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Siebentes Kapitel.

Das Meer hatte sich in der That nicht verändert. Das Wasser stand niedrig auf den Schlammbänken und die Glocken-Boje von Marazion klang und schwang sich in der Strömung der Ebbe. Auf dem weißen Sande am Strande zitterten und nickten sich vertrocknete Stiele von Seemohn einander zu.

»Ich sehe nicht den alten Wellenbrecher,« sagte Maisie. »Lassen Sie uns dankbar für das viele sein, was wir noch haben. Ich glaube nicht, daß man ein einziges neues Geschütz im Fort aufgestellt hat, seitdem wir hier waren. Kommen Sie, wir wollen nachsehen.«

Sie gelangten auf das Glacis von Fort Keeling und setzten sich in einem vor dem Winde geschützten Winkel unter der geleerten Mündung einer vierzigpfundigen Kanone.

»Wenn jetzt doch Amomma hier wäre!« rief Maisie aus.

Beide schwiegen längere Zeit; dann nahm Dick Maisies Hand und sprach ihren Namen aus.

Sie schüttelte den Kopf und blickte auf die See hinaus.

»Maisie, mein Liebling, macht es gar keinen Unterschied?«

»Nein!« erwiderte sie die Zähne zusammenbeißend. »Ich – ich würde es Ihnen sagen, wenn es der Fall wäre, aber das ist es nicht. O, Dick, ich bitte Sie, seien Sie vernünftig.«

»Glauben Sie nicht, daß es jemals geschehen wird?«

»Nein, ich bin fest überzeugt davon.«

»Weshalb?«

Maisie ließ ihr Kinn auf der Hand ruhen und sprach rasch, ihre Augen auf die See gerichtet:

»Ich weiß ganz genau, was Sie wünschen, aber ich kann es Ihnen nicht geben, Dick. Es ist nicht meine Schuld, wirklich nicht. Wenn ich fühlte, daß ich irgend jemand lieb haben könnte – aber das ist nicht der Fall. Ich verstehe einfach nicht, was ein solches Gefühl bedeutet.«

»Ist das wahr, Teuerste?«

»Sie sind so gut gegen mich gewesen, Dickie, und die einzige Möglichkeit, wie ich Ihnen dafür danken kann, ist, daß ich die Wahrheit spreche. Ich würde es nicht wagen, eine Lüge auszusprechen. Ich verachte mich selbst schon genug, daß es so ist.«

»Weswegen nur, um aller Welt willen?«

»Weil – weil ich alles von Ihnen annehme, was Sie mir geben, ohne Ihnen das geringste zurückzugeben. Es ist niedrig und selbstsüchtig von mir und quält mich, wenn ich daran denke.«

»Merken Sie sich ein für allemal, daß ich meine eigenen Angelegenheiten leiten kann, und wenn es mir gefällt, irgend etwas zu thun, so sind Sie deswegen nicht zu tadeln. Sie haben sich nicht das mindeste vorzuwerfen, Liebling.«

»Ja, ich habe es wohl; schon das Reden darüber macht es schlimmer.«

»Dann sprechen Sie doch nicht davon.«

»Wie kann ich es denn ändern? Sowie Sie mich eine Minute allein antreffen, sprechen Sie immer darüber, und ist das nicht der Fall, so liegt es in Ihren Mienen. Sie wissen gar nicht, wie sehr ich mich zuweilen verachte.«

»Großer Gott!« rief Dick aus, fast aufspringend. »Reden Sie jetzt die Wahrheit, Maisie, sollten Sie dieselbe auch nie wieder reden! Belästige ich Sie oder diese Quälerei?«

»Nein, durchaus nicht.«

»Wollen Sie mir es sagen, wenn es der Fall ist?«

»Ich glaube, daß ich es Sie wissen lassen würde.«

»Ich danke Ihnen. Die andere Sache ist verhängnisvoll. Aber Sie müssen lernen, einem Manne zu verzeihen, wenn er liebt; er ist dann stets lästig. Sie müssen das kennen gelernt haben?«

Maisie hielt diese letzte Frage nicht einer Antwort wert, so daß Dick genötigt war, dieselbe zu wiederholen.

»Natürlich gab es noch andere Männer. Sie plagten mich immer gerade dann, wenn ich mitten in meiner Arbeit war und zwangen mich, ihnen zuzuhören.«

»Hörten Sie zu?«

»Anfänglich wohl, doch sie konnten nicht begreifen, weshalb ich mich gar nicht um sie kümmerte. Gewöhnlich lobten sie meine Bilder, und ich glaubte, sie meinten es aufrichtig, so daß ich stolz auf ihr Lob wurde und es Kami erzählte, doch dieser – ich vergesse das niemals – lachte mich einmal aus.«

»Es gefällt Ihnen nicht besonders, ausgelacht zu werden, Maisie, nicht wahr?«

»Ich hasse es. Ich habe nie über andere Leute gelacht, außer – außer wenn sie schlechte Arbeit gemacht. Dick, sagen Sie mir ehrlich, was halten Sie von meinen Bildern im allgemeinen, von allen, die Sie gesehen haben?«

»Rechtschaffen, rechtschaffen, ganz rechtschaffen!« erwiderte Dick mit einem Stichworte aus früherer Zeit.

»Erzählen Sie mir, was Kami gesagt.«

Maisie zögerte. »Er – er sagte, es läge Gefühl in ihnen.«

»Wie können Sie mir nur eine solche Lüge erzählen? Denken Sie daran, daß ich zwei Jahre bei Kami gelernt habe. Ich weiß ganz genau, was er sagte.«

»Es ist keine Lüge.«

»Es ist noch schlimmer, es ist die halbe Wahrheit. Kami sagte, den Kopf auf eine Seite legend, – so – › Il y a du sentiment, mais n'y a pas de parti pris.‹« Dabei schnarrte Dick das »r« so drohend heraus, wie Kami es zu thun pflegte.

»Ja, das hat er gesagt; ich fange an zu glauben, daß er recht hat.«

»Gewiß hat er das.« Dick fügte hinzu, daß zwei Leute auf der Welt weder unrecht handeln noch sprechen könnten. Kami sei der eine Mann.

»Und Sie sagen jetzt dasselbe. Es ist so entmutigend.«

»Es thut mir leid, aber Sie baten mich, die Wahrheit zu sagen. Außerdem liebe ich Sie viel zu sehr, um mir ein Urteil über Ihre Arbeit anzumaßen. Dieselbe ist tüchtig, mitunter fleißig – nicht immer, – zuweilen liegt auch Talent darin, doch kann man keinen besondern Grund herausfinden, weshalb sie überhaupt ausgeführt worden ist. Wenigstens ist es das, was ich dabei empfunden habe.«

»Es gibt für nichts einen besondern Grund, weshalb es je gemacht worden ist. Sie wissen das eben so gut wie ich. Ich brauche allein Erfolg.«

»Dann haben Sie den falschen Weg eingeschlagen, ihn zu erlangen. Hat Kami Ihnen das nie gesagt?«

»Reden Sie nicht von Kami zu mir; ich will wissen, was Sie denken. Meine Arbeit taugt nichts, um damit zu beginnen.«

»Das habe ich nicht gesagt, und denke es auch nicht.«

»Nun, dann ist es Dilettantenarbeit.«

»Das ist sie ganz bestimmt nicht. Sie sind ein fleißiges Mädchen, Liebling, durch und durch, und ich achte Sie deswegen sehr hoch.«

»Sie lachen nicht über mich hinter meinem Rücken?«

»Nein, meine Teure; Sie sehen, daß Sie mir mehr sind, als irgend sonst jemand. Nehmen Sie diesen Mantel um, oder Sie werden sich erkälten.«

Maisie hüllte sich in den sanften Marderpelz, das graue Känguruhfell nach außen wendend.

»Das ist köstlich,« sagte sie, ihr Kinn gedankenvoll an dem Pelzwerk reibend. »Nun? weshalb habe ich unrecht, wenn ich versuche, ein wenig Erfolg zu erreichen?«

»Gerade, weil Sie es versuchen. Verstehen Sie mich nicht, Liebling? Gute Arbeit hat nichts damit zu schaffen, – gehört nicht zu der Person, die sie ausführt. Das muß von außen kommen.«

»Aber wie wirkt das –«

»Warten Sie eine Minute. Alles, was wir thun können, ist, zu lernen, wie wir unser Werk ausführen müssen, die Meister unserer Stoffe zu sein, nicht die Diener, und uns nie vor etwas fürchten.«

»Das verstehe ich.«

»Alles übrige kommt von außen her. Wenn wir uns ruhig hinsetzen, um die Eindrücke auszuarbeiten, die wir empfangen, so können wir kaum etwas thun, was schlecht ist. Sehr viel hängt davon ab, die Steine und den Mörtel des Handwerks als Meister zu handhaben. Aber sowie wir dabei an den Erfolg und die Wirkung unsres Werkes zu denken beginnen – mit einem Auge nach der Galerie zu liebäugeln – verlieren wir Fähigkeit, Strich und alles übrige. Wenigstens habe ich es so gefunden. Anstatt ruhig zu sein und alles Talent, das man besitzt, auf die Arbeit zu verwenden, regt man sich über etwas auf, das man keinen Augenblick fördern noch verhindern kann. Sehen Sie das ein?«

»Für Sie ist es so leicht, in dieser Weise zu sprechen. Dem Publikum gefällt, was Sie malen. Denken Sie dabei niemals an die Galerie?«

»Viel zu oft, aber ich bin stets dafür durch den Verlust an Fähigkeit bestraft worden. Es ist das so einfach, wie die Regeldetri. Wenn wir unsere Arbeit zu leicht nehmen, indem wir dieselbe zu unseren Zwecken benützen, so wird unser Werk es auch leicht mit uns nehmen, und da wir die schwächeren sind, werden wir darunter zu leiden haben.«

»Ich habe meine Arbeit nie leichtsinnig aufgefaßt; Sie wissen, daß dieselbe alles für mich ist.«

»Natürlich; aber, ob Sie sich nun dessen bewußt sind oder nicht, Sie machen zwei Pinselstriche für sich selbst gegen einen für Ihr Werk. Es ist nicht Ihre Schuld, Liebling; ich thue genau dasselbe und weiß, daß ich es thue. Die meisten französischen Schulen, und sämtliche Schulen hier, halten die Schüler dazu an, um ihres eignen Kredits und ihres eigenen Stolzes willen zu arbeiten. Man sagte mir, alle Welt interessire sich für meine Arbeiten und lobte mich bei Kami, so daß ich ganz aufrichtig glaubte, die Welt bedürfe der Erhebung und der Beeinflussung, sowie aller Arten Unverschämtheiten durch meine Pinsel. Beim Himmel, ich glaubte das wirklich! Wenn mir mein schwacher Kopf zerbarst bei der Erkenntnis, daß ich nichts ausführen könne, weil es mir an hinreichender Kenntnis meines Handwerks fehlte, lief ich gewöhnlich umher, mich über meine eigene Herrlichkeit verwundernd und über meine Bereitwilligkeit, die Welt in Erstaunen zu versetzen.«

»Aber sicherlich kann man das zuweilen thun?«

»Sehr selten mit Ueberlegung, mein Liebling. Und wenn es geschieht, so ist es so ein winziges Ding, während die Welt so groß ist und doch nur ein millionster Teil derselben sich darum kümmert. Maisie, kommen Sie mit mir, ich will Ihnen etwas von der Größe der Welt zeigen. Man kann das Arbeiten ebenso wenig entbehren als das Essen, – das geht ganz von selbst, – aber man kann versuchen, einzusehen, für was man arbeitet. Ich kenne solche kleine himmlischen Plätze, wohin ich Sie mitnehmen könnte, – unter der Linie verstreute Eilande. Man erblickt sie, nachdem man sich wochenlang durch das Wasser gearbeitet hat, das so schwarz wie schwarzer Marmor ist, weil es eine solche Tiefe hat, während man vorn im Bug sitzt und die Sonne aufgehen sieht, die fast erschrocken ist über diese einsamen Meere.«

»Wer ist erschrocken? Sie, oder die Sonne?«

»Die Sonne, natürlich. Es gibt dort Geräusche unter dem Wasser und Töne oben in der Luft. Dann findet man die Insel belebt von feuchtheißen Orchideen, die gegen einen den Mund aufsperren und alles thun können, nur nicht sprechen. Da gibt es einen dreihundert Fuß hohen Wasserfall, gerade wie ein Vorhang aus grüner Seide mit Silber besetzt, während Millionen von Bienen oben in den Felsen leben; man hört, wie die fetten Kokosnüsse von den Palmen fallen, und befiehlt einem elfenbeinweißen Diener, eine lange gelbe Hängematte mit Quasten, wie reifer Mais, aufzuhängen, man streckt die Füße aus, hört die Bienen summen und das Wasser fallen, bis man einschläft.«

»Kann man dort arbeiten?«

»Gewiß. Man muß stets irgend etwas thun. Man hängt seine Leinwand an einem Palmenbaume auf und läßt die Papageien kritisiren. Wenn sie sich balgen, wirft man einen reifen Eiercrêmeapfel nach ihnen, der in einen Schaum von Crême zerplatzt. Es gibt dort Hunderte solcher Plätze. Kommen Sie mit und sehen Sie sich dieselben an.«

»Mir gefällt jener Platz durchaus nicht. Es klingt so träge. Erzählen Sie mir nun einem andern.«

»Wie denken Sie über eine große, rote, tote Stadt, ganz aus rotem Sandstein erbaut, zwischen dem rauhe grüne Aloë wachsen, verlassen auf honigfarbigem Sande liegend? Dort befinden sich vierzig tote Könige, Maisie, ein jeder in einem prächtigen Grabmale, eins immer schöner als das andere. Man blickt auf Paläste, Straßen, Läden und Zisternen, und denkt, daß Menschen dort leben müßten, bis man ein winziges graues Eichhörnchen sieht, das ganz allein seine Nase auf dem Marktplatze reibt, während ein wie Juwelen schimmernder Pfau aus einem geschnitzten Thorweg stolzirt und seinen Schwanz gegen ein marmornes Sieb ausbreitet, das so fein wie Spitzen durchbrochen ist. Dann wandert ein Affe, – ein kleiner schwarzer Affe – über den Hauptplatz, um aus einer vierzig Fuß tiefen Zisterne zu trinken; er gleitet an den Schlingpflanzen bis zum Wasserspiegel hinunter, während ein Freund ihn am Schwanze festhält, im Falle er hineinstürzen sollte.«

»Ist das alles wahr?«

»Ich bin dort gewesen und habe es gesehen. Der Abend kommt, das Licht wechselt, bis es gerade so ist, als ob man mitten in einem großen Opal stände. Etwas vor Sonnenuntergang, so pünktlich wie ein Uhrwerk, trabt ein großer, borstiger wilder Eber, gefolgt von seiner Familie, durch das Thor der Stadt, den Schaum von seinen Hauern schüttelnd. Man klettert auf die Schulter eines blinden Gottes aus schwarzem Stein und beobachtet, wie das Schwein sich einen Palast für die Nacht aussucht und, mit dem Schwanz wackelnd, hineintappt. Darauf erhebt sich der Nachtwind, der Sand bewegt sich und man hört die Wüste außerhalb der Stadt ertönen: ›Jetzt lege ich mich zum Schlafen nieder,‹ und alles ist finster, bis der Mond aufgeht. Teure Maisie, kommen Sie mit mir und sehen Sie, wie die Welt wirklich ist. Sie ist sehr lieblich und ist auch ebenso schrecklich – aber ich würde Sie nichts Schreckliches sehen lassen, – und weder Ihr noch mein Leben würde sich um Bilder oder sonst etwas kümmern, ausgenommen um unsere eigne Arbeit und unsere Liebe. Kommen Sie, ich werde Ihnen zeigen, wie man Sangaree braut und eine Hängematte aufschlingt, und – o, tausend andere Dinge; Sie werden dann selbst sehen, was Farben bedeuten, und wir werden zusammen erfahren, was Liebe bedeutet, dann wird es uns vielleicht vergönnt sein, gute Arbeiten zu machen. Kommen Sie mit!«

»Weshalb?« fragte Maisie.

»Wie können Sie etwas leisten, bevor Sie nicht alles gesehen haben, oder doch so viel als Ihnen möglich ist. Außerdem, mein Liebling, liebe ich Sie. Kommen Sie fort mit mir. Sie haben hier nichts zu schaffen, Sie gehören hier nicht her; Sie sind eine halbe Zigeunerin, – Ihr Gesicht sagt das; und ich – schon der Geruch des offenen, weiten Wassers macht mich ruhelos. Kommen Sie mit über das Meer und werden Sie glücklich!«

Er hatte sich erhoben und stand im Schatten der Kanone, während er auf das Mädchen herabsah. Der kurze Winternachmittag war verstrichen und der Wintermond wanderte über die ruhige See, bevor sie es wußten. Lange, regelmäßige Linien von Silber zeigten, wo ein Kräuseln der wachsenden Flut über die Schlammbänke lief. Der Wind hatte sich gelegt, in der vollständigen Stille konnten sie hören, wie ein Esel das gefrorene Gras, viele Ellen entfernt, abrupfte. Ein schwacher Schlag, wie der einer gedämpften Trommel, ertönte aus dem vom Monde beschienenen Nebel.

»Was ist das?« fragte Maisie rasch. »Es klingt wie Herzklopfen. Wo ist es?«

Dick war so zornig über diese plötzliche Unterbrechung seines Vortrags, daß er sich nicht getraute gleich zu sprechen, und hörte während dieses Schweigens ebenfalls den Ton. Maisie beobachtete ihn, von ihrem Sitze unter der Kanone aus, mit einer gewissen Furcht. Sie wünschte so sehr, daß er vernünftig sein und aufhören möchte, sie mit überseeischen Dingen zu quälen, die sie verstehen und auch wieder nicht verstehen konnte. Sie war indes auf den Wechsel in seinem Gesichte nicht vorbereitet, als er lauschte.

»Es ist ein Dampfer,« sagte er, »ein Zwillingsschraubendampfer, nach dem Schlage zu urteilen. Ich kann ihn nicht entdecken, doch muß er sehr nahe bei der Küste sich befinden. Ah!« rief er aus, als der rote Schein einer Rakete durch den Nebel zog, »er hält näher ans Land, um zu signalisiren, bevor er in den Kanal fährt.«

»Ist es ein Wrack?« fragte Maisie, für die diese Worte wie griechisch waren.

Dicks Augen waren auf die See gerichtet. »Ein Wrack! Was für ein Unsinn! Er meldet sich nur an. Eine rote Rakete vorwärts – jetzt ist ein grünes Licht hinten und zwei rote Raketen von der Kommandobrücke.«

»Was bedeutet das?«

»Es ist das Signal der Croß-Keys-Linie, die nach Australien fährt. Ich bin neugierig, welcher Dampfer es ist.«

Der Klang seiner Stimme war verändert; er schien mit sich selbst zu sprechen, was Maisie nicht besonders gefiel. Das Mondlicht brach einen Augenblick durch den Nebel, die schwarzen Seiten eines langen Dampfers streifend, der sich den Kanal hinunter arbeitete.

»Vier Masten und drei Schornsteine, – er hat viel Tiefgang; das muß der ›Barralong‹ oder der ›Bhutia‹ sein. Nein, der Bhutia hat einen Klipperbug, es ist der Barralong nach Australien. In einer Woche wird er das Kreuz des Südens über sich haben – glücklicher alter Kasten! – o, du glücklicher alter Kasten!«

Er starrte gespannt auf den Dampfer und ging die Böschung des Forts hinauf, um einen besseren Ausblick zu haben, doch verdichtete sich der Nebel auf der See wieder, während der Schlag der Schraube schwächer wurde. Maisie rief ihm ärgerlich etwas zu, worauf er sich umwandte, die Augen noch immer seewärts gerichtet. »Haben Sie jemals das Kreuz des Südens über Ihrem Kopfe aufflammen sehen?« fragte er. »Es ist herrlich!«

»Nein!« erwiderte sie kurz, »und ich verlange auch gar nicht darnach. Wenn Sie dasselbe für so entzückend halten, weshalb gehen Sie denn nicht hin und betrachten es selbst?«

Sie lichtete ihr Gesicht aus der sanften Schwärze des Marderpelzes um ihren Hals empor, während ihre Augen wie Diamanten leuchteten. Das Mondlicht fiel auf den grauen Känguruhpelz und verwandelte denselben in gefrorenes Silber.

»Beim Himmel, Maisie, Sie sehen wie ein kleines heidnisches, hieher verschlagenes Idol aus.« Ihre Augen zeigten, daß ihr dieses Kompliment nicht besonders gefiel. »Es thut mir leid,« fuhr er fort. »Es ist nicht der Mühe wert, das Kreuz des Südens zu betrachten, wenn man niemand hat, der einem dabei hilft. Jener Dampfer ist außer Hörweite gekommen.«

»Dick,« sagte sie ruhig, »nehmen Sie an, ich wäre jetzt zu Ihnen gekommen – seien Sie eine Minute still – gerade wie ich bin, und hätte Sie lieb, gerade so viel, wie es wirklich der Fall ist.«

»Doch nicht etwa wie einen Bruder? Sie sagten damals im Park, das thäten Sie nicht.«

»Ich hatte niemals einen Bruder. Nehmen Sie an, ich sagte: Führen Sie mich zu jenen Plätzen und mit der Zeit könnte ich Sie vielleicht wirklich lieben, was würden Sie dann thun?«

»Sie in einem Kabriolet direkt dorthin schicken, woher Sie gekommen sind. Nein, das würde ich nicht thun, sondern Sie zu Fuß gehen lassen. Aber Sie würden es nicht thun können, Teure, und ich möchte nicht das Wagnis auf mich nehmen. Sie sind es wert, daß man wartet, bis Sie ohne Vorbehalt kommen können.«

»Glauben Sie das aufrichtig?«

»Ich habe eine unbestimmte Idee, daß ich es glaube. Ist es Ihnen nie in diesem Lichte erschienen?«

»O – ja. Ich komme mir deswegen so schlecht vor.«

»Schlechter als gewöhnlich?«

»Sie wissen gar nicht, was ich alles denke; es ist fast zu abscheulich, um es sagen zu können.«

»Denken Sie nicht daran. Sie versprachen mir ja, die Wahrheit zu sagen.«

»Es ist so sehr undankbar von mir, aber – aber, obschon ich weiß, wie gern Sie mich haben und ich Sie sehr gern um mich habe, so – so würde ich Sie dennoch aufopfern, wenn ich dadurch erreichte, wonach ich verlange.«

»Mein armer kleiner Liebling! Ich kenne diesen Gemütszustand; derselbe führt zu keiner guten Arbeit.«

»Sie sind nicht böse? Bedenken Sie, daß ich mich selbst verabscheue.«

»Ich fühle mich nicht gerade besonders geschmeichelt – ich hatte wohl etwas mehr erwartet, – aber ich bin nicht böse. Ihretwegen thut es mir leid. Sie hätten vor Jahren eine solche Kleinlichkeit von sich abwerfen sollen.«

»Sie haben kein Recht, mich zu beschützen! Ich brauche nur das, wofür ich seit so langer Zeit gearbeitet habe. Sie erlangten es ohne viel Mühe, und – und ich glaube nicht, daß das ehrlich ist.«

»Was kann ich dabei thun? Ich würde zehn Jahre meines Lebens dafür hingeben, könnte ich Ihnen verschaffen, was Sie gebrauchen; aber ich kann Ihnen nicht helfen, durchaus nicht.«

Maisie murmelte einige widersprechende Worte.

Er fuhr fort: »Nach dem, was Sie mir soeben gesagt, weiß ich, daß Sie auf dem falschen Wege zum Erfolge sich befinden. Man erlangt denselben nicht, indem man andere Leute aufopfert – ich habe das häufig in mir unterdrückt; Sie müssen sich selbst aufopfern und unter strenger Aufsicht leben, niemals an sich selbst denken und nie wirkliche Befriedigung über Ihre Arbeit fühlen, ausgenommen im Augenblicke des Beginnens, nachdem Sie einen Gedanken erfaßt haben.«

»Wie können Sie alles das glauben?«

»Es ist gar nicht die Rede von glauben oder nicht glauben. Das ist das Gesetz und Sie müssen entweder dasselbe befolgen oder es von der Hand weisen, wie es Ihnen beliebt. Ich versuche, ihm zu gehorchen, aber ich kann es nicht, und dann wird unter den Händen meine Arbeit schlecht. Ich weiß, daß unter solchen Umständen vier Fünftel der Arbeiten eines jeden schlecht ausfallen müssen. Aber der Rest ist der Mühe wert, die man darauf verwendet hat.«

»Ist es denn nicht hübsch, auch für schlechte Arbeit Ruf zu erlangen?«

»Es ist viel zu hübsch. Aber – Darf ich Ihnen etwas erzählen? Es ist keine hübsche Erzählung, aber Sie sind in vieler Beziehung wie ein Mann, daß ich mich ganz vergesse, wenn ich mit Ihnen spreche.«

»Erzählen Sie.«

»Einst, als ich draußen im Sudan war, kam ich an eine Stelle, wo wir vor drei Tagen ein Gefecht gehabt; es lagen zwölfhundert Tote dort, da wir keine Zeit gehabt, sie zu begraben.«

»Wie gräßlich!«

»Ich war mit einer großen Skizze beschäftigt und neugierig, was die Leute zu Hause von derselben halten wurden. Der Anblick dieses Schlachtfeldes lehrte mich sehr viel; dasselbe glich genau einem Beete von schrecklichen Giftpilzen in allen Farben, und niemals hatte ich Menschen in solchen Massen zu ihrem Ursprunge zurückkehren gesehen. Da begriff ich, daß Männer und Weiber nur Material sind, mit welchem man arbeiten muß und alles, was dieselben sagten oder thaten, ohne jeden Belang sei, Sehen Sie das ein? Um mich genauer auszudrücken, so können Sie ebenso gut Ihr Ohr auf die Palette herniederbeugen, um zu hören, was Ihre Farben Ihnen sagen.«

»Dick, das ist abscheulich!«

»Warten Sie eine Minute. Ich sagte, um mich genauer auszudrücken: Unglücklicherweise muß ein jeder entweder ein Mann oder eine Frau sein.«

»Ich bin froh, daß Sie das wenigstens zugeben.«

»In Ihrem Falle thue ich es nicht. Sie sind keine Frau. Aber gewöhnliche Leute, Maisie, müssen sich als solche benehmen und arbeiten. Das macht mich eben so wild.«

Er schleuderte einen Kiesel ins Wasser, als er gesprochen.

»Ich weiß, daß es nicht meine Sache ist, mich um das zu kümmern, was die Leute sagen; ich kann einsehen, daß es meine Leistungen, meine Eigentümlichkeit verdirbt, wenn ich auf sie höre, und dennoch, – hol der Henker sie alle –,« ein zweiter Kiesel flog seewärts, »ich muß weiter, wenn ich auf den richtigen Weg gedrängt werde. Gerade wenn ich auf der Stirn eines Mannes sehen kann, daß er seine Lügen durch eine Menge schöner Redensarten verbirgt, so machen mich diese Lügen dennoch glücklich und spielen mir das Unheil in die Hand.«

»Und wenn der Mann keine schönen Redensarten macht?«

»Dann, meine Geliebte –« sagte Dick lächelnd, »vergesse ich, daß ich der Verwalter dieser Talente bin, und ich fühle das Verlangen, dem Manne die Liebe und Anerkennung für meine Arbeit mit einem dicken Stocke beizubringen. Es ist überhaupt zu demütigend; aber ich glaube, wenn jemand ein Engel wäre und malte menschliche Wesen ganz nach dem äußeren Eindrucke, so würde man im Strich verlieren, was man im Auffassen gewinnt.«

Maisie lachte bei der Idee, sich Dick als einen Engel vorzustellen.

»Sie scheinen demnach zu glauben,« sagte sie, »daß alles Angenehme, Hübsche Ihre Hand verdirbt.«

»O nein. Es ist die Regel, das Gesetz – gerade ebenso wie es bei Mrs. Jennet der Fall war. Alles, was niedlich ist, verdirbt Ihre Hand. Es freut mich, daß Sie das so klar sehen.«

»Ich liebe diese Ansicht nicht.«

»Auch ich nicht. Wenn man aber seine Aufträge erhalten hat, was kann man dann thun? Sind Sie stark genug, allein stand zu halten?«

»Ich denke, ich muß.«

»Lassen Sie mich Ihnen helfen, mein Liebling. Wir können einer den andern stützen und versuchen, geradeaus zu gehen. Wir werden schrecklich stolpern, aber es wird immer besser sein, als wenn jeder für sich allein strauchelt. Maisie, können Sie das Vernünftige davon nicht einsehen?«

»Ich glaube nicht, daß wir mit einander vorwärts gehen können. Wir würden zwei von demselben Geschäfte sein und niemals übereinstimmen.«

»Wie gern möchte ich den Mann antreffen, der dieses Sprichwort gemacht hat! Er lebte gewiß in einer Höhle und aß rohe Beeren. Ich würde ihn an den Spitzen seiner eignen Pfeile kauen lassen. Nun?«

»Ich würde mit Ihnen nur halb verheiratet sein. Ich würde mich wegen meiner Arbeiten quälen und plagen, gerade wie jetzt. Von sieben Tagen würde ich vier nicht dazu fähig sein.«

»Sie reden, als ob sonst kein Mensch auf der Welt gewöhnt sei, den Pinsel zu führen. Glauben Sie etwa, daß ich dieses Gefühl des Quälens und Aengstigens nicht kenne? Sie sind glücklich, wenn Sie dasselbe nur vier Tage von sieben haben. Was würde das für einen Unterschied machen?«

»Einen sehr großen, wenn Sie dieses Gefühl ebenfalls hätten.«

»Ja, aber ich würde es respektiren. Ein anderer thäte es vielleicht nicht; er würde Sie auslachen. Aber es hat ja gar keinen Zweck darüber zu sprechen; wenn Sie glauben, daß Sie in dieser Weise mich noch nicht lieben können.«

Die Flut hatte inzwischen die Schlammbänke beinahe vollständig bedeckt und zwanzig kleine Wellen brachen sich am Strande, bevor es Maisie beliebte zu sprechen. »Dick,« sagte sie langsam, »ich glaube wirklich, daß Sie viel besser sind als ich.«

»Das scheint sich nicht auf unsre Angelegenheit zu beziehen – aber was meinen Sie damit?«

»Ich weiß es nicht genau, doch jedenfalls besser in dem, was Sie über Arbeit und andere Dinge sagten; und dann sind Sie auch so geduldig. Ja, wirklich, Sie sind besser als ich.«

Dick vergegenwärtigte sich rasch das Traurige im Leben eines Mannes, der Schiffbruch mit seinen Hoffnungen gelitten, und erblickte nichts darin, was ihn mit einem Gefühle von Mut erfüllen konnte. Er hob den Saum des Mantels auf und führte ihn an seine Lippen.

»Wie können Sie Dinge sehen, die ich nicht sehen kann?« sagte Maisie, die so that, als ob sie nichts bemerkt hätte. »Ich glaube nicht, was Sie glauben; aber Sie haben recht, denke ich.«

»Wenn ich irgend etwas gesehen habe, so konnte ich es, weiß Gott, nur für Sie sehen, und es nur Ihnen allein sagen. Vor einer Minute schien Ihnen alles klar zu sein, doch ich handle nicht nach meinen Worten. Sie wollten mir helfen ... Wir beide leben einsam in der Welt, und – und Sie möchten mich gern um sich haben?«

»Natürlich möchte ich das. Ich glaube kaum, daß Sie sich vorstellen können, wie schrecklich einsam ich bin.«

»Ich kann es wohl, mein Liebling.«

»Als ich vor zwei Jahren zuerst das kleine Haus bezog, wanderte ich gewöhnlich in dem Garten auf und nieder und versuchte zu weinen. Ich kann nie weinen. Können Sie es?«

»Es ist einige Zeit her, daß ich es versuchte. Was quälte Sie damals? Ueberanstrengung?«

»Ich weiß es nicht; aber ich träumte immer, daß ich zusammengebrochen wäre, kein Geld hätte und in London verhungern müsse. Ich mußte jeden Tag daran denken und fürchtete mich – o, wie sehr fürchtete ich mich!«

»Ich kenne diese Angst; es ist das schrecklichste von allem; zuweilen weckte sie mich in der Nacht auf. Sie brauchten indes dieselbe nicht kennen zu lernen.«

»Wie wissen Sie das?«

»Das ist einerlei! Sind Ihre dreihundert jährlich sicher?«

»Sie sind in Consols angelegt.«

»Sehr gut. Sollte jemand zu Ihnen kommen und Ihnen eine bessere Kapitalsanlage empfehlen – selbst wenn ich selbst es thäte – so hören Sie gar nicht darauf. Niemals legen Sie das Geld wo anders an und verborgen nie einen Pfennig davon, – selbst nicht dem rothaarigen Mädchen.«

»Zanken Sie nicht so mit mir! Ich bin nicht leicht so thöricht.«

»Die Erde ist voll von Männern, die ihre Seele für dreihundert Pfund jährlich verkaufen würden, während Weiber zu Ihnen kommen, schwatzen und hier eine Fünfpfundnote und dort eine Zehnpfundnote von Ihnen borgen; und eine Frau hat kein Gewissen für Geldschulden. Behalten Sie Ihr Geld für sich, Maisie, denn nichts ist schrecklicher auf der Welt, als arm zu sein in London. Es hat mich genug geängstigt. Beim Himmel, es jagte mir Furcht ein, und unsereins darf sich vor Nichts fürchten.«

Einem jeden Manne ist sein besonderer Schrecken bestimmt, ein Schrecken, der ihn bis zum Verlust seiner Mannhaftigkeit herunterdrückt, wenn er nicht gegen denselben ankämpft. Dicks Erfahrung in Betreff des gemeinen Elendes aus Mangel war tief in sein Gemüt eingedrungen und, damit er nicht zu leicht übermütig werden möge, stand die Erinnerung daran hinter ihm, mit dem Versuche, ihn zu beschämen, wenn Käufer kamen, um seine Bilder zu erwerben. Wenn Nilghai wider seinen Willen zitterte beim Anblick des stillen grünen Wassers eines Sees oder eines Mühlteiches, wenn Torpenhow zurückbebte vor einem weißen Arme, der schlagen und stechen oder ihn für sein Zurückweichen strafen konnte, so fürchtete sich Dick vor der Armut, die er einmal halb aus Scherz gekostet hatte. Sein Schrecken war größer als der seiner Gefährtin.

Maisie beobachtete beim Mondschein sein bewegtes Gesicht. »Sie haben jetzt Geld genug,« sagte sie beruhigend.

»Ich werde nie genug bekommen,« begann er mit häßlichem Nachdruck. Dann fügte er lachend hinzu: »Ich werde immer um drei Pence in meiner Rechnung zu kurz kommen.«

»Weshalb um drei Pence?«

»Ich trug einmal den Reisesack eines Mannes von der Station Liverpool Street nach der Blackfriarsbrücke; es war ein Geschäft für einen Sixpence – Sie brauchen nicht zu lachen, es war wirklich so, und ich hatte das Geld verzweifelt nötig. Er gab mir nur drei Pence und war nicht einmal so anständig, dieselben in Silber zu bezahlen. So viel Geld ich auch verdienen mag, niemals werde ich jene drei Pence aus der Welt schaffen.«

Das war nicht die passende Sprache für einen Mann, der über die Heiligkeit der Arbeit gepredigt halte. Es verletzte Maisie, die es vorzog, ihre Bezahlung in Beifall zu erhalten, der die wahre Belohnung sein mußte, da alle Menschen ihn begehrten. Sie suchte ihre kleine Börse hervor und nahm ganz ernsthaft ein Dreipencestück heraus.

»Da ist es,« sagte sie. »Ich will Sie bezahlen, Dickie; quälen Sie sich nun nicht mehr deswegen, es ist nicht der Mühe wert. Sind Sie bezahlt?«

»Ich bin es,« erwiderte der menschliche Apostel der schönen Künste, das Geldstück annehmend. »Ich bin tausendfältig bezahlt und wir wollen jene Rechnung abschließen. Das Stück soll an meiner Uhrkette hängen; Sie sind ein Engel, Maisie.«

»Ich bin ganz steif und kalt geworden. Mein Mantel ist ganz weiß und Ihr Schnurrbart ebenfalls! Ich fühlte gar nicht, daß es so kalt sei.«

Ein leichter Frostreif hatte sich auf die Schultern von Dicks Ulster gelegt. Er hatte das Wetter ganz vergessen. Sie mußten beide lachen, und mit diesem Gelächter endigte jedes ernste Gespräch.

Sie liefen landeinwärts über die Ebene, um sich zu erwärmen, dann drehten sie sich um und blickten auf die Pracht der vollen Flut im Mondschein und die dichten schwarzen Schatten der Heckensträucher. Es war eine neue Freude für Dick, daß Maisie gerade wie er die Farben sehen konnte, – das Blau in dem Weiß des Nebels, das Violet in den grauen Zaunpfählen und alles übrige, was sich dort befand – nicht von eurer einzigen Schattirung, sondern von tausend Farben. Der Mondschein erhellte Maisies Seele, so daß sie, die gewöhnlich so zurückhaltend war, über sich selbst und alles, was sie interessirte, plauderte, – von Kami, dem weisesten der Lehrer, und den Mädchen im Atelier, – von den Polen, die sich zu Tode arbeiten würden, wenn man sie nicht zurückhielte, von den Franzosen, die viel mehr schwatzten, als sie je ausführen würden, von den nachlässigen Engländern, die sich hoffnungslos abmühen und nicht begreifen können, daß Neigung nicht auch Talent mit sich bringt, von den Amerikanern, deren raspelnde Stimmen in der Stille eines heißen Nachmittags abgespannte Nerven zum Zerspringen bringen können und deren Nachtessen zu Indigestionen führt, von stürmischen Russen, die weder zu halten noch zu binden sind und den Mädchen Geistergeschichten erzählen, bis dieselben kreischen, von steifen Deutschen, die kommen, um eine einzige Sache zu lernen, und, sobald sie dieselbe bemeistert haben, ebenso steif wieder fortgehen und immerfort Gemälde kopiren. Dick hörte entzückt zu, weil es Maisie war, die erzählte. Er kannte dieses Leben von früher her.

»Es hat sich nicht viel geändert,« sagte er. »Stiehlt man noch immer Farben während der Frühstückszeit?«

»Nicht stehlen; ›anziehen‹ ist die Bezeichnung dafür. Natürlich thut man es. Ich bin brav – ich zog nur Ultramarin an mich; es sind aber Schüler dort, die Bleiweiß anziehen.«

»Ich habe es selbst gethan. Man kann es nicht ändern, wenn die Paletten aufgehangen sind. Jede Farbe ist Gemeingut, sobald sie herunterrinnt – obschon man sie auch häufig durch einen Tropfen Oel zum Rinnen bringt. Es lehrt die Leutchen, ihre Farbenblasen nicht herumliegen zu lassen und verschwenderisch damit umzugehen.«

»Ich möchte gern einige von Ihren Farben, ›anziehen‹, Dick. Vielleicht erhielte ich mit denselben Ihre Erfolge.«

»Ich will kein böses Wort sagen, obschon ich es wohl möchte. Was in der Welt hat Erfolg oder Mangel an Erfolg zu bedeuten, verglichen mit – Nein, ich will diese Frage nicht mehr berühren. Es ist Zeit, nach der Stadt zurückzukehren.«

»Ich bin betrübt, Dick, aber –«

»Sie haben viel mehr Interesse dafür, als für mich.«

»Ich weiß es nicht, doch glaube ich es kaum.«

»Was geben Sie mir, wenn ich Ihnen ein sicheres Mittel für alles sage, dessen Sie bedürfen, – für die Störung, den Lärm, die Verwirrung und alles übrige? Wollen Sie versprechen mir zu gehorchen?«

»Natürlich.«

»Zuerst müssen Sie niemals eine Mahlzeit vergessen, weil Sie zufällig bei der Arbeit sind. Sie vergaßen in voriger Woche zweimal Ihr Frühstück,« sagte Dick aufs Geratewohl, denn er wußte, mit wem er es zu thun hatte.

»Nein, nein, – nur einmal, wirklich.«

»Das ist schon schlimm genug. Dann müssen Sie nicht eine Tasse Thee mit einem Zwieback anstatt eines regelrechten Mittagessens zu sich nehmen, weil Mittagessen zufällig eine Störung ist.«

»Sie machen sich über mich lustig.«

»Nie in meinem Leben war ich ernsthafter. O, meine Liebe, meine Liebe, ist es niemals in Ihnen aufgedämmert, was Sie mir sind? Hier ist die ganze Erde verschworen, Sie zu erstarren, oder über den Haufen zu rennen, oder Sie bis auf die Haut zu durchnässen, oder Sie um Ihr Geld zu betrügen, oder Sie sterben zu lassen an Ueberanstrengung und Mangel an Nahrung, während ich nicht das mindeste Recht habe, nach Ihnen zu sehen. Wie, ich weiß nicht einmal, ob Sie verständig genug sind, sich warm anzukleiden, wenn es kalt ist.«

»Dick, Sie sind der abscheulichste Mensch, mit dem man sprechen kann, – wirklich! Wie, glauben Sie denn, daß ich mich eingerichtet habe, als Sie fort waren?«

»Ich war nicht hier, und ich wußte es nicht. Nun ich aber zurückgekehrt bin, würde ich alles, was ich habe, hingeben für das Recht, Ihnen befehlen zu können, Sie möchten herein kommen, wenn es draußen regnet.«

»Ihre Erfolge auch?«

Diesmal kostete es Dick ernstliche Ueberwindung, um einige böse Worte zu unterdrücken.

»Wie Mrs. Jennet zu sagen pflegte, Sie machen einem viele Sorgen, Maisie, Sie sind zu lange in den Schulen eingesperrt gewesen und denken, daß jedermann auf Sie blickt. Es gibt nicht zwölfhundert Personen in der ganzen Welt, die etwas von Bildern verstehen; die übrigen behaupten es, kümmern sich aber nicht darum. Bedenken Sie, ich habe zwölfhundert tote Männer auf einem Bette von Giftpilzen gesehen. Es ist nur die Stimme des allerkleinsten Teiles der Leute, die den Erfolg macht; die wirkliche Welt kümmert sich nicht einen Pfifferling darum. So viel ich weiß, hat jeder Mann auf der Welt seine eigene Maisie, um sich mit ihr herumzustreiten. Arme Maisie!«

»Armer Dick, denke ich. Glauben Sie etwa, daß er Lust hat, ein Bild zu betrachten, während er für das kämpft, was ihm teurer ist als sein Leben? Und selbst wenn er es thäte und die ganze Welt es thäte und tausend Millionen Menschen erhöben sich und fangen Hymnen zu meiner Ehre und meinem Ruhme, würde das alles bei mir das Bewußtsein aufwiegen, daß Sie an einem Regentage ohne Schirm ausgingen, um in Edgware Road Einkäufe zu machen? Jetzt wollen wir nach der Station gehen.«

»Aber Sie sagten am Strande ...« beharrte Maisie, nicht ganz ohne Furcht.

Dick stöhnte laut: »Ja, ich weiß, was ich sagte. Meine Arbeit ist für mich alles, was ich habe oder bin oder zu sein hoffe, und ich glaube, ich habe das Gesetz gelernt, das dieselbe regiert; aber es ist mir etwas Sinn für Scherz geblieben, – obschon Sie mir denselben so ziemlich ausgetrieben haben. Ich kann gerade sehen, daß es nicht Alles für die übrige Welt ist. Handeln Sie nach meinen Worten, nicht nach meinen Thaten.«

Maisie hütete sich, die fragliche Debatte wieder zu eröffnen, so daß sie ganz vergnügt nach London zurückkehrten. Die Endstation unterbrach Dick mitten in einer beredten Lobpreisung über die Schönheiten der Leibesbewegung. Er wollte Maisie ein Pferd kaufen – ein Pferd, wie noch niemals eines seinen Kopf nach dem Gebiß heruntergebeugt, – wollte dasselbe einstellen, mit noch einem zweiten zusammen, einige zwanzig Meilen von London entfernt, und Maisie sollte, nur ihrer Gesundheit wegen, zwei- oder dreimal in der Woche mit ihm ausreiten.

»Das ist abgeschmackt,« sagte sie. »Es würde sich nicht schicken.«

»Nun, wer in ganz London würde genügendes Interesse oder die Keckheit haben, uns beide aufzufordern, Rechenschaft von dem abzulegen, was uns zu thun beliebt.« Maisie blickte auf die Lampen, den Nebel und den häßlichen Tunnel. Dick hatte recht; aber Pferdefleisch paßte nicht zur Kunst, wie sie dieselbe verstand.

»Sie sind zuweilen wirklich sehr nett und artig, aber noch häufiger sehr närrisch. Ich werde Ihnen nicht erlauben, mir ein Pferd zu schenken oder Sie heute Abend mitnehmen; ich will allein nach Hause gehen. Nur etwas müssen Sie mir versprechen; Sie sollen nicht mehr an die Extra-Dreipence denken, nicht wahr? Denken Sie daran, daß Sie bezahlt worden sind; ich kann nicht zugeben, daß Sie wegen einer solchen Geringfügigkeit zornig sind und schlechte Arbeit machen. Sie können so Großes leisten, daß Sie nicht so kleinlich sein dürfen.«

Das hieß den Spieß mit einer kleinen Rache umdrehen. Es blieb Dick nichts übrig, als Maisie in ein Kabriolet zu heben.

»Leben Sie wohl,« sagte sie einfach. »Sie kommen doch am Sonntag? Es war ein schöner Tag, Dick. Weshalb kann es nicht immer so sein?«

»Weil die Liebe dem Konturenzeichnen gleicht; man muß entweder vorwärts oder zurück gehen, stillstehen kann man nicht. Beiläufig, fahren Sie fort mit Ihrem Konturenzeichnen. Gute Nacht und schonen Sie sich, meinet- und auch Ihretwegen.«

Er wandte sich um und ging nachdenklich nach Hause. Der Tag hatte ihm nichts gebracht von dem, was er gehofft, aber er hatte sich doch Maisie mehr genähert, und das war gewiß manchen Tag wert. Das Ende war jetzt nur noch eine Frage der Zeit und der Preis wohl des Wartens würdig. Ganz instinktmäßig war er nach dem Flusse hingewandert.

»Sie verstand mich sogleich,« sagte er, auf das Wasser hinblickend. »Sie fand auf der Stelle meine kleine Schwachheit heraus und bezahlte die Sache. Mein Gott, wie gut verstand sie mich! Sie sagte auch, ich wäre besser als sie. Besser als sie!« Er lachte über die Thorheit dieser Bemerkung. »Ich möchte wohl wissen, ob Mädchen nur die Hälfte von dem Leben eines Mannes ahnen. Sie können es nicht, – sonst würden sie uns nicht heiraten.« Er nahm Maisies Gabe aus der Tasche und betrachtete dieselbe wie ein Wunder und als ein Unterpfand in dem Sinne, daß es eines Tages ihn zu vollständiger Glückseligkeit führen würde. Inzwischen war Maisie allein in London, ohne jeden Schutz vor Gefahren aller Art, die es in dieser übervölkerten Wildnis gab.

Dick betete zu dem Fatum nach Art der Heiden und warf das kleine Silberstück in den Strom. Wenn irgend ein Unglück eintreffen müsse, so möchte die Schwere desselben auf ihn fallen und Maisie verschont bleiben, da dieses Dreipencestück ihm das teuerste von allem war, was er besaß. Es war ja nur eine kleine Münze, aber Maisie hatte sie gegeben und die Themse sie jetzt empfangen, das Fatum würde sicherlich für diesmal bestochen sein.

Die Versenkung des Geldstückes ins Wasser schien für den Augenblick seine Gedanken von Maisie abzulenken. Er entfernte sich von der Brücke und ging pfeifend in seine Wohnung mit einem heftigen Verlangen nach Unterhaltung mit Männern und einer Pfeife Tabak, nach dieser seiner ersten Erfahrung, einen ganzen Tag mit einem weiblichen Wesen zuzubringen. Noch ein stärkeres Verlangen hatte sein Herz empfunden, als sich so unerwartet vor ihm die Vision des Barralong erhob, wie derselbe tief in die See tauchte und nach dem Kreuz des Südens segelte.


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