Friedrich Maximilian Klinger
Faust's Leben, Taten und Höllenfahrt
Friedrich Maximilian Klinger

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Die Unempfindlichkeit des Fürst-Bischofs und seiner Tischgenossen, die Faust bei der Erzählung dieser traurigen Geschichte wahrgenommen, die Art, wie dieser über das Schicksal dieser Unglücklichen entschied, legten den ersten Samen zum finstern Groll in sein Herz. Er lief in seinem Geiste seine vorige Erfahrung, und das, was er, seitdem er mit dem Teufel herumzog, gesehen, durch, und entdeckte, wohin er sich wandte, nichts als Härte, Betrug, Gewalttätigkeit, und Bereitwilligkeit zu Lastern und Verbrechen, um des Golds, des Emporsteigens und der Wollust willen. Er seufzte tief in seinem Herzen, und sah mit feuchtem Auge gen Himmel: »Du hast allen, von dem Größten bis zu dem Kleinsten, den Anspruch von Glück und Genuß in das Herz gelegt! allen das Gefühl von Recht und Unrecht mitgeteilt. Hast sie alle gleich empfindlich für Schmerz und Freude gemacht! Warum kann und darf ein einziger diese anerkannten Ansprüche und Gefühle verletzen? Wie kann der Mensch vor deinem Angesicht gegen den Menschen wüten?« Noch wollte er die Ursache dazu in dem Menschen selbst suchen; aber sein unruhiger, zu Zweifeln geneigter Geist, seine Einbildungskraft, die so gern über die nähern Verhältnisse wegflog, sein erbittertes, heftig teilnehmendes Herz fingen schon jetzt an, in dunklen Gefühlen den Schöpfer der Menschen, wo nicht zum Urheber, doch wenigstens durch seine Duldung zum Mitschuldigen alles dessen zu machen, was ihm Empörendes aufstieß. Diese dunklen Empfindungen brauchten nur einen stärkern Stoß, um seinen Verstand zu verwirren, und der Teufel freute sich darauf, die Veranlassung darzu in der Ferne wahrzunehmen. Faust hoffte sich bald an dem Hofe des berühmten Fürsten von diesem Mißmut zu hellen, und in diesem Wahne ließ ihn sein Gefährte sehr gerne.

Sie kamen gegen Abend in eine Stadt, wo sie bei ihrem Eintritt eine Menge Volks um einen Turm versammelt fanden, in welchem man die zum Tod Verurteilten die letzte Nacht ihres Lebens zu bewachen pflegte. Faust merkte, daß einige wild, andre gerührt hinauf sahen, und erkundigte sich um den Grund dieser Äußerungen. Das Volk schrie untereinander:

»Unser Vater, der Freund der Freiheit, der Beschützer des Volks, der Rächer der Unterdrückung, der Doktor Robertus sitzt da oben! der harte, tyrannische Minister, sein Freund, hat ihn zum Tod verdammt, und morgen soll er hingerichtet werden, weil er uns gegen ihn so kühn verteidigt hat.«

Diese Worte fielen in die Seele Fausts. Er faßte eine hohe Meinung von dem Manne, der sich auf Gefahr seines Lebens zum Rächer der Menschen aufgeworfen; und da er soeben ein Augenzeuge der Folgen tyrannischer Gewalttätigkeit gewesen war, so forderte er den Teufel schnell auf, ihn zu diesem Doktor zu bringen. Der Teufel führte ihn seitwärts, schwang sich mit ihm auf den Turm, und trat mit ihm in das Gefängnis des Rächers der Freiheit. Faust sah da einen Mann vor sich, dessen stolze, kühne, düstre Gesichtsbildung jeden andern als ihn zurückgestoßen hätte; aber es tat eine ganz andre Würkung auf ihn, und da er ihn in diesem entscheidenden Augenblick ruhig und gelassen fand, so setzte seine rasche Einbildungskraft aus dem, was er gehört hatte, und was er vor sich sah, beim ersten Blick, das Bild eines großen Mannes zusammen. Der Doktor schien über ihre plötzliche Erscheinung gar nicht betroffen. Faust nahte sich ihm und sagte:

»Doktor Robertus, ich komme, Eure Geschichte aus Eurem eignen Munde zu hören; nicht, als wenn ich daran zweifelte, denn Euer Anblick bestätigt das, was ich vernommen habe. Ich bin nun gewiß, daß Ihr als ein Opfer der Gewalt fallt, die das Menschengeschlecht unterjocht, und die mich so wie Euch empört. Ich komme Euch meine Dienste anzubieten, die Euch gegen allen Schein aus dieser traurigen Lage retten können.«

Der Doktor sah ihn kalt an, ließ sein Haupt in seine Hand fallen, und antwortete:

»Wohl falle ich als ein Opfer der Gewalt und Tyrannei, und was mir das empfindlichste ist, durch die Hand eines falschen Freundes, der mich mehr seiner Furcht, seinem Neide, als seinen despotischen Grundsätzen aufopfert. Ich weiß nicht, wer Ihr seid, und ob Ihr mich retten könnt; aber es liegt mir daran, daß Männer von Eurem Ansehen den Doktor Robertus kennen lernen, der morgen für die Freiheit blutet. Von frühster Jugend lebte der Geist edler Unabhängigkeit, dem der Mensch allein das Große, dessen er fähig ist, zu danken hat, in meiner Brust. Früh empörten meine Seele die Gewalt und Unterdrückung, wovon ich Beweise sah, und in der Geschichte las; ja bis zur Wut entflammten sie mich, und oft vergoß ich glühende Tränen, daß ich mich unvermögend fühlte, die Leiden der Menschheit zu rächen: zu meiner Qual erfuhr ich aus der Geschichte der edlen Griechen und Römer, welche große Ansprüche der Mensch auf Würde und Achtung hat, wenn ihn die Tyrannen das sein lassen, wozu ihn die Natur gemacht hat. Glaubt darum nicht, ich sei einer der Toren, welche die Freiheit dahinein setzen, daß jeder tun kann, was ihm gefällt. Wohl weiß ich, daß die Kräfte des Menschen verschieden sind, und ihre Lage im bürgerlichen Leben bestimmen müssen; aber da ich mich nach Gesetzen umsah, die einem jeden diese Lage, sein Gut und seine Person zusicherten, so fand ich nichts, als ein wildes Chaos, das tyrannische Gewalt geflissentlich zusammengemischt hat, um sich zum eigenmächtigen Herrn des Glücks und des Daseins der Untertanen zu machen. Nach dieser Entdeckung schien mir das ganze Menschengeschlecht eine Herde zu sein, gegen die sich eine Bande Räuber verschworen hat, sie nach von ihnen, nur zu ihrem eignen Vorteil entworfnen Gesetzen zu plündern und zu würgen, ohne daß sie selbst eins anerkennen. Sagt mir, wo ist das Gesetz, das die Herrscher der Erde fesselt? Ist es nicht Unsinn, daß eben diejenigen, die ihre Macht dem Mißbrauch der Leidenschaften und des Übermuts am meisten aussetzt, keinem Gesetz unterworfen sind, und keinen Richterstuhl anerkennen, der sie zur Verantwortung ziehen könnte? Wollt Ihr den Himmel dafür annehmen, meinetwegen, sie stehen sich gut dabei, und er scheint taub gegen das Winseln der Elenden. Nah ist der Jammer, die versprochne Rache ferne, und dieses reimt sich schlecht mit dem Gefühl und der Natur des Menschen.«

Faust faßte dieses stark auf, blickte düster, und strich über seine Stirne. Den Teufel ergötzte der Redner, er fuhr fort:

»Der wilde Ungestüm, den ich nach dieser Entdeckung äußerte, macht meinem Herzen Ehre, und ich kümmre mich wenig darum, daß meine Feinde meine Klugheit antasten. Denn was anders heißt den Menschen Klugheit, als blinde Unterwerfung, Niederträchtigkeit, Schmeichelei, Gleichgültigkeit darüber, wie man einen Posten erschleicht, wenn man nur dahingelangt, mit zu unterdrücken, und mit zu plündern? Nur dieses nennen sie klug sein, aber ein Mann wie ich sucht das Glück auf reinern Wegen. Mein Unglück war, daß ich mit dem jetzigen Minister, von der Schule an, aufs innigste verbunden war. Er besitzt den Geist, der dazu gehört, empor zu kommen; von frühster Jugend suchte er, durch mir entgegengesetzte Grundsätze, Aufsehn zu machen, und verteidigte in eben dem Maße die tyrannische Regierungsformen, als ich sie antastete. Wir stritten über diesen kitzligen Punkt, geheim und öffentlich. Ich schlug ihn mit meiner Beredsamkeit überall nieder, aber wenn es natürlich war, daß ich den unterdrückten Teil der Menschheit auf meine Seite zog, so war es noch natürlicher, daß es ihm gelingen mußte, alle die zu gewinnen, deren Vorteil die Unterjochung der Menschen ist. Da es nun eben diese sind, die ihren Mitverschwornen die Türe zu dem Glück und den Ehrenstellen öffnen, so ward er bald hervorgezogen, stieg von Stufe zu Stufe bis zur Stelle des Ersten im Lande, während ich vernachlässigt, verkannt und verachtet sitzen blieb. Der Stolze wandte alle Mittel an, mich an sich zu ziehen, trug mir bald diese, bald jene Stelle an; aber ich merkte wohl, daß er mir dadurch nur seine Größe fühlbarer machen wollte, und daß seinem Triumph nun weiter nichts mehr abginge, als daß ein Mann von meinen Grundsätzen ihn als Beschützer erkennte, und öffentlich seine harte Regierung, durch seinen Beitritt heiligte. Überdem wollte mich der Listige dem Volke, das an mir hing, immer verdächtiger machen. Ich aber, meinen Grundsätzen getreu, griff seine Fehler bei jeder Stufe, die er stieg, um so heftiger an. Ihr seht wohl, daß ihm, wenn er fähig wäre, groß zu fühlen, dieser edle Kampf Bewundrung für den hätte einflößen müssen, der ihn mit so vieler Gefahr für sich unternahm. Auf ihn tat es eine andre Würkung. Sein Haß gegen mich nahm bei jeder meiner Äußerungen zu, und da ich ihn in einer Schrift vergangnen Monat sehr heftig angriff, worauf sich das Volk vor seinem Hause versammelte, ihm drohte, und meinen Namen laut ausrief, so legte er diese Schrift vor den Fürsten, der ein Gericht niedersetzte, das mich zum Tod verdammt hat. So verurteilt das Gesetz der Tyrannen; aber das Recht der Menschheit spricht mich los. Dieses ist meine Geschichte, und weiter sollt Ihr nichts von mir hören. Ich sterbe ohne Klage, und bedaure nichts, als daß ich die Kette nicht zerbrechen kann, woran das Menschengeschlecht gefesselt ist. Könnt Ihr helfen, gut; doch wißt, aus meines Feindes Hand ist mir der Tod willkommner, als Gnade. Laßt mich nun ruhig, kehrt in die Sklaverei zurück, ich schwinge mich zur Freiheit auf!«

Faust war ganz durchdrungen von der Größe des Doktors, und machte sich schnell auf den Weg, diesen Minister zu sprechen, ihm seine Ungerechtigkeit vorzuwerfen, und ihn zu beschämen. Der Teufel, der tiefer sah, merkte wohl, daß der Freiheitssinn des Doktors aus einem ganz andern Gefühl entstanden war. Der Minister ließ sie gleich vor. Faust sprach warm, kühn und frei über die Lage und Denkart des Doktors. Stellte ihm vor, »wie nachteilig es seinem Ruhme sei, einen Mann, den er einst seinen Freund genannt, dem Despotismus zu opfern«. Gab ihm zu verstehen, »daß jedermann glauben müßte, es reizten ihn Privatrache und Furcht, sich von einem so hellsehenden Beobachter seiner Taten zu befreien. Ist Euer Tun gerecht«, setzte er hinzu, »so habt Ihr ihn nicht zu fürchten; seid Ihr der Mann, wofür er Euch ausgibt, so bestärkt Ihr durch seine Hinrichtung seine Meinung, und jeder wird in Euch nichts sehen, als einen falschen eifersüchtigen Freund, und den Unterdrücker seiner Mitbürger.«

Minister. Ich kenne Euch nicht, und frage auch nicht, wer Ihr seid. Wie ich denke, mag Euch die Art beweisen, mit welcher ich Eure Zudringlichkeit, Eure Vorwürfe und Beschuldigungen aufnehme. Fühlt selbst, ob Ihr ein Recht dazu habt, da Ihr mir sie auf bloßes Hörensagen macht, und von der Lage dieses Landes nicht unterrichtet seid. Ich will denken, nur Mitleid spricht aus Euch, und darum Euch antworten. Ich war und bin ein Freund des Doktor Robertus, und bedaure es, daß ich in ihm einen Mann der Gerechtigkeit überliefern muß, der durch seine Eigenschaften seinem Vaterlande hätte nützlich sein können, wenn es ihm nicht gefallen hätte, sie zu dessen Untergang anzuwenden. Ich will nach dem Grund zu dieser Verirrung nicht in seinen Busen greifen, und es seinem eignen Gewissen überlassen. Lange hatte ich Geduld mit seinem gefährlichen Wahnsinn; da er aber das Volk aufwiegelte, für dessen Bestes ich zu sorgen habe, und sich zum Haupt einer Empörung aufwarf, so muß er sterben, wie es mein einziger Sohn müßte, wenn er ein gleiches unternehmen sollte. Das Gesetz hat ihn verurteilt, nicht ich, er kennt dieses Gesetz, und weiß welche Folgen Empörung nach sich zieht. Das Urteil der Welt nehme ich auf mich, und habe nichts dagegen zu setzen, als die Ruhe und das Glück dieses Volks, das es später erkennen wird, daß nur ich sein Vater bin. Wenn es Euch nicht genug ist, dem ersten Eindruck zu folgen, so verweilet hier, und wenn Ihr mir dann mit mehrerer Bescheidenheit etwas zu sagen wißt, das diesem Volke und mir nutzen kann, so steht Euch mein Ohr immer offen.«

Nach diesen Worten, die er mit festem und unverstelltem Tone aussprach, zog er sich zurück, und ließ Fausten, der keine Antwort sogleich finden konnte, stehen. Dieser sagte beim Weggehen zum Teufel: »Welchem von beiden soll ich nun glauben?« Der Teufel zuckte die Schultern, denn da, wo es ihm für die Hölle nützlich, nachteilig für Fausten und die Menschen schien, wollte er nichts zu wissen scheinen.

Faust. Daß ich doch dich frage! Ich will dem Rufe meines Herzens folgen: ein solcher Mann, der mir so nah durch seine Denkart verwandt ist, soll nicht sterben!

Hätte Faust unsre junge Freiheitsschreier gekannt, er würde sich in dem Doktor Robertus nicht geirrt haben; aber ihm war die Erscheinung neuer als uns.

Morgens, da die Hinrichtung vor sich gehen sollte, begab sich Faust mit dem Teufel nach dem Markte, und unterrichtete ihn im Gehen von seinem Willen. In dem Augenblick, als der Henker dem Doktor, der mit wilder Miene niederkniete, das Haupt abschlagen wollte, verschwand dieser. Der Teufel führte ihn durch die Luft über die Grenze, stellte ihm auf Fausts Befehl eine große Summe Gelds zu, und überließ ihn freudig seinem Geschicke, denn er sah voraus, wozu er dieses und seine Freiheit anwenden würde. Das Volk erhub ein Freudengeschrei bei dem Verschwinden des Doktors, glaubte, Gott selbst beschütze seinen Liebling, Faust schrie mit, und freute sich der schönen Tat.


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