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Was unterdessen dem armen Ludwig von Reyerberg widerfahren ist.
›Signor Clozetti‹ läßt sich in einigen Städten Teutschlands hören.
Was ihm dort begegnet, bis er Secretair wird.
Mein erster Gang, als ich in Hamburg aus dem Schiffe trat, war, wie man sich vorstellen kann, meinen Freund Reyerberg aufzusuchen. Aber niemand wird sich so leicht eine Idee von dem Schrecken machen, der mich befiel, als ich hörte, er sey schon seit acht Tagen unsichtbar geworden, ohne daß man die geringste Spur von ihm entdecken könnte. Nur so viel wußte man, daß ein vornehmer fremder Herr ihn habe zu sich bitten lassen, daß Dieser gleich nachher fortgereist sey und daß man seit dieser Zeit auch nichts wieder von Reyerberg gehört habe. Ich ging zu meinem Herrn Schröder, und auch Dieser bestätigte die Nachricht. Was sollte ich davon denken? Hätte der gute Ludwig Gelegenheit gefunden, auf vortheilhafte Art bey einem reichen Herrn angestellt zu werden, so würde er doch seine Kleider, seine Wäsche, seine Schriften mitgenommen und nicht alles so verworren in seinem Zimmer haben stehnlassen, wie ich es fand. Er würde Abschied von seinen Freunden genommen haben – Aber so hatte ich alle Ursache, einen für ihn unglücklichen Vorfall zu vermuthen. Da ich dies Geheimnis nicht entwickeln konnte, tröstete ich mich mit der Hoffnung, daß die Zeit alles aufklären und das Schicksal, welches uns schon ein paarmal so unerwartet wieder zusammengeführt hatte, auch diesmal uns nicht auf immer würde haben trennen wollen.
Für mich war nun weiter nichts zu thun, als daß ich von dem Herrn Schröder, der mein Fach ohnehin schon wieder besetzt hatte, meine Entlassung erbat, um meine musikalische Laufbahn anzutreten.
Vorher aber erkundigte ich mich, wie man denken kann, nach meiner Frau Gemahlin. Sie war mit dem Leben davongekommen und hatte auch das Kind glücklich zur Welt gebracht. Unterdessen war ihr Bruder, der Herr Meinhardt, aus Riga angekommen, und das grade zu der Zeit, als von Amsterdam die Nachricht einlief, der junge Haftendonk sey gestorben. Hierüber war sie nun freylich äußerst betrübt gewesen, doch richtete der Gedanke, wie eine ehrliche Frau in ihre Vaterstadt zurückkehren zu dürfen, sie wieder auf. Sie reiste, sobald sie sich ein wenig erholt hatte, mit ihrem kleinen Sohne, von dem Bruder begleitet, nach Riga ab, und das zwar des Tages vorher, ehe ich nach Hamburg kam. Wenige Tage darauf verließ auch ich diese Stadt.
Zuerst fuhr ich mit meinen Empfehlungsschreiben nach Bremen. Aber ich würde die Geduld der Leser ermüden, wenn ich Ihnen eine ausführliche Beschreibung meiner Reise liefern wollte. Deswegen will ich mich begnügen, Ihnen nur das Merkwürdigste zu erzählen, was ich während derselben erfahren und bemerkt habe.
Ein Virtuose, der reist, um sich hören zu lassen, baue nur ja nicht auf die Größe seines Talents. Wenn er in einem einfachen Rocke mit dem gewöhnlichen Postwagen ankömmt, sich bescheiden ankündigt, ohne daß ein Herold ihn unter das müßige Publicum ausschreyet, so mag er immerhin besser wie der selige Generalfeldmusicus Orpheus spielen; er wird wenig Bewundrer finden und eine kärgliche Einnahme haben. Selbst die wahren Kenner, deren es in einer Stadt immer wenige gibt, werden entweder von dem Modeton hingerissen werden oder ihrer eignen Empfindung nicht trauen oder nicht den Muth haben, den Mann zu loben. Aber der elendeste musicalische Luftspringer, der keine Note rein greift, aber zuweilen mit der linken Hand bis zu dem Stege hinaufrennt, komme mit Extrapost vor den besten Gasthof gefahren, kündige sich prahlerisch an, erscheine in sammetnen und seidnen Kleidern, bringe Empfehlungsbriefe von vornehmen Halbkennern an vornehme Halbkenner mit, besuche Diese des Morgens, sage ihnen, wieviel Gutes er von ihren Talenten gehört habe, lasse sich von ihnen etwas auf einem elenden verstimmten Claviere vorrappeln und rufe dann aus: »bravissimo! Wie glücklich ist die Kunst, an Ihnen, gnädiger Herr! einen so einsichtsvollen, selbst so geschickten Gönner zu haben!« – o! dann sorge er nicht; er wird (und vorzüglich, wenn er etwa eine hübsche Sängerin bey sich hat) von einer teutschen Stadt zur andern wie der erste Virtuose seines Zeitalters ausposaunt werden und ganze Säcke voll Ducaten verdienen, die er so liederlich, wie ihm gefällt und es die Kunst mit sich bringt, verthun kann. Was mich betrifft, so hatte ich diese Rolle herrlich auswendig gelernt, und durch Hilfe meiner Empfehlungsschreiben galt bald in ganz Teutschland der Signor Pedro Clozetti für den ersten Geiger in Europa – Ich hoffe, Sie werden Alle von mir gehört haben – Was soll man machen? Ich hatte mir fest vorgenommen, wie ein ehrlicher, grader Kerl zu handeln; aber der Hunger ist etwas sehr Unangenehmes, und von den Thorheiten der Menschen in solchen Kleinigkeiten Vortheil zu ziehn, das hielt ich nicht für Sünde. Ich componierte meine Violinconcerte selbst, das heißt: ich nahm aus den Werken besserer Tonkünstler die besten Gedanken heraus, verstümmelte dieselben, verbrämte sie mit meinen zwölf bis vierzehn Lieblings-Passagen (die einzigen, die mir geläufig waren), nahm ein altes Gassenlied, schuf es zu einem Rondeau um oder vielmehr, ich wiederkäuete dasselbe Thema sechs- oder achtmal in verschiednen Modulationen mit Veränderungen, und wenn ich dann durch ein paar halbe Töne, ohne alle Kunst, wieder zu meinem Haupttone hinunterschlich – ach! da erscholl bey diesem Übergange ein allgemeines: »bravissimo!« und »superieurement bien!« und »ganz vortrefflich! Welch ein Ausdruck! Welch ein Ton! Welche Fertigkeit!«
In Stade erwarb ich mir die Gunst einer artigen bemittelten Witwe von etwa dreyßig Jahren, welche sehr die Music liebte. Sie ließ mirs nicht undeutlich merken, daß sie es nicht verschworen hätte, zum zweytenmal sich in das sanfte Joch der Ehe zu spannen, wenn sie einen Mann fände, der ihr sonst gefiele und der zugleich Music verstünde. So groß auch diese Versuchung war, eine solche Entschließung zu meinem Vortheile zu lenken, so gab mir doch mein guter Genius ein: ich dürfe die Sache nicht weiter treiben, weil ich schon verheyrathet wäre, und ich lehnte also den Antrag ab.
In Lübeck ließen mich, sobald ich mich hatte ankündigen lassen, ein italienischer Tenorist und seine Frau bitten, gemeinschaftliche Sache mit ihnen zu machen und miteinander unsre Concerte zu geben. Ich ging hin, die Leute kennenzulernen. Stellen Sie Sich vor, wie betroffen ich war, als ich in diesem edeln Paare den berühmten Conte di Tondini und seine keusche würdige Gattin wiedererkannte;Man lese das sechste Capitel des ersten Theils. es schien aber nicht, als wenn sie sich Meiner erinnerten. Ich empfand in dem ersten Augenblicke einen Trieb, diesem betrügerischen Gesindel in die Haare zu fahren, denn auf einmal fiel mir die grausame Behandlung und der teufelische Spott ganz lebhaft wieder ein, mit welchen sie mir einst in dem Hölzchen bey Wolfenbüttel so grausam mitgespielt hatten. Wenn ich aber bedachte, wie wenig meine damalige Denkungsart und Aufführung ein anders Schicksal verdiente, so besänftigte ich mich wieder, dankte dem Himmel, daß ich jetzt ein besserer Mensch war, überließ demselben, sie zu bestrafen, und ging voll Verachtung von ihnen. Allein ich bekenne es, daß es mir einen neuen Widerwillen gegen die Lebensart beybrachte, welche ich jetzt aus Noth trieb, sooft ich überlegte, daß ich dieselbe in Gemeinschaft mit solchen nichtswürdigen Menschen führte. Ich sehnte mich daher ernstlich nach einer Art von Versorgung, machte nicht gemeinschaftliche Sache mit den Italienern, gab allein zwey Concerte und reisete dann ab.
Ein redlicher Kaufmann, der auch nebenher ein bißchen Kennerschaft und Mäcenatenhandwerk trieb, gab mir einen Brief an den preußischen Gesandten in . . . mit und empfahl mich demselben wie einen in Sprachen, schönen Künsten und Wissenschaften, Music, Malerey und allerley Art nützlicher Geschäfte, besonders im Cameralwesen, erfahrnen und geschickten Mann. Woher er wußte, daß ich in diesem allen bewandert wäre, weiß ich nicht. Ich hatte freylich mit ihm zuweilen über solche Gegenstände geredet, aber wovon redet man nicht in der Welt? Im Ganzen kann man nur daraus sehn, wie es gemeiniglich mit Empfehlungen zu gehn pflegt. Genug! es stand also auf dem Papiere, und ich befand mich wohl dabey. Den Gesandten traf ich bey seiner Durchreise in Stettin an. Er schien sogleich Wohlgefallen an meiner Person zu finden, hatte auch vielleicht einige Verbindlichkeiten gegen den Kaufmann, der mich ihm empfohl – Kurz! er nahm mich unter vortheilhaften Bedingungen als Secretair in seine Dienste.