Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Poetische Nachklänge.

I.

Der Untergang der Alemannia ging dem Studiosus Scheffel tief zu Herzen. Er gab seinem Schmerz Ausdruck in zwei langen Gedichten, die ich in der Urschrift bewahre.

Das eine Gedicht hat er in den Osterferien zu Karlsruhe verfaßt, einen kunstreichen »Chor nach Sophokles«, mit Strophen und Antistrophen und einem verschwenderischen Reichtum an Anapästen nach Platens Art. Vielleicht interessiert eine Probe daraus den Leser.

»Denn war's nicht fidel, als hier in dem Horn, im menschengefülleten Saale
Zusammen noch kam, wer immer das Haupt mit blauer Mütze bedeckte?
Und als im Gespräch die Meinungen laut man wechselseitig ertauschte
Und die vollen Gläser ertönten mit Macht, und der Geist sich rieb an dem Geiste?
Das rege Leben bestehet ja nur im Kampf der verschiednen Prinzipe
Und gewähret mehr Lust, als wenn sich nur Gleichdenkende abseparieren
Und dieser schon weiß, was jener wohl will, und jener, was dieser sich denket.
Drum preis ich mir auch die Vergangenheit an, wo stolz noch trug seine Krone
Der kräftige Stamm, Alemannia genannt, als weithin schattende Eiche.«

Ein Stoßseufzer, gekleidet in die Prosa des Wittelsbacher Dichterkönigs, schließt den rührenden Gesang: »Ich aber – gesungen habend – ein müder Barde, ziehe mich zurück in die alte leuchtende Urnacht meines Geistes.«

Das zweite Gedicht stammt aus den ersten Tagen des Sommersemesters 1845. Aus den Ferien nach Heidelberg zurückgekehrt, vermißte Scheffel viele der geliebten Freunde, sie waren ins Philisterium 182 abgegangen oder nach andern Universitäten gezogen; öde und verlassen lag das Horn am Neckar, die Alemannenkneipe; in 29 vierzeiligen Versen beklagte er den Untergang der schönen Verbindung. Der Leser wird es mir Dank wissen, wenn ich ihm von den 29 Versen nur 7 vorlege.

        »Es ging durch Heidelbergs Straßen
Ein Jüngling, gramerfüllt!
Im frohen Lenzesspiele
Ein traurig Winterbild.

Er trägt eine blaue Kappe
Und ein blaugoldnes Band,
Und schaut mit schweren Tränen
Hinaus ins blühende Land.

Er wandelt traurigen Schrittes
Zum Horn am Neckar hin
Und sitzt im leeren Zimmer
Mit schmerzdurchwühltem Sinn.

Und mit gebrochner Stimme
Ruft er im einsamen Saal:
Ihr öden, trüben Mauern,
Euch klag' ich meine Qual!

Wie tönten hier einst helle
Die Lieder aus voller Brust,
Wie saßen hier einst die Genossen
In frischer Jugendlust!

Wie drang im Sturmesbrausen
Von diesem Raume hier
Der Ruf in die Winternächte:
Hoch Alemannia dir!!!

Das war in jenen Tagen
Ein starker Bruderbund!
Und jetzt – o traurig Schicksal –
Ist alles auf dem Hund!« 183

II.

Fünf Jahre später, nachdem die Revolutionsstürme über Europa hingebraust waren und eine trübselige Stille sich über Deutschland gelagert hatte, führte mich ein Familienereignis aus dem Schwarzwald, wo ich auf dem Lande praktizierte, nach Heidelberg. Die Jünglinge, mit denen ich hier einst goldene Tage verlebte, hatte das Schicksal nach allen Richtungen zerstreut. Wie Scheffel irrte ich verlassen durch die Straßen, umschwebt von den Bildern der Vergangenheit. Heimgekehrt nach dem Schwarzwald wurde mir der Praxisgaul, der mich durch Feld und Wald trug, zum Pegasus, und auf dem Sattel des treuen Tieres schmiedete ich das folgende Gedicht, womit ich das Buch der Burschenzeit abschließe.

Besuch in Heidelberg 1850.

An des Neckars trauten Ufern
Schmückten wir uns heitre Hallen,
Bei des Gaudeamus Klängen
Ließen wir die Schläger schallen.

Einsam jüngst in Sommertagen
Ging ich wieder durch die Straßen,
Wo wir einst als flotte Söhne
An der Musen Tische saßen.

Wo sind, die mich froh begrüßten,
Jener Brüder traute Scharen,
Wenn ich nach den Ferien wieder
Bin zum Tor herein gefahren?

Ach, so manche fern der Heimat
Sind verbannt in fremden Landen; –
Werd' ich je sie wiedersehen,
Die so nahe mir gestanden?

Andre muß ich klüger preisen
Die daheim nach Glücke trachten
Und es schon zu Amt und Würden,
Ja sogar Familie brachten. 184

Ihrer keinem doch von allen
Ist der große Wurf gelungen,
Keiner hat mit gleichem Schweiße
Einen Gaul wie ich errungen.

Einen faulen Gaul, auf dem er,
Mit den scharfen Sporen treibend,
Reitet zu den kranken Bauern,
Dichtend und Rezepte schreibend.

Dennoch würd' ich gerne meinen
Gaul und meine Lieder geben,
Dürft' ich von den frohen Tagen
Einen einmal noch erleben.

An des Neckars trauten Ufern
Schmückten wir uns heitre Hallen,
Doch die Kränze, die wir wanden,
Sind verdorrt und abgefallen.

Einsam wandl' ich, ungegrüßet, –
Ach! das sind jetzt andre Zeiten,
Kam zu uns ein alter Bursche,
Durft er nicht verlassen schreiten.

Eifrig liefen wir zusammen,
Solchen werten Gast zu ehren,
Unsre Humpen, unsre Hörner
Mußt' er bis zur Neige leeren.

Auf der Hirschgaß blut'ger Stätte
Mußt' ihn unsre Kunst entzücken,
Und zuletzt noch mit Rappieren
Hieben wir ihn fast zu Stücken.

Ja, ich gäbe Gaul und Lieder,
Könnt' es sich noch einmal fügen,
Daß sie mich zu Boden tränken
Und mir brav das Fell zerschlügen. 185

 

 


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