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Das Ding fängt an, schief auszusehn.
Diejenigen unter meinen Lesern, denen es nicht bloß darum zu thun ist, die Erzählung von allerley lustigen Abentheuern zu hören, sie mögen wahrscheinlich seyn oder nicht, sondern welche fähig sind, mit Vernunft und Theilnehmung den Gängen nachzuspüren, auf welchen Leidenschaften und Schicksale den Menschen fortstoßen und ihn zu den verschiednen guten und bösen, weisen und unweisen Handlungen bestimmen, solche Leser werden mir es gern verzeyhn, wenn ich hier einige Augenblicke die Geschichte abbreche, um ein paar Bemerkungen über das vorhergehende Gespräch zu machen.
Es könnte Ihnen nämlich sonderbar vorkommen, daß Ludwig Reyerberg, den ich, von seiner ersten Jugend an, wie einen äußerst lebhaften, unternehmenden Kopf geschildert habe, der schon als Knabe allerley kühne Sprünge machte, keinen Zwang ertragen konnte und gern gegen Unverstand und Tücke kämpfte, daß Dieser mich itzt aus dem Circel meiner Wirksamkeit heraus zu einem ruhigen Landleben stimmen wollte, da hingegen bey mir, der ich wirklich von Kindes Beinen an nur eine Art von subalterner Rolle spielte, mich mehr von Menschen und Schicksalen treiben ließ, als daß ich mich selbst und Andre getrieben hätte, daß, sage ich, jetzt mein Character sich gänzlich umgeformt und eine Art von Kraft und Unternehmungssucht angenommen zu haben schien. Dies möchte Ihnen nun freylich unnatürlich vorkommen, doch hoffe ich, Sie überzeugen zu können, daß wir in Betracht der Lagen, darin wir Beyde uns befunden hatten und itzt befanden, gar nicht anders zu handeln im Stande waren.
Wirklich hatte Reyerberg von Natur mehr Anlage zu einem unruhigen und thätigen Leben wie ich, aber seine Schicksale hatten ihn mürbe gemacht und seine Lebhaftigkeit merklich herabgestimmt. Ihm war alles mißlungen, was er unternommen hatte, dagegen ich, den sonderbare Verhältnisse und unerwartete Begebenheiten in einen Wirbel von Abentheuern hineingezogen hatten, fast immer, einige kleine Widerwärtigkeiten ausgenommen, glücklich davongekommen und stufenweise bis zu einer glänzenden Laufbahn hingetrieben worden war, welches dann meinen Glauben an das Glück meiner Unternehmungen sehr vermehrt haben mußte. Sehr lebhafte Leute sind durch langwierigen Widerstand müde zu machen, da hingegen bey gemäßigten Temperamenten, wenn diese durch vortheilhafte Umstände oder durch Nothwendigkeit in wirksame Thätigkeit gesetzt werden, diese Geschäftigkeit zu einem Bedürfnisse, zu einem Theile ihres Wesens wird, das man ihnen so leicht nicht wieder entreißt.
ReyerbergErster Theil, Seite 29 f., 93, 122 f., 143. Zweyter Theil, Seite 252. entwischt seinem Schullehrer und sucht das freye Feld. Man erhascht ihn und zwängt ihn, der wie ein Edelmann erzogen war, in das Joch des gemeinen Soldatenlebens. Er theilt nachher alle Ungemächlichkeiten meines Vagabundenzugs mit mir, wird endlich von einem Engländer mit auf Reisen genommen, aber auch dies Glück dauerte nicht lange. Er geht nach England und findet dort seines Bleibens nicht. Er kömmt zurück, sucht in Teutschland Dienste an Höfen und verfehlt seinen Zweck. In der literarischen Welt geht es ihm nicht besser. In der Liebe ist er unglücklich. Kaum hat er als Schauspieler ein beschwerliches Einkommen, so wird er von seinem schelmischen Bruder wieder entführt und an die ostindische Compagnie verkauft. Wenn eine solche Reyhe von Widerwärtigkeiten einem sinnlichen Menschen von sanguinischem Temperamente nicht den Kopf brechen und ihn ruhiger machen will, so wüßte ich nicht, wie es zugehn sollte.
Dagegen durchlaufe man meine Geschichte: Als eines Schusters Sohn, unter dem Schutze einer adligen Dame über meinen Stand erzogen, von ihr aus meiner Armuth gerissen und zum Lakayen erhoben, mitten in meinen Abentheuern noch immer glücklicher, wie ich es in der Hütte meines dürftigen Vaters hätte seyn können; oft sehr reich; aus allen Gefahren wunderbar gerettet; als Bedienter, als pseudo-hermetischer Arzt, als Schriftsteller, als Schauspieler jedesmal vom Schicksale leidlich behandelt; wie mit den Haaren herbeygezogen zu der Verbindung mit einer reichen, hübschen, guten Frau gezwungen; ohne Unkosten auf Reisen in der Welt umhergeführt; als reisender Musiker bewundert und beklatscht; bey einem guten, würdigen Herrn als Secretair angesetzt; durch einen Bologneser Hund zum Cammerdirector ernannt, nachher geadelt, excellenziert, mit einem schönen bunten Orden behängt; im Besitz eines großen Vermögens, wahrer häuslicher Glückseligkeit und politischer Herrlichkeit – Wer, zum Henker! wird nicht da anfangen, dem Glücke und seinem savoir faire alles zuzutraun?
Sehen Sie, meine holden Damen und Herrn! Dies sind keine unnütze Winke, wenn man so aufmerksam gemacht wird auf den Einfluß, den das Schicksal auf unsre Denkungsart und auf unsre Handlungen hat, wie es uns umarbeiten kann, so daß man wahrlich recht vernünftig thut, wenn man nicht eher über die Handlungen und Grundsätze seiner Brüder urtheilt, als bis man alle diese Umstände in Erwägung gezogen hat, und wenn man das nicht kann, lieber schweigt, duldet und nicht urtheilt.
Ich bin auch sehr überzeugt, daß, wenn Reyerberg an meinem Platze gestanden wäre, er ebenso voll politischer Schwärmerey wie ich gewesen seyn, und daß, wenn ich meine Lage ohne Leidenschaft hätte betrachten können, ich seinen Vorstellungen vollkommen Recht gegeben haben würde – Doch genug hiervon! Ich fahre in meiner Geschichte fort.
Leider! fing bald nach unsrem letzten Familiengespräche die Prophezeyung meines Freundes an, nach und nach einzutreffen, und zwar kamen hier folgende Umstände meinen Feinden zu Hilfe.
Wenn ich den Tag über im Gewirre meiner Geschäfte gesteckt und nun mein Tagewerk fleißig vollbracht hatte, war ich des Abends gegen sechs Uhr immer heiter und zur Geselligkeit aufgelegt. Der Fürst, welcher vom Morgen an im Zwange des Hoflebens zugebracht hatte, pflegte um eben diese Stunde zu Madame Novanelle zu gehn und mich zu bitten, ebenfalls dahin zu kommen. Dort saßen wir dann im vertrauten Circel, hatten manchen lustigen Einfall, ich gestehe es, zuweilen auf Unkosten andrer Leute, und da der Fürst hier gänzlich seine Hoheit vergaß und aus unsern freundschaftlichen Gesprächen alle Zurückhaltung verbannt war, wog auch ich, ungeachtet der mir von Ludwig vorgeworfnen Politic, meine Worte nicht sehr ab, denn ich dachte: das bliebe so alles unter uns und werde kein Mißbrauch davon gemacht werden.
Nun bestand das sogenannte Ministerium, in welchem Serenissimus in höchsteigner Person präsidierte, außer mir, nachdem den Herrn von Mehlfeld seine ihm aufgedrungene Schwächlichkeit abhielt, den Sitzungen beyzuwohnen, nur noch aus zwey Personen, nämlich aus dem Justizpräsidenten von Schwarzhelm und dem Geheimenrathe von Lämmersdorf. Beyde waren ein Paar äußerst schwache Menschen und ehemals von dem alten Präsidenten nur wie negative Größen betrachtet oder besser als Nullen hinter seine Zahl gesetzt und in das Ministerium gezogen worden, damit keine Andre hineinkämen, die weniger geneigt wären, zu allem ja zu sagen. Schwarzhelm war ein langweiliger steifer Jurist und dabey filzig geizig. Er hatte eine alte Schwester bey sich, welche ihm die Haushaltung führte, und mit Dieser hatte er ausgemacht, daß wer von ihnen beyden den Andern überleben würde, dessen Erbe seyn, aber dagegen auch den Leichnam waschen und ankleiden sollte, damit der Gulden, welchen sonst die Totenfrau dafür bekömmt, erspart würde. Lämmersdorf mochte noch wohl um ein Köpfchen größer seyn wie Jener, denn Schwarzhelm hatte eigentlich gar keinen Kopf. Doch war er auch ein lächerliches Original. Er hatte den Fürsten erzogen und war, wie es alten Hofmeistern geht, nachher mit kalter Ehre, so kühl wie Mondschein, belohnt und umstrahlt worden, denn er saß im Ministerio, durfte aber den Mund nicht aufthun. In seiner Jugend hatte er flink gelebt, gegenwärtig war er ein alter Sünder, hatte daher zur Andächteley seine Zuflucht genommen und wohnte den Betstunden bey, die der Herr von Mehlfeld des Abends in seiner Haushälterin Zimmer hielt.Daß es solcher lächerlichen Originale unter den Geheimeräthen gibt, hat wohl keinen Zweifel; daß ich die hier geschilderten nicht von mir namentlich bekannten Personen entlehnt habe, versichre ich auf Ehre; daß ich nicht weiß, ob grade jetzt an irgendeinem teutschen Hofe eine Sammlung solcher Narren auf einem Brette zusammen anzutreffen ist, betheure ich gleichfalls; daß ich, wenn ich es wüßte, nicht so dumm seyn würde, auf diese Menschen ein Pasquill zu schreiben und sogar die Jahrszahl 1784 dabey zu setzen, kann man mir zutrauen. Also verbitte ich gehorsamst alle Auslegungen. Anmerkung des Verfassers.
Sobald ich es mit diesen Leuten zu thun bekam, setzte ich mich freylich bey ihnen in das gehörige Ansehn. Da ich indessen keine gefährlichen Pläne hatte und ich mich zuweilen ihrer zum Guten bedienen zu können hoffte, betrug ich mich doch mehrentheils ganz freundlich gegen sie. Ich kann wohl zu erlaubten Zwecken auch schlechten Leuten ein wenig schmeicheln, aber lange gelingt es mir nie, mich in ihrer Gunst zu erhalten, denn wenn mir einmal der Kopf nicht recht steht und ein solcher Pinsel kömmt mir in den Wurf, verderbe ich dann oft in einem Augenblicke alles, was ich ein Jahr lang gut gemacht hatte. Auch rede ich gern ein wenig frey über Thoren und Schelme. Freylich könnte ich das bleibenlassen, aber es ist nun so meine Weise, und ich habe keine Tücke dabey. Doch nehmen es die Leute zuweilen übel auf. Sobald indessen nur der Schalk anfängt, sich zu bessern, widerrufe ich gern alle Üble, das ich von ihm geredet habe. Es geschieht eigentlich nur, um Ew. Hochwohlgeboren aufmerksam auf Sich selber zu machen. Auch bessern sich die Leute wahrlich oft durch Hilfe eines kleinen Spottes, wenn sie es auch nicht gestehen. Seyen Sie immer aufgebracht über mich! Sie haben ja volle Freyheit, es mir eben also zu machen. In der That geschieht das zuweilen, und dergleichen Demüthigungen haben mich schon sehr gebessert.
Dies im Vorbeygehn! – Daß wir nun wieder zu unsern beyden Geheimenräthen zurückkommen! Sie waren an nichts wie schiefe Wege gewöhnt, und da ich sah, wie sie auf keine Art zum Guten in Bewegung zu setzen waren, konnte ich sie gar nicht mehr ohne Ekel vor Augen dulden. Ich machte daher mich oft lustig über sie, erzählte Anecdötchen von ihnen, und das besonders in unsern Abendgesellschaften bey der Dame Novanelle. Die saubern Herrn von ihrer Seite hatten auch nicht eben die größte Zärtlichkeit für einen Mann, der, so wie ich, auf einmal da in das Ministerium hineingesetzt wurde und wenigstens zehn Jahre jünger war wie Einer von ihnen. Hatten sie nun wohl nicht den Muth, sich öffentlich wie meine Feinde zu zeigen, so schüttelten sie doch zu rechter Zeit bedeutungsvoll die Köpfe und wurden unter der Hand von dem würdigen Mehlfeld in dieser Stimmung erhalten, wozu die Abendbetstunden nicht ungenützt blieben.
Also sah es im Ministerio aus. Das Hofgeschmeiße hatte ich von Anfang meiner Laufbahn an, mehr wie die Klugheit es erforderte, verachtet. Ich war mir bewußt, dem Fürsten ein nützlicher Mann zu seyn, da ich hingegen jenes Gesindel wie elende Müßiggänger betrachtete, an ihrem leeren, geistlosen Geschwätze einen gewaltigen Widerwillen hatte und diese Empfindung besonders alsdann hervorblicken ließ, wenn sie meinem Herrn allerley kostspielige, zwecklose und närrische Tändeleyen in den Kopf setzten.
Der Hofmarschall war ein kleines, liebliches, glattes, süßes Männlein. Das Schelmchen sah immer gar zu freundlich und artig aus, hätte indessen doch gern Jeden fortgeschafft, der bey dem Fürsten in einigem Ansehn stand, wenn Derselbe etwa den Herrn Hofmarschall übersah, hetzte zur Abwechselung die Leute ein wenig aneinander und ging übrigens immer recht zierlich und wacker gekleidet, gekämmt, gewaschen und parfümiert einher. Unwissender, leerer und superficieller aber wie er kann man in der Welt nicht seyn. Dagegen erzählte er auch gewöhnlich nur des Mittags aus den Zeitungen, berichtete, wie ihn alle Spiele nun schon seit vier Wochen so übel behandelten, was für Saucen ihm gestern wohlgeschmeckt hätten, zog Muster von Stickereyen und neuen Kleidern, die er aus Lyon kommen ließ, aus der Tasche, und machte hie und da ein wäßrichtes Späßchen dazwischen, über welches er unter Allen zuerst, zuweilen auch nur ganz allein lachte. Ich sagte einmal: wenn seine schönen Kleider einst als Lumpen durch die Papiermühlen gelaufen wären, müßten nichts anders als Blätter von dem Courier du bas Rhin, Kochbücher, Anweisung zum Whistspiele und Vademecums daraufgedruckt werden. Wenn er sich in seinem Geschwätze höher verstieg und ich grade gegenwärtig war, pflegte ich ihn ein wenig zurechtzuschütteln.
Der Oberschenk, ein Herr von Gerlüb, war ein dickes Mastvieh, an jedem Nachmittage betrunken, und ein Lügner wie ich je einen gesehn habe. Übrigens schlich er gewöhnlich von der Tafel nach Hause, um dort Nachmittagsruhe zu halten, alsdann zu seiner Maitresse, einer französischen Sängerin, wohin er aus dem fürstlichen Keller ein paar Flaschen voll alten Weins bringen ließ. Wenn diese ausgeleert waren, ließ er sich entweder mit seiner Schönen in das Schauspielhaus oder allein zu dem Herrn Präsidenten in die Betstunde fahren. Von da ging es zur Abendtafel bey Hofe und dann zu seiner Frau, die sich indes ihre Zeit mit jungen Officieren verkürzt hatte. Da ich diesem Ehrenmanne zuweilen Monita über den Aufwand am Hofe in Weinen aller Art machte, stand ich auch bey Diesem nicht sehr in Gnaden.
Von dem jungen Grafen Löhfeld habe ich schon erwähnt, daß er mir seine ganze politische Existenz zu danken hatte. Er war ein armer Schlucker, der Jüngste von acht hochgräflichen Kindern. Sein verschuldeter Vater wendete sich an mich und bat mich, diesen Buben in den Dienst zu bringen. War es Güte des Herzens oder die kleine Eitelkeit, gern den Gönner eines Reichsgrafen zu spielen – Ich war damals eben erst geadelt worden und hatte noch wenig Gelegenheit gehabt, vornehmen Leuten meine Protection angedeyhen zu lassen – Kurz! ich verschaffte seinem Sohne Dienst und Gehalt. Aber dieser Knabe belohnte mich sehr undankbar. Er hatte, was man leider! Genie nennt, Lebhaftigkeit, einen Hang zur Klatscherey und zu kleinen Ränken, unbestimmte Thätigkeit, Drang, eine Rolle zu spielen, und Sie werden bald sehn, wie er unter Anführung des würdigen Präsidenten von Mehlfeld von diesen herrlichen Talenten gegen mich Gebrauch machte.
Es gibt wenig Menschen, die irgendeine Art von Übergewicht Andrer über sie vertragen können, wäre es auch das Übergewicht des Wohlthäters über den, welcher Wohlthaten empfangt. Ich habe einen Mann gekannt, der zu sagen pflegte: »Heute habe ich mir wieder einen Feind mehr gemacht, denn ich habe einem ehrgeizigen Menschen einen Dienst geleistet.« Das war dann der Fall mit dem jungen Grafen. Bey den Übrigen mochte wohl das innere Bewußtseyn ihrer Erbärmlichkeit der Grund zur Feindschaft gegen einen Mann seyn, der sie zuweilen demüthigte.
Mit Einem Worte! Diese ganze Rotte, vereinigt mit einigen noch geringern Geschöpfen, hatte gegen mich eine Ligue geschlossen, welche Reyerberg von Weitem witterte, ehe ich das geringste davon ahnte, weil ich zu stolz war, auf die Handlungen dieser subalternen Menschen Acht zu geben.