Theodor Kirchhoff
Eine Reise nach Hawaii
Theodor Kirchhoff

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Vierzehntes Kapitel.

Der Aussatz im Königreiche Hawaii. – Verbreitung des Aussatzes unter den Kanaken. – Beschreibung der Krankheit. – Der Aussatz in anderen Ländern.– Ist Leprosis ansteckend. – Der Pater Damien und seine Nachfolger. – Der von Dr. Arning geimpfte Mörder. – Bericht der Mikroskopischen Gesellschaft in San Francisco. – Der Aussatz in Californien. – Die Halbinsel Kalawao auf der Insel Molokai. – Die Ansiedelungen der Aussätzigen in Kalawao und Kalaupapa. – Das Zweig-Hospital bei Kakaako.

Jeder, der einen Besuch auf den Sandwichinseln gemacht hat, wird dort nach Aussätzigen ausgeschaut haben, von denen soviel gesprochen wird. Mir ging es ebenso. Aber obgleich man mich fast jeden Tag während meines Aufenthaltes in Honolulu über Leprosis unterhielt, bekam ich doch, weder in den Straßen jener Stadt noch sonst irgendwo im öffentlichen Verkehrswesen auf den verschiedenen Inseln einen Aussätzigen zu Gesicht, denn bei den ersten Anzeichen von Leprosis werden die damit Behafteten sofort in ein Hospital gebracht und dort ganz von der Welt abgeschlossen. Ein Fremder ist in Honolulu vor der Berührung mit Aussätzigen so sicher, als befände er sich innerhalb seiner heimischen vier Wände. Nur wenn er sich einen Erlaubnisschein verschafft, das Leper-Hospital bei Kakaako (in der Nähe von Honolulu) in Augenschein nehmen zu dürfen, oder wenn es ihm ausnahmsweise gestattet wird, die Ansiedelungen der Aussätzigen auf der Insel Molokai zu besuchen, wird er jene Unglücklichen zu sehen bekommen. Meine Neugierde wurde durch einen Besuch in Kakaako vollständig befriedigt, zumal ich in Californien schon öfters Aussätzige zu Gesicht bekommen hatte.

Bereits vor mehr als 50 Jahren zeigten sich vereinzelte Fälle von asiatischer Leprosis unter den Eingeborenen auf den Sandwichinseln. Im Jahre 1856 erreichte diese entsetzliche Krankheit aber eine solche Verbreitung unter den Kanaken, daß alle ärztlichen Bemühungen, der Seuche Einhalt zu thun, sich als vergeblich herausgestellt haben. Zur Zeit der Regierung Kamehamehas V., der im Jahre 1863 den Thron bestieg, wurden die ersten kräftigen Versuche gemacht, die weitere Verbreitung des Aussatzes durch Absonderung der Kranken von den Gesunden zu verhindern. Unter den unglaublichsten Schwierigkeiten wird die Seuche seitdem bekämpft, aber die Kanaken-Bevölkerung ist dermaßen von derselben durchseucht worden (sollen doch 5 % der eingeborenen Bevölkerung Hawaiis mehr oder weniger mit dem Aussatzgift behaftet sein!), daß an ein Auslöschen der furchtbaren Krankheit vorläufig nicht zu denken ist. Im Jahre 1866 gründete die Regierung des Königreichs Hawaii die »Ansiedelung für Aussätzige« (Leper Settlement) auf der Insel Molokai, wohin seitdem die meisten Leprösen von den verschiedenen Inseln der hawaiischen Gruppe gebracht werden und dort von allem Verkehr mit der Außenwelt abgesondert sind.

Die Leprosis wurde aus Asien, wie es heißt von Chinesen, nach den Sandwichinseln eingeschleppt, wo sie für ihre Verbreitung den denkbar günstigsten Boden gefunden hat. Ob die Krankheit ansteckend ist, darüber waren die Ärzte sich lange Zeit nicht einig. Jetzt wird angenommen, daß dies im allgemeinen der Fall ist, daß jedoch noch andere Vorbedingungen als die bloße Berührung mit einem Aussätzigen für die Ansteckung maßgebend sind. Es ist eine Thatsache, daß die meisten verheirateten Aussätzigen ihre Krankheit weder auf ihre Frau noch auf ihre Kinder übertragen, woraus man schließt, daß sich die Krankheit nicht vererbt. Die vielen aussätzigen Kinder, die man auf Molokai sieht, scheinen diese Annahme freilich nicht zu bestätigen, obgleich es möglich ist, daß die Kinder auf andere Weise als durch Vererbung dort angesteckt worden sind. Das unheimliche Wesen der Ansteckung macht diese Krankheit besonders Schrecken erregend. In Honolulu habe ich öfters die Meinung aussprechen hören, es leiste die bei den Kanaken sehr beliebte Speise von rohen Fischen der Krankheit großen Vorschub, was aber eine unbegründete Mutmaßung zu sein scheint, denn in anderen Ländern, wo der Aussatz vorkommt, werden keine rohen Fische verzehrt. Einen großen Einfluß auf die Überhandnahme der Seuche übt ohne Zweifel die außerordentlich lockere Sittlichkeit der hawaiischen Frauen aus, unter denen Syphilis und andere ansteckende geschlechtliche Krankheiten weit verbreitet sind. Elend, Schmutz und Unsittlichkeit sollen ja die Hauptursachen dieser furchtbaren Krankheit sein. In Hawaii trägt wohl der geschlechtliche Umgang zwischen gesunden Kanaken und leprösen Frauen ihrer Rasse und umgekehrt viel zur Ausbreitung der Seuche bei. Der Verkehr zwischen gesunden und angesteckten Kanaken, wobei es den ersteren ganz einerlei ist, ob sie gelegentlich mit einem Aussätzigen unter derselben Wolldecke schlafen, aus derselben Pfeife mit ihm schmauchen u.s.w., hat auch gewiß schon manchen angesteckt. Der Aussatz entwickelt sich sehr langsam. Jemand kann das Gift monatelang, oft jahrelang im Körper tragen, ehe es sich äußerlich zeigen wird, und während dieser Zeit ist das Verpflanzen der Seuche von den Angesteckten auf die Gesunden bei dem lockeren Verkehr der Kanaken untereinander, die nur geringe Furcht vor dem Aussatz haben, sehr leicht möglich. Den Beamten, welche auf Aussätzige fahnden, suchen diese auf alle mögliche Weise zu entgehen; von ihren Freunden und Verwandten werden sie versteckt, und sie fügen sich nur in das Unabwendliche.

Der Aussatz kommt in zwei Formen vor, als sogenannter Knollenaussatz und als glatter Aussatz, die aber nicht selten an einem und demselben Kranken gleichzeitig angetroffen werden. In der Regel zeigen sich zuerst weißliche oder nußfarbene, meistens schuppige und unempfindliche Hautstellen an den Ohrlappen, Nasenflügeln und Augenbrauen, an Händen und Füßen, oder es bilden sich unter der Haut harte Knoten, die nach einiger Zeit in ekelhafte, zerstörende Geschwüre übergehen. Wenn die Krankheit vollständig entwickelt ist, bedeckt sich der Körper mit Geschwüren, Beulen, Knoten u.s.w., das Gesicht ist entsetzlich entstellt, die Haupthaare, der Bart, die Augenbrauen fallen aus, abschreckende Hautausschläge, eiternde Löcher bilden sich, namentlich an den Armen und Beinen und im Gesicht, und der Körper sieht aus, als ob er von Ratten angenagt sei. Die Gelenkbänder an den Spitzen der Glieder werden zerstört und Finger und Zehen fallen ab. Selten aber dehnt sich die Zerstörung auf Hand oder Fuß aus, niemals auf die höher hinauf gelegenen Teile. Der ekelhafte Fäulnisgeruch der Kranken ist kaum zu ertragen.

In diesem Zustande kann der Aussätzige monate- oft jahrelang leben und verfault sozusagen stückweise bei lebendigem Leibe. Schmerzhaft ist die Krankheit gottlob nur wenig, aber die Sinne des Aussätzigen schwinden einer nach dem andern und es bemächtigt sich seiner bei fortschreitender Entkräftung ein Stumpfsinn, eine gänzliche Gleichgiltigkeit über sein entsetzliches Schicksal. Nur in der allerletzten Entwicklungsstufe, kurz vor dem Tode, der mitunter Jahrzehnte auf sich warten läßt, und wenn innere Körperteile angegriffen werden, stellen sich zuweilen furchtbare Schmerzen ein. Ein Aussätziger, bei dem sich die Krankheit vollständig entwickelt hat, ist unheilbar. Die wenigen, welche aus den Hospitälern Hawaiis als geheilt entlassen wurden, waren ohne Ausnahme sogenannte leichte Fälle, und bei den meisten von diesen mutmaßte man die Krankheit nur.

Im Mittelalter verbreitete sich der Aussatz über ganz Europa, wohin er ungefähr um das Jahr 1000 eingeschleppt worden war, und später durch die Kreuzfahrer von Land zu Land getragen wurde. Der Name Aussätzige wurde diesen Kranken beigelegt, weil man sie von der bürgerlichen Gesellschaft ausschloß. Fast jede Stadt in England, Deutschland und Frankreich hatte damals ihr Hospital für Aussätzige. Italien litt fürchterlich durch die Seuche. Als diese im Jahre 1300 ihren Höhepunkt erreichte, befanden sich in Frankreich, das zu jener Zeit nur die Hälfte seines gegenwärtigen Umfangs hatte, 2000 Aussatzhäuser, und man zählte in Europa 19 000 Loproserien. Die Päpste erließen Bullen, wodurch die Aussätzigen der kirchlichen Gemeinschaft verlustig gingen. Sie wurden als »unrein« von allem Verkehr ausgeschieden, und nur auf diese Weise ward die Plage allmählich unterdrückt, um gegen den Schluß des 16. Jahrhunderts als Volksseuche aus Europa zu verschwinden. Aber ganz verlor sich der Aussatz nie aus der Welt. Überall im Orient, insbesondere unter den Fellahs in Ägypten und in Indien, in China und Japan, in den Küstenländer von ganz Afrika, auf Madagaskar, Mauritius, Isle de Bourbon, St. Helena und Madeira, in Mexiko, in Mittel- und Südamerika u.s.w. findet man Aussätzige unter den ärmeren Volksklassen in größerer oder geringerer Zahl. Selbst in Europa giebt es noch Lepra-Herde, namentlich in Norwegen, wo im Jahre 1864 unter zwei Millionen Einwohnern 2282 Lepröse amtlich festgestellt wurden, und auf den griechischen Inseln (Samos und Kreta), in geringerem Maße in Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, den russischen Ostseeprovinzen u.s.w. Vereinzelte Fälle kommen in Mitteleuropa heute noch zur Beobachtung.

Wie bereits bemerkt wurde, ist die Ansteckung des Aussatzes, das Übertragen desselben von einem Kranken auf einen ganz gesunden Menschen, oft angezweifelt worden. Durch Berührung allein scheint dies allerdings kaum möglich zu sein. In neuerer Zeit wurden aber mehrere Fälle auf den Sandwichinseln beobachtet, welche die Möglichkeit einer Ansteckung auf die eine oder die andere Weise außer Frage stellen. Weit bekannt geworden ist das Schicksal des Paters Damien. Dieser, ein belgischer Geistlicher, begab sich im Jahre 1873 freiwillig nach Molokai, um dort den Kranken und Sterbenden hilfreich zur Seite zu stehn. Er weilte am Sterbebette von nicht weniger als 2000 jener Ausgestoßenen. Nach sage dreizehn Jahren kam der Aussatz bei diesem pflichtgetreuen Manne, der dagegen wie gefeit schien, endlich doch noch zum Ausbruch. Im Sommer 1886 schrieb er an einen Freund in Honolulu die folgenden ergreifenden Worte:

»Ich darf nicht mehr nach Honolulu gehn, weil der Aussatz an meinem Körper ausbricht. In meinem linken Bein und in meinem Ohr haben sich bereits Mikroben eingenistet, und eine meiner Augenbrauen fängt an abzufallen. Ich erwarte, daß mein Gesicht bald entstellt sein wird.

»Da ich über den wahren Charakter meiner Krankheit durchaus nicht im Zweifel bin, so fühle ich mich ruhig, ergeben und glücklicher unter meinem Volke hier. Der allmächtige Gott weiß, was das Beste für mein geistiges Wohl ist, und mit dieser Überzeugung spreche ich täglich das gute Wort aus, fiat voluntas tua.« –

Von nun an wurde der Pater Damien, der bereits ein Auge eingebüßt hatte, immer hinfälliger. Um ihn in seinem Amte zu unterstützen, begab sich der gleichfalls aus Belgien stammende katholische Geistliche Courardy, der längere Zeit in Oregon lebte, im Mai 1888 über San Francisco nach Molokai. Die Stelle des Paters Damien und die Oberaufsicht über die Ansiedelung der Aussätzigen in Molokai übernahm bald darauf der Pater Wendelin. Im Juni 1889 schrieb dieser nach New York:

»Bis jetzt machen sich bei mir noch keine Anzeichen der Krankheit geltend, mein Gehülfe aber, der Pater Courardy ist ans Bett gefesselt und liegt im Hospital in Honolulu. Wahrscheinlich beginnt bei ihm bereits die furchtbare Krankheit«.

Über das Ende des Paters Damien, der am 15. April 1889 in Molokai starb, veröffentlichte die englische katholische Wochenzeitung »Tablet« folgenden Bericht:

»Am 28. März mußte Pater Damien das Bett aufsuchen, und am 30. März begann er sich auf den Tod vorzubereiten, indem er eine Generalbeichte ablegte und sein Gelübde erneuerte. Am nächsten Tage empfing er das heilige Viatikum. »Seht meine Hände an!« rief er aus – »die Wunden heilen alle und die Kruste wird schwarz. Ihr wißt, dieses ist ein Zeichen des Todes. Schaut meine Augen an! Ich habe so viele Aussätzige sterben sehn, daß ich mich nicht irren kann. Der Tod ist nahe. Ich hätte gern den Bischof noch einmal gesehn. Der liebe Gott aber ruft mich, um Ostern bei ihm zu feiern. Gott sei gesegnet!« – Am 2. April gab ihm der Pater Courardy die letzte Ölung. »Wie gut Gott ist«, sagte er an dem Tage, »mich so lange bewahrt zu haben, daß ich zwei Priester an meiner Seite und auch die guten barmherzigen Schwestern neben mir habe. Die Sache der Aussätzigen ist gesichert, und so bin ich nicht länger hier notwendig und will bald ins Jenseits gehn.« – Dann folgten einige wenige Tage des Aufraffens und der Hoffnung. Die barmherzigen Schwestern besuchten ihn oft. Jeder bewunderte seine einzige Geduld. – – Er hatte all sein Geld für seine Pflegebefohlenen ausgegeben, so daß nicht einmal Bettwäsche zum Wechseln da war. Am 15. April begann der kurze Todeskampf. Er starb ohne Schmerzen, als ob er einschliefe. Auf seine eigene Bitte wurde er unter dem Pandanus-Baum begraben, unter dessen Schatten er zu schlafen pflegte, als er zuerst auf Molokai landete und noch keine Wohnung hatte.« –

Wer diesen Bericht liest und dabei bedenkt, daß dem Pater Courardy und dem Pater Wendelin höchstwahrscheinlich dasselbe schreckliche Schicksal bevorsteht, das ihren Vorgänger, den Pater Damien, betroffen hat, der muß jenen Männern, die als echte barmherzige Samariter nach Molokai gegangen sind, die größte Hochachtung zollen.

Ein nicht minder interessanter Fall ist von dem deutschen Arzte Eduard Arning sozusagen geschaffen worden. Dieser wurde zu Anfang der achtziger Jahre auf Veranlassung von Prof. Virchow nach den hawaiischen Inseln geschickt, um den Aussatz dort an Ort und Stelle in allen seinen Erscheinungen zu beobachten. Während eines mehrjährigen Aufenthaltes in Honolulu impfte Dr. Arning Hunde, Affen und andere Tiere mit dem Aussatzgift, ohne damit irgendwelchen Erfolg zu erzielen. Um die Frage der Ansteckung endgiltig zu entscheiden, bot die Regierung einem zum Tode verurteilten Mörder lebenslängliches Gefängnis als Begnadigung an, falls dieser damit einverstanden sei, daß ihm eine lepröse Tuberkel eingeimpft werde. Der Gegenkandidat, ein anscheinend kerngesunder Kanake mit Namen Kearne, willigte ein, und Dr. Arning verpflanzte am 30. September 1884 einen von einem Aussätzigen entfernten leprösen Knoten jenem durch Einschnitt in die Haut auf den linken Vorderarm. Der Knoten verwuchs vollständig und verursachte sogar bei der Berührung heftige Schmerzen. Aber dabei blieb es. Jahre vergingen, und kein Aussatz stellte sich bei dem Geimpften ein.

Am 24. Mai 1888 wurde ein Bericht des amerikanischen Konsuls John M. Putnam in Honolulu an das Staatsdepartement in Washington veröffentlicht, worin dieser die obigen Angaben macht und zum Schluß mitteilt, es habe sich vor einigen Monaten eine sichtliche Veränderung im Wohlbefinden des Mörders bemerkbar gemacht. Im vergangenen Monat wäre dann der Aussatz unverkennbar an ihm ausgebrochen (dies wurde am 25. September 1888 von den höchsten hawaiischen Behörden bestätigt und protokollarisch festgestellt). Allerdings sei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Kanake schon vor der Impfung das Gift im Körper gehabt hätte, da er aber bereits das mittlere Lebensalter überschritten habe, so wäre dies sehr unwahrscheinlich.

Die Gegner der Ansteckungstheorie behaupten, daß auch dieser Impfungsversuch nicht entscheidend gewesen sei, weil das Versuchsobjekt ein Kanake, also ein Angehöriger einer Rasse war, welche für Aussatz ohnehin empfänglich und prädisponiert ist. Wie dem auch sei. Die Fortpflanzung des Giftes ist immer noch in Dunkel gehüllt, und es vergehn oft Jahre, ehe dasselbe wirkt. Daß die Giftkeime außerordentlich schwer zu töten sind, wurde am 23. Mai 1888 in der Mikroskopischen Gesellschaft in San Francisco bewiesen. Der amerikanische Arzt Dr. Stallard zeigte dort drei mit Wasser gefüllte, luftdicht verschlossene Glasrohre, wohinein er vor anderthalb Jahren einige lepröse Bazillen setzte, die sich in demselben Wasser unglaublich vermehrt hatten und ganz munter und lebendig waren. Der gelehrte Herr Doktor machte bei dieser Gelegenheit die für die Bewohner San Franciscos recht aufmunternde Bemerkung, es seien genug Aussatzbacillen in den drei Glasrohren vorhanden, um die halbe Bevölkerung der Stadt damit anzustecken! Schließlich gab er den gewiß vortrefflichen Rat, ein Staatsgesetz zu erlassen, wonach alle hier am Aussatz Verstorbenen verbrannt werden müßten.

In Californien, und auch in Oregon, hat sich der von Chinesen dort eingeschleppte Aussatz auf bedenkliche Weise bemerkbar gemacht. Die meisten dieser Kranken werden im Blatternhospital in San Francisco untergebracht. Nach einer Angabe des Gesundheitsbeamten in San Francisco fanden dort während der Zeit vom 5. Juli 1871 bis zum 30. Mai 1890 im ganzen 124 Aussätzige Aufnahme. Während dieses Zeitraums starben 10 Aussätzige im Hospital, 108 aussätzige Chinesen wurden nach China zurückgesandt, wofür die Stadt für jeden 60 Dollars, im ganzen 6480 Dollars bezahlte, und 6 Aussätzige, sämtlich Weiße, befanden sich am 30. Mai 1890 noch im Blatternhospital. 13 von den Erkrankten gehörten zur kaukasischen, 111 zur mongolischen Rasse. Sollte diese entsetzliche Krankheit größere Ausdehnung in Californien annehmen, so wird die Errichtung einer Leproserie in San Francisco bald zur Notwendigkeit werden.

Die Ansiedelung der Aussätzigen auf Molokai liegt an der Nordseite jener schwach bevölkerten Insel (Molokai zählt mit Einschluß der Aussätzigen nur etwa 2500 Bewohner), und zwar auf der ganz abgeschlossenen Halbinsel Kalawao, die eine Bodenfläche von etwa 6000 Acker enthält. Die Halbinsel ist ganz und gar vulkanischen Ursprungs und verdankt ihre Entstehung dem längst erloschenen 3500 Fuß hohen Vulkan Kahukoo (Kahuku), der dieselbe an der alten Küstenlinie abschließt und nur auf einem halsbrechenden Saumpfade überschritten werden kann. Vom Meere aus ist die ringsum etwa 100 Fuß steil abfallende Küste der Halbinsel nur an zwei Stellen zugänglich. Einst wohnte dort eine zahlreiche Bevölkerung von Eingeborenen. Die vielen quer über die Landzunge sich erstreckenden Steinwälle und eine Menge von Steineinfriedigungen, mit einer Gesamtlänge von 30 bis 40 englischen Meilen (48 bis 64 km), sind ein sprechender Beweis davon. Stellenweise laufen die Steinwälle in einer Entfernung von nur vier Fuß neben einander und scheinen kleinen Gartenanlagen und Tarobeeten als Schutz gegen die scharfen Passatwinde gedient zu haben. Der Boden muß hier sehr wertvoll gewesen sein, denn heute noch kann man viele kleine, oft nur 3 bis 4 Q-Fuß große künstliche Terrassen bemerken, die auf den steilen Abhängen des mit Gestrüpp und Walddickichten bestandenen Kahukoo bis zu seinem Gipfel angelegt sind. Bejahrte Eingeborene erzählen, daß die Halbinsel einst durch ihre vielen Schweine und namentlich durch ihre vortrefflichen süßen Kartoffeln eine Berühmtheit erlangt hatte. Auf ihren dichten Grasflächen könnten 10 000 Schafe und 1000 Stück Hornvieh genügend Futter finden. Von der zahlreichen Urbevölkerung sind nur etwa vierzig kleine Landbesitzer übrig geblieben, die mit den Aussätzigen und den Krankenwärtern (Kokuas) fortwährend in Grenzstreitigkeiten verwickelt sind.

Die Halbinsel scheint wie geschaffen dazu zu sein, um die mit Lepra Behafteten von der Welt abzusondern, denn niemand könnte sich unentdeckt von außen her einschleichen, oder den Raum unbemerkt verlassen. Für die Aussätzigen in Kalawao wurde von der hawaiischen Regierung ausnehmend gut gesorgt. Man betrachtet dieselben als Pfleglinge der Nation, sie haben weder Abgaben noch Miete zu zahlen und sie erhalten Medizin, Kleider u.s.w. umsonst. Täglich bekommen sie in ausreichendem Maße Poi, Reis, Milch, Fleisch, Lachs (den sie leichter als Fleisch kauen können), Seife, Petroleum u.s.w., und sie sind von allen Sorgen für ihren Lebensunterhalt befreit. Die zahlreichen Kinder erhalten einen guten Schulunterricht. Die wohlhabenderen Aussätzigen können in ihren eigenen Häusern wohnen. Wer Lust dazu hat, der darf nach Belieben ein Stück Land bebauen und den Ertrag davon für seinen eigenen Nutzen verwenden. Manche thun dies und haben sich an geschützten Orten zwischen den Felsen und in den Schluchten angesiedelt, wo sie süße Kartoffeln und anderes Gemüse ziehen. Die meisten unter ihnen haben aber in den etwa 400 hübschen Holzhäusern, welche die Regierung dort errichten ließ, ein Unterkommen gefunden.

Es giebt zwei Niederlassungen für Aussätzige auf der Halbinsel. Die größere Ansiedelung liegt bei Kalaupapa, wo die Dampfschiffe landen. Für die Schwerkranken wurde zwei engl. Meilen (etwas über 3 km) landeinwärts ein Hospital in Kalawao erbaut, in dessen Nähe die gleichnamige zweite kleinere Niederlassung liegt. In Kalaupapa leben unter den Lepers etwa 150 Nichtaussätzige, die Freunde und Verwandte der Kranken sind und diese freiwillig pflegen, und andere, die von der Behörde als Krankenwärter angestellt wurden. Blumenbeete und tropische Bäume umgeben die sauberen, weiß getünchten Wohnungen. Die Ansiedelung sieht aus wie ein kleines amerikanisches Landstädtchen. Diejenigen unter den Gesunden, welche sich dort dauernd niedergelassen haben, besitzen Kühe, Federvieh u.s.w. und kleine Strecken Land, das sie bebauen. Kalawao besteht aus einer einzigen langen Straße, und sieht ähnlich aus wie Kalaupapa. In jeder der beiden Ansiedelungen befindet sich eine katholische und eine kalvinistische Kirche, wo regelmäßig Gottesdienst abgehalten wird. Der vorhin genannte Pater Damien hatte die Pflege des katholischen Gottesdienstes übernommen, der jetzt von dem neuen Geistlichen Wendelin versehen wird. Ein Eingeborener ist protestantischer Pastor. Auf dem zum Hospital gehörenden Landbesitz befinden sich etwa 50 Milchkühe, 400 Pferde, viele Schweine, Hühner u.s.w. In den Gärten wird Gemüse aller Art gezogen.

Die Aussätzigen in Kalawao sind mit ihrem Schicksal ganz zufrieden, d.h. insoweit sie dort, abgeschlossen von der Welt, sorgenfrei leben können. Wer von ihnen nach Molokai kommt, der ist, mit Ausnahme der wenigen, die im Laufe der Jahre als geheilt entlassen wurden, gleichsam lebendig begraben: ein schrecklicher Gedanke, der aber für jene nichts Furchtbares zu haben scheint. Im Gegenteil, die Aussätzigen sind ein ganz vergnügtes Völkchen. Die zahlreichen aussätzigen Kinder lachen und spielen geradeso wie gesunde Kinder es zu thun pflegen. Ein freundliches Wort macht auch die Erwachsenen jeder Zeit glücklich. Gesang und Musik werden von ihnen gepflegt, sogar ein kleines Orchester mit Blechinstrumenten haben sie unter sich eingerichtet; der Anblick der entstellten Gesichter der Musikanten soll aber, wenn diese auf ihren Instrumenten blasen, schrecklich widerwärtig sein.

Daß das Bild der Aussätzigen, namentlich das der Schwerkranken im Hospital, über alle Maßen grauenvoll ist, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Da Fremde nur selten in Kalawao zugelassen werden, so ist die Ankunft eines solchen allemal ein Ereignis. Die Aussätzigen, Erwachsene und Kinder, folgen ihm auf Schritt und Tritt. Der bekannte amerikanische Schriftsteller Charles Warren Stoddard, der im Jahre 1885 dort einen Besuch machte, schreibt:

»Als wir in die Nähe der Kapelle kamen, vermehrte sich die Zahl der Aussätzigen, von denen einer immer noch entsetzlicher als der andere aussah, bis sich die Fäulnis des Fleisches unmöglich grauenhafter auf dieser Seite des Grabes zeigen konnte. Als wir voranschritten, zogen sie sich erst freiwillig etwas zurück, drängten sich dann hinter uns zusammen und umgaben uns in einem Kreise« – u.s.w. –

Die Beschreibungen der schlimmsten Fälle von Aussätzigen in Stoddards sehr interessanter kleiner Schrift »The Lepers of Molokai« sind aber so entsetzlich, daß ich den Leser mit einer Wiederholung derselben verschonen will.

In 20 Jahren (6. Januar 1866 bis 1. November 1885) wurden 1985 Männer und 1116 Frauen, zusammen 3101 Aussätzige, nach Molokai geschickt, von denen 2178 starben und nur 145 als geheilt entlassen wurden. Ein statistisches Verzeichnis für 1886 konnte ich mir leider nicht verschaffen. Vom 1. Juli 1887 bis zum 1. Juli 1889 wurden 1053 Kranke nach Molokai verbannt. Es befinden sich durchschnittlich etwa 800 Aussätzige auf Molokai. Bis zum 1. November 1885 verausgabte die hawaiische Regierung 613 756 95/100 Dollars für das Leper Settlement, welche Summe sich bis 1890 auf ungefähr eine Million Dollars vermehrt hat, – eine sehr bedeutende Ausgabe für die verhältnismäßig geringen Mittel des Königreichs Hawaii.

Außer der Ansiedelung von Aussätzigen auf der Insel Molokai wurde für denselben Zweck im Jahre 1881 in der Nähe von Honolulu das bereits erwähnte Zweig-Hospital für Aussätzige bei Kakaako errichtet und am 12. Dezember des genannten Jahres mit der Aufnahme von 48 Kranken eröffnet. Es stellte sich nämlich als wünschenswert heraus, in der Nähe der Hauptstadt ein Hospital für Aussätzige zu besitzen, worin die von den verschiedenen Inseln anlangenden Kranken sofort von der Außenwelt abgeschlossen werden konnten. Auch werden solche dahin gebracht, bei denen man den Aussatz nur vermutet, aber nicht bestimmt nachweisen kann. Sobald die Ärzte davon überzeugt sind, daß einer von denen, die dort Aufnahme gefunden haben, nicht mit der Seuche behaftet ist, wird er wieder entlassen, im andern Falle wird er nach Molokai geschickt. In jüngster Zeit kann man aber eben so schlimme Aussätzige in Kakaako wie in Kalawao zu sehen bekommen.

Ehe ich das Zweig-Hospital bei Kakaako betrat, zog ich mir vorsichtshalber ein Paar Handschuhe an, die ich nachher fortwarf, da der Gedanke, einem Aussätzigen die Hand schütteln zu müssen, nicht sehr verlockend ist. Einige entsetzlich aussehende Lepers, denen ich dort begegnete, verleideten mir die Lust zu einem längeren Aufenthalte. Das Hospital besteht aus zwanzig, durch einen hohen Zaun von aller unmittelbaren Verbindung mit der Außenwelt abgeschlossenen Holzhäusern, die hart am Strande innerhalb des Korallenriffs liegen, wo stets ein kühler Seewind weht. Die Verwaltung wurde von sieben barmherzigen Schwestern übernommen, die ihren traurigen Pflichten mit seltener Aufopferung nachkommen. Zum Hospital, aber getrennt von demselben liegend, gehört das Kapiolani Home of Leper girls, eine von der Königin Kapiolani im Jahre 1884 gegründete Anstalt, in welcher nur Mädchen, deren Eltern mit dem Aussatz behaftet sind, Aufnahme finden. Die Mädchen werden dort erzogen, damit sie, falls sie der schrecklichen Krankheit entgehen, nicht ganz hilflos in das Leben eintreten. Auch zwei Schulen gehören zu der Anstalt, eine für Knaben und eine für Mädchen. Bis zum 1. November 1885 fanden 765 Aussätzige Aufnahme in Kakaako, von denen 67 starben, 126 entlassen und 475 nach Molokai übergesiedelt wurden.

Merkwürdig ist es, daß es auf den Sandwichinseln gegenwärtig keine chinesische Aussätzige giebt und nur wenige Weiße, die mit jener schrecklichen Krankheit behaftet sind. Dieselbe beschränkt sich fast ausschließlich auf die eingeborene kanakische Bevölkerung.

Ob es je gelingen wird, den Aussatz im Gebiete des Königreichs Hawaii zu bewältigen und auszulöschen, oder ob derselbe erst mit dem gänzlichen Aussterben der Kanaken von dort verschwinden wird, kann niemand vorhersagen. Zu der grausamen Trennung der Verheirateten in den Verbannungsorten hat sich die Regierung bis jetzt noch nicht entschließen können. Jedenfalls erfüllt diese ihre volle Pflicht mit Bezug auf die ihr ohne ihre Schuld aufgebürdete entsetzliche Plage. Kein civilisiertes Volk der Welt vermöchte in einer ähnlichen Lage mehr zu leisten als das kleine Königreich in der Südsee.


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