, So, das ist abgemacht. Nun fluchen Sie.«

»Ich kann nicht,« sagte Dick. »Ich habe versucht, zornig zu werden, aber ich kann nicht; Sie sind so abscheulich vernünftig. Ich denke, es wird viel Lärm bei ›Dickensons Wochenblatt‹ geben.«

»Weshalb gebraucht der Dickenson Sie, um für ein Wochenblatt zu arbeiten? Das heißt, seine Kraft langsam verbluten lassen.«

»Es bringt aber den höchst wünschenswerten Dollar ein,« erwiderte Dick, die Hände in den Taschen.

Torpenhow betrachtete ihn mit großer Verachtung. »Wirklich, ich glaubte, er wäre ein Mann,« sagte er. »Er ist ein Kind!«

»Nein, das ist er nicht,« entgegnete Dick, sich rasch umdrehend, »Sie haben gar keine Idee davon, was die Gewißheit, Geld einzukassiren für einen Mann bedeutet, der dasselbe stets schmerzlich entbehrt hat. Nichts kann mich bezahlen für einige Freuden meines Lebens; so zum Beispiel, als wir auf jenem chinesischen Schweineschiff zu jeder Mahlzeit Brot und Schinken aßen, weil Ho-Wang uns nichts Besseres erlauben wollte, und alles nach Schweinefleisch – chinesischem Schweinefleisch – schmeckte. Ich habe hierfür gearbeitet, geschwitzt und gehungert, Linie auf Linie und Monat nach Monat. Und nun ich es erreicht habe, will ich soviel als möglich daraus machen, so lang es dauert. Laß sie bezahlen – sie verstehen nichts davon.«

»Was beliebt Euer Majestät zu wünschen. Sie können nicht mehr rauchen, wie Sie jetzt thun; Sie wollen nicht trinken; Sie sind kein Feinschmecker und Sie kleiden sich in Schwarz, wie der Augenschein zeigt. Sie wollten sich neulich kein Pferd anschaffen, als ich es vorschlug, weil dasselbe, wie Sie sagten, lahm werden könnte, und wenn Sie über die Straße müssen, nehmen Sie ein Kabriolet. Sie sind auch nicht thöricht genug, zu glauben, daß Theater und alle lebenden Dinge, welche man da herum laufen kann, das Leben bedeuten. Was für irdische Bedürfnisse haben Sie für Geld?«

»Es ist da, gesegnet sei sein goldenes Herz,« sagte Dick, »es ist die ganze Zeit über da. Die Vorsehung hat mir Nüsse geschickt, da ich Zähne habe, sie aufzuknacken. Noch habe ich die Nuß nicht gefunden, die ich aufknacken möchte, aber ich erhalte inzwischen meine Zähne geschärft. Vielleicht gehen wir, Sie und ich, eines Tages auf eine Wanderung rund um die weite Welt.«

»Mit nichts zu arbeiten für uns, mit niemand, der uns quält, und niemand, mit dem wir wetteifern könnten? In einer Woche würden Sie unfähig zum Sprechen sein. Außerdem würde ich nicht mitgehen. Ich verlange nicht darnach, etwas zu profitiren, um den Preis einer Menschenseele; denn das würde es bedeuten. Dick, es verlohnt nicht der Mühe, darüber zu sprechen. Sie sind ein Narr!«

»Das sehe ich nicht ein. Als ich mich auf jenem chinesischen Schweineboote befand, erwarb unser Kapitän dadurch ganz gewaltigen Kredit, daß er etwa fünfundzwanzigtausend sehr seekranke Ferkel rettete, als unser alter Kasten von einem Dampfer mit einer Holz-Dschunk unklar wurde. Nehmen Sie nun diese Ferkel als eine Parallele ...«

»O, hol der Teufel Ihre Parallele! Wenn ich mich bemühe, Ihre Seele zu retten, zu bessern, ziehen Sie immer eine von den unbedeutenden Anekdoten aus ihrer dunklen Vergangenheit herbei. Schweine sind nicht das britische Publikum; Kredit auf hoher See ist nicht Kredit hier, und Selbstachtung bleibt Selbstachtung in der ganzen Welt. Gehen Sie aus, machen Sie einen Spaziergang und versuchen Sie, etwas Selbstachtung zu erlangen. Wenn Nilghai heute abend herauf kommt, kann ich ihm dann Ihre Sachen zeigen?«

»Gewiß. Nächstens werden Sie noch fragen, ob Sie an meiner Thür anklopfen müssen.« Darauf ging Dick fort, um in dem rasch dichter werdenden Londoner Nebel mit sich selbst Rat zu pflegen.

Eine halbe Stunde nachdem Dick sein Atelier verlassen, arbeitete sich Nilghai die Treppen hinauf. Er war sowohl der oberste als auch der ungeheuerlichste aller Kriegskorrespondenten; seine Erfahrungen datirten aus der Zeit, als das Zündnadelgewehr aufkam. Mit Ausnahme seines Verbündeten, Keneu, des »Großen Kriegsadlers«, gab es keinen mächtigeren Mann in der Zunft als ihn; er begann seine Gespräche stets mit der Neuigkeit, daß es im Frühjahre im Balkan Unruhen geben würde. Torpenhow lachte, als er eintrat.

»Machen Sie sich nichts aus den Unruhen im Balkan; diese kleinen Staaten sind immer am Schreien. Haben Sie von Dicks Glück gehört?«

»Ja; er ist zu öffentlicher Anerkennung gelangt, nicht wahr? Ich hoffe, Sie halten ihn hübsch demütig. Er bedarf von Zeit zu Zeit einiges Niederdrücken.«

»Das ist richtig. Er fängt an, sich Freiheiten herauszunehmen mit dem, was er für seinen Ruf hält.«

»Schon! Beim Zeus, er besitzt Unverschämtheit! Ich weiß nichts von seinem Ruf, aber er wird eine Lerche schießen, wenn er derartiges versucht.«

»So sagte ich ihm; doch denke ich nicht, daß er es glaubt.«

»Das thut man nie, wenn man zuerst beginnt. Was ist das zerrissene Ding da auf dem Boden?«

»Eine Probe seiner letzten Unverschämtheit.«

Torpenhow legte die zerrissenen Stücke der Leinwand aneinander und zeigte Nilghai das Bild, der dasselbe einen Augenblick ansah und pfiff.

»Es ist ein Chromo,« sagte er, – »ein Chromo – Citholeo-Margarino-Ding! Was hat ihn dazu veranlaßt? Und dennoch, wie durch und durch hat er dasjenige erfaßt, was ein Publikum fesseln kann, das mit seinen Stiefeln denkt und mit den Ellenbogen liest! Die kaltblütige Unverschämtheit dieser Arbeit rettet sie fast; aber er darf so nicht fortfahren. Ist er nicht vielleicht zu viel gelobt und aufgemuntert worden? Sie wissen, die Leute hier haben gar keinen Begriff von richtigem Maß und Ziel. Sie nennen ihn einen zweiten Detaille und einen künftigen Meissonier, so lange seine Manier in der Mode ist. Es ist lustige Kost für ein Füllen.«

»Ich glaube wohl, daß es Dick viel berührt. Man könnte ebenso gut einen jungen Wolf einen Löwen nennen und von ihm erwarten, das Kompliment gegen einen Knochen auszutauschen. Dicks Seele ist in der Bank; er arbeitet für seine Kasse.«

»Nun er die Kriegsarbeit aufgegeben, sieht er, wie ich vermute, nicht ein, daß die Verpflichtungen des Dienstes genau dieselben sind; nur die Eigentümer haben gewechselt.«

»Wie sollte er das wissen? Er glaubt, er sei sein eigener Herr.«

»So? Ich könnte ihn zu seinem eignen Besten enttäuschen, wenn noch etwas Macht in Druckerschwärze liegt. Er bedarf der Peitsche.«

»Dann thun Sie es gründlich mit Wissenschaft. Ich würde selbst ihn vornehmen, aber ich habe ihn zu lieb.«

»Ich habe keine Skrupeln. Er hatte die Keckheit, zu versuchen, mich einmal in Kairo bei einer Frau auszustechen. Ich vergaß das, aber nun erinnere ich mich daran.«

»Stach er Sie wirklich aus?«

»Sie werden es sehen, wenn ich mit ihm fertig bin. Aber wozu ist es gut allem nach? Lassen Sie ihn allein; er wird schon wieder kommen, wenn er irgend wie das Zeug dazu hat, den Schwanz hinter sich herschleppend und wedelnd. In einer Woche liegt mehr Leben als in einem lebendigen Wochenblatte. Nichsdestoweniger will ich ihn zudecken, und zwar ganz gehörig in dem ›Kataklysmus‹.«

»Viel Glück dazu; doch ich bilde mir ein, nichts geringeres als eine Brechstange würde Dick zum Stutzen bringen. Seine Seele scheint durch irgend etwas entflammt gewesen zu sein, bevor wir mit ihm zusammen trafen. Er ist außerordentlich mißtrauisch und gänzlich subordinations-, gesetzwidrig.«

»Sache des Temperaments,« sagte Nilghai. »Dasselbe ist bei den Pferden der Fall. Wenn man einige durchprügelt, so arbeiten sie; andere schlagen aus, wenn man sie prügelt, während einige ausgehen, nachdem man sie geprügelt hat, um, mit den Händen in den Taschen, einen Spaziergang zu machen.«

»Genau das, was Dick gethan hat,« bemerkte Torpenhow. »Warten Sie, bis er zurückkommt; inzwischen können Sie anfangen, ihn hier gehörig vorzunehmen. Ich will Ihnen in seinem Atelier etwas von seiner letzten und schlechtesten Arbeit zeigen.«

Dick hatte instinktmäßig fließendes Wasser aufgesucht, um seine Gemütsstimmung zu beruhigen. Er lehnte über die Brüstung und beachtete die Strömung der Themse durch die Bogen der Westminsterbrücke. Er hatte angefangen, über Torpenhows Rat nachzudenken, sich indes sehr bald, seiner Gewohnheit gemäß, in das Studium der Gesichter der vorüberflutenden Menge verloren. Einige trugen den Tod auf ihren Gesichtern geschrieben, und Dick wunderte sich darüber, daß sie lachen konnten; andere, zum größten Teil plump und roh gebaut, strahlten vor Liebe, während viele die Spuren der Arbeit zeigten; doch aus allen war etwas zu entnehmen, wie Dick wußte. Der Arme wenigstens würde leiden, um zu lernen, und der Reiche bezahlen für die Ausnutzung dessen, was er gelernt hat. Sein Ruf in der Welt und seine Bilanz bei der Bank würden zunehmen; um so besser für ihn. Er hatte gelitten; jetzt wollte er von dem Bösen anderer Zoll erheben.

Der Nebel wurde einen Augenblick auseinandergetrieben, die Sonne schien wie eine blutigrote Scheibe auf dem Wasser. Dick betrachtete den Fleck, bis das Geräusch der Ebbe zwischen den Pfeilern dahin starb, wie das Waschen der See zur Zeit derselben. Ein von seinem Liebhaber hart bedrängtes Mädchen rief schamlos: »O, geh fort, du Bestie!«, während der Luftzug, welcher den Nebel auseinandergejagt, den schwarzen Rauch eines Flußdampfers, der unten an der Mauer lag, in Dicks Gesicht trieb. Er wurde einen Augenblick geblendet, drehte sich um und fand sich dem Gesichte von – Maisie gegenüber.

Es war kein Irrtum. Die Jahre hatten das Kind in eine Frau umgewandelt, aber nicht die dunkelgrauen Augen, die dünnen roten Lippen, den festgeschnittenen Mund und das Kinn verändert, und damit alles so wäre wie früher, so trug sie auch noch einen eng anschließenden grauen Anzug. Dick machte einen Schritt vorwärts und rief »Hallo!« nach Art der Schulknaben, worauf Maisie erwiderte: »O, Dick, sind Sie das?« Dann klopfte – unwillkürlich und bevor sein Gehirn Zeit gefunden hatte, von dem Gedanken an seine Bilanz in der Bank sich loszureißen und den Nerven zu gebieten – jeder Puls in Dicks Körper mächtig und der Gaumen wurde ihm trocken im Munde. Der Nebel schloß sich wieder; Maisies Gesicht erschien perlenweiß in demselben. Sie sprachen kein Wort, doch Dick ging neben ihr über das Trottoir der Brücke, vollkommen Schritt mit ihr haltend, gerade wie bei ihren nachmittäglichen Spaziergängen nach den Schlammbänken. Dann fragte Dick etwas heiser:

»Was ist aus Amomma geworden?«

»Sie ist gestorben, Dick. Nicht an den Patronen. Sie hatte zu viel gefressen. Sie war immer so gefräßig. Ist es nicht komisch?«

»Ja. Nein. Meinen Sie Amomma?«

»Ja. Nein. Dieses hier. Woher sind Sie gekommen?«

»Von dort her.« Er zeigte durch die Nebel nach Osten. »Und Sie?«

»O, ich wohne im Norden – dem schwarzen Norden, durch den ganzen Park hin. Ich bin sehr beschäftigt!«

»Was thun Sie?«

»Ich male sehr viel. Das ist alles, was ich zu thun habe.«

»Was, wie ist denn das gekommen? Sie hatten dreihundert jährlich.«

»Ich habe sie noch. Ich male; das ist alles.«

»Sind Sie denn allein?«

»Ein Mädchen lebt bei mir. Gehen Sie nicht so schnell, Dick; Sie sind aus dem Tritt gekommen.«

»Bemerkten Sie das denn?«

»Natürlich. Sie kamen immer aus dem Tritt.«

»Das ist wahr; thut mir leid. Sie malen immer noch?«

»Gewiß. Ich sagte ja, ich müßte. Ich war bei Slade, dann bei Merton in St. Johns-Word, dem großen Atelier, dann kam ich in die Nationalgalerie, und jetzt arbeite ich unter Kami.«

»Aber Kami befindet sich doch gewiß in Paris?«

»Nein; er hat sein Lehratelier in Vitry-sur-Marne. Ich arbeite bei ihm im Sommer, während des Winters lebe ich in London. Ich bin eine gute Haushälterin.«

»Verkaufen Sie viel?«

»Hin und wieder, aber nicht häufig. Da ist mein Omnibus; ich muß ihn nehmen, oder ich verliere eine halbe Stunde. Leben Sie wohl, Dick.«

»Adieu, Maisie. Wollen Sie mir nicht sagen, wo Sie wohnen? Ich muß Sie wieder sehen; vielleicht kann ich Ihnen helfen. Ich – ich male selbst ein wenig.«

»Ich werde vielleicht morgen im Park sein, wenn es kein gutes Licht zum Malen ist. Ich gehe gewöhnlich vom Marmorbogen herunter und wieder zurück; das ist mein kleiner Spaziergang. Natürlich werde ich Sie wieder sehen.« Sie stieg in den Omnibus und war bald im Nebel verschwunden.

»Nun – ich – bin – verdammt!« rief Dick aus, und kehrte nach Hause zurück.

Torpenhow und Nilghai fanden ihn auf den Stufen zur Atelierthüre sitzend und jene Worte mit furchtbarem Ernste wiederholend.

»Sie werden noch mehr verdammt sein, wenn ich mit Ihnen fertig bin,« sagte Nilghai, seinen kolossalen Umfang hinter Torpenhows Schulter aufrichtend und ein Blatt von einem halbtrocknen Manuskripte hin und her wehend. »Dick, es ist allgemein bekannt, daß Sie an einem angeschwollenen Kopfe leiden.«

»Hallo, Nilghai! Wieder zurück? Wie steht es mit dem Balkan und all den kleinen Balkanen? Die eine Seite Ihres Gesichts ist, wie gewöhnlich, darauf aus, etwas zu entwerfen.«

»Kümmern Sie sich nicht darum. Ich bin beauftragt, Sie gedruckt zu züchtigen. Torpenhow weigert sich aus falschem Schamgefühl. Ich habe mir den Schund in Ihrem Atelier ungesehen; derselbe ist einfach schmachvoll.«

»Oho! Ist es das? Wenn Sie glauben, Sie können mich heruntermachen, so irren Sie sich. Sie können nur beschreiben, und brauchen auf dem Papier so viel Raum sich umzuwenden, wie ein P. und O. Frachtschiff. Aber fahren Sie fort und fassen Sie sich kurz; ich will zu Bett gehen.«

»Hm, hm! Der erste Teil beschäftigt sich nur mit Ihren Bildern. Hier ist der Schluß: ›Für eine ohne Ueberzeugung ausgeführte Arbeit, für ein an Trivialitäten verschwendetes Talent, für leichtfertig verwendete Mühe in der Absicht, den Beifall eines von der Mode beherrschten Publikums zu gewinnen –‹«

»Das ist ›Sein letzter Schuß‹, zweite Ausgabe. Fahren Sie fort.«

»›– zu gewinnen, da gibt es nur ein Ende, – die Vergessenheit, welcher Duldung vorausgeht und die Verachtung folgt. Mr. Heldar muß noch beweisen, daß er dieser Gefahr nicht ausgesetzt ist.‹«

»Wau–wau–wau–wau!« rief Dick aus. »Es ist ein ungeschickter Schluß und gemeine Journalistik, aber es ist ganz wahr. Und dennoch,« dabei sprang er auf und griff nach dem Manuskripte, »Sie benarbter, liederlicher, abgenutzter alter Gladiator! Sie werden, wenn ein Krieg ausbricht, fortgeschickt, um den bestialischen Blutdurst des blinden, rohen britischen Publikums zu befriedigen. Man hat jetzt keine Arenas mehr, aber man muß Spezialkorrespondenten haben. Sie sind ein fetter Gladiator, der durch eine Fallthür heraufkommt und über das spricht, was er gesehen hat. Sie stehen genau auf demselben Niveau wie ein energischer Bischof, eine liebenswürdige Schauspielerin, ein verwüstender Cyklon, oder – mein eignes süßes Selbst. Und Sie nehmen sich heraus, mir über meine Arbeit eine Vorlesung zu halten! Nilghai, wenn es sich der Mühe verlohnte, würde ich Sie in vier Zeitschriften karikiren!«

Nilghai zuckte zusammen; daran hatte er nicht gedacht.

»Ich will dieses Zeug, wie es da ist, nehmen und es in kleine Stückchen zerreißen. – So!« Das Manuskript flog in Fetzen hinunter in das dunkle Treppenhaus. »Gehen Sie nach Hause, Nilghai,« fuhr Dick fort, »gehen Sie heim, in Ihr einsames kleines Bett und lassen Sie mich in Ruhe. Ich will mich bis morgen schlafen legen.«

»Wie, es ist noch nicht sieben!« rief Torpenhow erstaunt aus.

»Es soll zwei Uhr morgens sein, wenn es mir so beliebt,« erwiderte Dick, sich mit dem Rücken an die Atelierthür lehnend. »Ich habe mit einer ernsten Krisis zu ringen und bedarf keines Mittagessens.«

Die Thür flog zu und wurde abgeschlossen.

»Was kann man mit einem solchen Menschen anfangen?« bemerkte Nilghai.

»Ihn allein lassen. Er ist verrückt, wie ein Hutmacher.«

Um elf Uhr wurde an die Thüre des Ateliers geklopft.

»Ist der Nilghai noch bei Ihnen?« fragte eine Stimme im Zimmer. »Dann sagen Sie ihm, er hatte seinen ganzen langweiligen Unsinn in ein Epigramm zusammenfassen können: ›Nur der Freie ist gebunden, und nur der Gebundene ist frei.‹ Sagen Sie ihm, er wäre ein Idiot, Torp, und ich ein zweiter.«

»Sehr richtig. Kommen Sie heraus und verzehren Sie Ihr Nachtessen. Sie rauchen bei einem leeren Magen.«

Es erfolgte keine Antwort.


 << zurück weiter >>