Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als sie zum ersten Male nach der Kurfürstenstraße kam, wo die Gräfinnen Steineck ihre Wohnung hatten, war auf ihr Klingeln ein kleiner Diener erschienen, der mit wichtiger Miene ihre Meldung entgegennahm, dann aber beinahe umgerannt wurde von einem großen mageren Backfisch, der mit dem Ruf: »Franzi, ach Franzi!« auf die junge Besucherin zustürzte.
Als der kleine Bursch gleich darauf zurückkam und steif verkündete: »Gnädige Gräfin lassen bitten,« fuhr ihn die junge Komtesse an: »Ach, lassen Sie doch die Faxen, Peter! Wir kommen schon, und diese junge Dame wird künftig zu jeder Tag- und Nachtstunde eingelassen; verstanden?«
»Aber Tini,« warnte Franzi sanft, »noch immer so –«
»Ja, noch immer so! Und nun, wo du kommst, erst recht. Himmel, Franzi, wie siehst du reizend aus, was muß ich für ein Scheusal sein neben dir! Peter, was haben Sie zu lachen?« fuhr sie den heimlich grinsenden Groom in Livree wieder an, so daß er schleunigst seinen Rückzug antrat.
Leontine wiegte die Freundin an den Armen hin und her und konnte ihre ausgelassene Freude gar nicht mäßigen.
»Aber jetzt bringe mich zu deinen Tanten,« sagte Franzi, gerührt über den stürmischen Empfang, »wir dürfen nicht so unhöflich sein und warten lassen.«
Leontine zog die Stirn kraus. »Ach, kann ich dich nicht erst allein haben? Die Tanten werden dich so viel fragen, und du wirst so schrecklich artig und höflich sein, und ich werde gar nichts von dir haben,« schmollte sie.
Da klang auch schon eine etwas strenge Stimme von der Tür her: »Nun, Leontine, wo bleibt deine Freundin?«
Da beeilten sie sich einzutreten, und Franzi sah sich in einem großen eleganten Salon zwei älteren Damen gegenüber, denen sie mit ihrer hübschen freien Anmut die Hand küßte.
»Also Sie sind die liebe Freundin unserer Tini,« sagte die ältere Schwester. »Seien Sie uns willkommen,« fügte die jüngere hinzu.
»Dürfen wir in mein Zimmer gehen?« platzte jetzt Tini, die wie auf Kohlen dabei stand, heraus, wurde aber durch einen ernsten Blick zur Ruhe gewiesen.
»Später, Kind; zunächst möchten wir das junge Mädchen kennen lernen. Setzen Sie sich, liebes Kind!«
Die kleine Komtesse schnitt heimlich ein Gesicht und balancierte dann höchst unzufrieden auf einer Stuhlkante, während Franzi den Damen artig Rede stand.
Tini hatte recht! Sie hatten sehr viel zu fragen, diese Tanten! Aber war es nicht natürlich? Mußte es sie nicht interessieren, die Kindheits- und Heimatsgefährtin ihrer kleinen Nichte kennen zu lernen, von dem Schicksal und den Zukunftsaussichten dieses Mädchens zu hören, von dem Tini so oft und mit größter Sehnsucht gesprochen hatte?
Aber Tini wollte das nicht einsehen! Verzogen und eigenwillig, wie sie war, verzehrte sie sich in Ungeduld, ihre Freundin für sich zu haben, und zürnte beinahe dieser Freundin selbst wegen ihres liebenswürdigen, wohlerzogenen Benehmens.
Jetzt sprachen sie von dem Glück, das Franzi widerfahren durch die hohe Gunst der Landesfürstin, wofür die Damen sich besonders zu interessieren schienen. Gräfin Diana, die einst sehr schön gewesen sein mußte und öfter an Höfen verkehrt hatte, sagte: »Sie müssen sich glücklich schätzen, mein Kind, das Interesse und die Fürsorge einer so edlen Frau zu besitzen, und alles tun, sich dessen würdig zu zeigen.«
»Das wird sie schon,« fuhr Leontine ungebärdig dazwischen, »Franzi tat von jeher nur was Würdiges!«
»Und du scheinst sehr wenig würdig zu sein, Leontine, eine solche Freundin zu haben,« sagte Gräfin Diana mit strenger Betonung, während die kleinere, sanft blickende Gräfin Ludowika begütigend einfiel: »Das Kind ist ungeduldig, liebe Schwester; sollten wir die Jugend nicht jetzt ein wenig allein lassen?«
»Du verziehst Leontine,« beharrte Gräfin Diana unzufrieden, während Tini mit dem Ruf: »Du bist ein Engel, Tante Wika,« dieser um den Hals fiel.
Darauf wurden sie denn wirklich entlassen mit der Weisung, in einer Stunde zum Tee zu kommen, und selig zog Leontine mit ihrer Franzi ab. »Peter,« befahl sie im Vorübergehen dem Groom mit der wichtigen Miene, »Sie können uns eine Lampe bringen, aber dann wünschen wir ungestört zu bleiben.«
»Sehr wohl, gnädiges Fräulein,« sagte Peter grinsend, als wollte er sagen: Wer sollte Sie wohl stören?
In Leontinens Stübchen angekommen, umarmte die kleine Komtesse ihre Franzi noch einmal stürmisch und rief: »So, nun wollen wir uns aber ordentlich was erzählen! Aber, bitte, nichts mehr von Musik und Konservatorium, von deiner Fürstin und dieser schrecklichen Ursula Dahland –«
»Tini! Schreckliche Ursula sagst du?«
»Na ja, sie mag ein Engel sein, aber mir ist sie schrecklich; das sage ich dir, weil du dir so viel aus ihr machst. Ich bin doch deine alte Tini, deine Freundin von jeher –«
»Aber hör doch, Ursula –«
»Nein, nein, ich mag nichts mehr von ihr hören, ein ander Mal vielleicht! Heut wollen wir von früher reden, von Wehrburg, von meinem Vater – von eurem kleinen Haus! Ach, Franzi, unser herrliches Wehrburg! Werd' ich es jemals wiedersehen? Ich kann nicht wieder glücklich werden, fern von Wehrburg!«
Sie hatte Tränen in den Augen und sah so erregt aus, daß Franzi sie tief gerührt in die Arme nahm und tröstend über ihr Gesicht strich.
Leontine Wehrburg war ein verzogenes und eigenwilliges Kind, wozu ihre frühzeitige Kränklichkeit wohl zum Teil die Veranlassung gegeben hatte; sie war auch hochmütig und hatte sonst manche Eigenschaften, die ihre Erziehung schwer machten und unter denen auch die Kindheitsgespielin gelitten hatte. Aber für alles, was mit der Heimat zusammenhing, hatte sie eine wahrhaft leidenschaftliche Anhänglichkeit.
Wenn sie davon sprach, war sie liebenswürdig, zärtlich und dankbar; dann hatte sie völlig andere Töne in der Stimme und das kecke Gesichtchen wurde sanft.
So erlebte es jetzt Franzi, und auch ihr ging das Herz auf in der Erinnerung an alte Zeiten. Schloß Wehrburg und das väterliche Häuschen am Park traten ihr auf einmal so nah, daß Wendenburg und die Schloßgärtnerei für den Augenblick fast etwas Schattenhaftes bekamen.
Als aber Leontine sich allzusehr erregte und anfing, über ihr jetziges Leben zu klagen, da suchte Franzi doch unvermerkt etwas abzulenken und begann, sich im Zimmer und unter den Sachen der Freundin umzusehen.
Sie bewunderte auch den schönen Salon und das prächtige Eßzimmer, durch das sie vorhin gegangen. Tini aber meinte verächtlich: »Ach, das ist aber auch die ganze Herrlichkeit! Außerdem hat nur Tante Diana ein Schlafzimmer, so klein wie meines hier, und für Tante Ludowika wird jeden Abend im Eßzimmer auf dem Sofa ein Lager zurechtgemacht. Findest du das vornehm? Ich nicht!«
»Aber Tini,« sagte Franzi vorwurfsvoll, »denk mal ein bißchen nach! Bist du nicht undankbar? Ich vermute, daß deine Tante Ludowika früher dies Zimmer hatte. Als du dann kamst, war nicht gleich ein übriges Zimmer da; da hat die Gute dir das ihre abgetreten und behilft sich nun auf die Weise, wie du sagst.«
Leontine sah sehr betreten aus und rief dann: »Du weißt doch immer gleich alles, Franzi. Natürlich ist es so, aber ich habe noch nie daran gedacht! Muß ich Tante nun anbieten, daß ich auf dem Sofa schlafen will? Das wäre aber schade!«
»Sie würde es wohl nicht annehmen,« meinte Franzi, »aber ein bißchen dankbarer könntest du immer sein, und Bemerkungen, daß dir etwas nicht ›vornehm‹ genug scheint, dürftest du gar nicht machen!«
»Hm – du hast wohl recht – auch mit dem Dankbarsein! Aber weißt du, es ist so schrecklich langweilig und demütigend, immer dankbar zu erscheinen!«
»Nicht scheinen, Tini; dankbar sein!«
»Ach, das ist dasselbe. Zu Hause hatte man immer alles und brauchte sich eigentlich nie zu bedanken.«
Franzi sah sehr ernst aus. Diese Bemerkungen der ungestümen kleinen Gräfin gefielen ihr wieder gar nicht, aber sie mochte nichts mehr sagen; sie fürchtete, Tini sonst die ganze Freude des Wiedersehens zu verderben. Wenn Franzi zu viel »predigte«, wie Tini es früher nannte, dann pflegte letztere sich die Ohren zuzuhalten.
Jetzt wurde das Plauderstündchen auch schon unterbrochen und die jungen Mädchen zum Tee gerufen. Dabei ging es nun wieder höchst vornehm zu, der kleine Diener wartete gravitätisch auf, und deshalb wurde die Unterhaltung meist französisch geführt. Leontine tat dies sonst oft recht widerwillig, nahm sich aber heute zusammen und plauderte recht niedlich, stolz darauf, einmal etwas besser zu können, als ihre vielbewunderte Franzi, die augenscheinlich außer Übung war und sich daher etwas befangener gab als in der ersten Stunde.
Sie hatte den beiden Gräfinnen aber doch sehr gefallen und diese meinten seufzend zueinander: »Wenn doch Leontine an diesem Mädchen sich ein Beispiel nähme!«
Peter mußte endlich den jungen Gast bis an die Haltestelle der Elektrischen begleiten, und bekam von dem Komteßchen noch viele Befehle, wie er für das Fräulein zu sorgen habe, während die Tanten freundlich die Einladung aussprachen, recht häufig die Sonntage bei ihnen zu verbringen. Freundliche Aussicht!