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Ich irrte, trauter Gino; lange Zeit
Und gar gewaltig irrt' ich. Elend, eitel,
Nannt' ich dieß Leben; thöricht, schnöd vor Allem
Die Gegenwart. Doch unerträglich däuchte
Was ich gesprochen diesem vielbeglückten
Geschlecht der Sterblichen, wenn sterblich man
Sie nennen kann und darf. Verwundert halb,
Und halb erzürnt vom duft'gen Eden her,
Darin es wohnt, belächelte das hohe
Geschlecht mich, sagte mir, ich sei verkümmert,
Unglücklich, Lebensfreude zu genießen
Unfähig oder unerfahren, hielte
Mein Loos für allgemein und alle Welt
Für meines eignen Leids Genossen. Siehe,
Da ging zuletzt auch mir durch Wolken duft'ger
Cigarren, und beim Krachen leckerer
Pastetchen, und beim Ruf aus Kriegerkehlen
Nach Tränken und Sorbet, und beim Geklapper
Der Tassen und geschwungnen Löffel, strahlend
Das Licht, das täglich sich erneuernde,
Der Tagesblätter auf. Und nun erkannt ich
Die allgemeine Lust, die Süßigkeiten
Des sterblichen Geschicks. Ich sah den Werth,
Die Herrlichkeit von allen ird'schen Dingen,
Sah blumenüberstreut die Lebensbahnen
Der Menschen, sah wie Alles holdanmuthend
Hiernieden ist und dauernd. Auch erkannt' ich
Das staunenswerthe Streben und die Werke,
Die Tugenden, die Einsicht und das Wissen,
Das hohe, des Jahrhunderts. Von Marocco
Bis Cataï, vom Nordpol bis zum Nil,
Von Boston bis nach Goa, sah ich laufen
Wie um die Wette keuchend auf den Spuren
Des Glücks die Länder und die Ländchen, sah,
Wie sie's am Flatterhaar schon faßten, oder
Doch an des Mantels Zipfel. Solches schauend,
Und tiefnachdenklich über jene Blätter
Gebeugt, begann ich meines alten, schweren
Irrthums und meiner selber mich zu schämen.
Ein goldnes Alter spinnen endlich, Gino,
Der Parzen Spindeln uns. Die Tagespresse,
In Zungen und in Zeilen buntgemischt,
Verspricht es uns aus allen Landen her
Einstimmig und in Eintracht. Bruderliebe
Der Völker, Eisenbahnen, des Verkehrs
Erleichtrung, Dampfkraft, Cholera – sie werden
Ein Band auch um die fernsten Länder schlingen:
Und Niemand wird es Wundern, wenn die Fichte,
Die Eiche trieft von Milch und Honig, oder
Wenn etwa gar beim Klange der Musik
Zu tanzen sie beginnt. So sehr ja wuchs
Die Zauberkraft der Kolben und Retorten
Und der Maschinen, die mit Himmelsmächten
Wetteifern; und noch immer weiter, weiter
Wird sie gedeihn: vom Guten strebt zum Bessern
Endlos in raschem Fluge fort und fort,
Was stammt vom Blute Sems und Chams und Japhets.
Doch freilich, Eicheln werden wir nicht essen,
Wenn uns nicht Hunger zwingt, und nicht ablegen
Das harte Eisen. Und so manches Mal
Verzichten werden wir auf Gold und Silber,
Mit Wechselscheinen uns zufrieden gebend.
Nicht immer schonen werden wir der Brüder,
Wir Edelmüthigen; noch jezuweilen
Wird Blut und Mord Europas Strand besudeln,
Und auch jenseits des Meers den andern Strand
Im Westen, der als frische Amme gilt
Der reinen menschlichen Gesittung – wenn
Zum Kampfe treibt uns brüderliche Schaaren
Ein Streit um Zimmt, um Pfeffer, oder and'res
Gewürz, um süßes Rohr auch, oder sonst
Um einen ähnlichen, verhängnißvollen
Beweggrund, der Bezug hat auf das
Gold.
Tugend und wahrer Werth, Bescheidenheit
Und Liebe zur Gerechtigkeit, sie werden
In jedem Staate fremd und ferne bleiben
Dem öffentlichen Leben, werden immer
Unglücklich sein, bedrängt und unterdrückt,
Denn ihnen ists beschieden, alle Zeit
Zu stehn im Hintergründe. Trug und Keckheit,
Mit Mittelmäßigkeit im Bunde, werden herrschen
Und oben schwimmen immer, Herrschaft, Macht,
Vereinigt oder einzeln, wird mißbrauchen
Wer eben sie besitzt und unter jedem
Belieb'gen Namen. Diese Satzung gruben
Natur und Schicksal in demantne Tafeln,
Und Volta nicht noch Davy wird mit Blitzen
Sie tilgen, nicht Britannien mit seinen
Maschinen allen, noch mit einem Ganges
Politischer Schriftwerke dieß Jahrhundert.
Stets wird betrübt der Edle sein, und heiter
Der Schuft und der Gemeine: stets entgegen
Den hohen Seelen wird die Welt bewaffnet
Sich stellen, stets wird wahrer Ehre folgen
Verleumdung, Haß und Neid. Des Starken Beute
Wird stets der Schwache sein, des Reichen Sklave
Wird stets der Nüchterne, der Bettler sein,
Und bleiben wird ers unter jeder Form
Des Staates und in jeglicher Entfernung
Vom Pol und vom Aequator, immerdar,
So lang uns Menschensöhnen dieser Wohnplatz
Noch wird gelassen, und dieß Tageslicht! –
Einprägen muß sich diese Ueberreste
Und diese Zeichen der vergangnen Alter
Die goldne Zeit, die jetzo will beginnen:
Denn tausendfält'gen Widerstreit in sich
Trägt von Natur die menschliche Gesellschaft,
Und diese Widersprüche zu versöhnen
Vermochte nie die Einsicht, noch die Kraft
Der Menschen, seit dem Tage, wo entstanden
Dieß rühmliche Geschlecht, noch wird es je,
Wie klug es sei und einflußreich, vermögen
Ein Tagblatt oder Bündniß. Doch in Dingen,
Die wicht'ger noch, wird unerhörte, volle
Glückseligkeit erblühn den Menschen. Weicher
Von Tag zu Tag wird unsre Kleidung werden,
Von Wollstoff oder Seide. Abthun werden
Ihr grob Gewebe Handwerksmann und Landmann,
Baumwolle wird umschließen ihre Glieder,
Die rauhen, und den Rücken Biberfelle.
Von beßrer Arbeit werden, zierlicher
Zu schauen ohne Zweifel sein Tapeten,
Vorhänge, Stühle, Kanapes und Tische,
Fußschemel, Betten, sonst'ger Hausrath, schmückend
Mit stets erneutem Prunke die Gemächer:
Auch manche neue Form von Kesseln, Töpfen,
Wird zu bewundern sein am Küchenfeuer.
So reißend von Paris bis nach Calais,
Von da nach London und nach Liverpool,
Wird sein der Weg, vielmehr der Flug, daß kaum
Es jetzo denkt die Phantasie, und unter
Der Themse weitem Bett wird eine Bahn
Sich öffnen, ein so kühn, unsterblich Werk,
Daß längst es sollte schon vollendet werden!
Beleuchtet besser werden sein, wenn auch
Nicht eben sicherer, zu nächt'ger Zeit
Die Gassen alle, selbst die kleineren
In größern Städten, und zuweilen auch
Die größeren in kleinern Städten. – Sieh!
So schöne Dinge, so beglücktes Loos
Bestimmt ist Jenen, die da kommen werden!
O glücklich, die, indeß ich solches schreibe,
Als kleine Schreier erst in ihren Armen
Empfängt die Amme! denen es vergönnt ist,
Zu schaun dereinst die vielersehnten Tage,
Wo es durch lange Forschung ist ermittelt,
Und mit der Muttermilch es einsaugt Jeder,
Wie viele Pfunde Salz, und wie viel Fleisch,
Und wie viel Malter Mehl in jedem Monat
Verzehrt das Vaterstädtlein, und wie viele
Geburten und wie viele Todesfälle
Verzeichnet Jahr um Jahr der alte Pfarrer;
Und wo, millionenfach in der Sekunde
Gedruckt, die Ebnen und die Hügel alle,
Und auch vielleicht des Meers endlose Strecken,
Gleich einem luft'gen Kranichzug, der plötzlich
Das Licht des Tages raubt den weiten Fluren,
Die
Zeitungen bedecken, Seel' und Leben
Der Welt, und einz'ger Quell des Wissens
Für dieses Alter und für jedes künft'ge! –
Gleichwie ein Kind voll nimmermüden Eifers,
Mit Blättchen und mit Spänchen, in Gestalt
Von Tempel oder Palast oder Thurm
Erhöht ein Bauwerk, und sobald's vollendet,
Nicht lange säumt, es wieder umzustürzen,
Weil eben diese Blättchen ihm und Spänchen
Sind unentbehrlich für ein neues Werk:
So sieht Natur auch kaum ihr Werk vollendet,
Ob kunstvoll auch und staunenswerth dem Anblick,
Als sie's schon wieder zu vernichten sinnt,
Verwendend anders die gelös'ten Theile.
Vergebens strebt zu wahren sich und Andre
Vor so grausamem Spiel, deß Ursach ewig
Verborgen bleibt, der Mensch, in tausend Arten
Bewährend seine Kräfte, seine Künste,
Mit kluger Hand: denn jeder Mühe trotzend,
Vollzieht Natur, die harte, wie ein Kind
Voll unlenksamen Sinnes, ihre Launen,
Und Schaffen und Zerstören ohne Rast
Ist stets ihr Zeitvertreib. Und so geschiehts,
Daß ein unendlicher, ein bunter Troß
Von Peinen und von Uebeln, unheilbar,
Bedrückt den schwachen Menschen, der geboren
Zum Untergang unrettbar ist: so kommts,
Daß Kräfte der Zerstörung feindlich ihn
Bedrohn von außen und von innen, rastlos,
Seit jenem Tag, der ihn gebar, und ihn
Drangvoll ermüden,
selber nie ermüdet,
Bis dann erdrückt von eigner Mutter Händen,
Der grausamen, und athemlos er daliegt.
Und diese Noth des Lebens, edler Geist,
Die äußerste, das Alter und der Tod,
Die schon beginnen, wenn des Kindes Lippe
Noch saugt an Brüsten, draus ihm Leben träufelt,
Wird, denk' ich, auch das neunzehnte Jahrhundert
Nicht glücklicher bekämpfen, als das unsre.
Doch, ists erlaubt, manchmal beim rechten Namen
Das Wirkliche zu nennen, wird nicht anders
Als unglückselig heißen jederzeit,
Und nicht allein im bürgerlichen Leben,
Auch sonst in jeglichem Bezug des Lebens,
Unheilbar von Natur und durch Gesetze,
Die Erd' und Himmel allgiltig umfassen,
Ein jedes Menschenkind. Doch neuen Rath,
Und wahrhaft göttlichen, ersannen jetzt
Die hohen Geister unsrer Zeit. Da sie
Nicht einen Einzelnen vermögen glücklich
Zu machen, suchen sie die
allgemeine
Glückseligkeit der Völker: diese finden
Sie leichtlich, wähnend, aus den
Einzelnen,
Die niederträchtig oft und elend immer,
Ein glückliches und heitres
Volk zu machen!
Und solches Wunder, das uns kein Pamphlet
Erklärt, und keine Monatschrift, kein Tagblatt,
Bestaunt und preis't die Menschheit unverstanden.
O Geist, o Einsicht, Scharfsinn, übermenschlich,
Der Zeit, in der wir leben! Welches sichre
Philosophiren, welche Weisheit lehrt
In den geheimsten, höchsten, feinsten Dingen
Den kommenden Jahrhunderten das unsre!
Mit welcher ärmlichen Beständigkeit
Wirft heut der Mensch vor das, was gestern er
Verspottet, sich auf's Knie, um morgen wieder
Es zu zertrümmern, dann aufs neu die Trümmer
Zu sammeln, es auf den Altar zurück
Zu setzen, es mit Weihrauch zu bequalmen!
Wie hoch zu schätzen ist, die uns Vertrauen
Einstößt auf dieß Jahrhundert, ja dieß Jahr,
Des Denkens Eintracht! Und mit welcher Sorgfalt
Geziemts, wenn wir dem Denken dieses Jahres,
Dem das des nächsten schon unähnlich ist,
Das unsere vergleichen, nicht zu sehn,
Daß nicht um einen Punkt sie sind verschieden!
Und wie so weit voraus hat unser Alter,
Wenn man die neue Zeit vergleicht der alten,
In philosoph'schem Fluge sich erschwungen!
Der Deinen einer, Gino, ein gewandter
Versmacher, und in allen Wissenschaften,
In allen Künsten, allen Fertigkeiten
Und aller Weisheit, welche war und sein wird,
Erfahrner Meister, und Verbesserer,
Sprach so zu mir: »Laß ab zu singen immer
Dein eigenes Empfinden: darum kümmert
Sich dieses männliche Jahrhundert nicht.
Es wendet ernsten, ökonom'schen Studien
Sich zu, und faßt mit hochgespannten Brauen
Ins Auge die polit'schen Dinge. Sprich,
Was nützt es dir, in eigner Brust zu wühlen?
Such' nicht den Stoff des Liedes in dir selbst!
Verkünde dieser Zeit Bedürfnisse
Und reife Hoffnung!« – O denkwürd'ge Worte!
Ich aber freilich konnte nicht umhin,
Hellaufzulachen, als das Wörtchen
Hoffnung
Ins Ohr mir, ins profane, klang, gleich wie
Ein Harlekinswort, oder wie ein Laut
Von kind'scher Zunge, kaum der Milch entwöhnt.
Nun kehr' ich um: einschlag' ich eine Richtung,
Entgegen jener frühern, da mirs klar
Geworden durch Exempel, zweifellos,
Daß man dem eigenen Jahrhundert nicht
Darf widersprechen, nicht zuwider handeln,
Ersehnt man Ruf und Lob von ihm; nein, treulich
Ihm schmeicheln und sich fügen muß: nur so
Gelangt auf kurzem und bequemem Pfad
Man zu den Sternen. Ich nun, der ich auch
Verlange zu den Sternen, denke zwar
Zu meines Liedes Stoff nicht des Jahrhunderts
Bedürfnisse zu machen, denn für diese
Sorgt schon, und stündlich reichlicher, der Laden
Des Kaufmanns und die Werkstatt; doch die
Hoffnung,
Die Hoffnung, ja, die will ich singen – sie,
Die schon ein sichtbar Götterpfand verbirgt:
Als beßrer Zeit Beginn zeigt Wang' und Lippe
Des Jünglings
unverkürzten Haars Gedeihn!
O sei gepriesen, Zeichen du des Heils!
Du erstes Licht der schönen Zeit, die naht!
O sieh, wie deines Anblicks Erd und Himmel
Sich schon erfreut, wie schon der Blick der Mädchen
Erglänzt, wie bei Gelag' und Festen bärt'ger
Heroen Ruhm von Mund zu Munde geht!
O wachse, wachse für das Vaterland,
Du junges, wahrhaft männliches Geschlecht!
Im Schatten dieses Haars gedeiht Italien
Und ganz Europa von des Tajo Quellen
Zum Hellespont, und sicher ruht die Welt.
Nur lächelnd grüße fortan den Erzeuger,
Den rauhbehaarten, neugebornes Kind,
Bestimmt für goldne Zeiten, und erschrick nicht
Vorm harmlos-schwarzen Vater-Angesicht!
Ja lächle, zartes Kindlein! Aufbehalten
Ist dir so vieler Worte Frucht: zu sehn
Der Freude Reich, in Stadt und Land gegründet,
Beglückt die Jugend und beglückt das Alter,
Und – Bärte, wallende, zwei Spannen lang!
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