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Das sich zu Anfang des Januars fast jeden Tag einstellende Regenwetter veranlaßte mich, meinen Plan, einen Ausflug nach den Inseln Maui und Kauai zu unternehmen, wieder aufzugeben. Den Haleakalá auf der Insel Maui bei tropischen Regengüssen zu besteigen, zehntausend Fuß über dem Meere in einer Höhle, in Gesellschaft von Millionen von Erdflöhen zu übernachten und schließlich vor lauter Regen und Wolken von dem alten Riesenkrater und der großartigen Aussicht auf die Vulkane Hawaiis gar nichts zu sehen zu bekommen, schien mir ebensowenig erwünscht zu sein, als auf der Insel Kauai im strömenden Regen auf grundlosen Wegen herumzureiten und Zuckerpflanzungen zu besuchen. Letztere konnte ich bequemer in der Nähe von Honolulu in Augenschein nehmen. Ich nahm daher eine Einladung des Herrn H. A. Widemann, eines der angesehensten deutschen Bürger Honolulus, mit ihm am nächsten hellen Tage auf einem Küstendampfer nach seiner Zuckerpflanzung in Wainae (Weinei) zu fahren, mit Freuden an. Als bereits an dem dieser Einladung folgenden Tage die goldene Sonne mich frühzeitig weckte, war ich schnell reisefertig und begab mich mit Herrn Widemann an Bord des kleinen Dampfers Kaalá, der uns nach Wainae bringen sollte, das 30 engl. Meilen (48 km) von Honolulu am westlichen Ufer der Insel Oahu liegt.
Unser Dampfer steuerte unbeachtet in der Nähe der im Hafen friedlich neben einander ankernden fremden Kriegsschiffe vorbei. Abseits lag dort, nur von einem einzigen Matrosen bewacht, der hawaiische Kriegsdampfer Kaimiloa (das Schönste), den Kalakaua käuflich erstand, als er Kaiser der Südseeinseln zu werden gedachte. Die Kaimiloa machte nur eine Reise und zwar im Dezember 1886 nach Samoa, wo man Kalakauas Kaiserpläne mit Verachtung zurückwies. Der kaffeebraune König Malietoa, der seitdem recht unangenehme Erfahrungen gemacht hat, hätte wohl besser daran gethan, sich unter den Schutz des großen Kalakaua gestellt zu haben. Schon der Titel »Kaiser der Südseeinseln« würde die Deutschen in Schrecken gesetzt haben, und Bismarck hätte sich ohne Zweifel das Wagnis, jenem zu trotzen, reiflich überlegt. Die weltgeschichtlichen Ereignisse im Hafen von Apia, welche Deutschland und die Vereinigten Staaten beinahe in einen Krieg verwickelten, wären höchstwahrscheinlich vermieden worden, denn Kalakaua hätte jenen Mächten sofort den Standpunkt klar gemacht. Einem Waffengang würde er aber auf diplomatischem Wege ausgewichen sein, weil ein Krieg mit Deutschland oder Amerika ihm schon in Anbetracht seines 75 Mann starken Heeres, seines einzigen ziemlich ungefährlichen Schlachtschiffs und des leeren Staatsschatzes unerwünscht sein mußte. Mit Ach und Krach entging die Kaimiloa damals in Apia dem traurigen Schicksal, öffentlich versteigert zu werden, um den längst fälligen Sold, den die hawaiische Regierung den murrenden Seeleuten schuldete, flüssig zu machen. Jetzt liegt der stolze Kriegsdampfer ohne Kohlen und ohne Besatzung als einziger Vertreter der hawaiischen Seemacht im Hafen von Honolulu, ein trauriger Beweis des Größenwahns von Kalakaua, und wartet auf einen Käufer.Wie tief Kalakaua in der Achtung seiner Stammesgenossen in Samoa gesunken ist, geht aus einem Erlasse seines königlichen Bruders Malietoa deutlich hervor, der im März 1890, bald nachdem er infolge der Berliner Konferenz wieder zu Macht und Würden gelangt war, nicht nur den Chinesen, sondern auch den Eingeborenen von Hawaii das Betreten der Samoa-Inseln aufs strengste untersagte.
Bald gelangten wir durch den engen Paß zwischen den von der Flut bedeckten grauen Korallenriffen in offenes Fahrwasser und dampften längs der Küste von Oahu gen Westen. Das Wasser war so klar, daß der helle Sandboden in 20 bis 30 Fuß Tiefe deutlich erkannt werden konnte. Wir fuhren an der Mündung des in neuerer Zeit oft genannten Perlenflusses (pauloa) vorüber, der in Gestalt eines Baumes, dessen Stamm die Einfahrt, die Äste die Verzweigungen des Hafens andeuten, tief ins Land einschneidet. Den Perlenfluß-Hafen (Pearl River Harbor) überließ die hawaiische Regierung im Jahre 1876 beim Abschlusse des Gegenseitigkeits-Vertrags mit den Vereinigten Staaten, der am 29. November 1887 auf sieben Jahre verlängert wurde, dieser Macht als Kriegs- oder Handelshafen oder als Kohlenstation für die Dauer des Vertrags. Eigentlich bot die Regierung des Königreichs Hawaii dem Senat in Washington den Perlenfluß nur als Lockspeise an, um jenen für die Bestätigung des Zollvertrags, der eine Lebensfrage für das kleine Inselreich ist, günstig zu stimmen, was denn auch zur Freude aller Zuckerpflanzer damals gelang.
Die Mündung des Pearl River (der kein Fluß, wie der Name anzudeuten scheint, sondern ein Meereseinschnitt ist) liegt 13 englische Meilen (21 km) westlich von Honolulu an der Südseite der Insel Oahu. In gerader Richtung auf dem Landwege ist er nur 4 englische Meilen (6 ½ km) von der Hauptstadt entfernt. Im Osten des Perlenflusses erheben sich steile Anhöhen, gegen Westen ist er durch ein Korallenriff und durch eine gefährliche Brandung vollständig geschützt. Einige schwere Batterien am Eingang des Hafens würden ihn gegen einen feindlichen Angriff mit Leichtigkeit verteidigen können. Der Hauptkanal ist 8500 Fuß lang und 1500 Fuß breit. Seine Rinne hat eine Breite von 500 mit einer geringsten Tiefe von 24 Fuß. Hundert Fuß von der inneren Barre beträgt die Tiefe 5 Faden. Die sich vom Hauptarm abzweigenden Kanäle des East-, Middle- und West Loch erstrecken sich 2000 bis 5000 Fuß weiter ins Land und haben genügende Tiefe für Seeschiffe. Auf der im East Loch liegenden Insel Mokuunaenue, die 3500 Fuß lang und 1500 Fuß breit ist, würde genug Raum für eine Kohlenstation sein. Vor Stürmen ist der Hafen vollständig geschützt.
Ob die Vereinigten Staaten den Perlenfluß unter den Bedingungen des Vertrags in Besitz nehmen werden, scheint sehr fraglich zu sein. Bis jetzt wurde dazu noch gar keine Anstalt getroffen. Um eine gute Einfahrt herzustellen, wäre es notwendig, ein Korallenriff zum Teil fortzusprengen und die Barre, welche, mit nur 3 Faden Wasser, 700 Fuß breit ist, zu vertiefen; dazu kämen Befestigungswerke, Bauten, Hafenanlagen u.s.w. – was alles zusammen gewiß mehrere Millionen Dollars kosten würde. In Honolulu wünscht man sehnlichst, daß die Bauten und Hafenanlagen am Perlenfluß bald in Angriff genommen werden, weil die Ausgabe einer so bedeutenden Summe jener nahe liegenden Stadt von großem Nutzen sein müßte. Onkel Sam wird sich aber die Sache wohl noch etwas überlegen und nicht ohne weiteres so tief in die Tasche greifen, denn er müßte sich jenen teuren »Elefanten« für sieben Jahre aufhalsen, bloß um ihn nachher wieder fortzuschenken. Ginge aber der Perlenhafen auf ewige Zeiten in den Besitz der Vereinigten Staaten über, so würden diese dort ohne Zweifel eine Kohlenstation und einen Kriegs- und Handelshafen anlegen, dessen günstige Weltlage und strategische Wichtigkeit einleuchtend sind, zumal der Hafen von Honolulu für große Kriegsschiffe nicht zugänglich ist.
Das an den Perlenfluß grenzende Land wird meistens als Weidegrund benutzt. In einigen sumpfigen Niederungen liegen Reisfelder. Ich will hier erwähnen, daß Reis nächst Zucker das bedeutendste Bodenerzeugnis der hawaiischen Inseln ist. Vor dem Zollvereinigungs-Vertrag mit den Vereinigten Staaten belief sich die jährliche Ausfuhr von Reis aus dem Königreiche Hawaii nur auf etwa 40 000 Säcke, jeder zu 100 Pfund. 1887 betrug die Ausfuhr von Reis 10 446 000 Pfund, und im Jahre 1888 erreichte dieselbe ungefähr 120 000 Säcke (12 Millionen Pfund). Andere auswärtige Länder müssen einen Zoll von 1- ½ Cents das Pfund auf Reis, der nach den Vereinigten Staaten eingeführt wird, entrichten, wogegen der hawaiische Reis dort auf der Freiliste steht. Ehemals schickte man Reis aus San Francisco nach den Sandwichinseln, um dort die Arbeiter damit zu ernähren, wogegen Weizen von Honolulu nach Californien ausgeführt wurde. Dies hat sich vollständig geändert. Es klingt komisch, wenn man heute in San Francisco hört, daß ehedem Weizen aus den Sandwichinseln eingeführt wurde.
Als wir um eine niedrige Landzunge (Barbers Point) herumfuhren, die am südwestlichen Ende der Insel Oahu weit in das Meer hinausreicht, trat der Kaalá, ein 4030 Fuß (1229 Meter) hoher abgeplatteter Berg, der höchste Berg auf der Insel Oahu, in unseren Gesichtskreis. Dann erschienen nackte, 500 bis 800 Fuß hohe nahe am Strande vereinzelt dastehende vulkanische Kegel und eine genau wie der Rand eines halbzerstörten Riesenkraters aussehende zerrissene Bergkette, die bis 3111 Fuß aufsteigenden Wainae-Berge, welche mit den beiden Enden eines neun engl. Meilen (14 ½ km) langen Halbbogens bis an das Meer herantreten. Bald darauf erblickten wir den hohen Schornstein der Zuckermühle, die Schuppen und die Lagerhäuser von Wainae, lange Reihen weißgetünchter Arbeiterhütten, die Landungsbrücke und einen Kokospalmenhain. Unser Dampfer warf in einiger Entfernung vom Ufer einen Anker aus und wir Reisenden, unter denen sich eine Anzahl Arbeiter befanden, wurden in Böten nach der langen hölzernen Landungsbrücke befördert. Ein halbstündiger Spaziergang über ein Bahngeleise, durch Feld, Sumpfland und den Kokospalmenhain brachte uns vom Landungsplatze nach dem Hause des Oberaufsehers, bei dem ich ein gastfreies, vortreffliches Unterkommen fand.
Den Nachmittag benutzte ich dazu, mich auf der Pflanzung und in der Umgebung etwas umzusehen. In Begleitung meines Freundes Widemann und des Oberaufsehers fuhr ich zunächst auf dem Bahngeleise auf einer von zwei kräftigen Kanaken in Bewegung gesetzten Draisine durch die Felder und über einen Bach nach dem nicht weit von der Ansiedelung entfernten alten Lager Kamehamehas III. Es war dies eine nahe am Meere liegende, aus lose aufeinander gelegten Steinen erbaute Einfriedigung von 80 Fuß Breite und 250 Fuß Länge. Der Steinwall, welcher eine Höhe von sechs bis zehn Fuß hatte, war zum Teil noch recht gut erhalten. Es scheint dies ein befestigtes Lager gewesen zu sein, dessen innerer Raum jetzt voll von stachlichtem Gestrüpp ist. Nicht weit davon entfernt lag ein hoher, in die See hinaustretender Felskegel, in welchem sich zahlreiche Höhlen befinden: eine alte Begräbnisstätte, wo man mitunter heute noch Schädel und Waffenstücke mancherlei Art antrifft. Weiterfahrend gelangten wir in das von schroffen Felsgipfeln umschlossene Thal Makoha, in welchem eine kleine Zuckerpflanzung liegt. Das Zuckerrohr wird von dort auf dem von uns benutzten Schienenstrang nach der Mühle in Wainae befördert. In Wainae lebten 75 Japaner und 100 Chinesen von einander abgesondert in zwei Reihen von kleinen weißgetünchten Holzhäusern. Die Arbeiter sahen ohne Ausnahme heiter und zufrieden aus und wurden augenscheinlich gut behandelt. In der Ansiedelung befinden sich außer der großen mit Dampf getriebenen Zuckermühle und den dazu gehörenden Gebäuden ein Schulhaus, eine Kirche, ein Kaufladen, eine Postanstalt und eine Anzahl Wohnhäuser. Eine engspurige Eisenbahn führt von der Mühle bis mitten in die Zuckerrohrfelder hinein und wird dazu benutzt, das Rohr, sobald es geschnitten ist, von den Feldern nach der Mühle zu befördern.
Als sich die gezackte Bergkette, durch welche die Zuckerpflanzung auf der Landseite in weitem Bogen malerisch eingeschlossen wurde, unter einer überaus prächtigen Abendbeleuchtung scharf von dem schnell dunkelnden Himmel abzeichnete, kehrten wir nach der Wohnung des Oberaufsehers zurück, um dort im Kreise seiner Familie unser Abendbrot zu genießen. Dies war mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft. Einige tausend Moskitos hatten nämlich das Speisezimmer in Besitz genommen. Eine bissigere Moskitogesellschaft war mir selbst an der Mündung des Mississippi nicht vorgekommen! Es war uns nicht möglich, einen Bissen ungestört zum Munde zu führen. Erst als unser Wirt sämtliche Fenster und Thüren schloß, und einen ansehnlichen Vorrat von Insektenpulver in drei damit angefüllten Schüsseln auf der Speisetafel in Brand steckte, so daß ein dichter Rauch im Zimmer entstand, ließen uns die kleinen Ungeheuer, die auf kurze Zeit betäubt wurden, in Ruhe. Daß diese nachher blutige Rache an uns nehmen würden, machte uns vorläufig keine Sorge.
Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß es auf den Sandwichinseln ursprünglich keine Moskitos gab, sondern daß diese im Jahre 1826 zuerst von dem aus Mexiko anlangenden Walfischfahrer Wellington in einem alten Wasserfaß nach Lahaina gebracht wurden. Die Hausfliegen wanderten ungefähr um dieselbe Zeit ein. Als Kapitän Cook zum ersten Mal die Sandwichinseln besuchte, gab es dort, mit Ausnahme von Ameisen, Spinnen, kleinen Eidechsen, Fledermäusen und einigen einheimischen Vögeln, nur Schweine, Hunde, Ratten, Mäuse und Hühner. Die ersten Inselbewohner, welche nach hawaiischen mündlichen Überlieferungen aus Tahiti kamen, sollen Schweine, Hunde und Hühner von dort mitgebracht haben. Wie die Ratten und Mäuse nach Hawaii gelangten, ist leider nicht bekannt geworden. Schlangen, Frösche und Kröten giebt es heute noch nicht auf den Sandwichinseln. Dagegen wurden die ersten bis sechs Zoll langen Hundertfüßler und Skorpione im Jahre 1836 in Warenballen eingeführt. Diese beiden häßlichen Tierarten haben sich stark vermehrt, und sie sind jetzt in den feinsten Häusern in Honolulu keine Seltenheit. Einen großen Hundertfüßler trat ich dort im prächtigen Empfangszimmer eines meiner deutschen Freunde auf dem Teppich mit dem Stiefelabsatz tot.
Die ersten Spatzen langten auf der Bremer Barke R. C. Vyllie im Jahre 1875 in Honolulu an. Jetzt giebt es Hunderttausende von Sperlingen auf den Sandwichinseln. Pferde, Rinder, Ziegen und alle Arten von Haustieren, die sämtlich eingeführt wurden, haben sich außerordentlich vermehrt. Auch mit der Pflanzenwelt war es ursprünglich auf den hawaiischen Inseln ziemlich armselig bestellt. Die meisten tropischen Baumarten, welche dort heute das Auge entzücken, stammen aus einem alten botanischen Garten, den ein Dr. W. Hillebrand vor mehr als dreißig Jahren in der Nähe von Honolulu angelegt hatte. Als Hillebrand nach Europa zurückkehrte (er starb in Heidelberg,) plünderten die Pflanzenliebhaber den ohne alle Aufsicht liegen gebliebenen verwilderten botanischen Garten, und so wurden die Bäume nach den verschiedenen Inseln gebracht, wo sie jetzt überall in Menge zu finden sind.
Der Oberaufseher der Zuckerpflanzung, ein gebildeter deutscher Maschinist mit Namen A. Ahrens, der auch die Mühle und die Dampfmaschine unter seiner Obhut hatte, besaß eine Frau, die halb kanakischer und halb chinesischer Abkunft war. Die Kinder sahen trotz ihres ziemlich gemischten Blutes ganz aufgeweckt aus und machten mit den vier kleinen struppigen Rattenhunden einen wahren Höllenlärm im Hause, bis der Papa sie mit einem deutschen Kernfluch ins Bett jagte. Wir plauderten dann noch eine geraume Weile im Wohnzimmer meines liebenswürdigen Wirtes und ließen uns einige Flaschen bairischen Bieres trefflich munden. Als ich mich zur Ruhe begab, warnte mich Herr Ahrens vor den Gespenstern, die namentlich beim Vollmond in meinem Schlafzimmer spukten und dort schon manchen Gast in Schrecken gesetzt hätten. Da der Mond gerade mit vollem Pausbackengesicht in mein Schlafgemach guckte, so war die Sache allerdings bedenklich. Trotzdem wurde ich von Gespenstern nicht belästigt! Daß ich elendiglich um meine Nachtruhe kam, war meine eigene Schuld. Ich hatte nämlich vergessen, das Moskitonetz an den Seiten unter die Matratze zu stecken, eine Nachlässigkeit, die von einem ganzen Schwarm hawaiischer Blutsauger benutzt wurde, indem dieselben geschickt unter das Netz krochen und mich grausam im Bett überfielen. Moskitonetze gehören in allen Küstenplätzen auf den Sandwichinseln zur Einrichtung der Betten. Ohne ein Moskitonetz, dessen untere Seiten man aber, nachdem man sich niedergelegt hat, wie gesagt, unter die Matratze stecken muß, wäre der Schlaf dort fast eine Unmöglichkeit!
Nachdem wir am nächsten Morgen wieder wacker mit den Moskitos um unseren Imbiß gekämpft hatten, versuchte ich es, auf der Veranda einige Aufzeichnungen zu Papier zu bringen. Unter einem Baldachin von goldgelben Blumen, von welchen die Veranda dicht überrankt war, saß ich wie in einem Feenschloß, umweht von lauen Lüften, in einem bequemen amerikanischen Schaukelstuhl. Ein Mynah (ein hawaiischer Singvogel) sang mir sein Morgenlied vor. Blumen und Sonnenschein, milde Lüfte und Vogelsang wurden von mir gewiß hochgeschätzt. Aber im Paradiese dünkte ich mich dennoch nicht, denn ich mußte mit jeder Hand einen Palmblattfächer unausgesetzt in Bewegung halten, um die bissigen schwarz und weiß gefleckten »Tagesmoskitos« fortzutreiben, die mich durch unausgesetzte Angriffe am Schreiben zu hindern sich bemühten. Im Hochsommer sollen jene sogenannten Preußen in Wainae bei 90 Grad Fahrenheit Hitze im Schatten (25,8 R.) noch kriegerischer gesinnt sein. Herr Widemann und Herr Ahrens waren bereits nach der Zuckermühle vorangegangen, wohin ich ihnen bald darauf durch den Kokospalmenhain und quer durch die Felder folgte, denn dort war ich wenigstens sicher, nicht von den Moskitos, welche die unmittelbare Nähe des Meeres nicht lieben, bei lebendigem Leibe verspeist zu werden. Ein Schwarm Elstern, die auf den Bäumen in der Nähe des Wohnhauses saßen, schienen mich mit ihrem Geschrei förmlich zu verhöhnen, als ich vor den hawaiischen Blutsaugern die Flucht ergriff.
Die ausgedehnten Gebäulichkeiten der Zuckermühle (die man sich aber nicht als eine Mühle mit Schaufelrädern, sondern als eine Art Maschinenhaus und Dampfsiederei vorstellen muß), sowohl die Wände als das Dach derselben, waren ganz aus zinkgalvanisiertem starken Wellblech erbaut worden. Die Balken, Fußböden, Stiege u.s.w. bestanden aus Stein und Eisen, so daß von Feuersgefahr in dem Gebäude nicht die Rede sein konnte. In den beiden Stockwerken standen mächtige offene Kufen und oben geschlossene große kupferne Siedekessel in Reihen da. Hier kochte der braune Saft unter einem hohen Hitzegrad, dort wurde die mit schmutzigem dicken Schaum bedeckte Flüssigkeit geklärt und dann verdampft, bis zuletzt der noch warme Rohzucker aus einem langen Holztrog in Haufen auf dem Steinboden zusammenfloß, wo er in Säcke, die gefüllt 120 Pfund wiegen, geschaufelt wurde. Wainae liefert zwei Sorten Rohzucker, der, wie aller hawaiischer Zucker, zum Raffinieren nach San Francisco geschickt wird. Von 350 Acker Kulturland werden in Wainae jährlich 1800 bis 2000 Tons Rohzucker gewonnen.
Am meisten fesselte mich der Platz, wo das Zuckerrohr auf einer langen Reihe von offenen Eisenbahnwagen unmittelbar von den Feldern bei der Mühle anlangte. Auf jedem Wagen standen zwei Kanaken oder Chinesen, die das Rohr mit großen Haumessern zerteilten. Die kurzen Stücke warfen jene gleich auf eine neben der Wagenreihe liegende, sich in Gliedern fortbewegende endlose Holzbahn, vermittelst welcher das Zuckerrohr vor die beiden gewaltigen Walzen aus Gußeisen gebracht wurde, die es empfingen und zerquetschten. Schlecht zerquetschtes Rohr wurde zweimal zwischen die Walzen geworfen. Unten lief der Saft ab, während das ausgepreßte holzige Rohr in Haufen an die Seite fiel und gleich als Feuerungsstoff für die Dampfmaschine Verwendung fand. Letzteres ist für die Zuckerindustrie auf den Sandwichinseln von der allergrößten Wichtigkeit, da Steinkohlen eingeführt werden müssen und Brennholz auf den Inseln kostspielig und nur in beschränkter Menge zu finden ist. In Wainae wird nur die Lokomotive mit Steinkohlen geheizt; aller andere Feuerungsstoff besteht dort aus zerquetschtem Zuckerrohr.