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Ein Brief an den Fürsten. Schluß.
Das Geschäft, worauf ich vorher anspielte und das eines der ersten gleich nach meiner Ankunft in Ruhethal war, bestand darin, daß ich dem Fürsten einen Brief schrieb, von dessen Wirkung ich zwar wenig erwartete, der doch aber, wie ich mir schmeichelte, Wahrheiten enthielt, deren Bekenntnis ich mir und Andern schuldig zu seyn glaubte. Zudem war ich, wie ein Dieb in der Nacht, mit einer nicht aufgeklärten Sache aus der Residenz eines Prinzen fortgegangen, der, durch Schelme verblendet, mich, seinen ehemaligen Freund, itzt für einen Bösewicht hielt. Der größte Theil des nicht unterrichteten Publicums mußte wohl dieselbe Parthey ergreifen, wenn ich keinen Schritt that, um den wahren Zusammenhang bekanntzumachen. Zu diesem Endzwecke nun erlauben mir meine Leser, jenen Brief hier mit einzurücken.
Ich weiß es wohl, der freye Mann, dessen Gewissen rein ist, kann sehr gleichgültig seyn bey dem Urtheile des großen Haufens, und er hat sehr viel weniger Verbindlichkeit bey jeder Verleumdung, die man ihm aufhängt, die Documente seiner Unschuld vorzuzeigen, wie vielmehr jeder Einzelne, der über ihn ein Urtheil wagen will, billigerweise verbunden seyn sollte, mit eignen Augen alle Beweise der Anklage durchzusehn, bevor er sich unterstünde, die Schmähung nachzuplaudern. Es wäre eine böse Sache, wenn man den ruhigen Weisen zwingen könnte, beständig in einem solchen Stande des Streitens und Kämpfens zu leben und seine theure Zeit damit zu verschleudern, daß, wenn es wöchentlich ein paarmal einem losen Buben einfiele, seine Redlichkeit für bankerott auszuschreyen, er wöchentlich ein paarmal jedem Narren seine Handlungsbücher, ja sogar seine Privatrechnungen, die niemand nichts angehen, aufschlagen müßte; und hierzu ist er um so weniger verpflichtet, wenn er, um bey dem Gleichnisse der Kaufmannschaft zu bleiben, sein Wesen so für sich treibt, niemand zwingt, Geschäfte mit ihm zu machen, und nicht mehr Credit verlangt, als wofür er Geldeswerth vorzeigen kann.
Allein damit begnügen sich die Menschen nicht. Jeder glaubt, Rechenschaft fordern zu können, wo er selbst keine geben kann; und doch sollte in der Welt kein Gesetz natürlicher scheinen, als daß nur Derjenige fordern darf, an dem man Gegenforderungen machen und Regreß nehmen darf und will, niemand aber Richter seyn soll, als wer Schutz zu verleyhen im Stande ist.
Wenn indessen ein freyer Mann sich die Mühe geben will, über unerwiesene Verleumdungen, womit man ihn zu beschimpfen gesucht hat, sich zu erklären, so kann ihm das auch freystehn, und in diesem Falle bin ich itzt – Hier ist der Brief!
»Gnädigster Herr!
Es gereicht mir zu einer nicht geringen Beruhigung, daß, indem ich mit Schande und Verachtung von Ihrer Durchlaucht beladen Ihre Residenz verlasse, mein Herz mir nicht die geringsten Vorwürfe macht, ja! daß, wenn ich ohne Heucheley mein Gewissen frage, ob ich in diesem Augenblicke lieber an der Stelle Desjenigen, der mich auf diese Art verstoßen hat, als an meiner eignen seyn möchte, jener innere unbestechbare Richter mir antwortet, daß ich um alle Güter der Welt meinen Platz nicht vertauschen möchte.
Ich wünsche, daß Höchstdieselben es weder als Hochmuth noch Trotz, noch Rachgier ansehn wollen, wenn ich es wage, etwas weitläufiger von diesen unsern sehr verschiednen Verhältnissen zu reden. Auch geschieht es nicht, um meine Unschuld zu vertheidigen, sondern Sie zu bewegen, in andern ähnlichen Fällen vorher alles behutsamer zu überlegen, ehe Sie, dem die Vorsehung diese Macht verliehn hat, durch ein paar Worte die ganze bürgerliche Existenz eines ehrlichen Mannes zerstören, denn die moralische können Sie mir freylich nicht rauben. Die Unschuld eines freyen, rechtschaffnen Mannes ist sehr über beweislose Verleumdung sowie über Fürstengewaltthätigkeit erhaben, und da Ihrer Durchlaucht es gnädig nicht gefällig gewesen ist, meine ersten Beschuldigungen bewahrheiten zu lassen, so glaube auch ich mich nicht eigentlich berechtigt, einen Gegenbeweis zu führen, ehe meine Ankläger ihre Gründe bestätigt haben. Nur der letzte hervorgesuchte Vorwurf, den man mir in Ansehung meines ehemaligen Lebens machte, scheint durch meine Bitte um Unterdrückung der weitern Inquisition und durch meine schnelle Entfernung ein schiefes Licht auf mich zu werfen. Allein ich bitte unterthänig, dies nur wie einen Schritt zur Appellation anzusehn, und diese Appellation kündige ich hiermit ehrerbiethigst an. Sie wird, da ich in meinem in einem fremden Gebiethe liegenden ländlichen Aufenthalte sehr sicher bin, von meinen unbilligen Richtern an das Publicum ergehn. Ich werde nämlich die ausführliche Geschichte meines Lebens bis auf den heutigen Tag durch öffentlichen Druck bekanntmachen. Es würde wohl sonderbar genug seyn, wenn man dies Verfahren eine Rache von meiner Seite nennen wollte. Wenn ein an seiner bürgerlichen Ehre gekränkter Mann gegen öffentliche Verleumdung sich öffentlich vertheidigt; wenn er seine Würger nicht wieder würgt, sondern nur entlarvt; wenn er also einen wirklich ihm zugefügten Schaden nur durch Darstellung, Erzählung erwidert; so rächt er sich nicht, sondern er thut, was er sich selber und seinen Freunden schuldig ist. Warum soll er den Ruf solcher Leute schonen, die seiner ganzen bürgerlichen Existenz nicht geschont haben?
Soviel aber kann ich Ihre Durchlaucht heilig versichern, daß ich gegen Hochdero Person nicht den geringsten Haß in meinem Herzen hege, und es ist der Endzweck dieses Briefes, Ihnen das nebst einem paar guten Rathschlägen zu sagen, welche ich hinzuzufügen wage. Wenn Ihre Durchlaucht das Erste für vermessen und das Zweyte für unnöthig halten, so bitte ich unterthänig, in Erwägung zu ziehn, daß, wenn das Verhältnis vom Herrn und Diener aufhört, doch die Verhältnisse des Menschen gegen den Menschen übrigbleiben, und wenn nicht ganz gewiß bewiesen werden kann (welches in dieser Welt sehr schwer ist), daß Leidenschaft von beyden Theilen nicht den geringsten Antheil an unserm Urtheile hat, auch der Privatmann zuweilen eine Sache ebensogut wie ein Fürst einzusehn im Stande ist – Also zur Sache!
Gnädigster Herr! Sie haben alle nöthige Anlage, um ein vortrefflicher Mann an Kopf und Herzen zu seyn – Dies ist viel gesagt – Ein Lob, welches ich nicht zu verschwenden pflege – Dabey sind Sie in einem Stande geboren und in eine Lage versetzt, die durch die Gelegenheit, so viel Menschen wohlzuthun, und durch die Gewißheit, daß keine Ihrer guten Thaten unbemerkt bleibt, den Antrieb, den der innere Hang zur schönen Tugend jedem gefühlvollen Redlichen gibt, unbeschreiblich vermehren muß – Welch ein Reiz für einen Herrn von Ihrem Verstande und glücklichen Temperamente, Sich von so Vielen Ihres Standes und Amts durch gerechte und weise Handlungen auszuzeichnen! Gerechtigkeit, Durchlauchtigster Fürst! ist die erste aller Tugenden, die uns der Gottheit am nächsten bringt, weil sie in ihrer höchsten Würde alle Vortrefflichkeiten des Kopfes und Herzens voraussetzt und jede Erschlaffung des Geistes sowie jede leidenschaftliche Schwäche ausschließt. Wie kann aber der Mann gerecht handeln, der, wenn ihn Temperamentsschwäche und Weichlichkeit zu wohlthätigen Aufwallungen treibt, diese momentane Ergießung für wahre Güte hält? Der, wenn Eigensinn, böse Laune und Aufstiftung andrer Menschen zu irgendeiner raschen, nicht kaltblütig durchgedachten That ihn hinreißen, sich seiner Thätigkeit, Festigkeit und Entschlossenheit rühmen zu dürfen glaubt? Der, wenn zwanzig niedrige Schmeichler sich vor ihm beugen und zwanzigtausend arme Sclaven zittern, sobald er den Mund öffnet, zu regieren glaubt, indes er von einem schwachen Weibe beherrscht wird? Der, wenn er an unnütze Müßiggänger Gaben ausspendet, die nicht sein Erbe, sondern das Eigenthum seiner Unterthanen sind, sich seiner Wohlthätigkeit und Großmuth rühmt, indes tausend Unglückliche im Schweiße ihres Angesichts darben müssen, um Einem Taugenichts das Vermögen zu sybaritischem Aufwande herbeyzuschaffen?
Und doch, gnädiger Herr! Werfen Sie nur einen Blick auf manche Ihrer gesalbten Nachbarn, um wahrzunehmen, daß dies Bild nicht aus der Luft geschöpft ist – Allein dahin darf es mit meinem Fürsten nicht kommen, oder ich würde die theuren Stunden bedauern, wo ich mit Ihnen, in welchem ich mehr den Menschen wie den Fürsten liebte, verlorne Worte über landesväterliche Pflichten und Beförderung menschlicher Glückseligkeit wechselte. Es war nicht Täuschung, wenn ich damals glaubte, Ihre Durchlaucht wären empfänglich für solche heilige Gegenstände, wenngleich die Ungerechtigkeit, welche Sie kürzlich an mir bewiesen haben, das Gegentheil anzudeuten scheint – Es war nicht Täuschung! Noch sind Sie nicht zu der Classe jener Tyrannen hinabgesunken. Aber der erste Schritt dazu ist geschehn. Verblendung hat Sie einen Augenblick Sich selbst vergessen gemacht; noch ist es Zeit zurückzukehren.«
So weit war meine Vermahnungsepistel fertig, und ich bildete mir recht etwas darauf ein, daß ich dem kleinen Despoten also den Kopf gewaschen hätte, als der würdige alte Baron Leidthal zu mir in das Zimmer trat. Ich las ihm meine Arbeit vor in der Hoffnung, er würde den Schritt sehr vernünftig und gut finden, aber ich irrte mich.
»Wenn ich Ihnen rathen soll, mein Lieber!« sagte er, »so lassen Sie es dabey bewenden und schicken diesen Brief nicht ab. So sehr Sie darin vermieden haben, Leidenschaft zu zeigen, so leuchtet sie doch hie und da mit einiger Bitterkeit hervor, und das beleidigt, bessert aber nicht, wie Sie wohl wissen. Zudem ist diese Art von Menschen nicht zu bessern, Ihr Fürst aber gewiß am wenigsten, nach allem, was Sie mir von ihm erzählt haben. Denn wenn einmal ein Mann, der über die flüchtigen Jugendjahre hinaus ist, an der Hand eines treuen und vernünftigen Freundes schon die Wonne geschmeckt hatte, edel und gerecht zu handeln, wie er denn unter Ihrer Leitung dies Glück genoß, und er dennoch wieder fähig ist, sich elenden Menschen preiszugeben, so ist wohl billig an seiner Bekehrung zu verzweifeln. Seine Schwäche wird ihn nie verlassen. Vielleicht kann er durch Schaden einmal wieder auf Augenblicke klug werden – Aber was hilft das? Itzt, in dem Taumel der Wollust und üppigen Freuden, würde er ohnehin Ihren Brief kaum lesen. Die Zeit muß Ihnen öffentliche Rechtfertigung verschaffen, und wenn Sie wollen, können Sie allenfalls diesen Brief Ihrer gedruckten Lebensbeschreibung beyfügen, da Sie doch einmal angefangen haben, dieselbe herauszugeben.«
Ich fand diesen Rath vernünftig und habe ihn befolgt. Hier, theuerste Leser und Leserinnen! empfangen Sie also den Schluß meiner Geschichte! Finden Sie etwas darin, das zu Ihrem Frieden und zu Ihrer Freude dient, so soll es mir sehr angenehm seyn. Ich habe mich nicht gescheuet, Ihnen jede Thorheit, jede Verirrung meines Lebens, deren ich mich erinnern konnte, offenherzig zu erzählen. Möchten Sie Alle weiser, reiner von dergleichen Fehlern wie ich seyn! Darf ich aber eine kleine Bitte wagen, so wäre es folgende: Wenn es Ihnen einfallen sollte, den armen Peter Claus und Consorten oder irgendeinen andern Ihrer Brüder in Ihrem Herzen zu tadeln oder zu verachten, wenn Sie sehen, daß er während seiner Laufbahn so oft strauchelt oder gar fällt, so unterdrücken Sie duldend und menschenfreundlich diesen Tadel und danken vielmehr der Vorsehung, daß Sie nicht in ähnliche Lagen versetzt worden und daß Erziehung, Schicksale, Temperament und Leidenschaften mit Ihnen einen andern Weg gegangen sind; denn ich fürchte sehr, wir Erdenklöße kommen mehrentheils Alle so auf die Welt, daß, wenn jene Triebfedern auf einerley Art bey uns angelegt, wir Alle uns in unsern Handlungen ziemlich ähnlich seyn würden – Aber ich preise den Schöpfer aller Dinge, und es ist doch wahrlich schön, daß es ihm nicht gefallen hat, es also zu verordnen.
Ende des dritten und letzten Theils.