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X

Mr. Cyrus Goldwyn ließ den Bademantel fallen und vertraute sich den geübten Händen seines Masseurs an. Dieser umgab die simple Prozedur des Knetens mit jenem Hauch von Feierlichkeit, wie er einem Manne zukommt, der achttausend Angestellte in seinen Fabriken beschäftigt.

Mr. Goldwyn ließ unterdessen seine Blicke an den marmornen Wänden entlanggleiten und nahm den unerhörten Luxus seines Badezimmers gelangweilt zur Kenntnis. Schließlich forschte er schläfrig:

»Was gibt es Neues, Charley?«

Charley war Masseur, Kammerdiener und Friseur in einer Person. Außerdem gehörte es zu seinen Obliegenheiten, die Morgenblätter zu studieren und seinem Herrn kurz darüber zu berichten.

»Ohio-Shares sind um zehn Punkte gefallen.«

Mr. Goldwyn verzog keine Miene, obwohl er in Ohio-Aktien stark engagiert war.

»Weiter.«

»Mr. Winnemaker verkauft seine Villa in Rapallo. Zwanzig Zimmer, möbliert, alter Park, erstklassige Aussicht auf den Golf. Der Preis ist nicht genannt.«

»Flapper soll Erkundigungen einziehen. Noch etwas?«

»Eine Lokalnotiz. Heute morgen hat man den Vicomte d'Esterel tot unter der Engelsbrücke aufgefunden.«

»Was sagen Sie?!« rief der Amerikaner mit schlaffen Wangen. Er war sehr bestürzt.

»Der ›Osservatore‹ vermutet einen Unglücksfall.«

Mr. Goldwyn hörte sein Herz gegen die Rippen pochen.

»Die Notiz ist leider ganz kurz gefaßt. Der Vicomte hatte eine klaffende Wunde am Hinterkopf, die wahrscheinlich vom Sturz wider die Brückenpfeiler herrührt«, berichtete Charley.

Goldwyn schloß die Augen. Er bemühte sich, seine nach allen Richtungen auseinanderflatternden Gedanken zusammenzunehmen. Was der »Osservatore« schrieb, war Gefasel. Er wußte es besser. d'Esterel hatte Selbstmord begangen. Aus Verzweiflung. Weil er eine halbe Million Lire verspielt und die wunderbarste Frau Europas verloren hatte. So war es und nicht anders.

Mr. Goldwyn sagte kurz: »Schluß für heute. Ich muß einen dringenden Besuch machen.«

Der Kammerdiener reichte seinem Herrn die Kleider.

»Nicht den Straßenanzug, den Cut«, befahl Mr. Goldwyn.

Charley brachte den Cutaway und befestigte eine weiße Nelke im Knopfloch. Endlich war die Toilette beendigt.

»Kann der Chauffeur vorfahren, Mr. Goldwyn?«

»Ich gehe zu Fuß.«

Der Amerikaner schritt gedankenverloren die breite Hoteltreppe hinunter. Wo er erschien, sah man gekrümmte Rücken. Violette Pagen rissen die Drehtüre auf. Der Lärm der Via Nazionale brandete ihm entgegen. Lebhaft gestikulierende Menschen schritten vorüber. Autos gröhlten, Trambahnen quietschten. Geschminkte, dunkeläugige Damen führten ihre neuesten Kleidchen spazieren.

Mr. Goldwyn fügte sich in den Strom der Fußgänger und ließ sich die lange, festliche Straße hinunterspülen.

Gewissensbisse folterten ihn.

Denn er war an dem Tode jenes unbedachten, jungen Menschen schuld. Mitschuldig wenigstens. Daran war nicht zu rütteln. Er hatte Totleben auf den Vicomte gehetzt und letzteren mit elendem Geld zur Strecke gebracht … Aber galt nicht immer und überall das Gesetz, daß der Stärkere den Schwächeren besiegte? Hatte er in all den Jahren her nicht tausendmal so gehandelt? Mußte man nicht bei jedem großen Geschäft über Leichen schreiten? Gewiß war das tragisch; aber es ließ sich nicht vermeiden. Wo käme man hin, wenn man mit jedem Schwächling Mitleid haben wollte? Kein Mensch konnte verlangen, daß er eines unbeherrschten, jungen Mannes wegen auf Marion verzichtete.

Sein Gewissen, dieses im Dollarkampf geweitete und abgestumpfte Gewissen, schlief langsam wieder ein. Am besten war es, man regte sich nicht weiter über den beklagenswerten Unfall auf.

Cyrus Goldwyn schritt die Via 4. Novembre entlang und hatte wieder sein glattes, unbewegtes Gesicht wie immer. Vor der Auslage eines Juweliers blieb er stehen und wählte im Geiste ein Kollier aus, das zu den Augen von Mrs. Scheithauer paßte. An der Piazza Venezia mußte er ein wenig warten, ehe er in den Corso Umberto einbiegen konnte. Später trat er in einen Blumenladen, wählte lange und entschied sich endlich für einen Strauß Rosen, der ein Vermögen kostete. Denn er war fest entschlossen, der Unsicherheit, die über sein Verhältnis zu Marion gebreitet war, ein Ende zu machen. Ein Mann wie er – in vorgerückten Jahren, von nicht ganz einwandfreier Gesundheit – hatte keinen Tag zu vergeuden.

Der Palazzo Kukuli lag an einem freien Platz in der Nähe der Königlichen Gärten. Cyrus Goldwyn ließ sich bei Frau Marion melden und hatte das Glück, sogleich vorgelassen zu werden. Die Halle, in der ihn Frau Marion empfing, war ein hoher, feierlicher Raum mit gelblichen Fliesen, gobelinbedeckten Wänden und einer freskengeschmückten Decke. Ein Arrangement subtropischer Pflanzen belebte seine starre Gemessenheit. Marion selbst trug ein cremefarbenes, durchsichtiges Morgenkleid, lächelte verführerisch und staunte:

»Diese wundervollen Rosen sind wohl für mich? Guter Freund, Sie verwöhnen mich.«

Der Amerikaner beugte sich über ihre kleine, nach Chypre duftende Hand und stammelte beglückt einen Gruß. Sich räuspernd, fuhr er fort:

»Mrs. Scheithauer, ich ertrage diese Ungewißheit nicht mehr. Darum bin ich gekommen. Ich bitte Sie, meine Frau zu werden.«

Von der Plötzlichkeit dieser Liebeserklärung überrumpelt, suchte Frau Marion nach passenden Worten.

Mr. Goldwyn setzte demütig hinzu: »Verzeihen Sie, daß ich mit der Türe ins Haus falle. Aber es ist mir nicht gegeben, viel schöne Worte zu machen. Ich weiß, daß ich Ihrer strahlenden Schönheit nur meine Ergebenheit und die Aussicht auf eine sorgenfreie Zukunft entgegenzustellen habe. Aber ich bitte zu bedenken, daß kein Mann Sie mehr auf Händen tragen wird als ich, Mrs. Scheithauer.«

Cyrus Goldwyn, der das Geschick von achttausend Angestellten lenkte, schwieg und wartete herzklopfend auf die Wirkung seines Antrags. Er kam sich in dieser Minute klein und armselig vor wie einer, der seine Wünsche auf die Sterne richtet.

Marion war von einem köstlichen Triumph durchglüht. Die Stunde war da; die Saat war reif. Endlich! Verwegene Mädchenträume wurden Wirklichkeit. Sie hatte es in der Hand, reich zu werden, unermeßlich reich. Die Frau von Cyrus Goldwyn brauchte sich keinen Wunsch zu versagen.

Sie erwiderte mit leidlich sicherer Stimme:

»Wohlan, ich will Ihre Frau werden, Cyrus. Meiner Zusage steht kein Hindernis mehr im Wege, nachdem ich gestern die Scheidungsurkunde erhalten habe. Ich hoffe, wir werden gute Kameraden werden.«

Mr. Goldwyn war aufrichtig erschüttert. Er hatte sich diese Unterredung viel schwieriger vorgestellt. Er nahm Marions; Finger und zog sie an die Lippen.

»Sie machen mich zum glücklichsten Menschen unter der Sonne, Marion.«

Diese tat einen tiefen Atemzug. Ihre Nasenflügel bebten. Die Zeit, wo sie das Gnadenbrot einer andern essen mußte, war vorbei. Sie empfand sogar etwas wie Dankbarkeit gegen Cyrus Goldwyn, der sie auf einen Thron gehoben hatte. Niemand würde es jetzt mehr wagen, ihr jene Geschichte mit Markus nachzutragen.

»Setzen wir uns, lieber Cyrus«, sagte sie und bot ihm einen Stuhl an. Sie ließen sich in den ehrwürdigen, holzgeschnitzten Sesseln nieder, in denen die Geschlechter der Grafen Kukuli Rats gepflogen hatten. Durch die hohen Fenster leuchtete Sonne. Palmen wippten auf und ab. Irgendwo plätscherte ein Springbrunnen.

Sie besprachen die Vorbereitungen zur Hochzeit und waren sich darüber einig, daß diese möglichst bald stattfinden sollte. Marion sagte: »Recht so, lieber Freund; beschleunigen Sie die Sache, so gut es geht. Ich sehne mich fort von hier. Ich ertrage diese freudlose Stadt nicht mehr, die nur zum Beten, nicht aber zum Vergnügen da zu sein scheint. Ich habe dieses Rom satt bis zum Hals.«

Cyrus Goldwyn versprach alles. Seine Finger glitten liebkosend über den nackten Arm seiner Braut. Er schloß zärtlich:

»Sie brauchen nur zu befehlen, Marion. Wenn wir erst getraut sind, steht uns die ganze Welt offen. Wir können uns ansiedeln, wo es uns behagt. Wie denken Sie über den Golf von Rapallo?«

»Kenne ich nicht.«

»Nun es wird sich schon ein Plätzchen finden, wo es uns gefällt. Und während des Winters gehen wir in die Großstadt. Ist diese Einteilung nicht herrlich?«

Sie nickte.

»Etwas anderes, lieber Cyrus. Haben Sie schon von dem Tod des jungen d'Esterel gehört? Das Kerlchen tut mir leid. Eleonore ist sehr unglücklich darüber und wird sich heute kaum sehen lassen.«

Goldwyn war ein wenig betroffen von dem saloppen Ton, in dem seine Verlobte über das Ereignis sprach. Der Vicomte war immerhin ein guter Bekannter von ihr gewesen. Aber er streifte dieses Unbehagen rasch ab und antwortete:

»Ja, ich habe gehört. Der Fall ist beklagenswert. Weiß man, wie das Unglück geschah?«

Sie schüttelte den Kopf.

Cyrus Goldwyn hatte plötzlich eine Vision. Er sah René d'Esterel mit traurigem, starrem Gesicht hinter Marion stehen. Über die blasse, hübsche Knabenstirn lief rotes Blut. Goldwyn fühlte, wie sein Herz gefror. Er bemühte sich, das entsetzliche Trugbild loszuwerden und sagte heiser: »Wenn ich nicht irre, Marion, hat der Vicomte Sie sehr geliebt.«

»Mag sein, lieber Cyrus. Aber Sie werden nicht von mir erwarten, daß ich die Liebe eines überschwenglichen Pagen ernst nehme. So habe ich sein Verhältnis zu mir nämlich aufgefaßt. René war ein netter Junge, aber auch nicht mehr.«


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