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In Brigittes Zimmer stand auf einer Staffelei eine große Photographie von Kornelia. In einem Sessel davor saß Brigitte. An der einen Schmalseite der Wand war eine Leinewand befestigt, auf die von der anderen Seite her Licht fiel.
Vor der Staffelei stand im weißen Kittel Johannes und betrachtete durch eine Lupe die Photographie.
Neben ihm stand ein älterer Herr mit einer Hornbrille, der ebenfalls einen weißen Kittel trug und die Ärmel aufgeschlagen hatte. Er unterhielt sich mit Johannes im Flüsterton.
»Also, verunstalten lasse ich mich nicht!« rief Brigitte, »und schöner als ich bin, brauche ich nicht zu werden. Und wenn Ihr Affen mir wehtut, dann schreie ich!«
»Schreien kannst du soviel du willst,« erwiderte Johannes. »Aber wenn du nicht stillsitzt, dann kannst du was erleben.«
Im selben Augenblick trat der ältere Herr im weißen Kittel mit einem Rasiermesser in der Hand an sie heran.
»Seid Ihr verrückt?« schrie Brigitte.
Der Herr ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und sagte zu Johannes, der noch immer durch eine Lupe die Photographie Kornelias musterte: »Also wie viel Millimeter meinen Sie?«
»Etwa vier seitlich und knapp einen Millimeter in der Breite.«
Mit einem energischen Griff hatte er den Kopf Brigittes zurückgeworfen und ihr gebieterisch gesagt: »Stillsitzen – oder es gibt Blut!«
Die entsetzte Brigitte wagte kaum zu atmen, preßte die Lippen aufeinander und ließ es ruhig geschehen, daß man ihr die Augenbrauen so rasierte, daß sie genau denen Kornelias glichen, sodann bearbeitete man eine kaum wahrnehmbare Fettschicht unter dem Kinn durch gewaltsame Massage und legte um einen ihrer völlig gesunden Zähne eine goldene Kapsel, um sie, wie Johannes wiederholte, der Kornelia bis in die kleinsten Details ähnlich zu machen.
Brigitte begleitete alle diese schmerzhaften Prozeduren mit wüstem Geschimpfe.
Johannes meinte: »Wir können doch nichts dafür, daß diese Kornelia weniger Augenbrauen hat als du!«
»Wenn ich diesem Frauenzimmer, derentwegen ich soviel aushalten muß, begegne,« schimpfte Brigitte, »schlage ich ihr die Zähne ein.«
»Was zur Folge hätte,« erwiderte der ältere Herr, der Arzt und ein Freund von Johannes war, »daß wir Ihnen am nächsten Tage genau dieselbe Zahl von Zähnen herausbrechen müßten, die Sie ihr ausgeschlagen haben.«
Johannes hatte nach der Photographie Kornelias von den Händen, der Nase, den Ohren und dem Mund Großaufnahmen anfertigen lassen und stellte nun genaue Vergleiche bei Brigitte an. Es bestanden fast gar keine Unterschiede. Nur die Fingernägel Brigittes waren breiter, auch liefen die Finger nicht so spitz zu wie bei Kornelia.
»Ich spanne die Finger nachts in einen Apparat,« sagte der Arzt. »Es ist schmerzhaft, aber es hilft.«
»Wenn ich mich schon tagsüber quälen lasse – nachts will ich meine Ruhe haben,« erklärte Brigitte.
»Du kannst, wenn du erst Herrin auf Schloß Vestrum bist, so viel Ruhe haben wie du willst,« erwiderte Johannes. »Erst aber leiste was!«
»Du bist der erste Mann, von dem ich mich derart kommandieren lasse.«
»Weil du mit deinem weiblichen Instinkt merkst, daß es zu deinem Guten ist.«
»Möglich! Ich gehorche dir gern,« sagte sie und blinzelte ihm zu.
Der Arzt nahm noch alle möglichen Messungen an ihr vor, dann knipste Johannes das Licht aus und setzte einen elektrisch betriebenen kinematographischen Apparat in Bewegung, der die ahnungslose Kornelia bei allen möglichen Gelegenheiten auf die Leinewand projizierte.
Brigitte mußte jede Bewegung, die Kornelia tat, mitmachen. Der Apparat war so eingestellt, daß er langsam lief und daher ganz präzis jede mit dem Auge sonst kaum wahrnehmbare Veränderung anzeigte. Indem Brigitte genau folgte und die Phasen jeder einzelnen Bewegung nachahmte, eignete sie sich allmählich den Rythmus Kornelias an, der grade bei Frauen etwas durchaus Eigenes und Persönliches hat.
Und sie traf ihn so genau, daß man auf irgendeine Ähnlichkeit im Charakter schließen mußte, der durch die völlige Verschiedenheit der Erziehung und des Milieus, in dem sie lebten, nach Außen hin natürlich kaum noch in Erscheinung trat.
Aber Johannes war doch Psychologe genug, um mit Vergnügen diese Feststellungen zu machen.
Ein Muttermal, das Kornelia auf der linken Schulter hatte, und das, Generationen überspringend, sich seit Jahrhunderten unter den weiblichen Gliedern des Geschlechts der Vestrums forterbte, wurde auf künstlichem und schmerzhaftem Wege Brigitten eingebrannt und solange mit allen möglichen Mitteln behandelt, bis es genau dem Mal Kornelias glich.
Wenn Johannes aber auch an alles dachte, so gab es doch Dinge, denen er machtlos gegenüberstand. So hatte er festgestellt daß Kornelias Fuß um ein Zentimeter schmaler und länger als der Brigittens war und auch die Hände, so sehr sie in der Form einander glichen, wiesen Unterschiede in der Größe auf. Das waren Feststellungen über die er nachsann und die ihm Sorgen machten.
* * *
Kornelia hatte bis zur letzten Minute gefürchtet, daß Johannes ihr den Fortgang erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen würde. Umso überraschter war sie, als jetzt Johannes erschien und sachlich, fast geschäftlich zu ihr sagte:
»Da ich mich davon überzeugt habe, daß bei der Verschiedenheit unserer Charaktere eine menschliche Annäherung zwischen uns ausgeschlossen ist, so will ich Sie und mich nicht länger quälen.«
Kornelia überlegte, ob sich dahinter nicht wieder irgendeine Überraschung und Gemeinheit verbarg und schwieg.
»Ich bedaure das Interesse und die Mühe, die ich auf Sie verwandt habe und hoffe, daß Sie es zu würdigen wissen, wie ich Ihnen gegenüber handle.«
»Wenn es wirklich so ist, wie Sie sagen – dann bin ich Ihnen dankbar,« erwiderte Kornelia.
Johannes sah sie scharf an. Er suchte sich zu überzeugen, ob sie ihm traute oder Verdacht schöpfte.
»Es ist gewiß ein erhebendes Gefühl,« meinte er, »zu wissen, daß Sie mir dankbar gesinnt sind. Aber Sie kennen mich ja nun zur Genüge, um zu wissen, daß ich Realitäten Sentiments vorziehe.«
Kornelia stutzte, mißverstand ihn und wich ein paar Schritte von ihm zurück. Da er aber keinen Versuch machte, sich ihr zu nähern, so fragte sie: »Was meinen Sie damit?«
»Als Dank dafür, daß ich die Situation nicht weiterhin ausnutze und Sie gehen lasse, sollten Sie sich in einer etwas sichtbareren Form als nur durch Gefühle dankbar erweisen.«
Kornelia verstand und sagte: »Wie wäre das möglich, wo ich doch nicht heimkehren kann.«
»Wenn ich Ihnen eine solche Möglichkeit nennen würde, wären Sie dann bereit, meinen Wunsch zu erfüllen?«
»Ich wüßte wirklich nicht . . .«
»Antworten Sie!«
»Sofern es mir nicht gegen das Gefühl geht, was Sie von mir fordern.«
»Mir geht es sehr gegen das Gefühl, Sie zu verlieren; trotzdem erfülle ich Ihren Wunsch. Sollten daher nicht auch Sie mir ein Opfer bringen können?«
»So nennen Sie es doch!«
»Sie wissen, ich sammle leidenschaftlich Bilder. Alle leidenschaftliche Sammler sind Monomanen – also mehr oder weniger pathologisch. So spielt bei mir der Wert, ja selbst die Qualität der Bilder nicht die ausschlaggebende Rolle. Mir kommt es letzten Endes auch nicht auf die Seltenheit der Stücke an, vielmehr auf das Ausgefallene, Sonderbare.«
Kornelia hörte aufmerksam zu.
»Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen,« fuhr Johannes fort. »Die Sachen, die ich sammle, müssen Ihre Geschichte haben! Sie müssen mir etwas nicht Alltägliches erzählen. Das Fell eines Tigers muß mich, damit ich es mir ins Zimmer hänge, an den Tod eines guten Freundes erinnern, der der Bestie zum Opfer fiel; ein Dolchmesser, mit dem ich meine Briefe öffne, muß in dem Herzen einer Frau gesteckt haben, die sich aus Liebe zu mir getötet hat; das Porträt einer Zigeunerin, mag es von Frans Hals oder einem unbekannten Meister herrühren, muß – Sie verstehen mich?«
»Ja!«
»Also dann bitte!«
»Sie wollen wissen,« sagte Kornelia zögernd, und Johannes fiel ihr ins Wort:
»Wo das Bild in Ihrem Schloß verborgen ist.«
»Alles! nur das nicht!« erwiderte Kornelia.
»Grade das ist es, woran mir liegt.«
»Jedes der andern! Sie kennen sie! es sind sehr wertvolle darunter.«
»Sie haben mich noch immer nicht verstanden. Die Bilder, die da öffentlich herumhängen, kennt jeder Mensch, was jeder kennt, interessiert mich nicht. Mich reizt nur das Verborgene.«
»Mit dem Bilde würde ich das Geheimnis, mit dem Geheimnis den Ruf meiner Familie preisgeben.«
»So dürften Sie reden, solange Sie noch allein über die Preisgabe dieses Rufes verfügten,« erwiderte Johannes. »Sie haben jetzt einen Mitwisser, der bin ich!«
Kornelia überlegte und sagte:
»Einen Mitwisser des Geheimnisses, den habe ich! und zwar einen, den zu fürchten ich allen Grund habe! Und dem sollte ich nun auch noch die Beweise ausliefern? Nein! Ich tue es nicht!«
»Dann muß Ihr Schicksal seinen Lauf nehmen,« sagte Johannes.
»Mein Schicksal scheint mir, ist schon entschieden. Und ich habe mich damit abgefunden.«
»Wenn Sie sich nur nicht irren.«
»Darf ich nun gehen?«
»Ich halte Sie nicht!«
Kornelia nahm ihre Sachen. Noch einmal versuchte es Johannes.
»So seien Sie doch verständig, Kornelia, wenn Sie den Gedanken an eine Rückkehr auch aufgegeben haben – es ist für eine Frau nicht so einfach, wie Sie es sich denken, sich auf anständige Weise durch's Leben zu schlagen. Einen Rückhalt braucht man schon. Ich will ihn Ihnen schaffen. Aber erfüllen Sie meinen Wunsch! sagen Sie mir, wo ist das Bild?«
»Warum grade das? Fordern Sie was und so viel Sie wollen! Ich habe zwei Rembrandts, drei wertvolle Grecos . . .«
Johannes lachte ganz laut: »Sie haben! Köstlich ist das!« rief er. »Viel eher habe ich. – Jedenfalls ist alles, was Ihnen gehört, mir greifbarer als Ihnen. Und wenn Sie irgend etwas aus Ihrem Schloß besorgt haben wollen – ich schaffe es Ihnen! – Zum letzten Male also! Wollen Sie mir den Ort nennen, an dem sich das Bild befindet?«
»Nein!«
»Dann zum Teufel mit Ihnen!« rief Johannes, ging hinaus und warf die Tür hinter sich zu.
Kornelia stand einen Augenblick lang erschrocken, dann stürzte sie zur Tür und überzeugte sich freudig, daß sie nicht verschlossen war. Sie warf sich den Pelz über, nahm ihre Tasche und schlich durch das Wohnzimmer auf den Flur.
An der Flurtür stand Brigitte, die schnell hinter eine Tür trat und Kornelia wie ein Wunder anstarrte. Sie tastete ihren Körper ab, als wollte sie sich überzeugen, daß sie wirklich sie selbst und nicht jene Frau dort war, die bleich und erregt kaum hörbar jetzt an ihr vorüberglitt.
* * *