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XV.

Der Traum.

Der Morgen kam und durch geschloßne Scheiben
Des Fensters goß mir ins umdunkelte
Gemach der Tag den ersten Dämmerschein,
Zur Stunde, wo der Schlaf am leichtesten,
Am süßesten umschattet unsre Lider, –
Da war's, als mir erschien, ins Antlitz blickte
Das Bild des Weibes, das zuerst mich Liebe
Gelehrt und dann – mich einsam ließ in Thränen.
Nicht todt erschien sie mir, doch blickte traurig
Ihr Angesicht, wie einer Gramgebeugten!
Aufs Haupt mir legte sie die Hand und seufzend
Begann sie: »Lebst du noch, und in der Seele
Bewahrst du mein Gedächtniß noch?« »Woher«,
Gab ich zur Antwort, »kommst du, theure Schöne?
Wie vieles Leid ertrug ich, trage noch
Um dich, und meinte nie, du solltest's wissen –
Und so gebrach nur mehr mir jeder Trost!
Doch, willst du mich ein zweites Mal verlassen?
Ich fürchte! Sprich, was ist mit dir geschehn?
Bist du dieselbe noch? Und was verzehrt
Dein Inneres?« – »Vergessenheit umschattet
Dir die Gedanken und der Schlaf die Sinne«,
Sprach sie; »gestorben bin ich, und du sahst mich
Das letzte Mal vor Monden.« Unermeßlich
Befing mein Herz das Leid bei diesem Wort.
Und weiter sprach sie: »In des Lebens Blüte
Geknickt, zur Zeit, wenn, ach, am süßesten
Das Leben – eh' das Herz ermißt, wie eitel
Ist jeder Hoffnungstraum! Herbeizuwünschen,
Was uns befreit aus allem Leid – wir lernen
Es früh genug, – und doch für zarte Jugend
Ist Schreckniß noch der Tod, und werth der Thränen
Ist eine Hoffnung, die das Grab verschüttet!
Was hilfts, zu wissen, was Natur verbirgt
Den Lebensunerfahrnen? und um Vieles
Ist besser als zu früh gereifte Weisheit
Unwissend-blindes Leid!« – »Verstumme«, sprach ich,
»O Unglückselige, Theure! du zerreißest
Das Herz mir! Todt bist du, Geliebteste?
Und ich, ich lebe, und so wars verhängt,
Daß Todesnoth erprobten deine Glieder,
Die theuren, zarten, und mir ungeschädigt
Blieb dieser schnöde Leib? O wie so oft,
Wenn ich gedenke, daß du todt, daß nimmer
Ich dich im Leben sollte wiedersehen –
Nicht glauben kann ichs! Ach, was ist wohl das,
Was Tod genannt wird? Heut könnt' ichs erfahren,
Und dieß wehrlose Haupt der grausamen
Befehdung des Verhängnisses entziehn!
Ein Jüngling bin ich noch, doch meine Jugend
Rinnt fruchtlos mir dahin wie Greisenalter;
Vorm Alter beb' ich, und noch ists mir ferne.
Doch wenig nur vom Alter unterscheidet
Sich meine Blütezeit.« – »Zum Leid geboren«,
Sprach sie, »sind beide wir, und unserm Leben
Zulächelte kein Glück. An unsren Qualen
Vergnügte sich der Himmel!« – »Wenn mir nun«,
Erwiedert' ich, »das Augenlid die Thräne
Verschleiert und die Blässe das Gesicht
Ob deines Hingangs, und voll Gram ich trage
Das Herz, sprich, fiel von Liebe, fiel von Mitleid
Ein Funke niemals in die Seele dir,
So lang du lebtest? Ach, verzweifelnd schleppt' ich
Und hoffend mich die Tage hin, die Nächte;
Und heut in dieses Zweifels Schwankungen
Ermüdet mir der Geist. Befiel nur einmal
Ein Schmerzgefühl dich um mein dunkles Leben,
Verhehl' es nicht, ich stehe. Laß Erinnerung
Mich trösten, da geraubt ist unserm Leben
Die Zukunft.« – Und sie sprach: »Getröste dich,
Unglücklicher! Nie war, so lang ich lebte,
Ich mitleidskarg für dich, noch bin ichs jetzt,
Denn elend war auch ich. Nein, keine Klagen
Erhebe gegen mich unsel'ges Weib!«
»Bei unserm Schmerzensloose, bei der Liebe,
Die mich verzehrt«, rief ich, »beim trauten Namen
Der Jugend und bei der verlornen Hoffnung,
Die lebend wir gehegt, laß mich berühren,
Geliebte, dich!« – Da reichte sie mit sanfter,
Doch trauriger Geberde mir die Hand.
Doch während ich mit Küssen sie bedecke,
Und an das Herz, das mächtig athmende,
Sie leidvoll – zärtlich drücke, deckt mit Schweiß
Sich Brust und Antlitz glühend mir, es stockt
Das Wort mir in der Kehle, schwindelnd seh' ich
Des Tages Licht vor meinem Auge tanzen:
Und tief und innig in mein Aug' versenkend
Das ihre, sprach sie: »Denkst du nicht, o Theurer.
Daß ich entkleidet bin all meiner Schöne?
Vergebens, o Unglücklicher, in Sehnsucht
Erglühst du noch und zitterst. Fahre wohl!
Getrennt auf ewig bleiben unsre Seelen
Und unsre Leiber. Mir nicht lebst du, mir
Nie wieder wirst du leben. Schon zerriß
Den Bund der Treue, die du mir geschworen,
Das Schicksal.« Also sprach sie. Da vor Angst
Aufschreien wollt' ich, und, krampfhaft erbebend,
Die Augen quellend von Verzweiflungsthränen,
Riß ich mich los aus Schlummersbanden. Sie
Stand mir im Aug' noch immer – sie erblickt' ich
Im Dämmergrau'n des Morgens lange noch!

*


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