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II.

Ich war kaum ins Gymnasium gekommen, als sich mir ein barbarisches Schauspiel bot. Ein Schüler, den man auf dem Abtritt überrascht hatte, wurde vor der Klasse mit gefesselten Händen zur Schau gestellt; sie hatten nichts anderes als die der Lehrer selbst in ihrer Kindheit getan. Die Strafe währte einen ganzen Nachmittag, und wir selbst, deren Hände hundertmal gesündigt hatten, begingen die Feigheit, unseren Genossen, der uns heute, ohne Halt gegen seine Versuchung, als schimpflicher Verbrecher vorgeführt wurde, auszuspotten. Dennoch hatte er nur einen Fehler begangen, den ich mir hier zu nennen verbiete.

Wohlan, ich kann dem alten Mitschüler nicht begegnen, ohne daß sich das Bild wieder in meiner Erinnerung malt und die ununterdrückbare Vorstellung eines Rechtes, das seinem reifen Alter geraubt wurde, zurückläßt. Diese grausame Bestrafung hat ihn sein ganzes Leben niedergehalten; es gelang ihm nicht, sich einen Weg durch das Gestrüpp des Lebens zu bahnen. Ich hörte, daß er noch immer in einer untergeordneten Stellung darbt.

Der ausgezeichnete geistliche Erzieher hatte gleichwohl nur ein abschreckendes Beispiel zu stiften geglaubt, da die lockeren Sitten in der Klasse wüteten. Er erreichte, anstatt daß ein Lehrer der Zukunft diese Seite der Knabenerziehung in die Hand nehmen sollte, daß im Gegenteil der Veitstanz die Besten ansteckte. Es bildeten sich »Kränzchen« unter den Knaben, und ich selbst befand mich in einem derselben mit eingeschlossen.

In der Schule hub für mich in Wahrheit die Einweihung in die Geheimnisse an. Alles das, was mir bei reineren Sitten schrittweise und geistvoll von dem Lehrer hätte enthüllt werden sollen, lernte ich durch die ausschweifende Unsauberkeit einer solchen Knabengenossenschaft kennen. Die Mehrzahl besaß Schwestern, mit denen sie in die Vorhalle der Mysterien eingedrungen waren. Ich habe wiederholt die Beichte entgegengenommen und darf es behaupten, daß eine Anzahl von jungen Mädchen, nur halb von ihren Brüdern versucht, in die Ehe tritt. Auch das ist eine Folge der Unkenntnis der Geschlechter voneinander, die das fremde gerade nach Verhältnis der Schranken, vor denen ihr jungfräulicher Geist stutzt, suchen.

Der Versuch dieser frühreifen Männchen schritt nicht bis zum völligen Erkennen vor. Doch hatten sie sich in verwegener Jüngerschaft mit ihren Blutsfreundinnen in Vorspielen erprobt. Die Ausschweifung des Greisenalters findet vielleicht nur in der bräutlichen Raserei der Jünglinge ihr Gleiches. Sie gaben mir die verborgene Gestalt des Weibes preis, ich lernte den geweihten Abriß kennen. Er beherrschte meine Einbildung und hielt sie in bangen Schrecken, ich vergoß heimliche Tränen bei dem Gedanken, daß auch Dina nicht anders gestaltet war als die, von denen sie sprachen. Das »Weib« wurde die Priesterin eines verderbten Dienstes, ihres eigenen unheilvollen Leibes, und ich kannte Kirke nur nach einer dunklen Sage.

Meine ängstliche Verwirrung stieg mit meinem glühenden katholischen Eifer. Ich konnte nicht an das sechste Gebot denken, ohne daß Schrecken und Begier auf mich einstürmten. So wurde der Schleier des Geheimnisses von rohen Knabenfäusten in Stücke gerissen, und das nackte aufgestellte Bild machte mich bestürzt. Es zog mich wechselnd an und stieß mich ab wie die Mißgestalt eines Wesens, das mit meinem eigenen Bau keine Übereinstimmung bot.

Keiner meiner Mitschüler war in dem Gedanken erzogen worden, daß die beiden Geschlechter nur zwei Offenbarungen einer Lebenseinheit sind und nur in Absicht auf eine Vereinigung in Schönheit und Harmonie verschieden erscheinen. So hatte auch ich bislang in vollständiger Unkenntnis dieser Ungleich-Schöpfung getappt, die sich in einer rührenden Umarmung auslebt. Jene gefielen sich darin, den Lotus der Liebe zu entblättern, mit abstoßenden Gleichnissen die zarte mystische Schönheit zu entweihen, die ihn zum geweihten Kelch des Blutes macht. So kam ich dazu, ihn als einen Mißgriff der Natur, als Symbol der Häßlichkeit der Sünde anzusehen. Die ganze Erziehung des Kindes in der Familie ist auf diesen Abscheu vor dem liebenswürdigsten unserer Sinneswerkzeuge gegründet, und ich fürchte, der Eindruck bleibt für alle die frühreifen ›Wissenden‹ entscheidend. Ich hatte das Schauspiel von roh in unschuldiger Nacktheit hingestreckten Jungfrauen, Opfern der gedankenlosen Unkeuschheit ihres Neulingsverlangens. Ich gab mir erst in der Folge Rechenschaft von diesem Frevel und begriff die zähe Erblichkeit des Urmenschentums in den Nachkommen. Das Blut der Ahnen schäumte mit Lust am Frauenraub wie in den Tagen der Barbarei, da das Weib das geknechtete Werkzeug der Mannestriebe war.

Und damals verstand ich den zornigen Drang jenes Großvaters, der die Hausmädchen auf den Treppen jagte.


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