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Als nach der festlichen Zeit die lieben Gäste wieder abgereist waren, schien über Ursel eine große Leere zu kommen, die sie zum ersten Male nicht standhaft ertrug.
Nicht nur, daß diese Tage mit der Fülle von Musik, festlichem Gepränge und Frühlingswonne wirklich wunderschön gewesen waren, es blieb aus dem Zusammensein mit den Jugendgefährten so mancher Eindruck zurück, der sie tief nachdenklich machte, über den sie hätte sprechen mögen, ohne dies indes zu wagen.
Axel, der zuletzt abreiste, war ihr gar zu ernst, ja niedergeschlagen erschienen, und das Schwesterherz ahnte, was in ihm vorgegangen war, wenn auch Franzi über jene Verse von Axel geschwiegen hatte, die keine Frage, sondern gleich ein Verzichten enthielten. Ursel sagte sich, daß ihr Bruder der einzige sei, der die allgemeine Freude über Franzis Erfolg, der sie nun auch in ihren Kreisen völlig zur Künstlerin stempelte, nicht von Herzen teilte, weil dadurch zwischen ihm und der Jugendfreundin eine Kluft zu entstehen schien, die tiefer und weiter war als alle Meere, die oft zwischen ihnen lagen.
Ihm wäre es, sagte sich Ursel mit Wehmut, wohl lieber gewesen, er hätte das einfache, frische Mädchen mit all seinen lieblichen Naturgaben wiedergefunden, anstatt dieser schönen, fertigen Künstlerin. Vergebens, daß Ursel sich sagte: Aber Franzi ist doch noch dieselbe! Sie mußte hinzufügen: Für Axel aber ist sie jetzt verloren.
Und darüber sann und grübelte sie nun sehr viel. Ihr kam eine Ahnung, als wären sie zum letzten Male für lange Zeit so glücklich zusammen gewesen, als würde das Leben die treuen Genossen einander entführen.
Wilhelm freilich blieb ja im Lande. Die kleine Stadt, in der er einstweilen als Lehrer angestellt war, lag nicht sehr entfernt von Wendenburg, er konnte wohl manchmal an einem Sonntag herüberkommen und sich nach der Mutter umsehen. Aber – es war eigentümlich: wenn nicht Franzi und Axel dabei waren, konnte sich Ursel auch kein Zusammensein mit Wilhelm denken. Ja, als sie ihn zum ersten Male in der Schloßgärtnerei allein bei der Mutter traf, war sie entschieden sehr befangen. Er hatte kürzlich seinen Doktor gemacht, das gab ihm in Ursels Augen eine neue Würde, und überhaupt – er war doch gar zu klug. Der Vortrag, den er jüngst in Wendenburg gehalten hatte, lag Ursel noch immer im Sinn. Danach traute sie sich kaum, ihn anzureden und fühlte sich wirklich erleichtert, als sie ihn das nächste Mal völlig nach Jungenart in einen Stachelbeerbusch vertieft und zu den harmlosesten Plaudereien aufgelegt fand. Da taute sie allmählich wieder auf; aber ehe sie sich's versah, waren sie doch mitten in ernsthaften Gesprächen, die ihr weit über das Plaudern gingen. Sie mußte aber erst die Befangenheit überwunden haben und nicht denken: Jetzt soll ich mich mit einem jungen Gelehrten unterhalten!
Daß sie es konnte, mochte sie doch wohl beweisen, denn Doktor Wilhelm sprach mit ihr nicht von seiner Schule, sondern besonders gern von seinen eigenen Arbeiten; er schriftstellerte ja in aller Heimlichkeit. Vaterländische Geschichte war sein Steckenpferd, und jedesmal, wenn er in die Residenz kam, pflegte er in die Regierungsbibliothek zu gehen, allerlei nachzuschlagen, oder auch Bücher zum »Quellenstudium« zu entleihen.
Nur Ursel durfte darum wissen, was er sonst allen verschwieg. Sie war ja eben solch wunderbar sympathisches Geschöpf, immer zum Zuhören, zum Mitempfinden geneigt. Jeder vertraute ihr seine wichtigsten Dinge an.
Von sich sprach sie eigentlich wenig, ihr eigenes Tun und Treiben erschien als das Naturgemäße, was sollte man davon groß reden? Die anderen – ja, die konnten natürlich von Examen, von Doktorarbeit, Konservatoriumsprüfung, Konzertkritik, von Beförderungen in der Marine und tausend wichtigen Dingen sprechen, die für sie immer einzelne Stufen in ihrem Lebensgang bedeuteten; aber was konnte dagegen das Hausgeistchen Ursel aufbieten?
In dieser stillen nachdenklichen Zeit kam Ursel immer wieder auf einen Wunsch zurück, den sie schon lange gehegt, aber nie recht auszusprechen gewagt hatte. Es war jetzt überall von »Samariterkursen« die Rede, die sich als eine überaus segensreiche Einrichtung erwiesen. Auch in Wendenburg waren nicht nur Vorträge für Frauen und Mädchen eingerichtet, sondern auch praktische Übungsstunden im städtischen Krankenhause unter Aufsicht des leitenden Arztes. Man lernte dort vor allem die ersten notwendigen Vorkehrungen bei Unglücksfällen, das Verbinden von Wunden, Verfahren bei heftigen Blutungen, das Wickeln und Schienen von verrenkten Gliedmaßen, auch Massieren und orthopädisches Turnen.
Alles, was Ursel hierüber gehört hatte, interessierte sie aufs äußerste, und sie kam allmählich zu der Überzeugung, daß es geradezu Notwendigkeit für ein weibliches Wesen sei, sich in solchen Dingen Geschicklichkeit und Erfahrung anzueignen. Wie viel kam doch in einem kinderreichen Hause vor an kleinen oder größeren Unfällen, bei denen man sich nicht gleich zu helfen wußte!
Wie oft kamen die kleinen lustigen Vagabunden nach Hause mit zerschundenem Knie oder verstauchtem Fuß oder merkwürdigen Rissen an den Händen, die sie sich bei Indianerspielen oder sonstigen Unternehmungen zuzogen, und waren dann sehr unglücklich und empfindlich, wenn man ihnen nicht ein bißchen geschickt half!
Wie hatte Ursel einmal Elfchens Jammern gequält, als die sich die Hand verbrannt hatte, und wie war sie in Todesangst gewesen, als Robert ein anderes Mal mit Nasenbluten nach Hause kam, das sich nicht stillen ließ, bis der Arzt kam! Das war nun freilich alles schon lange her, und bei solchen Anlässen wußte Ursel sich jetzt schon zu helfen, aber es gab doch noch andere Fälle, für die man gerüstet sein mußte!
Und überhaupt – lebte man denn nur fürs Haus und die eigenen Lieben? Es war zwar Ursels größtes Glück, und sie wünschte sich nichts anderes, aber war es wohl völlig genug? Mußte man nicht allmählich etwas weiter um sich sehen lernen und sich auch einmal um fremde Notstände kümmern? Das konnte man aber nur, wenn man das Helfen verstand, sonst quälte man die Leidenden mehr, als daß man ihnen wohltat.
Als Ursel damals Frau Trautmann gepflegt hatte, war ihr doch manches nicht leicht von der Hand gegangen, und wenn auch die liebe Kranke immer dankbar und zufrieden war und Herr Bauer Ursel als »gelernte Krankenpflegerin« zu bewundern pflegte, so fühlte sie selbst nur zu gut, wie viel ihr noch fehlte, wie oft ihr guter Wille ausreichen mußte, wo ihr das Geschick, das die Übung gibt, mangelte.
Ja, Ursel wollte endlich auch ihr »Studium« haben. Und sie stieß auch auf gar keinen Widerspruch bei den Eltern, als sie mit ihrem Wunsch, Krankenpflege zu lernen, herauskam. Beide fanden es praktisch und gut.
Anfänglich hatte das Krankenhaus wohl etwas Beängstigendes für sie: die langen kahlen Gänge, in denen es in lautloser Geschäftigkeit hin und her huschte, die Wärter in ihren weißen Röcken, die Krankenkörbe und Tragbahren, denen man begegnete, die Geräusche von Maschinen und Gerätschaften, das Stöhnen der Leidenden.
Aber Ursel hielt sich tapfer. Sie wurde nicht ohnmächtig, als sie bei einer leichten Operation zugegen sein und eine Handreichung tun durfte, während die andere Dame, die mit ihr zugelassen war, sofort die Augen schloß und schwindelnd das Zimmer verließ. Der Oberarzt sah jener mit spöttischem Blick nach, und meinte, zu Ursel gewandt: »Das machen Sie nur nicht gleich nach, Fräulein!«
Es ging hierbei auch wie oft im Leben: Manche machten diese Kurse mit oder meldeten sich wenigstens zur Teilnahme, weil es etwas Neues, weil es Mode war. Aber lange gelang es solchen Oberflächlichen, die es spielerisch auffaßten, nicht, die Ärzte zu täuschen; unweigerlich wurden die Unbrauchbaren ausgeschieden. Ursel Dahland aber war von den Unverheirateten diejenige, die am unerschrockensten stand hielt, auch natürliches Geschick zeigte, so daß ihr bald öfter ein Mehr erklärt, ein Übriges anvertraut wurde.
Wilhelm verursachte Ursulas Entschluß vieles Mißbehagen, denn insgeheim hatte er sich die Freundin dereinst mit einem ganz anderen als dem Krankenschwesternhäubchen geschmückt gedacht. Ob es ihr mit diesem Beruf wirklich ernst war? Er hatte es noch immer nicht weiter gebracht als zu jener bescheidenen Lehrerstellung in dem kleinen Steinberg, wo er mit dem schmalen Gehalt nur für sich selber genug hatte. Und wenn es auch das kleine Städtchen war, in dem Ursel ihre erste Kindheit verlebte und von der sie ihn so gern erzählen hörte, vorläufig durfte er die Frage nicht wagen, ob sie jene kleine Stadt noch einmal als ihre Heimat würde betrachten mögen.
Er hoffte aber sehnlichst auf Beförderung, wenngleich bis dahin mindestens ein Jahr vergehen würde.
So suchte er das Unbehagen, das er empfand, in immer vermehrter Arbeit zu ersticken. Die beschriebenen Blätter, die Auszüge und Notizen, die abgeschlossenen »Kapitel« häuften sich allmählich in seinem Schreibtisch, aber sein ganzes Tun in dieser Art war immer noch »Saat«, und die Ernte schien fern und ungewiß.
Seine Schwester hatte es weiter gebracht – – und auch Axel Dahland machte überraschend schnell Karriere. Er hatte aber dafür auch etwas Rastloses in seinem Wesen bekommen, und Papa meinte mitunter kopfschüttelnd, er habe nie gedacht, daß Axel so ehrgeizig sein würde.
Ach, es war weniger Ehrgeiz, es war die Sache selbst, die ihn so interessierte, und außerdem – die innere Unruhe. Nach Hause kam er jetzt selten und nur auf kurze Zeit; auch in Kiel und Wilhelmshaven hielt er es nie lange aus. Die »Ausreise« war sein einziges Element, die »Heimkehr« befriedigte ihn nie ganz, trotz aller sorgenden Liebe, die ihn dann empfing. Ja gerade die Sorge, das prüfende Anschauen und Fragen, das quälte ihn dann. Denn er fühlte es wohl auch selbst: seine stahlkräftige Gesundheit war schon ins Wanken gekommen!
Die Rastlosigkeit, die schnellen Übergänge von einem Klima ins andere, verschiedene Tropenkrankheiten, – das zehrte mehr an ihm, als er eingestehen wollte.
Nur zu Ursel sagte er einmal trübe: »Zum Admiral bring' ich es nicht mehr! Unsere Freundin Franzi hat etwas hochgegriffen mit ihrer Prophezeiung.« Als die Schwester dann erschrak, beruhigte er sie wieder und bat, nur ja der Mutter nichts zu sagen.
Aber die Mutter fühlte es doch, auch ohne Worte. Und sie empfand: Diese beständige Sorge um ihren Ältesten, dieses Sehnen und Fürchten, das war das Schwere ihres sonst so glücklichen Lebens. Das zog feine Falten in ihr gütiges weiches Gesicht, das sonst immer noch jung geblieben war, und weiße Fäden in ihr schönes Haar. Sie stand zu viel am Strand. Am besten verstand sie sich hierin mit Frau Trautmann, denn auch diese mußte sich ja in eine beständige Trennung von der einzigen Tochter finden. Franzi hatte schon mehrmals versucht, die Mutter zu einer Übersiedlung nach Berlin zu bewegen, aber die hatte stets erklärt: »Dahin passe ich nicht! Ich würde doch wie die Glucke am Ufer stehen und mich wundern und ängstigen, daß eines meiner Küchlein aufs große Wasser hinaus schwimmt, das ich nicht kenne.«
Franzi lachte zu diesem Vergleich und meinte, sie sei doch kein unechtes Küchlein, kein Entenkind; die Mutter wolle sie doch nicht etwa als »aus der Art geschlagen« bezeichnen?
Da meinte Frau Trautmann: »Nein, nein, mein Kind! Was mir fremd ist, wo ich nicht folgen kann, hat mit deinem Herzen, deinem Charakter nichts zu tun. Und in diesen beiden läßt du mich immer heimisch bleiben, keine fremde Welt zwischen uns treten, nicht wahr?«
Nein, das konnte sich auch Franzi nicht vorstellen, daß jemals darin etwas anders werden könnte. Wenn sie nun auch gewissermaßen in der »großen Welt« lebte, mit hochgestellten und berühmten Leuten verkehrte, wenn ihre Leistungen in der Kunst sich von Jahr zu Jahr steigerten, wie auch ihre allgemeinen Kenntnisse, wozu sie im täglichen Zusammenleben mit Fräulein Elsner die beste Gelegenheit hatte, so war doch tief im Herzen ein Kämmerchen, in dem die Heimatsglocken klangen, unablässig, nie übertönt vom Weltgetriebe!
»Wenn du aber nicht zu mir ziehen willst, Mütterchen,« nahm Franzi gelegentlich den Faden wieder auf, »dann könntest du dich doch wenigstens hier zur Ruhe setzen, eine nette kleine Wohnung nehmen!«
»Und nichts tun? Warum, mein Kind? Noch kann ich arbeiten, wenn ich mich auch nicht mehr anstrenge, da ich an Mariechen Bauer eine gute Stütze habe, und die Weißnäherei allerdings meiner Augen wegen aufgeben mußte. Aber warum sollte ich den guten Herrn Bauer jetzt verlassen? Er hat in seiner Weise viel für uns getan!«
So blieb vorläufig alles beim alten, denn auch Wilhelm richtete nichts mit seinem Vorschlag aus, daß die Mutter zu ihm nach Steinberg ziehen solle. »Du wirst nicht ewig in dem Städtchen bleiben, du sehnst dich doch recht fort; warum sollte ich alte Frau noch etliche Umzüge auf mich nehmen?« Sie sah dazu listig aus, und dieser scheinbare Egoismus paßte recht wenig zu ihr. Und als sie fortfuhr: »Auch sehen alte Haushälterinnen es nicht gern, wenn sie plötzlich eines Tages von jungen verdrängt werden. Nein, dem setze ich mich lieber nicht aus!« Da wußte Wilhelm wohl, wohin diese scherzhafte Abwehr zielte, und schwieg von dem vorigen Plan.
Er befand sich auch gerade in großer Aufregung wegen einiger Arbeiten, die er einem in Wendenburg wohnenden Verlagsbuchhändler eingereicht und über welche dieser jetzt eine mündliche Besprechung anberaumt hatte. Sagte sich Wilhelm auch zehnmal am Tage: »Es wird nichts, es wird nichts!« so kam im nächsten Augenblick doch eine hoffende Stimme wieder obenauf.
Und fiel die Unterredung auch nicht so aus, wie er heiß gewünscht hatte, fand sich für die vorliegenden Arbeiten auch noch nicht gleich Verwendung, so gaben sie doch den Anlaß, daß der Verleger auf Wilhelm aufmerksam wurde; seine Schreibweise und sein unverkennbares tüchtiges Wissen schienen ihm weit über dem Durchschnitt junger Autoren zu stehen, wie solche ihm alljährlich ihre Erstlingsarbeiten anboten.
So machte er Wilhelm einen Vorschlag. Es war ein großes vaterländisches Werk geplant, das in Bild und Wort die ganze Entwicklung des Landes und des Volkes, von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart, darstellen und in Lieferungen erscheinen sollte. Dies Werk sollte unter dem Protektorat des Landesfürsten stehen und von der Regierung unterstützt werden.
Es war also ein durchaus sicheres Unternehmen, bei dem es für jeden Schriftsteller eine Freude und Ehre sein konnte, zur Mitwirkung zugelassen zu werden. Mehrere namhafte ältere Persönlichkeiten waren schon herangezogen, nun bot der Verleger auch Wilhelm an, einen bestimmten Teil des Werks zu übernehmen, und zwar gerade einen Abschnitt in der Geschichte, in dem er, nach den eingereichten kürzeren Arbeiten zu urteilen, sich besonders heimisch fühlte. Ja, er würde, wie der Verleger meinte, manches von dem Fertigen wieder benutzen können, wenn er sich entschließen möchte, »die Form zu zerbrechen« und sich mit den umgearbeiteten Sachen dem Rahmen des großen Werkes einzufügen.
In mächtig angeregter Stimmung, voll Mut und voller Pläne, kehrte Wilhelm von dieser Besprechung zurück, und nachdem die Mutter vorsichtig eingeweiht war, immer mit dem bittenden Zusatz: »Aber nicht zu fest drauf hoffen, Mutterchen, nicht zu viel erwarten!« litt es ihn nicht mehr in der Gärtnerei, er mußte zur Familie Dahland. Eigentlich war das nicht richtig, sagte er sich zwar; er sollte etwas, das noch in der Zukunft ruhte, eigentlich für sich behalten können, statt es auszuplaudern wie ein Kind. Aber er konnte nicht anders: Ursel mußte es wissen! Und als sollte es so sein, kam sie ihm auf halbem Wege entgegen; er brauchte also gar nicht in das Haus am Fürstenplatz zu gehen, sondern konnte, mit der Freundin in einer Allee des Schloßgartens hin und her gehend, von seinen Hoffnungen berichten.
Ursel nahm es auf, wie er gehofft hatte, und zwar nicht nur mit der sanften herzlichen Sympathie, der man so gern alles anvertraute, sondern mit einer Begeisterung, die der Jugendfreund ihr kaum zutraute.
»Nun sollen Sie sehen, Wilhelm, nun ist Ihr Glück gemacht!« rief sie strahlend, »nun werden auch die armen Steinberger Sie die längste Zeit besessen haben und man wird Sie glänzend befördern!«
Plötzlich aber ging sie in einen anderen Ton über und meinte mit leiser Niedergeschlagenheit: »Ihr alle werdet berühmte Leute und laßt mich weit hinter euch zurück.«
Da war es für Wilhelm schwer, an sich zu halten und nicht zu sagen, wie viel weniger er an das »Berühmtwerden« dächte, als vielmehr an das, wozu diese guten Aussichten helfen sollten.
Er arbeitete nun die nächsten Wochen und Monate so ernst und vertieft, daß er sich selten Zeit nahm, Sonntags nach Wendenburg herüberzukommen. Zum 1. Dezember sollte die erste Lieferung des Werkes erscheinen, und wenngleich darin Doktor Wilhelm Trautmann noch nicht zu Wort kam, so mußte doch seine Arbeit schon um die Zeit dem Verleger vorliegen.
Und es kam, wie Ursel prophezeite: Man wurde auf ihn aufmerksam, und als zu Ostern eine Stelle am Wendenburger Gymnasium frei wurde, bekam sie ihr Jugendfreund!
Der aber hielt sich weder bei »Ruhm« noch »Beförderung« auf, womit es Ursel damals so wichtig genommen, sondern legte es in ihre Hand, ob das, was er erreicht hatte, die Stufe sein durfte zu seinem eigentlichen Lebensglück.
Nun war es für Papa Dahland an der Zeit, noch einmal gründlich zu erschrecken; seine Ursel, sein unentbehrliches Hausgeistchen, das er nie hergeben wollte, wurde ihm doch abverlangt!
Aber da es Wilhelm Trautmann war, der diese Kühnheit besaß, der gute treue Wilhelm, der auch jetzt so schöne Beweise von Tüchtigkeit gab und in weiteren Kreisen zu Ansehen gelangte, daß er ferner die liebe Ursel nicht in die Fremde entführen, sondern mit ihr in der Heimat bleiben wollte, das söhnte den Vater doch schnell mit der Sache aus, und es gab eine sehr fröhliche Verlobungsfeier.
Im Sommer konnte dann schon die Hochzeit stattfinden. In einem Häuschen am Heckendorfer Weg mietete sich das junge Paar ein, und so war für die Lieben am Fürstenplatz wie für die Bewohner der Schloßgärtnerei die traulichste Nachbarschaft gesichert.
Nun sollte Frau Trautmann wieder durchaus ihre Tätigkeit aufgeben, und sie fügte sich insoweit, daß sie die Stellung der bezahlten Haushälterin nicht länger bekleiden wollte, weil Mariechen nun wirklich die ganze Leitung allein übernehmen, Herr Bauer also das bare Geld sparen oder für seine Söhne, die von Hause fern waren, verwenden konnte.
Herr Bauer bat aber treuherzig: »Bleiben Sie doch bei uns, Frau Trautmann! Was wollen Sie sich erst 'ne andere Wohnung suchen? Ich hab' Platz genug, und Sie sollen es bequem haben. Behalten Sie doch immer Ihre beiden Stuben und richten Sie auch eine für die Kammersängerin ein! Oder –« unterbrach er mißtrauisch, »sollte die nun immer bei Doktor Trautmann wohnen wollen?«
Das konnte Frau Trautmann freilich nicht genau sagen, aber Herr Bauer tröstete sich schon selbst mit der Meinung: »Hochmütig ist sie noch nie gewesen und wird's wohl auch nicht!« Und Frau Trautmann meinte gleichfalls, daß die kleine grüne Kolonie, in die sie einst traurig eingezogen war, in der sie in Abhängigkeit und mühevoller Arbeit mutig ihr Leben von vorn angefangen, von der aus dann das Schicksal ihrer Kinder sich so glücklich entwickelt hatte, daß dieser grüne Winkel auch Franzis Heimat bleiben solle!