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Der Fischfang mit dem Treibnetz

Einige Tage später, als Jung-Joel ausgeschlafen hatte und nahezu wieder hergestellt war, ging Sven Elversson eines Nachmittags an den Hafen von Knapefjord hinunter und sah dort die Motorjacht Najade auf ihrem gewohnten Platz liegen. Olaus von der Fårö und Corfitzson und die anderen, die er von früher her kannte, waren an Bord, und sie, sowie die ganze Fischerflotte von Knapefjord, wollten gerade zum Fischfang mit dem Treibnetz weit hinaus ins Kattegatt fahren. Da stieg in Sven Elversson der Wunsch auf, sie zu begleiten und eine Nacht auf dem Meere zuzubringen.

Olaus sah aus, wie wenn er am liebsten nein gesagt hätte, aber er ging doch auf Sven Elverssons Verlangen ein, weil er ihm von früher her nichts vorwerfen konnte. Und sobald für Sven Elversson ein Ölanzug herbeigeschafft worden war, stieß man ab. Das Wetter war an diesem Tag besser als sonst in diesem Sommer, und es war ein guter Fang zu erhoffen. Aber Sven Elversson bemerkte bald, daß alle an Bord schlechter Laune waren. Sie sprachen unfreundlich miteinander und auch mit ihm. Als er sie fragte, wie der Makrelenfang im letzten Sommer ausgefallen sei, fluchten sie und sagten, einen weniger erfreulichen Beruf, als den eines Fischers, gebe es nicht.

Nach einiger Zeit erreichten sie die Stelle, wo sie fischen wollten; aber sie legten das riesige Treibnetz im Meer aus, ohne ein freundliches Wort miteinander zu wechseln, und geradeso war es dann während der Mahlzeit in der Kombüse. In der Nacht saß Sven Elversson oben auf Deck, und die Wachen lösten einander ab; aber keine von ihnen benützte die Gelegenheit, mit ihm ein Plauderstündchen zu halten, sondern jede ging verdrießlich und mit unterdrücktem Fluchen auf Deck auf und ab.

Sven Elversson verstimmte und bedrückte all diese Unfreundlichkeit, aber er hoffte, die Stimmung an Bord werde sich ändern, wenn der Morgen anbräche und es Zeit würde, das Netz einzuziehen. Ein wenig besser wurde es ja auch, als der Motor in Gang gesetzt war und man die beiden Enden des Netzes eingefangen hatte, um es hereinzuholen.

Olaus und Corfitzson standen an der geöffneten Reling und zogen, die anderen sollten das Netz in Empfang nehmen und die Fische aus den Maschen losmachen. Als nun das Netz hereinkam, so voll von prächtigen Makrelen, daß es wie ein Regenbogen glänzte, da leuchtete es in allen Gesichtern auf.

»Ihr werdet sehen, sie haben uns heute nacht verschont,« sagte Corfitzson.

»Willst du gleich schweigen!« schrie Olaus und stieß einen Fluch aus. »Mußt du sie auch noch daran erinnern? Sie passen ohnedies genau auf. Fühl einmal das hier!«

Damit hob er das Netz ein Stück übers Wasser, und nun sahen alle zwischen den glitzernden Makrelen etwas Großes, Dunkles. Es wurde totenstill an Bord, und im nächsten Augenblick kam mit dem Garn die Leiche eines Menschen auf Deck.

Ein junger Mensch, der statt Hjelmfelt an Bord gekommen war, versuchte den Toten loszumachen, aber da rief der Schiffer kurz und kalt:

»Laß sein! Hier kommt noch einer!«

Und gleich darauf ertönte abermals der Befehl:

»Laßt sein! Hier kommen noch mehr!«

Bei diesen Worten hoben Olaus und Corfitzson eine entsetzliche Masse an Bord, zwei ineinander verschlungene Leichen.

Nachdem die letzten Maschen des Zugnetzes eingezogen waren, lag in dem Schiffsraum ein gewaltiger Haufen von Leichen, braunen Netzmaschen und Makrelen. Die Fische, die noch nicht tot waren, zappelten und suchten loszukommen, so daß der unheimliche Haufen aussah, als sei er lebendig.

Als die Leichen an Bord gehoben wurden, bemächtigte sich Sven Elverssons eine solche Erregung, daß er zu weinen anfing. Er wischte die Tränen mit der Rückseite seiner Hand ab, aber sie kamen immer wieder. Er stampfte mit dem Fuß auf, aber sie kamen immer wieder. Schließlich mußte er die Arbeit am Netz aufgeben und ganz hinten aufs Schiff gehen.

Dort blieb er stehen, bis das Netz eingeholt und der Motor für die Heimfahrt in Gang gesetzt war. Die stumme Besatzung, noch ebenso unwillig, zornig und unzufrieden wie vorher, hatte sich wieder darangemacht, aus dem Netz die Fische und Muscheln herauszusuchen und das, was nicht hineingehörte, loszumachen.

»Alles, was in dem Netz ist, muß über Bord!« befahl Olaus.

Als Sven Elversson das hörte, begab er sich zu den anderen. Die Tränen strömten ihm noch immer aus den Augen, aber er kümmerte sich nicht darum, sondern stellte sich neben die Besatzung und beteiligte sich an der furchtbaren Arbeit.

Jetzt kam die Reihe an einen der Toten. Sven Elversson hob ihn auf, während die anderen ein paar Netzmaschen losmachten, die sich um die Knöpfe seiner Uniform geschlungen hatten. Es war ein älterer Seemann mit einem Seemannsbart. Jemand sprach die Vermutung aus, es werde ein Engländer sein. Als er losgemacht war, schickte sich Sven Elversson an, ihn auf Deck hinauszuschleppen.

»Alles, was in dem Netz ist, muß über Bord!« sagte der Schiffer, indem er sich nach dem Toten bückte.

Aber Sven Elversson widersetzte sich.

»Willst du ihn nicht in geweihter Erde ruhen lassen, Olaus?« fragte er.

Olaus gab keine direkte Antwort auf diese Frage.

»Es ist am besten, wenn wir diesen ganzen Jammer vom Schiffe los sind,« sagte er.

Sven Elversson kämpfte heftig mit seinen Tränen und sagte dann mit ziemlich fester Stimme:

»Wenn du diesen hier ins Meer wirfst, mußt du mich mit hineinwerfen.«

Er war selbst erstaunt darüber, daß er so sprach, aber er konnte nicht anders. Und er würde bei seinem Worte bleiben, das fühlte er.

Und die anderen sahen auch, daß es ihm ernst war, und daß er lebend den Toten niemals loslassen würde.

Der Schiffer fluchte und wendete sich ab, sagte aber nicht geradezu nein, und da verstanden die andern, daß er nachgab.

Sven Elversson wollte den Toten wegtragen, aber er war zu schwer für ihn. Da kam der junge Mensch, der noch nicht lang auf dem Boot war, und ging ihm zur Hand. Sie legten den Toten an der Reling nieder.

Als die nächste Leiche aus dem Netz losgemacht wurde, war es schon selbstverständlich, daß sie zu der anderen gelegt wurde. Zwei Männer trugen sie zu Sven Elversson hinauf.

»Jetzt kommen wir mit einem Deutschen,« sagten sie.

Und zu seinem größten Erstaunen sah Sven Elversson, daß die Männer an Bord plötzlich einen ganz anderen Gesichtsausdruck bekommen hatten und viel besserer Laune waren.

Sie hatten aufgehört zu fluchen, sprachen still und ruhig. Jetzt haßten sie diese Scharen von Toten nicht mehr, die ihnen ihren Lebensunterhalt nahmen.

Denn sie waren gewohnt, den Toten Achtung und Ehrerbietung zu erweisen, etwas in ihnen fühlte sich befriedigt, daß diese ertrunkenen Krieger jetzt ein ordentliches Begräbnis erhalten sollten.

Aber auch Sven Elversson überkam eine wunderbare Ruhe, seine Seele wurde so still, wie sie vom ersten Tage seines Unglücks an nicht mehr gewesen war.

Ihm war, als höre er ringsum sich her Stimmen, die ihm dankten, weil er Mitleid mit den Körpern gehabt hatte, die einst die geliebten Wohnungen unsterblicher Seelen gewesen waren.

»Jetzt hast du dich von der Last befreit, die auf dir ruhte,« sagten die Stimmen. »Auf diese Weise mußte es geschehen. Nun ist deine Schuld von dir genommen. Als du dein Leben aufs Spiel setztest, um einen Toten zu retten, da wurde alles gesühnt.«

Sein Herz klopfte rasch und leicht, und er dachte: »Wenn mich von jetzt an Menschen verurteilen, macht es mir nichts mehr aus, denn ich fühle in meinem Herzen, daß ich jetzt meine Aufgabe erfüllt und mein Schicksal überwunden habe.«


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