Joseph von Lauff
Die Brixiade
Joseph von Lauff

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Die zehnte Flasche

              Man kann nicht immer ernsthaft bleiben
Auf dem Kothurn nicht immer stehn
Und immer nicht von Dingen schreiben,
Die seriös ins Leben sehn.
Zum Beispiel nicht von Sterbelinnen,
Von einem totgeknickten Floh,
Von frömmelnden Kartäuserinnen,
Von Hubaleck und weiter so.
Man kann, umweht von zarten Düften,
In dieser kunterbunten Welt
Nicht stets 'ner Frau das Mieder lüften,
Wenn eine Ohnmacht sie befällt.
Das bringt oft Sorgen, trübt die Seelen
Und schafft, wenn man es recht ermißt –
Ich darf es leider nicht verhehlen –
Zu Hause manchen Ehezwist.
Dafür ist mir mein Kiel zu schade;
Er liebt nicht Szenen, tränenreich.
Die schöngereimte Brixiade
Will plätschern wie ein Fisch im Teich;
Will Freude suchen, Freude werben –
Und wenn dahin das muntre Spiel,
Dann soll sie wie ein Falter sterben,
Der taumelnd zwischen Blumen fiel.
Ich schlage drum die Saiten freier;
Dahin, was lastend auf mir lag!
Erklingen soll jetzt meine Leier
Wie Lerchensang vor Tau und Tag;
Zumal das köstliche Mirakel,
Der sinnerheiternde Betrug
Mit seinem langen Hexenbakel
Noch eins so lustig um sich schlug;
Zumal schon vorgerückt die Stunde,
Schon drei vom nahen Turm erklang
Und kichernd in die Tafelrunde
Das blonde Kind von Ürzig sprang.
Das war das Leben, war die Sonne
In Stöckelschuhn und kurzem Rock!
Gewässert hätte selbst vor Wonne
Das Maul von einem alten Bock,
So überhaucht von eitel Schimmer,
So stahlig, rassig, angenehm,
So duftend war das Frauenzimmer
Und zum Poussieren so bequem.
Sie zeigte gern, was ihr beschieden;
Drum trug sie auch mit Recht und Fug
Die Äpfelchen der Hesperiden
Fast unbedeckt im Busentuch.
Die hüpften mit beglücktem Schauren,
Die waren, ach! so lieb, so lieb;
Die pupperten, wie einstens Clauren
In »Mimili« es zart beschrieb.
Sie waren wie ein Blütenreigen,
Wie frischgefallner Firnenschnee;
Vielleicht so hatte sie zu eigen
Die liebliche Terpsichore.
Doch nicht dem edlen Paar der Richter
War diese minnigliche Pracht,
Dem Doktor nicht, auch nicht dem Dichter
War sie in Liebe zugedacht.
Denn sieh: mit hochgehobnem Näschen
Trug lächelnd die Besitzerin,
Trug dieses allerliebste Äschen
Sie in die Laubenecke hin,
Wo funkelnd mit der goldnen Brille
Herr Wieprecht seinen Wein beroch,
Und sprach alsdann mit Killekille:
»Na, kleiner Schäker, kannst du noch?
Kannst du noch picheln in den Schenken,
So schön, wie früher du gekonnt,
Und kannst du noch im Tanze schwenken
Ein Mädel nagelneu und blond?
Wenn du es kannst,« so sprach sie leise
Und schob die Äpfelchen recht nah,
»Dann, bitte, gib mir die Beweise
Und sage laut und kräftig – ja.«
Und kaum gesagt – da sprang der Kleine
Mit einem »ja,« mit »ob und wie«
Fixfertig auf die kurzen Beine
Und hob sie auf und schwenkte sie.
Dabei schlug er die Schildpattdose,
Zog eine Prise schnell hervor
Und warf die so beliebte Schose
In sein beglücktes Nasenrohr.
»Na, ob und wie! – Noch brennt die Lunte,
Noch nehm' ich's mit dem Jäger auf,
Der sieben Schoppen stechen kunnte,
Und setze noch 'nen achten drauf.
Und tanzen?! – Fragt die Kirmesgäste,
Die mich beim Schottisch schon gesehn!
Da krabbelt's mir durch Rock und Weste
Die Hosen lang bis in die Zehn.
Ob Bummelwalzer, Galoppade –
Ich tanze, wie einst goldbefranzt
Vor Ingesind und Bundeslade
Der König David hat getanzt;
Wie einst im Glanz des großen Sternes.
Den über Bethlehem man sah,
Getanzt der edle Holofernes
Mit Venus Anastasia!«

»Na, denn man zu!« so rief die Kleine,
»Na denn man zu mit Glück und Gunst!«
Und warf sich gleich ans stubenreine,
Ans warme Herz der schwarzen Kunst.
O paradiesisches Empfinden,
Wie Busen so an Busen lag!
Mit Halm nur kann das Wort ich finden:
Zwei Herzen waren's und ein Schlag;
Zwei Seelen nur und ein Gedanke,
Zwei Träume, die in eins gepreßt,
Zwei Trauben, die an einer Ranke
Erschauerten im Abendwest.
Und Wieprecht tanzte . . . Kinder, Kinder!
Er tanzte eins und zwei und drei,
Wie Hirsch getanzt im Festzylinder
An der Frau, an der Magd, an der Bank vorbei.
Er tanzte himmlische Gefühle,
Er tanzte leicht, er tanzte flott;
Fern allem irdischen Gewühle,
Er tanzte wie ein junger Gott.
Es stieg der Tanz ins Wundersame;
Er gab sich zephirleicht besohlt . . .
Selbst Hubaleck und seine Dame,
Die von der Ohnmacht sich erholt,
Sie ließen ihren Unmut wandern,
Sie standen längst auf du und du
Und sahen staunend mit den andern
Der edlen Kunst der beiden zu.
Und immer freier, hochgemuter
Gab Wieprecht sich dem Tanze hin;
Sich blähend wie ein Bronzeputer,
Umwarb er seine Partnerin.
Umspielt vom Licht des eignen Glanzes
Zog kullernd er den leichten Pfad,
Und in Ermanglung eines Schwanzes
Schlug mit dem Gehrock er ein Rad.
Bald hingeschmalzt wie Makkaroni,
Bald gleitend wie im Nebeldunst,
Ein zweiter Philipp Taglioni,
Erging er sich im Reich der Kunst.
Dabei war ihm das Glück beschieden,
Sich noch beim Wenden und beim Drehn
Die Äpfelchen der Hesperiden
Aus nächster Nähe zu besehn.
Die machten ihm das Mädchen teuer,
Die machten ihm die Seele jung.
In seinem Herzen, welch ein Feuer!
In seinen Beinen, welch ein Schwung!
Er machte Sätze, ganz vertrackte,
Er fühlte sich so frei, so frei . . .
Und wieder ging's im flotten Takte
An der Frau, an der Magd, an der Bank vorbei.
Das kribbelte durch alle Beine,
Das hätte riesig sich getürmt
Und wäre ohne Zucht und Leine
Selbst bis ans Himmelstor gestürmt,
Wenn plötzlich nicht . . .
                                          Die ganze Szene
Lag unterm Duft von Orchideen;
Denn sie, die lieblichste Sirene,
Die Moselnixe ließ sich sehn.
Der Amtsgerichtsrat zwei erfaßte
Zuerst die märchenhafte Schau
Und rief, wobei er leicht erblaßte:
»O jerum, meine arme Frau!«
Denn sonder Hut und sonder Hemde,
Nur überhaucht mit zartem Ton,
Ein sittsam Mädchen aus der Fremde,
Erschien die himmlische Person.
Da mögt ihr bis gen England radeln,
Da mögt ihr pilgern gen Falun,
Da mögt ihr unter Tannennadeln
In kühlen Schwarzwaldtälern ruhn,
Und tut ihr selbst in Welschland reiten,
Ihr findet nichts, was dieser gleicht;
Und wieder schwirrt es in den Saiten . . .
Habt acht! – Der elfte Kantus steigt.


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