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5. Kapitel.
In der Schloßgärtnerei

Ja, wo steckte Ursula auch in den nächsten Tagen? Am Montag bat sie Mama, ob sie sich einen Goldlack aus der Schloßgärtnerei holen dürfe, es seien dort so wunderschöne, dunkelgoldene, mit einem Duft – wie tausend Veilchen! Geld habe sie noch.

Da sie mit einer gewissen Begeisterung, wenn auch etwas beklommen sprach, erlaubte Mama es gern, in dem stillen Vorsatz, Ursula jetzt jede anspruchslose Freude zu gewähren. Sie dachte auch, daß es dem Kinde außer den Blumen auch um den Gang durch den Schloßgarten zu tun sei, und sie gönnte ihm auch diesen.

»Ich würde gern mit dir gehen,« sagte sie, »aber heute ist es leider wieder unmöglich, da ich eine Geburtstagsvisite bei der Präsidentin zu machen habe. Aber bald einmal!«

Ursel wurde rot, denn heute wünschte sie ja gar nicht die Begleitung der lieben Mama, und das war eigentlich ein sonderbares, fast beschämendes Gefühl.

Am Dienstag sprach Papa von den ausgezeichneten Spargeln, die es am Sonntag gegeben hatte, und äußerte den Wunsch, solange die günstige Zeit währte, zweimal in der Woche solche zu essen.

Ursel blickte mit still frohlockender Miene auf und begegnete einem lächelnden Blick der Mutter, die denn auch gleich sagte: »Also meine kleine Kommissionärin – wieder ein erwünschter Auftrag für dich. Und dann bestelle mir gleich für morgen oder übermorgen zehn Pfund zum Einmachen, die müssen aber hergeschickt werden, die kannst du natürlich nicht tragen.«

Ursula lachte wirklich ganz laut und meinte: »Ich kann ja zweimal gehen.«

So kam es, daß sie fast jeden Tag einen Grund hatte, nach der Schloßgärtnerei zu gehen, und wenn sie auch nicht lange bleiben konnte, weil entweder Franzi zu tun oder sie selbst noch Schularbeiten zu machen hatte, so war's doch wenigstens immer ein Viertelstündchen, das sie mit der neuen Freundin verplauderte, die ihr von Tag zu Tag lieber wurde.

An dem Tage, wo nun die größere Menge des kostbaren Gemüses zu beschaffen war, für das Ursel von jetzt an eine Leidenschaft faßte, hatte sie sich wohlweislich so eingerichtet, daß sie länger bleiben konnte. Die Eltern waren schon zu Mittag nach Heckendorf gefahren – niemand konnte sie vermissen.

Heute bekam Ursel sogar auch eine blaue Schürze von Franzi und ein Messer, und mit ungeheurem Jagdeifer gingen sie an die Arbeit. Heute kam auch Franzis Mutter mehrere Male zu ihnen, und Ursel war wieder überrascht von dieser feinen sanften Frau mit dem edlen Gesicht und den arbeitsharten Händen.

Heute hoffte sie nun endlich etwas mehr von Franzis Geschichte zu erfahren. Sie hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß es eine »Geschichte« sein müsse.

Aber vorläufig waren sie fleißig und Ursel beobachtete nebenbei das Leben und Treiben in der Gärtnerei. Sie waren heute bei den Beeten im großen Garten, in den man von dem höhergelegenen Heckendorfer Weg hineinsehen konnte, und Ursel dachte, flüchtig, daß die Ihrigen, wenn sie da oben vielleicht gingen, sicher nicht darauf verfallen würden, daß das Mädchen mit der großen blauen Schürze, das sich da so emsig zwischen den Beeten bückte, ihre Ursula sei, die seelenvergnügte Ursula, bei neuer Arbeit und in neuer Umgebung.

Wie wurde da rings um sie her emsig geschafft! Hier trugen zwei Gärtnerburschen große schwere Gießkannen und begossen die Himbeerpflanzungen, während ein anderer die zu üppig wuchernden Ranken sorgsam aufband. Hier deckte einer irdene Töpfe ab von kleinen Blumenpflänzchen, die damit vor der Mittagsonne geschützt waren. Bei den Mistbeeten regulierten zwei Gehilfen die großen Glasfenster; zwischen den Beeten knieten alte Frauen und jäteten Unkraut, zwei Kinder gingen auf Raupenjagd zwischen den Kohlköpfen, zwei andere pflückten die ersten zarten Schoten von den Erbsen.

Ursula frohlockte, daß bald wieder ein neues Gemüse hier zu holen sein würde.

Endlich waren sie mit ihrer heutigen Arbeit fertig. Sie liefen zu einem der vielen Behälter für Regenwasser und wuschen ihre Hände, aber Franzi meinte, sie wollten es nur recht gründlich machen, denn sie wenigstens müßte gleich eine Handarbeit nehmen, die große Eile habe.

So ging Ursel zum ersten Male mit ins Haus und sah Franzis kleines Reich. Es war nur ein Kämmerlein, nicht größer als Ursels geliebte Bodenstube »zu Hause«. Sie enthielt nur das Bett, Waschgerät, eine kleine Kommode und einen sehr altmodischen Nähtisch, aber das Fensterchen, an dem es stand, hatte die Aussicht auf den »stillen See«. Da lag die blaue, sanfte Fläche im Kranz der Wälder, und andächtig blickten die Mädchen zum ersten Male zusammen da hinaus.

»Wir müssen einmal um den ganzen See gehen,« sagte Ursel, »das ist der schönste Weg hier bei Wendenburg. Allein darf ich ihn nicht machen, aber mit dir –«

»Wenn ich mal Zeit habe, gern!«

Jetzt sah Ursel sich in dem Stübchen um. Oh, was stand da alles auf der Kommode! Da war die Photographie eines Schlosses, schon mehr einer alten Burg – darüber hing ein Hirschgeweih – da war das Bild eines sehr anziehend, aber kränklich aussehenden Mannes, und noch ein Porträt, das kühn und aristokratisch ausschaute; dann ein kleines einstöckiges Haus, weinumrankt und blau umblüht, das war gezeichnet und auf kindliche Art bunt ausgetuscht; endlich noch die Photographie eines kleinen Mädchens, und auf diese stürzte sich Ursel zunächst mit einer gewissen Eifersucht.

»Wer ist das?« fragte Ursula mit ängstlichem Eifer, denn sie wünschte, ohne es zu wissen, daß ihre neue – ach, ihre einzige Freundin, keine andere Gefährtin hätte als sie, Ursel, der sie doch gestern zugestanden, daß sie sie schon sehr lieb habe!

»Das ist Komteßchen Leontine,« sagte Franzi, »und das ist der gute schöne Graf – und hier mein Vater! Dies ist unser Häuschen, das lag am Park von Wehrburg – siehst du das Schloß?«

»Wie eine Ritterburg,« sagte Ursel bewundernd, »und da, in der Burg – da spieltest du mit dem Komteßchen?«

»Ja, da hatte ich vor allem meine Schulstunden bei dem lieben Fräulein Elsner. Komm, heut will ich dir alles erzählen. Nur muß ich dabei meine Arbeit nehmen, und wir wollen dann unter die Linde gehen.«

»Ach, können wir nicht hier bleiben?« bat Ursel, »hier ist es so nett, so recht ungestört.«

»Ja, das ist wahr, aber ich habe nur einen Stuhl!« sagte Franzi lachend.

»Den nimmst du natürlich, weil du sticken mußt,« sagte Ursel und schwang sich auf das Fensterbrett, »so – nun ist es wundervoll, jetzt fang nur gleich an! Ich bin schon so sehr gespannt!«


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