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Wie ich der Biographie aus der Feder von Sepp: »Ludwig Augustus, König von Bayern«, Schaffhausen 1859, entnehme, warnt der heilige Hieronymus, der gelehrteste lateinische Kirchenvater, vor überschwenglicher Liebe zur Schönheit, sie mache den Menschen einseitig und verdreht, möge er noch so hoch geadelt sein. Aristoteles und Seneca hätten sich in gleichem Sinne ausgesprochen. – Die Ereignisse der letzten Regierungsjahre des Königs Ludwigs I. zeugen für das richtige Urteil des weisen Hieronymus.
Seit 1837 hatte der König in seinem Günstling Abel, einem politischen Renegaten, einen Minister ganz nach seinem Sinne gefunden. Zehn Jahre lang, bis 1847, bekämpfte Abel, als der entschiedenste Feind der Verfassung, den bayerischen Landtag und Reichsrat, und erwies sich zugleich als ein willfähriges Werkzeug der Ultramontanen. Da geschah, kurz bevor wir die Fahrt nach München antraten, unerwartet Unglaubliches. Der König entließ am 16. Februar 1847 seinen Günstling und ernannte ein liberales Ministerium.
Die Welt vernahm das Ereignis mit Staunen. Wie war das Unmögliche möglich geworden? Was hatte den König plötzlich so gänzlich umgewandelt? Das Alles hatte, es war die reine Wahrheit, eine Bajadere mit ihrem Tanzen getan, und der Name Lola Montez, bisher in weniger Leute Munde, erlangte mit einemmal historische Berühmtheit.
In der Tat, die junge Schöne hatte das Herz des alternden Königs in Flammen gesetzt und schwang mit tollem Uebermut ihr Pantöffelchen über dem gesalbten Haupte. Wenn sie winkte, so flogen die Minister aus ihren Aemtern und die Professoren von ihren 323 Lehrstühlen. Mit der Reitpeitsche wies sie der hohen Polizei die Türe; den Studenten, die ihr ein Pereat vor dem Hause brachten, trank sie lachend Champagner zu und bewarf die zugeströmte drohende Menge mit Bonbons. Vor den Augen Europas spielte sich eine Staatsaktion ersten Ranges ab, wie eine lustige Operette.
Lola Montez – unter diesem Namen hatte die Tänzerin sich eingeführt – war geboren zu Montrose in Schottland, die Tochter eines englischen Offiziers Gilbert und einer Kreolin Oliverras. Mit 15 Jahren war sie in Bath aus der Pension entlaufen, hatte sich mit einem jungen Kapitän James verheiratet und mit ihm nach Kalkutta eingeschifft. In den Offizierskreisen der ostindischen Kompagnie herrschte ein ausgelassenes Leben, in dieser Schule wurde sie zur Courtisane. Sie verließ ihren Mann, kehrte nach Europa zurück, vertauschte in Spanien, wo sie längere Zeit verweilte, ihren englischen Namen, wurde Tänzerin und ging aus einer Hand in die andere. In Paris erregte sie Aufsehen, und ein Journalist, Dujarrier, wurde ihrethalben im Duell erschossen. Von Paris aus besuchte sie die Bühnen der meisten Hauptstädte Europas, zuletzt, nach einer Kur bei Chelius in Heidelberg und einer Nachkur in Baden-B., reiste sie nach München, wo sie anfangs Oktober 1846 ihre erste Gastrolle gab und den König alsbald in Fesseln schlug. Wenn ich Sepp, der die meisten dieser Angaben gesammelt hat, richtig verstehe, so liebte der König das schöne Menschenbild nicht anders als wie er die schönen Marmorbilder seiner alten Pinakothek anbetend verehrte. Auch im Gedichte pries er die anmutige Heiterkeit und das Feuer der vermeinten Andalusierin:
»Heitern Sinnes, froh und helle, Lebend in der Anmut hin, Schlank und zart, wie die Gazelle, Bist du, Andalusierin, Voll von Feuer, voll von Leben, Ist dein Wesen, ist dein Streben.« |
Der dringlichen Einreden Abels ungeachtet, verlieh der starrsinnige König der Tänzerin den Titel einer Gräfin von Landsberg und das bayerische Heimatrecht. Der Minister mußte gehen und Lola stieg von den Brettern, die nur die Welt bedeuten, auf die 324 wirkliche Weltbühne. Ein Hexensabbat ging in der bayerischen Hauptstadt los. Bisher hatten die Münchner sich nur beim Bierwalzer gedreht, jetzt schwenkten sie sich im raschen Tempo des Bolero und Fandango. Wenn die Tänzerin mit den Castagnetten klapperte, hüpfte jung und alt. Auch den Pöbel erfaßte der Taumel, und der Thron begann in den Fugen zu knarren. Nur die Geistlichkeit hielt sich fest auf den Beinen und wartete die rechte Zeit ab, um den Zauber zu bannen.
Wie man sich denken kann, war unsere Neugierde, die schöne Circe zu sehen, groß. Zweimal war die Gelegenheit mir günstig, ihr Bild, und zweimal, sie selbst zu betrachten.
Maler Sudler hatte uns in Kaulbachs Atelier geführt. Der berühmte Künstler hatte Lola auf des Königs Geheiß gemalt, ihr aber einen widrigen Ausdruck gegeben. Der König war darüber entrüstet und verschwieg sein Mißfallen nicht: »Kaulbach, Sie haben eine Giftmischerin gemalt und nicht die Gräfin Landsberg!« – Es ließ sich nicht leugnen, das Bild Kaulbachs schmeichelte ihr nicht.
Dagegen war das Porträt gelungen, das Stieler gemalt hatte; es hing unter den Frauenbildern der Schönheitsgalerie im Festsaalbau der Residenz, der Betrachtung des Publikums zugänglich. Hier nahm ich es mit Freund Bronner in Augenschein. Wir eilten hinter dem Lakaien, der mit der ganzen Würde eines königlichen Bedienten dem Schwarme der Besucher vorausging, in raschem Trabe durch die Säle. Plötzlich stockte der Zug in der Galerie und drängte sich auf einen Knäuel zusammen. Der Führer verweilte, bis sich alle um ihn gesammelt, deutete auf eins der Bilder und rief mit sonorer Stimme respektvoll: »Sennora Dolores Montez, Gräfin von Landsberg.« Niemand wollte sich von dem Bilde trennen, aber der Führer schritt weiter, der Zug setzte sich wieder in Bewegung, immerhin war es uns beiden gelungen, das Porträt genügend zu betrachten. Sennora Montez erschien uns wirklich würdig, unter diesen ausgewählten Schönen als eine der reizendsten zu prangen.
In Person sahen wir den Gegenstand der allgemeinen Neugierde zuerst im Hoftheater. Der König, die Herzogin von Leuchtenberg, die Kaiserin Witwe von Brasilien und ihre Tochter beehrten die Vorstellung mit ihrer Gegenwart, die Taglioni tanzte. Lola saß in einer 325 Loge ersten Ranges, an die Brüstung gelehnt, gut sichtbar. Der König und sie klatschten den meisten Beifall. – Am folgenden Tage sah ich sie ganz in der Nähe, von Angesicht zu Angesicht. Der Weg führte mich durch die Barer Straße an dem Hause vorüber, das ihr der König geschenkt hatte. Sie saß am Fenster zu ebener Erde, den Blick abwärts gerichtet. Ich erkannte sie, blieb stehen und prüfte ihre Züge aufmerksam. Sie glich genau dem Bilde in der Schönheitsgalerie, war wirklich reizend, hatte schwarze Haare und tiefblaue Augen. Plötzlich bemerkte sie mich, lachte und verließ das Fenster.
Wer weiß heute noch viel von Dolores Montez? – »Wenn die Dolores vorbei sind, hören die Schmerzen auf,« witzelten die Münchner fliegenden Blätter, nachdem ein allerhöchster Befehl die Gräfin Landsberg am 11. Februar 1848 gezwungen hatte, binnen einer Stunde abzureisen und das Land zu verlassen. Der Hexentanz war zu Ende; ein Aufruhr, geschürt und ausgenützt von den Ultramontanen, hatte den König genötigt, sie preiszugeben. »Hieße sie Loyola Montez,« grollte er, »so wäre alles still geblieben.« Am 20. Februar legte er im 61. Jahre seines tätigen Lebens, des Regierens müde, das Zepter nieder mit dem Geständnis: »eine neue, ihm fremde Zeitrechnung habe begonnen.« Sein edler Sohn, Maximilian II., ergriff es mit der Versicherung: »dieser Zeit Gebote zu verstehen und auch zu vollbringen,« und hielt Wort.
Die Ausgewiesene spielte sich auf als Befreierin Bayerns aus den Banden der Ultramontanen. Sie hielt Vorträge in der alten und neuen Welt, schriftstellerte über die Kunst, die Schönheit zu erhalten, verheiratete sich noch mehrmals, wurde schwindsüchtig, gelähmt, bußfertig und starb im Elend zu Greenwood bei New-York. Auf ihrem Grabsteine steht geschrieben:
»Mrs. Eliza Gilbert, died January 17, 1861, aged 41 years.«
Die wenigen Worte lassen nicht erraten, wer die Eliza Gilbert war, deren Gebeine unter dem Rasen modern. Verständlicher wäre die Aufschrift: »Wanderer, störe den Schlummer der müden Tänzerin nicht, die hier ruht. Sie war die ausgelassenste ihres Jahrhunderts: Dolores Montez.« 326