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Es war mitten in der Nacht, als Johannes van Gudry nach Haus kam. Umso erstaunter war er, von seinem Diener zu hören, daß Frau van Jörgens, die gegen Abend gekommen sei, noch immer im Herrenzimmer sitze und auf ihn warte.
»Lächerlich!« sagte er halblaut. »Ist Peter Last zurück?«
»Seit acht Uhr. Ich helfe ihm gerade Kisten und Koffer auszupacken, die er mitgebracht hat!«
»Bilder?«
»Auch Folianten – ganze Stöße – ich glaube, aus Haarlem.«
Johannes lächelte befriedigt.
»Ich komme gleich zu Euch herunter! packt nur weiter.« – – Dann ging er durch die Halle ins Herrenzimmer, in dem die schöne, elegante Frau van Jörgens ihn erwartete.
»Johannes!« rief sie, als er ins Zimmer trat, und warf sich ihm an den Hals. – – Er stand und bewegte sich nicht.
»Warum habe ich nichts von dir gehört?«
»Sie sollten mehr auf Ihren guten Ruf achten, gnädige Frau.«
»Johannes! Was ist das für eine Sprache, was bedeutet das?«
»Wenn du's denn hören willst – ich bin deiner überdrüssig!«
»Das ist nicht wahr!«
Johannes trommelte nervös mit den Fingern auf dem Tisch.
»Ich brauche dich nicht mehr!«
»Brauchst – – mich – – nicht – – mehr?« wiederholte sie und traute ihren Ohren nicht.
»Ich habe etwas Besseres gefunden!«
Sie sah ihn starr und verständnislos an.
»Du willst mich quälen, Johannes! – Ich bin doch keine – –«
»Mittel zum Zweck warst du mir – wie jede Frau oder habe ich dir jemals Liebe vorgeheuchelt?«
»Ich habe dir alles geopfert.«
»Ich habe dich nicht darum gebeten.«
»Was brauchst du?« – Sie nahm hastig ihre Perlenkette ab und legte sie ihm in die Hand.
Johannes spielte damit, lächelte und ließ sie gleichgültig auf den Tisch fallen.
»Damit du im Bilde bist; in vier Wochen wird die reichste Erbin und das schönste Schloß Hollands mir gehören!«
»Die Ärmste!« sagte Frau van Jörgens vor sich hin.
»Du siehst,« fuhr Johannes fort, »ich spiele mit offenen Karten, und du weißt nun, daß du hier überflüssig bist.«
Frau van Jörgens wankte zum nächsten Sessel, auf dem sie zusammenbrach, während Johannes, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen, aus dem Zimmer ging.
* * *
Peter Last hatte inzwischen alle Kisten geleert und die ganze Halle, die zum Garten führte, mit Bildern und Folianten belegt.
»Du gibst mir ja ordentlich zu tun!« sagte Johannes, als er in die Halle trat.
»Ich habe zusammengerafft, was ich bekommen konnte; Familienchroniken, wie du mir aufgabst. Ob die darunter ist, die du suchst, weiß ich nicht!«
»Ich werde auch ohne sie auskommen. – Hier!« er warf ihm seine Brieftasche zu, nachdem er das Geld und die Papiere herausgenommen und in die Tasche gesteckt hatte – »wirf das in den Ofen!«
»Wie? – wa . .?«
»und gewöhn' dir das Fragen ab!«
Peter Last machte ein verdutztes Gesicht, gehorchte und warf die Tasche in den Kamin.
»Diese Brieftasche ist mir heute abend auf Schloß Vestrum gestohlen worden.«
»Wa . . .?«
»Verstanden? – Ich bin sehr erregt – du siehst es – nach Hause gekommen, habe noch einmal alle Taschen durchsucht, obschon ich genau wußte, daß es nur dort geschehen sein konnte.«
»Was da wohl wieder dahintersteckt!«
»Das geht nur mich an! Du hast zu gehorchen und nicht nachzudenken.«
»Ist mir auch lieber!«
Johannes besah sich die Gegenstände, blätterte in den Folianten, fand aber nichts, was auf den Gegenstand, den er suchte, Bezug hatte.
»Mein Auto!« rief er ärgerlich und fuhr mitten in der Nacht zu Kargert, dem er erregt von dem Diebstahl seiner Brieftasche Mitteilung machte.
»Es ist nicht des Geldes wegen,« sagt« er. »Ein Schein ist wie der andere und läßt sich ersetzen. Aber es waren alte Dokumente darin über die Echtheit von Bildern, die unersetzbar sind.«
»Wir müssen sofort hin!« drängte Robert, der ganz verzweifelt war.
* * *
Auf Schloß Vestrum hatte der alte Hausmeister, als Fräulein Kornelia in ihrem Zimmer war, die Dienerschaft zusammengerufen und ihr von dem Verlust des Etuis Kenntnis gegeben.
»Das ist in drei Wochen der vierte Fall!«
Alle beteuerten ihre Unschuld. Man beargwöhnte eine junge Zofe, die noch nicht lange im Hause war.
»Ich will Sie nicht verdächtigen,« sagte der Alte, »aber wenn es wahr ist, daß Sie schon des Nachts aus dem Hause waren, dann dürfen Sie sich auch nicht wundern, wenn man Ihnen so etwas zutraut.«
Das Mädchen fing an zu heulen, so daß der Schäferhund, der vor Kornelias Tür Wache hielt, aufsprang und Laut gab. Kornelia richtete sich hoch, sprang aus dem Bett, warf sich eine Matinée über und eilte, gefolgt von dem Dackel, der bei ihr schlief und stets um sie war, auf den Flur. Unten in der Halle standen die Leute, heulte das Mädchen, vom Geländer aus beobachtete Cornelia unbemerkt eine Zeitlang den Vorgang. Dann rief sie, während sie hastig die Treppen hinabstieg, ihnen zu: »Sie ist unschuldig!« stellte sich schützend vor das Mädchen, nahm es bei der Hand und führte es, während die Dienerschaft erstaunt zurückblieb, aus der Halle. Liebevoll nahm sie sich des Mädchens an, tröstete und beschenkte es und ging dann, da sie zu erregt war, um zu schlafen, in die Bibliothek. Die Amme, die erst im Schlafzimmer suchte, fand sie über einen alten Folianten gebeugt, so vertieft in die Lektüre, daß sie ihr Kommen garnicht bemerkte.
»Kornelia!« rief die Amme mit einem leisen Vorwurf in der Stimme. »Mitten in der Nacht!«
Sie stand jetzt dicht bei ihr.
»Gibt es eine Möglichkeit, daß man das, was hier steht,« – und dabei wies sie auf den Folianten, der vor ihr lag, »öffentlich bekannt gibt?«
»Was soll das?« fragte die Amme.
»Die Chronik unserer Familie, die beweist, daß es nicht wahr ist!«
»Was ist nicht wahr?«
»Daß eine Zigeunerin – – hier lies: nicht wahr, eine Chronik lügt nicht?« Und die Amme beugte sich über das Buch und las:
»Im Jahre 1628 hat nach einer alten Chronik der Gilde der Tucharbeiter in Haarlem ein durchreisender Fremder bei dem Maler Frans Hals, dem Sohn des Tuchmachers Hals, das Porträt einer gewöhnlichen Zigeunerin, die er in einer Vorstadt Haarlems aufgefunden hatte, bestellt. Der Maler malte das lachende junge Mädchen, ohne ihr ein schönes Kleid anzuziehen, in den Lumpen, wie der fremde Durchreisende sie zum erstenmal gesehen hat.
Der Fremde hatte die verlumpten Kleider mitgebracht und das Mädchen, das herrlich gekleidet war, veranlaßt, ihre schönen Kleider auszuziehen und die verlumpten Zigeunerkleider wieder anzuziehen. Der Fremde verließ bald mit seinem Mädchen die Stadt, unter Mitnahme des wohlgelungenen großen Bildes. Der Fremde war unser Vorfahr Dirk Pieters van Vestrum. Das Mädchen hieß Kornelia Druyvesteyn. Alle Nachforschungen nach dem Verbleib dieses Bildes sind erfolglos geblieben, das Bild ist in unserer Ahnengalerie nicht vorhanden und damit ist die alte Erzählung hinfällig, daß unser Vorfahr Dirk Pieters van Vestrum das Zigeunermädchen geheiratet hat und daß wir in unserer Ahnenreihe den Fleck hätten, eine Zigeunerin aufgenommen zu haben. Im Schloß von Vestrum hängt das Bild der rechtmäßigen Gemahlin des Dirk Pieters van Vestrum, genannt Brehtje Voogt van der Eem. Dieses Bild ist aber nicht von Frans Hals gemalt, sondern von einem unbekannten späteren Maler aus Köln.«
»Ich begreife nicht, daß dich diese Geschichte derart beschäftigen kann,« erwiderte die Amme. »Wen kümmert das? wer fragt danach?«
»Du meinst, es weiß es niemand?« fragte Kornelia, und die Furcht, die eben noch in ihrem Gesicht stand, schien geschwunden.
»Kein Mensch hat Interesse daran!« beteuerte die Amme, woraufhin Kornelia aufsprang, die Amme bei den Händen nahm und ausgelassen wie ein Kind mit ihr herumtollte. Dann sagte sie übermütig: »Übrigens, dir verrat' ich's; so ganz stimmt es nicht, was in der Chronik steht. Sieh' mal!« Und sie kramte in einer ihrer Taschen, holte ein Bronzeschildchen heraus, wie es an Bilderrahmen angebracht ist, hielt es ihr – nur einen Augenblick lang – vor's Gesicht, aber doch lange genug, daß die Amme lesen konnte: Kornelia Druyvesteyn – »Diese Kornelia,« rief sie übermütig, »bin ich! Aber sag' es niemandem!«
Die Amme schüttelte den Kopf und sah beunruhigt, daß Kornelias Lustigkeit, wenn auch nicht gerade gezwungen, so doch die Reaktion eines durchaus nicht freudigen Vorganges war.
Draußen schlug der Barsoi an, und der Dackel, der zu Kornelias Füßen saß und sich nicht leicht aus der Ruhe bringen ließ, lief an dem Hausmeister, der eben eintrat, vorbei und stürzte kläffend auf Johannes zu, der gerade mit Dr. Kargert Hut und Mantel ablegte.
Kornelia sprang erschrocken auf, und auch die Amme begriff nicht, was Robert und Johannes mitten in der Nacht im Schlosse suchten.
»Wir glaubten nicht, Sie noch aufzufinden,« begann Robert, »wir suchten den Hausmeister, da wir wichtige Dinge hier zurückgelassen hatten.«
Kornelia wurde bleich, zitterte und hielt sich am Rande des Tisches fest.
»Ich habe bereits gehört,« brachte sie mühsam hervor, »und komme natürlich für den Verlust auf.«
»Wie?« erwiderte Robert und wich einen Schritt zurück. »Wollen Sie mich kränken, Fräulein Kornelia? Für meine Unachtsamkeit bin allein ich verantwortlich. – Uns führt etwas anderes her. Herr van Gudry vermißt seine Brieftasche mit sehr wichtigen Dokumenten und behauptet, daß er sie nur hier habe liegen lassen können.«
»Nein!« rief Kornelia bestimmt – »das ist unmöglich!« und wandte sich an Johannes. An seinem spöttisch triumphirenden Lächeln erkannte sie, daß die Bestimmtheit ihres Widerspruchs mehr eine Selbstbezichtigung als eine Verteidigung war.
»Der Hausmeister meinte, es sei nicht das erstemal,« fuhr Johannes fort und ließ Kornelia nicht aus den Augen, »man sollte daher, – schon Ihrer eigenen Sicherheit wegen – versuchen, dem Diebe auf die Spur zu kommen.«
Kornelia wandte den Blick ab und sagte: »Gewiß! aber wie?«
»Nun, wenn ich mir als Leidtragender einen Vorschlag erlauben darf . . .«
»Bitte!«
»Man sollte, und zwar möglichst unauffällig, einen tüchtigen Detektiv hier ins Schloß setzen.«
Johannes nahm deutlich wahr, wie Kornelia bei diesem Vorschlag zusammenzuckte.
»Ich möchte das nicht,« sagte sie zaghaft.
Aber sowohl die Amme wie Robert stimmten dem bei und suchten Kornelia von der Notwendigkeit energischer Abwehr zu überzeugen. Es blieb ihr schließlich nichts anderes übrig, als einzuwilligen.
* * *