Friedrich Maximilian Klinger
Faust's Leben, Taten und Höllenfahrt
Friedrich Maximilian Klinger

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Zweites Buch

1

Den folgenden Morgen kam der Teufel Leviathan in dem Gepränge und mit dem Gefolge eines großen Herren, der inkognito reiset, vor Fausts Gasthof. Er stieg von seinem prächtig gezierten Pferde, und fragte den Wirt, ob der große Mann Faust bei ihm wohnte. Der Wirt beantwortete die Frage mit einer tiefen Verbeugung, und führte ihn ein. Der Teufel trat zu Faust, und sagte zu ihm in Gegenwart des Wirts:

»Sein Ruhm, sein großer Verstand, und seine herrliche Erfindung hätten ihn bewogen, einen weiten Umweg auf seiner Reise zu machen, um einen so merkwürdigen Mann, den die Menschen vermöge ihres Blödsinns verkannten, genau kennen zu lernen, und sich, wenn es ihm gefiele, seine Begleitung auf einer vorhabenden großen Reise durch Europa auszubitten. Er mache ihn übrigens ganz zum Herrn der Bedingungen, denn er könnte seine Gesellschaft nicht zu teuer erkaufen.«

Faust spielte seine Rolle in dem Sinne des Teufels, und der Wirt eilte hinaus, den Vorfall dem ganzen Hause bekannt zu machen. Das Gerücht davon breitete sich in ganz Frankfurt aus. Schon war die Meldung von der Ankunft des vornehmen Fremden von der Hauptwache an den regierenden Bürgermeister eingelaufen, und setzte den ganzen Hochedlen und Hochweisen Magistrat in Bewegung. Alle liefen, als triebe sie der Satan, nach dem Römer, ließen alle wichtige Staatssachen liegen, und ratschlagten über die Erscheinung. Der älteste Schöppe, ein Patrizier, hatte sich vorzüglich auf die Deutung der Erscheinungen an dem politischen Horizont gelegt, und sich dadurch ein gewaltiges Übergewicht in dem Senat erworben. Er drückte sein fettes Kinn in Falten, seine enge Stirne in Runzeln, zog Besorgnis in seine kleinen Augen, und versicherte die wohlweisen Beisitzer:

»Dieser vornehme Fremde sei niemand anders, als ein heimlicher Abgesandte Seiner Kaiserlichen Majestät (ein fürchterlicher Name für jeden Reichsstand), den man nach Teutschland geschickt hätte, die Lage, Verhältnisse, Uneinigkeit und Verbindung der Fürsten und Reichsstädte zu beobachten, damit sein hoher Hof bei Eröffnung des vorstehenden Reichstags wissen möchte, wie er sich benehmen müßte, seine Absichten durchzusetzen. Da nun der Kaiserliche Hof auf ihre Republik, immer ein sehr wachsames Auge hätte, so müßte man streben, diesen vornehmen Gast von dem feurigen Eifer, den man für das hohe Kaiserliche Haus empfände, zu überzeugen, und ihn ja nicht abziehen lassen, ohne ihn dem Staat zu gewinnen. Man müßte hierin den klugen Senat von Venedig zum Vorbilde nehmen, der keine Gelegenheit verabsäumte, denen am meisten Freundschaft und Ehre zu bezeugen, die er zu betrügen gesonnen sei.«

Die untergeordneten Geister des Rats versicherten, der Schöppe habe wie der Doge von Venedig selbst gesprochen; aber der Bürgermeister, der ein heimlicher Feind des Schöppen war (denn dieser, weil er die demokratische Regierungsform als ein wahrer Patrizier ebenso sehr haßte, wie ein Fürst die Republiken, pflegte bei jedem widrigen Vorfall laut zu sagen: so geht es, wenn man Krämer zu Staatsleuten macht), warf ihm schnell eine Tonne hin:

»Wahr, rühmlich und trefflich, wohlweise Herren, scheint mir alles, was unser staatskluger Schöppe soeben vorgebracht hat; würde auch ebenso gewiß zum Zweck führen, als im Vorbeigehen gesagt, der Handel einen Staat blühender und reicher macht, wie ein fauler, stolzer Adel, wenn wir nur nicht alles, durch einen einzigen Umstand, verdorben hätten. Ich rühme mich nun freilich nicht des tiefen politischen Blicks des Schöppen, der jeden Sturm von weitem ausspäht; aber doch hätt ich diesen, es sei nun aus Zufall oder Überlegung, glücklich beschworen. Ihr werdet euch alle erinnern, daß ich euch bei jeder Ratssitzung zusetzte, diesen Faust nicht so schnöde zu behandeln, und ihm seine lateinische Bibel für die kleine Summe abzunehmen. Ja sogar meine Frau, die doch nur ein Weib ist, wie es andre Weiber sind, hielt es für ratsam; denn ob wir gleich diese lateinische Bibel weder brauchen noch verstehen, so hätte man sie doch, wegen der schöngemalten Anfangsbuchstaben, und der sonderbaren Erfindung, als ein Kleinod nach der Goldnen Bulle zeigen, und die Fremden damit herbeilocken können. Auch ziemt es sich, daß ein freier und reicher Staat die Künste beschützt, und ihnen forthilft; aber ich weiß wohl, was euch im Sinne gelegen, die Eifersucht und der Neid, ihr konntet es nicht ertragen, daß mein Name dadurch unsterblich würde. Es riß euch allen in den Bäuchen, daß die Nachkommenschaft einstens in der Chronik lesen sollte, sub Consulatu *** hat man Fausten von Mainz eine lateinische Bibel, für zweihundert Goldgulden, abgekauft. Nun mögt ihr auch austrinken, was ihr eingegossen habt; und man sagt nicht umsonst, wie man bettet so liegt man, wie man schmiert, so fährt man. Der Faust ist teufelmäßig wild, und scheint mir tückischer Gemütsart, ich sah es ihm gestern abend ab. Nun ist der Kaiserliche Gesandte bloß seinetwillen hierher gereist, gar bei ihm abgestiegen, findet in dem einen großen Mann, den wir als einen Schuhputzer herumgehudelt haben – der wird's euch nun einbrocken beim Kaiserlichen Gesandten – ja, ja, er wird ihm schon den Floh ins Ohr setzen, und all unser Hofieren und Grimassieren wird zu weiter nichts nützen, als uns vor den Bürgern zu Narren zu machen. Wer den Karren in Dreck geschoben, mag ihn auch wieder heraus ziehen, ich wasche meine Hände, wie Pilatus, und hin unschuldig an Israels Verderben und Blindheit.«

Es erfolgte ein tiefes Schweigen. Die blutige Schlacht bei Kanna, die Rom den Untergang drohte, hatte den römischen Senat nicht so erschreckt, als diese kritische Lage den edlen Magistrat von Frankfurt. Schon siegte der Bürgermeister in stolzem Geiste, schon glaubte er den Schöppen völlig aus dem Sattel gehoben zu haben, als dieser seine politische Weisheit und Heldenkraft sammelte, dem sinkenden Staat zu Hülfe eilte, mit starker Stimme ad majora rief, und trotzig vorschlug:

»Sogleich eine Gesandtschaft aus dem Rat nach der Herberge zu schicken, den vornehmen Gast zu bewillkommen, und Fausten vierhundert Goldgulden für seine lateinische Bibel zu überbringen, um ihn dem Staate günstig zu machen.«

Der Bürgermeister spottete darüber, daß man nun vierhundert Goldgulden für ein Ding gäbe, das man gestern vielleicht für hundert hätte haben können; seine Spötterei diente zu nichts, der Vorteil des Vaterlands schlug sie nieder. »Salus populi, suprema lex!« schrie der Schöppe, und trug dem Bürgermeister mit Bewilligung des Rats auf, den Gesandten und Fausten, auf Kosten des Staats, köstlich zu bewirten.

Dieser Umstand beruhigte den Bürgermeister, der gern seinen Pracht und Reichtum zeigte, ein wenig über seinen Fehlschuß auf den Schöppen, und der Zusatz, auf Kosten des Staats, versetzte ihn in die beste Laune.


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