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Wenn ich die geistige Bilanz meines Lebens ziehen will, so muß ich mir zunächst klar machen, was sich mir in dem Ideenkampf, dem es verfallen war, allmählich als »Soll« herausgestellt hat. Und zwar in doppeltem Sinne: als gemeinsame Forderung der Frauen an die Kultur der Gegenwart und als Forderung, die sich für mein eigenes Bewußtsein als von mir selbst zu erfüllende Verpflichtung daraus ergab.
Es dürfte heute kaum eine Bewußtseinstatsache geben, die sich spontaner in ihrem Ursprung, gleichmäßiger nach Richtung und Tragweite erwiese, als die Erkenntnis der kulturell wertvollen Frauen aller Völker, daß sie in der Auswirkung ihrer Kräfte gehemmt sind. Gehemmt durch das tote Gewicht veralteter Einrichtungen und die Macht zäher Instinkte; durch Mangel an Einsicht bei den führenden Männerschichten und damit zusammenhängenden Mißbrauch der Gewalt, vor dem auch verfassungsmäßige »Gleichberechtigung« an sich noch nicht zu schützen braucht. Diese Hemmung traf einmal die Auswirkung der Frauenkräfte in ihrem eigenen Interesse, dann aber – und das ist mir hier das Wesentliche – im Kulturinteresse. Denn die Schranken, die nackte oder verhüllte Konkurrenzfurcht um Ausbildungsmöglichkeiten, Berufe, Ämter gezogen hatte, waren von der Frauenbewegung im Ausland schon früher, in Deutschland wenigstens im zwanzigsten Jahrhundert so weit niedergelegt, daß die einzelne Berufsarbeiterin anfing, sich mit leidlicher Freiheit zu bewegen, daß die Berufsorganisation weitere Rechte für sie erringen konnte. Und in jüngster Zeit war ja auch ein direkter Einfluß auf die Gesetzgebung durchgesetzt.
Das war viel. Aber das war nicht das Endziel. Es war Mittel, nicht Zweck. Es war nicht das, wofür man die innerste Kraft einsetzt, es war nicht die Idee. Die griff weit tiefer. Wenn die Frauenbewegung die Frau hatte befreien wollen, so war das nicht nur, damit sie für sich selbst Lebensunterhalt und Lebensinhalt schaffe, obwohl das Voraussetzung und Grundlage war. Aber als sittliche Forderung stand und steht dahinter, daß sie von dieser Grundlage aus die Kulturaufgabe ihres Geschlechts erfülle. Eine Aufgabe, die um so dringlicher geworden war, je mehr soziale und kulturelle Funktionen dem engeren Wirkungskreis der Frau, der Familie, allmählich entzogen und an die Öffentlichkeit, das heißt an den Wirkenskreis des Mannes, übergegangen waren. Wenn aber in wachsendem Maße Männer Verständnis für die wirtschaftliche Befreiung der Frau gezeigt hatten, weil ihnen hier Vergleichsmöglichkeiten gegeben waren, so war ihnen diese kulturelle Aufgabe meistens ein versiegeltes Buch, wenn nicht eine Selbsttäuschung, eine Sentimentalität, eine Utopie.
Und eben diese kulturelle Aufgabe ist tief innerlich empfundener und darum zur Betätigung drängender Glaubenssatz der besten Frauen. Sie wissen um die sie erfüllenden produktiven mütterlichen Kräfte; sie wissen, was diese überall im Gemeinschaftsleben wirken könnten, besonders aber in unzähligen Veranstaltungen, die der öffentlichen Wohlfahrt dienen sollen und in denen Männer wohl ein Schema durchführen, eine äußerlich glatt funktionierende Geschäftsorganisation herstellen, aber kein warmes, pulsierendes Leben schaffen können. Sie wissen um die Besonderheit ihrer Weltauffassung. Und so mußte denn unter dem gleichen Zwang, der die Lehrerin dereinst in den Kampf um die weibliche Leitung der Mädchenschule drängte, das Ringen auf breiterer Front einsetzen: auch ein Teil der Leitung im sozialen Leben, im öffentlichen Leben überhaupt, muß in Frauenhand übergehen, wenn die einseitig männliche Kultur mit ihren schweren Mängeln überwunden werden, wenn von einem gemeinsamen Kulturaufbau die Rede sein soll.
Eben hier aber versagt das Verständnis vieler, vielleicht der meisten Männer. Sie betonen mit Stolz, daß sie die alleinigen Schöpfer unserer Kultur seien und daß eben darum die Frauen von einem Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen sein müßten. Wenn man – was nur unter Abzug einer Fülle von Imponderabilien geschehen könnte – dem Manne diese alleinige Urheberschaft der Kultur zugestehen will, so fällt damit auf sein Teil neben all dem Großen und Schönen, das der Begriff umschließt, auch all der Haß, Neid und Streit, der Materialismus, die rücksichtslose Ausrottung von Leben, Wohlfahrt, geistigen und sittlichen Werten, deren furchtbare Summe unsere Tage einmal wieder aufrechnen; zum wievielten Male im Lauf der Geschichte! Diese Seite der Kultur zu überwinden, ihre Kultur dafür einzusetzen und damit eine Synthese männlicher geistiger Schöpferkraft und der seelischen Produktivität der Frau, intellektueller Mächte und aus Mütterlichem Empfinden quellender Menschenliebe zu schaffen, das ist die Weltmission der Frau.
Wie stellt sich nun die Frau der eigentlichen Kulturschicht in Deutschland zu dieser Aufgabe, die die Frauen – und darum ist diese Frage so entscheidend – ohne ihre Führung, ihr umfassenderes Verständnis gar nicht lösen können? Wie hat sie sich in ihrem Bewußtsein gestaltet?
Da war eine seltsame Erfahrung festzustellen.
Als die Frauenbewegung alle ihre Kräfte eingesetzt hatte, um der Frau die volle Freiheit der Bildung, die Zulassung zu ihren ersten Quellen zu erkämpfen, da war selbstverständliche Voraussetzung gewesen, daß damit eine neue Höhe gewonnen werde, von der aus die weiteren Ziele mit größerer Sicherheit ins Auge gefaßt und in Angriff genommen werden konnten. Diese Voraussetzung war vielfach erfüllt worden. Wir haben unter den durch diese höhere Bildung hindurchgegangenen Trägerinnen neuer Berufszweige oder höherer Grade der alten Berufe heute in Deutschland Frauen, die nach Einsicht, Vertiefung und Kraftauswirkung weit über das hinausragen, was frühere Zeiten in die Reihen ihrer geistigen Kämpferinnen zu schicken imstande waren; Frauen, die sich dabei des engen Zusammenhanges mit der Frauenbewegung und ihren großen Zielen dauernd bewußt geblieben sind. Sie sind die Erfüllung und die Hoffnung zugleich: stark in der Verbindung ihrer primären weiblichen Art mit einem Maß intellektueller Durchbildung, das es ihnen ermöglicht, unsere Kultureinrichtungen mit produktiver Kritik zu messen, zu weiten, zu beeinflussen; solche, von denen wir hoffend sagen dürfen: »Du nur, Genius, mehrst in der Natur die Natur.«
Es war selbstverständlich, daß nicht alle so sein konnten. Im höchsten Sinne produktive Menschen, Führernaturen, sind selten; hinter ihnen muß die Schar der Geführten, der Helfenden stehen. Das gilt von beiden Geschlechtern. Aber während bei den Männern die Gefolgschaft der sekundären Naturen ganz selbstverständlich einem Vertreter des eigenen Geschlechts gilt, hat die Tradition der Jahrtausende und die immer noch fortdauernde Leitung der Frauen durch Männer es mit sich gebracht, daß sekundär veranlagte Frauen sich bei uns noch gern, oft sogar lieber der Leitung des Mannes unterstellen als der der Geschlechtsgenossin. Das ist für ihre Kulturaufgabe insofern bedenklich, als die ursprünglichen geistigen Instinkte der Frau dadurch irregeführt, ihre Art, zu sehen. aufzufassen, zu werten, zu handeln, gefälscht wird. Ihr selbst meistens ganz unbewußt. Es gibt Frauen, die tatsächlich unter der männlichen Leitung ihrer Erziehung, unter den rein männlich orientierten Methoden ihrer Lehrjahre, bisweilen auch durch das völlige Aufgehen in dem gleichfalls ganz männlich gestalteten Parteileben an der instinktsicheren Kraft ihrer weiblichen Sonderart Einbuße erlitten haben. Ahnungslos: denn dabei kann es vorkommen, daß sie über diese weibliche Sonderart theoretisieren, etwa im Blüherschen Jargon, mit den Vokabeln Eros und Logos vorschriftsmäßig operierend und mit dem stolzen Bewußtsein, auf eine Formel gezogen zu haben, was die »alte Frauenbewegung«, die nach ihrer abschätzigen Beurteilung die Frau dem Mann angleichen wollte, noch nicht erfaßt hatte. Ein Unterschied bestand allerdings zwischen den Pfadfinderinnen der »alten Frauenbewegung« und ihren Epigonen: daß jene das zwingende, selbstsichere, keiner Formulierung bedürfende Bewußtsein ihrer besonderen Art, Anschauungsweise, Wertung des Lebens hatten, das diese in angelernten, männlich abgestempelten Gedankengängen in Resolutionen zu fassen suchten, dabei »über Natur hinaus« mit der Vernunft ins Leere bauend.
Noch ein Zweites glaubten sie den alten Pionierinnen zum Vorwurf machen zu müssen: ihre Männerfeindschaft. Sie sollte nicht mehr sein. Die Geschlechter hatten sich zu gemeinsamer Arbeit die Hand zu reichen. Die Einseitigkeit, mit der die »Alten« etwa auf dem ausschlaggebenden Einfluß der Frau in der Mädchenerziehung bestanden, mit der sie zu seiner Durchführung Sonderorganisationen ins Leben riefen, hatte Differenzpunkte herausgestellt, die das gute Einvernehmen gefährdeten. Der Grundsatz der »Gerechtigkeit« forderte, dem Manne die gleichen Wirkens- und Einflußmöglichkeiten an den Mädchenbildungsstätten zu geben wie der Frau. Auch diese Forderung wurde mit dem Gefühl der Überlegenheit über die alten »Männerfeindinnen«, mit dem Bewußtsein fortgeschrittener moderner Anschauungsweise aufgestellt. Daß damit dem jungen weiblichen Nachwuchs dieselben inneren Hemmungen, dieselbe Ablenkung ihrer ursprünglichen weiblichen Auffassungsweise bereitet wurde, die den Grund dieser »modernen« Anschauungen bildeten, konnte nicht empfunden werden, weil eben die Verkümmerung des intensiven, ursprünglichen weiblichen Vollgefühls und Kulturwillens nicht zum Bewußtsein kam.
Was ist es nun um diese vielberufene, auch von den Männern selbst oft behauptete, also auch wohl empfundene Männerfeindschaft der in der Frauenbewegung stehenden Frauen?
Als alte Frau, die am Ausgang des Lebens steht, hätte ich keine Veranlassung, ein Hehl daraus zu machen, wenn ich selbst in meinem lebenslangen Kampf gegen von Männern geschaffene Einrichtungen so etwas wie »Männerfeindschaft« empfunden hatte. Nicht einmal den »Antifeministen« gegenüber bin ich mir des Aufwandes eines so intensiven Gefühls je bewußt geworden. Wenn ich tatsächlich ein paarmal ein der Feindschaft verwandtes Gefühl gegen Menschen empfunden habe, so hat es dieser oder jener Frau gegolten, die, auf Weibcheninstinkte angewiesen, vom Ehrgeiz verlockt in die große Ideenbewegung der Frauen eintrat und sie durch ihre Mätzchen degradierte.
Aber wenn ich mir bewußt bin, mit Männern vielfach in guter Kameradschaft und unter gegenseitiger Anerkennung gearbeitet zu haben, so habe ich den von ihrem Geschlecht geschaffenen Einrichtungen, wo sie mir als Kulturhemmnis erschienen, ehrlichste Feindschaft entgegengebracht. Und so steht es mit den meisten aufrichtigen »Frauenrechtlerinnen«, die mir bekannt sind. Und diese Feindschaft ist gut und notwendig, ist in vielen Fällen eine Kulturtat ersten Ranges. Wer die Anfeindungen mit erlebt hat, denen Frau Bieber-Böhm – um nur eine an der ausgesetztesten Stelle unseres »Kulturkampfes« zu nennen – standhalten mußte, der weiß, was an Mut, an Selbstverleugnung, an Überwindung natürlicher weiblicher Scheu aufzubringen war, um in die feste Mauer der doppelten Moral Bresche zu legen. Es ist ein Stück naiver männlicher Eitelkeit, ihre Welt für die beste der Welten, für die einzig mögliche Welt zu halten. Frauen, die daran zu rütteln wagen, die insbesondere die Herrenstellung und Herrenmoral des Mannes anzugreifen wagen, erscheinen ihm als persönliche Feinde. Das Odium muß jede Frau auf sich nehmen, die jene zwingende Verpflichtung fühlt, aus der Welt des Hasses, des Krieges aller gegen alle, der Zerstörung, eine Welt zu machen, in die die Frau ihre Güter trägt: der Liebe, der Achtung vor dem Seelischen, der Pflege und Schonung des einzelnen Lebens. Eine Welt, unvollkommen wie alles Menschliche, aber doch ein Heim, in dem eine Mutter waltet. Der Weg dahin geht nur durch Kampf. Und zwar durch Kampf ohne Kompromisse, ohne jeden Abstrich an dem durch die Sonderart der Frau Gebotenen, von ihrer Empfindung als das Richtige Erkannten. Ein jeder solcher Abstrich erleichtert vorübergehend das Zusammenarbeiten, aber schädigt das Werk. Es vollzieht sich jetzt nicht selten folgender Vorgang: Männer, die der Frauentätigkeit Wohlwollen entgegenbringen, ziehen – etwa bei sozialen Betrieben – Frauen zur Mitarbeit heran. Nach einiger Zeit erklären sie sich durch die Frauenarbeit »enttäuscht«. Sieht man genauer zu, so handelt es sich dabei meistens um Frauen mit eigenen Ideen, die sie hindern, gerade in diesen ihnen so naheliegenden sozialen Berufen nur gehorsam Ausführende männlicher Weisungen zu sein, die sie oft als den inneren Ansprüchen eben dieser Berufssphäre widersprechend empfinden. So werden sie unbequem, wo bisher alles schön glatt funktioniert hat: sie haben »versagt«. Die in dieser Art versagen, sind unsere Hoffnung für die Zukunft, sind die Führenden zu neuen Wegen, die nur aus unserem eigensten, für viele soziale Aufgaben maßgebenden Empfinden gefunden werden können.
Diesen produktiven Frauen aber werden in der Regel nur die Frauen selbst, die sie ganz verstehen, die Gelegenheit zur Auswirkung ihrer Kräfte schaffen. Für einzelne ganz hervorragende Frauen, deren Bedeutung nicht nur auf spezifisch weiblichem Gebiet liegt, sondern die auch dem Manne etwa durch politischen Weitblick, intellektuelle oder allgemein menschliche Qualitäten imponieren, setzen sich auch wohl Ausnahmenaturen unter den Männern ein; im allgemeinen aber bevorzugen die Männer unzweifelhaft die bequemen unselbständigen Frauen, die ihre eigenen Wege nachfolgend mitgehen, nicht die mit produktiven aber ihnen unbequemen, zum Teil unverständlichen Anlagen, nicht die, die ihnen als »Männerfeindinnen« erscheinen, weil sie ihren Einrichtungen kritisch gegenüberstehen. Eben diese müssen wir in die verantwortlichen Stellungen hineinzubringen suchen, von denen aus sie ihre gestaltenden Kräfte in den Dienst unserer besonderen Aufgaben stellen können.
Dazu ist das Wahlrecht heute nur ein sehr bescheidenes Mittel. Kein gewollter Akt der Gerechtigkeit und Selbsterkenntnis, sondern automatische Folge einer Theorie, beweist es schon jetzt seine unzureichende Fundierung durch den Rückgang der gewählten Frauen und die geringe Berücksichtigung, die die Wünsche der Frauen bei der Aufstellung der – an sich schon als Einrichtung von sehr zweifelhaftem Wert erscheinenden – Listen erfahren. Es wird noch einer langen Arbeit innerer und äußerer Festigung unserer Ideen bedürfen, bis wir allmählich die Vertreterinnen in die gesetzgebenden Körperschaften hineinbekommen, die wir selbst darin zu sehen wünschen: die Frauen, die vielleicht zunächst für die gemeinsame Arbeit unbequem werden, aber die wirklich gemeinsame, die auf gleiche Bewertung eingestellte Zukunftsarbeit der Geschlechter vorbereiten können.
Das sicherste Mittel, um allmählich dahin zu kommen, ist die Erziehung. Und darum gewinnt heute wieder die Frage des ausschlaggebenden Fraueneinflusses in der Mädchenschule, der Besetzung der eigentlich erziehlichen Fächer durch Frauen und die weibliche Schul- und Klassenleitung eine erhöhte Bedeutung. Darum ist an ein Aufgeben unserer Frauenorganisationen jetzt weniger zu denken als je. Als der Verband Deutscher Volksschullehrerinnen im Sommer 1920 auf seiner Tagung in Kassel den Beschluß faßte, die Verschmelzung von Lehrer- und Lehrerinnenvereinen zur Zeit noch abzulehnen, da die Wahrung der Lebensinteressen der Lehrerinnen wie die Lösung vieler Fragen der Mädchenerziehung besser erreicht werden, wenn die weiblichen Standesorganisationen allein und in völliger Unabhängigkeit dazu Stellung nehmen, hieß es in der Lehrerpresse: »Wann werden die Volksschullehrerinnen endlich vernünftig werden?« Wenn, wie es scheint, unter »Vernunft« der Zusammenschluß mit den Lehrern verstanden werden soll, so ist die Antwort sehr einfach: eine Sonderorganisation der Lehrerinnen wird überflüssig werden von dem Augenblick an, wo die Vernunft in den Kreisen der Lehrer soweit gesiegt hat, daß ihnen die Notwendigkeit der Mädchenerziehung unter Leitung und ausschlaggebendem Einfluß der Frau innerlich nicht mehr in Frage steht, so daß die Nachfolge der äußeren Einrichtungen zur Selbstverständlichkeit wird. Dann, aber nicht eher, wird der Augenblick gekommen sein, wo beide Geschlechter unter voller Anerkennung der beiderseitigen Vorzüge und Vorrechte an der Erziehung der Jugend beider Geschlechter das ihre tun können. In der Kritik, die bei uns an der Verweiblichung des Knabenschulwesens in den Vereinigten Staaten geübt wird, ist ja oft genug betont, wie schädlich es für die Entwicklung der Knaben zum Manne sei, wenn sie gerade in den dafür entscheidenden Jahren in den für die Erziehung wichtigsten Fächern wie in ihrer ganzen Führung maßgebendem Fraueneinfluß unterstellt werden. Es ist merkwürdig, daß die Analogie in der Mädchenbildung nicht längst die nur durch die Gewohnheit verhüllte Unnatur des deutschen Mädchenschulsystems aufgedeckt hat. Da Mädchen fügsamer und beeinflußbarer als Knaben sind, besonders in den Entwicklungsjahren, so ist die Ablenkung von ihrer inneren Bestimmung noch weit stärker und folgenschwerer.
Auf der Reichsschulkonferenz konnte man bei der Betonung der Tatsache, daß Mädchen von Frauen richtiger verstanden und geleitet werden, wieder einmal den Zwischenruf hören: »Von der verheirateten Frau.« Die Annahme, daß nur diese imstande sei, das Kind und das heranwachsende junge Mädchen zu verstehen, ist eine Männeridee, die dadurch nicht wahrer wird, daß sie kürzlich auch einmal ein Minister vertreten hat. Sie hängt mit dem Mangel an Phantasie zusammen, der die eigene Lage unverändert auf das andere Geschlecht überträgt. Im Manne wird in der Regel das Gefühl für das Kind erst rege, wenn er Vater wird, und zwar im Grunde durch das Medium des Erlebnisses seiner Frau. »Vater sein ist eigentlich etwas Komisches«, sagte mir einmal eine junge Mutter, die gerührt und belustigt den unbeholfenen Versuchen ihres Gatten zusah, unmittelbare Teilnahme an dem kleinen roten Ding zu zeigen, das sie so zärtlich an sich drückte. Erst das Erwachen des Intellekts im Kinde stellt in der Regel beim Manne die innere Berührung mit ihm her. So aber steht es nicht bei der Frau. Das Muttergefühl ist da, ist in Bereitschaft, zeigt sich in der Wärme, mit der kleine Mädchen ihre Puppe ans Herz schließen, mit der größere Mädchen kleinere Kinder umfassen. Und mit diesem Gefühl das seelische Verständnis. Es ist nicht wahr, daß es erst durch die physische Mutterschaft geweckt wird. Aber es wird dadurch in seiner Richtung ausschließlich; das ist ja eben der Garantieschein der Natur für die Sicherung des Nachwuchses. Ich erinnere mich, daß ich als Kind eine Familie ungern besuchte; der Blick der Hausfrau glitt da mit kritischer Kälte über das fremde Kind hin, es mit allen Einzelheiten in sich aufnehmend und wägend, um dann mit warmem Aufleuchten zu den eigenen Kindern zurückzukehren. In dieser Blindheit und Ausschließlichkeit der Mutterliebe liegt ja für die Kinder das Unersetzliche. Nie wieder finden sie solches Vertrauen, solche wohltuende Parteilichkeit, solche immer wieder zum Verzeihen bereite Liebe wie bei der eigenen Mutter. Aber der Schluß, daß diese Mutterliebe fähiger zur Beurteilung fremder Kinder mache oder mehr die Seele für sie aufschließe, ist nur in Ausnahmefällen berechtigt; Stiefkinder haben es meistens nur gut, bis eigene kommen. Weit häufiger liegt die Sache so, daß die reiche, von der Natur vorgesehene Liebes- und Mutterkraft der Frau sich da, wo eigene Kinder sie nicht in Anspruch nehmen, den fremden oft mit rührender Opferfreudigkeit zuwendet. Ist es doch dieser Trieb zur Fürsorge für alles Schwache und Hilfsbedürftige, diese psychische Mütterlichkeit, die die Schwesternschaften geschaffen hat, die der sozialen Frauentätigkeit heute so mächtig neue Bahnen bricht. Wie sollte sie sich nicht mit doppelter Freudigkeit der geduldigen Pflege wachsenden Menschentums hingeben und ihr tiefstes Genügen darin finden, die seelische Entwicklung jungen Lebens mit leiser Hand zu lenken und zu fördern. Diese psychische Mütterlichkeit muß die Lehrerin in sich zur Entfaltung bringen. Und geweckt wird sie durch die Berührung mit der Jugend als ihrem mütterlichen Boden. Das alles wissen die Mütter auch recht gut und haben sich oft mit uns darüber verständigt. Sie haben auch wohl einmal etwas wehmütig festgestellt, daß unter Umständen der Einfluß der Schule mächtiger sei als der des Hauses, wenn sie etwa unsere Hilfe zur Beseitigung jener Spannung erbaten, die so leicht zwischen der älteren und jüngeren Generation im Hause eintritt.
In Ländern mit natürlichen Verhältnissen in der Mädchenerziehung versteht man diesen Einwand überhaupt nicht. Man zieht wohl die Mutter bei den ganz Kleinen in Krippen und Horten vor, wenn man sie gerade haben kann, weil sie für die mancherlei körperlichen Erfordernisse mehr Erfahrung mitbringt; für die größeren Mädchen bevorzugt man die unverheiratete Lehrerin, bei der nicht eigene Kinder den Löwenanteil an Teilnahme und Wärme fortnehmen. Die Berufsleistung unzähliger Lehrerinnen legt Zeugnis davon ab, daß sie als Erzieherinnen können, was sie sollen: in den Mädchen den Urgrund ihrer Frauen- und Liebeskraft lockern, sie zum Bewußtsein dessen bringen, was sie auf Grund dieser ursprünglichsten inneren Kraft einmal im Leben zu leisten haben werden, im engeren Kreis des eigenen Heims oder im weiteren des öffentlichen Lebens, wie das Schicksal es fügt, immer aber aus dem gleichen Quell sich speisend. Das geschieht nicht durch den bei Oberlehrern so beliebten Aufsatz: »Dienen lerne beizeiten das Weib«, sondern durch inneres Lösen und Erlebenlassen. Und wie der rechte Mann es als eine lohnende Aufgabe empfindet, im Knaben das Verantwortungsgefühl des Mannes vorzubereiten und zu wecken, so kann ich mir auf der Welt keine schönere und größere Aufgabe denken, als die Mädchen dem Mutter- und Erzieherinnenberuf zuzuführen, den die glücklichsten unter ihnen in irgendwelcher Form in der Welt zu erfüllen haben werden; in weit höherem Maße noch als jetzt, wenn die arme, verödete, nach Besitz, Genuß und Macht gierende Welt erst die Heilkraft dieser mütterlichen Instinkte erkennt und in Anspruch nehmen will.
So wollen wir unsere Mädchen erziehen. Und aus diesem Grunde stellen wir unsere Forderungen auf. Es war auch auf der Reichsschulkonferenz, daß ein Mädchen-Oberlehrer dagegen den Ruf erhob: »Das ist gegen die Verfassung« – die ja Männern und Frauen gleiche Rechte zuspricht. Einen besseren Beweis für den Mangel an inneren Gründen und innerer Berufung konnte er wohl kaum erbringen als durch diesen Rückzug auf verfassungsmäßig gewährleistete Rechte. Aber er zeigt auch zugleich, wie weit die Vernunft noch von ihrem Siege entfernt ist.
Auf diesem Wege der Erziehung, der langsam aber sicher zum Ziel führt, wird es uns allmählich gelingen, die Kräfte zu lösen und den Frauen die Macht im öffentlichen Leben zu erringen, die ihnen werden muß, wenn wir von einer Zukunft der Kultur sprechen wollen.
Denn bis jetzt ist die Frau keine Macht im Leben der Völker.
Sie ist eine Macht im Heim, als Mutter, als Gefährtin des Mannes. Und nie haben Dichter innigere Töne gefunden als für das Hohelied der Frauenliebe, der Mutterliebe, der Gattentreue.
Und sie ist eine Macht, eine grauenhafte Macht, im Sumpf der Großstadt. Durch Not und drängende Nachfrage mehr noch als durch sexuellen Zwang zum Angebot getrieben, droht das Weib von hier aus die sittliche Welt zu zerstören, anstatt sie aufzubauen.
Diese Macht einzudämmen, vermag der an ihrer Existenz interessierte Mann, der Schöpfer der doppelten Moral, nicht. Die Wege dahin, die ja auch von geistig gerichteten Männern gesucht werden, können sie nur mit Hilfe, ja unter Führung von Frauen finden und beschreiten, denen die nötige Macht zur Verwirklichung sittlichen Wollens in die Hand gegeben ist.
Die Ursprünge dieser ganzen Erneuerung sind sehr innerlicher Art und ihre Bekundung nach außen wird sich erst sehr allmählich und in ihren einzelnen Fortschritten unwägbar und unmerkbar vollziehen. Gerade was echt und lebensvoll, nicht nur äußerliches Programm, an der gesteigerten Kraft der Frau ist, wird zuerst und vor allem ihren engsten Kreis, ihre nächsten Beziehungen tönen und gestalten. Insofern sind die Frauen in der Familie, deren Wirken scheinbar von den neuen Mächten am wenigsten verändert wird, die Trägerinnen des neuen Geistes gerade an der entscheidendsten Stelle. Sie werden nicht die Selbstlosigkeit verlieren, die das ewige Merkmal aller Mütterlichkeit ist. Aber sie werden eine Sicherheit und Würde wiedergewinnen, die der verantwortungsbelasteten Hausfrau früherer Zeit eigen war, die aber durch das Einschrumpfen dieser Verantwortung vielfach in flacher Damenhaftigkeit und Äußerlichkeit verloren ging. Und sie werden eine neue, bisher nicht getragene Würde erwerben: die unbewußt und bewußt selbstverständliche Behauptung ihres Menschentums. Wenn auch die Frau eine Macht als Mutter ist, so hat sie geistig in der Familie doch noch nicht alles bedeutet, was sie aus der Kraft ihres Wesens sein könnte. Der Weg der Kultur, der bezeichnet ist durch die allmähliche Hebung der Frauenwürde in der Familie, ist noch nicht zu Ende. Was das Familienrecht formal ausdrückt, ist vielfach auch innerlich das Wesen der Ehe. Und doch – wer mehr als ein halbes Jahrhundert bewußten Lebens überschaut, weiß, wieviel sich hier schon geändert, wie die geistige Kameradschaft den alten Patriarchalismus vielfach schon verdrängt hat. Das ist unprogrammatisch und den Frauen vielfach selbst unbewußt geschehen. Und das ist gut so. Denn an den innersten, lebendigsten Beziehungen gestaltet nur das Leben selbst, nicht die Theorie.
Hier bleibt aber der Auswirkung weiblicher Kraft noch ein weites Ziel. Die sexuelle Gesittung zeigt die Frauen noch tausendfach als die Unterlegenen einer Herrenmoral, die über die Ansprüche ihrer Natur hinweggeht. Der Sieg an dieser Stelle wird ihr letzter Sieg sein – sie wird ihn aber nur gewinnen, wenn sie sich selber treu zu bleiben vermag, d. h. wenn sie nicht (erst recht Sklavin, wo sie zu gewinnen meint) die »Freiheit« des Mannes auf sich zu übertragen versucht.
Nur wenn die Frau so ihre Aufgabe in der Familie bewußt vertieft, wenn sie hier zeigt, daß sie nicht nur männliche Maßstäbe anzunehmen, sondern eigene zu schaffen weiß, wird sie als Hausfrau und Mutter – dann aber auch entscheidend – die neue Kultur heraufführen helfen, dazu beitragen, die Frau zu einer Macht im Leben der Völker zu machen.
Bis heute ist davon, wie schon gesagt, keine Rede. Auch für die Zukunft wird die Frau noch nirgends in Betracht gezogen. Nie, in keiner ernsthaften Geschichtsprognose, in keinem Reformprogramm rechnet man mit ihr als einem Faktor neu zu schaffender öffentlicher Kultur. Es ist, als ob der Mann nicht ahnte, was sich unter seinen Augen neben ihm vollzieht, wie sich da eine neue seelische Welt, eine Welt sittlicher Werte und Verantwortungen in dem so lange als geistig rein abhängig betrachteten anderer Geschlecht zu entfalten beginnt. Als ob ihm hier, und gerade nur hier, das Werden neuer geistig-ethischer Einflüsse auf das Gesamtleben völlig verborgen bliebe. Vielleicht erklärt es sich so: Wie stark manche Männer, denen die Frau nicht nur Geschlechtswesen ist, auch die reinigende Macht sittlich hochstehender Frauen in ihrem Leben empfunden haben – Biographie und Dichtung bezeugen es tausendfach –, so hindert sie gerade die ganz persönliche Gestaltung solches Erlebnisses, diesen Einfluß sich gewissermaßen in Institutionen umgesetzt zu denken. Bei der Masse der Männer aber, denen die sittliche Erneuerung der Menschen überhaupt nicht zum Beweggrund wird, führt schon das unbehagliche Gefühl, daß der Geist solcher Institutionen sich oft als unbequemer Zwang gerade auf Gebieten äußern wird, die der Männerstaat bisher nach Männergefallen eingerichtet hat, zur Bekämpfung jeder Erweiterung der Frauensphäre im öffentlichen Leben. Bei kleinen Geistern kommt dazu dann noch jener Sentimentalitätsgrund, den sie so hübsch mit dem Wort vom »beleidigten Mannesgefühl« umkleidet haben. Es kommen endlich noch dazu die Absurditäten des Antifeminismus – eigentlich ein Ergötzen unreifer Knaben, die sich in dem dumpfen Gefühl, daß die bisher geltend gemachte physische Überlegenheit fortan nichts mehr bedeutet, damit gegen die Anerkennung weiblicher geistiger Werte wehren wollen. Solche Antifeministen drehen auch wohl den Spieß um, indem sie die Geschichte rückwärts revidieren wollen und behaupten, die Not und Verwirrung der Zeit sei gerade darauf zurückzuführen, daß die Frauen schon zu viel Rechte hätten und nun versuchten, ihren kindlichen moralischen Maßstab zum Wertmesser der Dinge zu machen und dadurch die Weltgeschichte zu trivialisieren und zu ruinieren. Nun, die kindliche Anschauung, den sittlichen Maßstab zum Wertmesser der Dinge zu machen, hatte u. a. auch Jesus von Nazareth; sie durchwebt die Evangelien, und von diesen wiederum sagt ein Mann wie Goethe: »Mag der menschliche Geist sich erweitern wie er will, über die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in den Evangelien schimmert und leuchtet, wird er nicht hinaus kommen.« Dieser »Feminismus« wird über die Giganten und Titanen der Weltgeschichte den Sieg davontragen. Und aller Weisheit letzter Schluß wird bleiben: Selig sind, die reines Herzens sind.
All diesen Widerständen zum Trotz liegt nach meiner tiefsten, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsenen Überzeugung in der Heranziehung der Frau zu selbständiger Gestaltung so mancher ihr näher als dem Mann liegenden Gebiete, besonders der öffentlichen Fürsorge und der Erziehung, die einzige Möglichkeit, eine Wandlung einzuleiten, die das Leben sicherstellt vor den Brutalitäten all der materiellen Instinkte, die jetzt unseren ganzen Kontinent dem Untergang entgegenzufahren scheinen. Hier lägen Möglichkeiten eines Anfangs der neuen Gesinnung, die wir brauchen, reinerer und höherer Lebensordnungen, aber noch sind die Augen dafür verschlossen. Das ganze öffentliche Leben ist männlich gestempelt und soll weiter männlich gestempelt werden in all seinen Auswirkungen: die seelische Sonderart der Frau ist vergewaltigt. Und wieder einmal beginnt das Zurückdrängen, das uns schon aus so vielen Erfahrungen und in so vielen verschiedenen Formen bekannt ist. Der Ruf: die Frau gehört ins Haus, der verstummt war, so lange man ihre Ersatztätigkeit nötig hatte, gilt, nun sie überflüssig geworden ist, vielfach schon wieder rein äußerlich, sicher aber jedem Versuch, den Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsrechte abweichend vom Herkommen im Sinne ihrer spezifisch weiblichen Kraft und Veranlagung zu füllen. Wie oft hat man Gelegenheit festzustellen, daß diejenigen mittelmäßigen Männer, die jetzt so oft den Typus des Politikers darstellen, nicht den geringsten Zweifel daran hegen, daß ihre Auffassung und Gestaltung der Dinge die rechte sei und die lästige Nörgelei der Frauen nur ihre Unfähigkeit verrate, die Möglichkeilen des öffentlichen Lebens richtig einzuschätzen.
Und doch müßten sie bei objektiver Einstellung zugeben, daß der rein männliche Staat heute vollständig ad adsurdum geführt ist. Nach einer endlosen Reihe geschichtlicher Verkörperungen ist noch heule die Brandfackel sein grauses Symbol. Wo aber Anfänge einer öffentlichen Tätigkeit bei Frauen überhaupt geschaffen werden konnten, sind sie Ausdruck ihrer Mutterinstinkte geworden, stehen sie in dem Dienst des Wortes: »Es gibt keinen größeren Reichtum als das Leben«, haben sie der Hebung und Vergeistigung des menschlichen Daseins gegolten. Das weibliche Prinzip allein kann so wenig wie das männliche allein eine volle Kultur schaffen, es würde zum Stillstand führen. Das »Nimmer ruht der Wünsche Streit« ist die notwendige Grundlage jeder Entwicklung, aber allein führt es auch immer wieder zur Zerstörung der Kultur, zur Selbstzersetzung. Mann und Weib sind eben kein zufälliger Witz der Natur; sie sind nicht nur zum körperlichen, sondern auch zum gemeinsamen geistigen Aufbau des menschlichen Geschlechts notwendig. Das Volk, das diese Wahrheit zuerst innerlich erfaßt und in die Tat umsetzt, wird einen neuen Kulturabschnitt einleiten. Die Deutschen werden es wahrscheinlich nicht sein. Aber die deutschen Frauen werden mehr als die anderer Nationen diese Wandlung geistig unterbauen und fördern können, weil auch ihnen von dem geistigen Erbgut ihres Volkes etwas geworden ist, das den deutschen Mann stets an die Spitze großer Ideenbewegungen geführt hat. Ich glaube nicht, daß es »völkische« Voreingenommenheit ist, wenn ich bei anderen Nationen keine Frauenschriften finden kann, die an Bedeutung für die herannahende, ganz sicher kommende große Wandlung in der menschlichen Kultur den Schriften von Gertrud Bäumer und Marianne Weber gleichkämen.
Aber wie kann diese Wandlung eingeleitet werden? Wie kann für die weibliche Kulturkraft, an die wir glauben, wie man eben an ein eigenes inneres Erlebnis glaubt, die Möglichkeit ausreichender Betätigung im öffentlichen Leben errungen werden?
Ich darf nach dieser Kennzeichnung der gemeinsamen Forderungen, die wir Frauen an die Kultur der Gegenwart stellen, meinen Versuch einer Beantwortung dieser Frage an das anknüpfen, was ich selbst in meinem Leben als Verpflichtung nach dieser Richtung hin empfunden und durchzuführen versucht habe.
Ich bin häufig gefragt worden, warum ich so wenig für Zeitungen und Männerblätter, sondern fast ausschließlich für Frauenblätter geschrieben habe. Die Antwort ist sehr einfach: mir hat verhältnismäßig wenig daran gelegen, Reformen von außen herbeizuführen; sie sind nicht das Ausschlaggebende. Das Einzige, was dauernden Erfolg verspricht, was zu einer wirklichen »Umwälzung« führen kann, ist: den entschiedenen Willen der Frauen dafür zu gewinnen, nicht länger als Vergewaltigte eines Systems zu leben, dem Güter und Macht mehr gelten als die Pflege des einzelnen Lebens und die Mehrung der sittlichen Werte. Wenn die Frauen in ihren verantwortlichen Schichten erst von diesem sittlichen Willen ganz durchdrungen sind, dann werden sie sich durchsetzen, auch wenn sie den Widerstand breiter Männerschichten gegen sich haben. Denn die ganze Frauenbewegung hat gezeigt: die geistige Kraft ist das Entscheidende, nicht das äußerlich zugestandene Arbeitsfeld. Das erringt sie sich schließlich selbst. Der Glaube versetzt Berge, nicht das Examen pro facultate docendi. Wen diese Überzeugung leitet, der kann nie seine Aufgabe im Schaffen von Rahmen und Organisationen sozusagen auf Vorrat sehen; er wird immer erst die lebendigen Kräfte suchen, die sie zu füllen vermögen. Und darum, um diese lebendige Kraft zu wecken, habe ich mich immer wieder an die Frauen gewandt, habe ich, so lästig werdend wie nur jemals der alte Cato, den Ruf nach weiblicher Leitung für unsere Mädchen wiederholt, um sie in der Richtung ihrer eigenen ursprünglichen Kulturkraft bilden zu dürfen und die Ablenkung zu verhindern, die ihrer Eigenart so sicher die Kraft schwächen muß wie dem Magneten die dauernde Lagerung nach falschen Himmelsgegenden.
Diesen Weg, zuerst den Willen der Frauen zu gewinnen, halte ich nach wie vor für den richtigen. Er mag scheinbar manchmal ein Umweg sein, aber »es ist nicht wahr, daß die kürzeste Linie immer die gerade ist«. Wo die direkte Methode, die Freigabe der Wege durch Männerdiktat zu erzwingen, gewählt wird, kann sie auch wieder durch Männerdiktat gekreuzt werden. Das zeigt am deutlichsten das bereits erwähnte Schicksal der preußischen Mädchenschulreform von 1908. 1906 durch Männer eingeleitet, die unsere Grundsätze teilten und ganz für sie eintraten, war sie auf ihrem zweijährigen dunklen Wege durch die von andersdenkenden Männern erfüllten Ministerialstuben und unter dem unkontrollierbaren Einfluß männlicher Interessentengruppen in dem für uns wichtigsten Punkt in ihr Gegenteil verwandelt worden: der Fraueneinfluß, der ausschlaggebend werden sollte, war nicht nur zurückgedrängt, er hatte bisher unerhörte neue, gesetzlich festgelegte Hemmungen erfahren. Und noch war der Frauenwille nicht stark, nicht zäh, nicht seiner selbst sicher genug, noch hatte er nicht genügend breite Schichten – vor allem noch nicht die Mütter – ergriffen, um die Durchführung dieser neuen Hemmungen moralisch unmöglich zu machen. Und so steht als Menetekel am Ausgang dieser Reform die Warnung: Verlaßt euch nicht auf Männer, sie können euch nicht helfen.
Aber diese Zurückdrängung der Frauen auf ihrem eigensten Gebiet ist keine endgültige. Die Arbeit der Frauenbewegung ist nicht vergebens gewesen. Ihr Geist ist im Erstarken, er läßt sich nicht hemmen. Was meine Generation noch nicht erreichen konnte: die Festigung des Frauenwillens über alle Zaghaftigkeit, alle Kompromißschwächen hinaus, die kommende wird es erfüllen. Es kennzeichnet so recht den auf das Künstliche gerichteten unruhigen Geist unserer Tage, der Kultur unter Glasfenstern züchten möchte, daß jetzt schon fortwährend die Frage aufgeworfen wird, ob sich die auf die politische Mitarbeit der Frau gesetzte Erwartung erfüllt habe. Man hat noch nicht das leiseste Recht zu dieser Frage. Aus zwei Gründen nicht. Einmal weil noch viel zu viel Frauen »im Schematismus des Männerdenkens einherlaufen« (Naumann). Das stellt sich nicht in ein paar Jahren um. Und die Umstellung hängt für viele mit dem zweiten Grunde eng zusammen: noch sind alle die Organisationen, innerhalb deren das spezifische Denken und Empfinden schöpferischer Frauen sich auswirken könnte, in den leitenden Posten von Männern besetzt, von der Mädchenschule bis in alle Zweige der sozialen Fürsorge hinein. Da haben wir wieder den Zirkel: hier müssen erst die Positionen gewonnen werden, der Raum für Einfluß geschaffen. Hier müssen dann die Frauen, auch die weniger produktiven, allmählich lernen, sich nach ihrem eigenen Gesetz zu bewegen. »Die Kultur ist eine Blüte, die nur in der Freiheit gedeiht.« Das gilt auch von der spezifischen Frauenkultur. Und die Natur reift langsamer als das Treibhaus. Es hieße sie zwingen wollen, wenn wir von unserer Generation schon besondere »Taten«, tiefgreifende politische Umformungen erwarten wollten. Wir müssen uns mit dem Gefühl bescheiden, dem kommenden Frauengeschlecht die ersten Impulse gegeben, die ersten Ausblicke vermittelt zu haben. Das ist zugleich ein Verzicht. Aber im Grunde liegt doch schon die Erfüllung, liegt der Blick vom Nebo in der Erkenntnis: Immer weitere Kreise von Frauen werden sich ihres Erstgeburtsrechts auf bestimmte Gebiete des öffentlichen Lebens bewußt und wollen seine Verpflichtungen auf sich nehmen. Davon hat mich ein letztes Erlebnis überzeugt: die Einsichten, die ich an der von Gertrud Bäumer und Marie Baum gegründeten sozialen Frauenschule in Hamburg gewinnen konnte.
Soziale Arbeit ist, wenn sie auch dem Götzen unserer Tage: Organisation, das heute unvermeidliche Opfer bringen muß, im Grunde auf inneres Erleben und persönliches Wirken gestellt, auf die Arbeit des einzelnen am einzelnen. Wo sie ihre Aufgabe wirklich erfüllen soll, verlangt sie Wärme, Hingabe, liebevolle Pflege der menschlichen Beziehungen, nicht aus dem Gefühl überlegenen Wohlwollens heraus, sondern aus unmittelbarem, innerlich gebotenem Mitempfinden. Das ist nur in seltenen Fällen Männern gegeben: es ist die königliche Mitgift der Natur an die Frau, tausendfach von ihr gegen Tand und Trödel veräußert, aber ihr immer wieder neu in die Wiege gelegt. Und heute soll sie aus dieser Mitgift Ungezählte speisen, kleiden, wieder aufrichten. Denn die soziale Arbeit ist nicht getan mit der Kenntnis der Gesetzesparagraphen, die sie regeln, der Organisationen, innerhalb deren sie sich vollzieht, so unerläßlich beides ist. Ihre Grundbedingung ist die Gesinnung, die Lebensanschauung, das soziale Gefühl, aus dem heraus sie mehr als Handwerk, aus dem sie schöpferische Tätigkeit werden kann.
Das der Frau zu geben, in ihr zu wecken, muß natürlich am ersten, ja kann in gewissen Grenzen allein dem kongenialen Frauenempfinden gelingen. Und ich habe das, was mir theoretisch wie durch meine Erfahrungen als Lehrerin immer gewisser geworden war, hier in die Tat umgesetzt sehen dürfen. Ich habe erfahren, was produktive Frauenkraft zu lösen und aufzubauen vermag, wie sie den Fraueninstinkt in bewußte Hingabe zu wandeln, das Gefühl eigener Schaffenskraft zu festigen und damit das Glücksgefühl zu wecken weiß, aus dem heraus sie sich erst voll auswirken kann. Ich bin aber auch zugleich gewisser als je darüber geworden, daß die volle Gelöstheit, Freiheit und Sicherheit des Frauentums nur aus dem Boden vertiefter Bildung erwächst und daß darum auch die soziale Arbeit nur dann zu voller Auswirkung und Fruchtbarkeit gebracht werden kann, wenn ihre Leitung in die Hand von Frauen gelegt wird, die diese Vorbedingung erfüllen. Davon sind auch die Frauen durchdrungen, die jetzt die Grundlagen schaffen. Sie werden diese Überzeugung gegen solche Männer zu behaupten haben, die als »Realpolitiker« die theoretische und praktische Befähigung zur äußeren Handhabung der »Fälle« für vollkommen ausreichend erklären und denen eine »Weltanschauung«, zu der eigene geistige Arbeit ihre Bausteine geliefert hat, mindestens als überflüssig erscheint. Uns Frauen ist sie die Kraftquelle, deren wir gerade für den sozialen Beruf gar nicht entraten können. Noch »ideologischer« wird diesen Realpolitikern der Gedanke erscheinen, daß gerade aus der sozialen Arbeit als der den mütterlichen Urkräften der Frau am meisten entsprechenden der Frauentyp sich bilden wird, der neben den schöpferischen männlichen Intelligenzen und Künstlern der Zukunft ein wesentlicher Faktor auf dem Wege zur Wiedergewinnung der Geistigkeit werden wird, die die eigentliche Bestimmung und Würde unserer Nation ausmacht. Denn auf diesem Gebiet wird ein bedeutsames Stück des Kampfes ausgefochten, den jetzt auch viele unserer Hausfrauen und Haustöchter aufgenommen haben: des Kampfes zwischen der »Frau« und der »Dame«, jener gallischen Kunstfigur, von der man allerdings nicht weiß, auf welche Leistungen sie ihre Prätension auf Verehrung und Gleichberechtigung gründet. Dieser Kampf wird mit dem Sieg der Frau enden. Und der Tag wird kommen, wo das Geistige, das die alten Germanen in ihren Frauen fanden und verehrten, sich in der Form mütterlichen Waltens wie im Hause, so im öffentlichen Leben neu und mächtig geltend machen wird. Und damit wird die »Politik der Frau« ihre feste Grundlage erhalten haben.
So ist mir an der sozialen Frauenschule unter Lehren – ein letztes Glück meines Lebens – und Zuschauen noch bestimmter der tiefste Sinn unseres Frauendaseins und seine über die Geschlechtsbestimmung hinausreichende, seine metaphysische Bedeutung klar geworden. Und der Skepsis gegenüber, der zweifellos meine Ausführungen in weitesten Kreisen begegnen werden, da sie vielen gerade in dem Augenblick, wo die Männer der Kulturvölker immer noch in organisiertem Haß, bereit zu sinnloser gegenseitiger Vernichtung, einander gegenüberstehen, weltfremd und absurd erscheinen müssen, kann ich nur auf die langsam aber sicher sich durchsetzende siegreiche Kraft geistiger Mächte hinweisen. Sie sind Wechsel auf lange Sicht, aber der Einlösung sicher. Jede große geistige Bewegung, jedes Evangelium ist einmal als Torheit erschienen. Aber eine jede hat ihren Prüfstein, dem sie standhalten muß. Auch die unsere. Wenn und wo die große Bewegung der Frauen, die zum erstenmal in der Geschichte über alle Kulturländer hin ein gemeinsames Band um sie schlingt, auf eigensüchtige, äußerliche Motive zurückgeht, wird sie durch stärkere eigensüchtige Motive zurückgedrängt werden. Wenn sie aber ihren tiefsten Grund in dem endlich – da die Zeit erfüllet war – über Ehrgeiz und Machthunger, Haß und Materialismus sich emporringenden barmherzigen Muttergefühl der Frau hat, jenem Muttergefühl, das das leibliche und geistige Dasein des Menschen in sich birgt und aus seinem Blute nährt – wenn sie auf der Grundlage dieses Gefühls einen neuen Ausgangspunkt für die steigende Vergeistigung der Welt bildet, in der doch allein Wesen und Bedeutung des ganzen geschichtlichen Prozesses liegen kann –, wenn sie mit einem Wort »von Gott ist«, so können sie sie nicht dämpfen. Und das ist mir am Ausgang meines Lebens zur unerschütterlichen Gewißheit geworden.