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Unbeirrt von den Fortschritten der preußischen Pferdezucht und Reitkunst, existirt noch eine beträchtliche Anzahl von Rossen und Reitern in Berlin, zu deren Studium diese Zeilen einige Anregung und Anleitung geben sollen. Diese Reiter werden Sonntagsreiter und ihre Rosse Miethsgäule, Klepper, oder auch wohl unter besonders gravirenden Umständen Schindmähren genannt. Sie gehören zu Berlins Eigenthümlichkeiten und sind in keiner Stadt Deutschlands in ähnlicher Vollkommenheit zu finden. Der Sonntagsreiter erhielt seinen Namen, wie viele belletristischen Blätter, von seinem einmaligen Erscheinen in der Woche, am Tage des Herrn. Das Corps rekrutirte sich damals aus solchen jungen Leuten, welche an den gewöhnlichen Tagen durch den Verkauf von Heringen, grüner Seife, Calicot und Cattun sich an chevaleresken Uebungen verhindert sahen. Seitdem aber die socialen Grenzen des Corps weiter gesteckt sind, und die verschiedenartigsten 106 Kreise ihr Contingent zu demselben stellen, die Uebungen auch an jedem Wochentage angestellt werden, belegt man mit obigem Namen alle berittenen Personen, an denen man die Symptome einer gewissen, von den Regeln der Schule abweichenden Reitart wahrnimmt. Wie der Autodidact in den Wissenschaften, hat der Sonntagsreiter keine systematischen Studien gemacht und er kennt die Vortheile seiner Beschäftigung nur so weit, als er sie durch zufällige Beobachtungen und Mittheilungen von Leidensgefährten gefunden und erhalten hat. Aus diesen Gründen lebt er in einer fortwährenden Abhängigkeit von dem Thiere seiner Wahl, und harmonirt mit jenen Privatbesitzern edler Pferde, welche »spazierenreiten« nennen, wenn diese sie bei einem Ausgange auf dem Rücken mitnehmen und aus Nachsicht sitzen lassen.
Das Roß des Sonntagsreiters läßt sich nur schwer in eine der Klassen der Pferdewelt unterbringen; es besitzt von den bekannten Fehlern immer einige, von den Tugenden nie die geringste. Seine meistens üble Laune wird leider nicht durch eine nahrhafte Kost im Stalle verbessert und sein Umgang mit den verschiedenartigsten Reitern dient nicht dazu, ihm mehr Achtung vor dem menschlichen Geschlechte einzuflößen. Das Sonntagsroß gehört zu den Originalen unter den Pferden, denn ein vielbewegtes Leben ist stets seinem jetzigen Berufe vorangegangen. Bald lebt es in alten militairischen Erinnerungen, bald in Hetzjagdträumen; dieses könnte von einer stolzen Vergangenheit in der Gabel des glänzenden Cabriolets, jenes von den anmuthigen Situationen eines beglückten Damenpferdes erzählen. Rosse und Bücher werden bei Seite geworfen, wenn sie nicht mehr setzen und abgesetzt werden können. Die Sonntagspferde sind die Maculatur ihres Geschlechts. Fort mit dem veralteten Roman in die Materialwaarenhandlung – fort mit dem abgetriebenen Luxuspferde in den Reitstall. Arme Leute treiben Aufwand mit den abgelegten Kleidern der Reichen; unbesonnene Jünglinge brüsten sich auf ihren ausrangirten Pferden. Wenn 107 das Sonntagsroß den Ton des Cavalleriesignals hört, wenn es an den Thürflügeln eines Palastes vorüberkommt, wohin es einst einen erhabenen Herrn getragen, wenn es einen Sportsmann in rothem Rock erblickt; dann, o Knabe von einem Sonntagsreiter, raffe die Fragmente deiner Reitkunst zusammen, oder ergreife das Brett des Schiffbrüchigen: den Sattelknopf.
Der Sonntagsreiter und sein Roß bilden den logischen Gegensatz zu den alten Centauren. So fest in diesen die Menschen- und Pferdenatur zusammengewachsen war, so lose verbunden sind jene beiden. Der zarte Duft schwebt nicht sicherer auf der Pfirsich, der Hauch nicht bleibender auf dem blanken Stahl, als ein Sonntagscavallerist auf einem Miethsgaule. Seine Schenkel sind nicht stärker mit ihm verknüpft, als der Lebensfunke mit einem Kaninchendasein. Ein Griff in den Nacken tödtet das Kaninchen; ein Seitensprung setzt ihn auf den Sand. Reiten heißt bei ihm so viel, als gewagte Speculationen treiben; Absteigen so viel, als aus einer großen Lebensgefahr gerettet, von einer schweren Krankheit genesen zu sein, oder ein verloren geglaubtes Kapital erhalten zu haben.
Früher, als der Besitz guter Pferde noch nicht ein so allgemeiner und die Reitkunst unter den Privatleuten noch nicht so weit verbreitet war, zeigten sich die Sonntagsreiter häufiger auf den Promenaden und Landstraßen nach beliebten Vergnügungsörtern. Obwohl ihre Zahl stark zugenommen hat, so können sie jetzt doch Anwandlungen von Scham nicht unterdrücken, und vermeiden die besuchteren Wege so viel als möglich. Wie kostbare Schmetterlinge besitzen sie eine Ahnung davon, daß man sie sucht, um sie auf die Nadel – der Satyre zu spießen. Sie haben deshalb eigenthümliche Begriffe von den nächsten Wegen nach einem Orte. Denken wir uns z. B. einen Sonntagsreiter, der von der Spandauer Straße aus nach Charlottenburg will, so wird er nicht die Linden und die große Chaussee entlang reiten, sondern im Schritt, durch die neue Friedrichsstraße, die Dorotheenstraße heimlich zu 108 erreichen suchen, sich die Mauer entlang rasch zum Brandenburger Thore hinaus schmiegen, und am Unterbaum die Spree passiren, um am naiven Moabiter Ufer einen unbeachteten Trab oder Galopp zu riskiren, und oben, nahe am Schloß, Charlottenburg unentdeckt zu erreichen. Wo ihm aber von soliden Pferden und reitkundigen Leuten, namentlich von Cavallerieoffizieren, keine Concurrenz gemacht wird, traut er sich hervor, und wagt es, seinem Thiere Einiges mit der Reitpeitsche zu verabfolgen.
Wer den ächten Sonntagsreiter beobachten will, muß an einen Kreuzweg gehen. Hier zeigt er sich und sein Pferd, wie die Magier des Mittelalters in seinem Element. Fast niemals trifft es sich so glücklich, daß der Plan des Reiters mit dem des Pferdes übereinstimmt; aber meistens verläuft alles, wie in einem Seelenkampfe der tugendhaften und lästerlichen Gefühle, und zwar so, daß der Reiter die strenge Moral des sandigen Feldweges, das tückische Roß die Wollust der breiten, nach einer schattigen Krippe führenden Chaussee vertritt. Als der Alcide an dem bekannten Scheidewege stand, war er zum Glück für den heilsamen Schluß der Fabel und alle Schuljungen der Nachwelt – nicht beritten. So oft man also auf einer vielbesuchten Chaussee einen finsterblickenden Reiter ohne Sporen, mit tief in den Bügeln steckenden Füßen, auf einem heitern, ja verklärt aussehenden Pferde erblickt, darf man als gewiß annehmen, daß er wider seinen Willen spazieren geritten ist.
Wir wissen nicht, ob die englischen Lebensversicherungsanstalten Policen an Leute ertheilen, welche der gefährlichen Leidenschaft des Sonntagsreitens ergeben sind. So selten allerdings der curiose Fall vorkommen mag, wo ein Jüngling dieser Gattung schon an die Versicherung seiner kostbaren Existenz denkt, wollen wir doch die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt hiermit gelenkt haben. Im Interesse der Gesellschaften müßte am Sonntage, wie im Kriege und während der Cholera die Police ruhen, oder ein höherer Beitrag erlegt werden. Dem Sonntagsreiter stößt sehr 109 oft »Etwas« zu. Im Allgemeinen stehen freilich so excentrische Pferde, wie jener kleine Schimmel, der vor unseren Augen seinen jungen Schneider auf dem ehemaligen Exerzierplatze am Brandenburger Thore mit den Zähnen bei den Hosen packte und aus dem Sattel zog, dann aber merkwürdiger Weise bei ihm stehen blieb und sich mit satanischem Lächeln der gelungenen Bosheit erfreute, sehr vereinzelt da, allein es fehlt doch nicht an höchst selbstständigen Subjecten. Das Reiben an Zäunen ist häufiger, als man glaubt, und Bocken oder Bäumen haben schon so manchen Ritter vom Syrupsfasse und der Elle in den Staub gebettet.
Der Sonntagsreiter wird an einem Tage vom Pferde, an sechs Tagen vom – Wolfe geplagt. Wir brauchen wohl unseren erfahrenen Lesern nicht das Leiden zu beschreiben, welches einen so ominösen Namen trägt, aber so furchtbar sind die realen Schmerzen, die es bereitet, so dringend ist das Bedürfniß, sie zu heilen, daß ein volksthümlicher Berzelius ein Eau de loup erfunden und es allen unglücklichen vom Wolf gebissenen Sonntagsreitern gewidmet hat.