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Johannes van Gudry kniff die Augen zusammen, stützte den Kopf in die Hand und spitzte die Ohren. Der schmutzigen Kellnerin, die sah, daß sein Glas leer war, und die Miene machte, an ihn heranzutreten, gab er ein Zeichen. Die trat behutsam an ein Grammophon, das wie eine von Absinth trunkene Grisette gröhlte, und stellte es ab.
Peter Last lächelte, neigte den Kopf noch ein wenig mehr zur Seite und verstand nun jedes Wort, das man am Nebentische sprach. Der niedere, langgestreckte Raum war dick verqualmt, und der üble Dunst von Rauch und Menschen nahm ihm den Atem.
Im Grunde interessierten ihn diese Menschen nicht. Aber es machte ihn stutzig, daß Gutsbeamte, die hier nach Feierabend ihren Lohn vertranken, sich über ein Gemälde unterhielten und dabei Frans Hals nannten, als wäre ihnen der Name geläufig wie der des grünen Giftes, das sie täglich tranken, oder des Tabaks, den sie mit schwarzen Fingern in die kurzen Pfeifen stopften.
»Frau Kornelia wird alle Tage blasser und schmaler,« rief ein baumlanger Kerl. »Sie steckt in keiner gesunden Haut!«
»Unsinn!« widersprach ein anderer, der glattrasiert war und einem herrschaftlichen Diener glich. »Das liegt viel tiefer.«
Und als die anderen verständnislos zu ihm aufsahen, hob er die rechte Hand und sagte geheimnisvoll: »Auf Frau Kornelia ruht der Fluch des Hauses Vestrum.«
Da wurden die Gesichter noch länger, die Augen noch größer. Sie starrten ihn an, und der Baumlange, der der Beherrschteste war, fragte: »Was für ein Fluch?«
»Mir hat mein Vater, der vor mir Hausmeister auf Schloß Vestrum war, erzählt, daß irgendwo im Schlosse das Bild einer Zigeunerin verborgen sei, das niemand anderen vorstelle als eine der Ahnen des Hauses Vestrum.«
»Eine Zigeunerin die Ahnfrau Frau Kornelias?« warf einer der verblüfften Leute ein, und die anderen schüttelten die Köpfe und riefen: »Nein! das glauben wir nicht!«
»Und doch ist es so!« beteuerte der Hausmeister. »Einer der Herren van Vestrum hat die Zigeunerin in der Nähe von Haarlem auf einem seiner Jagdzüge aufgegriffen, sie auf sein Pferd genommen und ist mit ihr in die Stadt geritten, um sie in ihren Lumpen, so, wie er sie fand, von Frans Hals malen zu lassen. Später hat er sie dann in kostbare Kleider gesteckt und ist mit ihr und dem Bilde nach Schloß Vestrum zurückgekehrt.«
»Ein Märchen!« rief ein alter Beamter und schlug auf den Tisch; aber der Baumlange nickte und meinte: »Es kann stimmen! Etwas Zigeunerhaftes hat unsere junge Herrin an sich – etwas Wildes, Unbeherrschtes – genau wie meine Zenta, von der auch niemand recht weiß, woher sie kommt.«
»Und dieser Zigeunerin lag der Trieb zum Stehlen so tief im Blute,« fuhr der Hausmeister fort, »daß sie sich selbst als spätere Herrin auf Vestrum noch an ganz wertlosen Gegenständen ihrer Gäste und eigenen Leute vergriff.«
»Na, stehlen tun sie heute noch auf dem Schloß wie die Raben,« meinte der Alte.
Und der Baumlange stieß den Rauch aus der Pfeife und sagte: »Am Ende geht die Ahnfrau herum und stört Fräulein Kornelias Schlaf;« – dann brüllte er laut vor Lachen, schüttelte sich und rief: »Ammenmärchen! für Kinder! Fräulein Kornelia hat Liebeskummer! das ist es!«
Ein Dritter warf ein: »Der junge Advokat aus der Stadt, der ihr Vermögen verwaltet, hat es ihr angetan.«
»Mag sein,« erwiderte der Hausmeister. »Er und Fräulein Kornelia stimmen gut zueinander. Aber daß sie ihn nicht erhört, das eben hängt mit dem Fluch und dem Bilde zusammen und mit der Zigeunerin. Niemand hat das Bild gesehen; nur Fräulein Kornelia kennt es. Und es gibt Tage, an denen sie weiß wie der Tod ist und scheu wie ein Reh durch die Zimmer schwebt, niemanden ansieht oder empfängt. Selbst den Advokaten nicht. Das sind die Tage, an denen sie unter dem Einfluß des Bildes steht.«
». . . das gar nicht existiert und nur in ihrer Vorstellung lebt,« fiel ihm der Lange ins Wort.
»Das Bild ist da!« entgegnete der Hausmeister. »Und Frans Hals schuf es so voller Leben und Bewegung, daß es jeden, der es betrachtet, in seinen Bann zieht.« – –
Peter Last verwickelte die Kellnerin in ein Gespräch. Sie erzählte ihm von der schönen Schloßherrin, die man nie sah; er erfuhr den Namen des jungen Advokaten aus der Stadt, stand auf, zahlte, bestellte am Büfett noch einen Likör und prägte sich, während er ihn langsam trank, genau die Gesichter der Leute ein, die um den Tisch herum saßen und sich um Kornelia, Frans Hals und die Zigeunerin stritten. Dann erst ging er.
* * *