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Viertes Kapitel.
Er wird der große kleine Bill Wrenn

Als die Merian drei Tage von Portland unterwegs war, wäre der ängstliche Viehwärter, der unter dem Namen »Wrennie« bekannt war, am liebsten gestorben, denn nun hatte er die feste Überzeugung, daß die schlechte Luft der Back, in der er auf einem dünnen, mit feuchter Sackleinwand bezogenen Strohsack lag, von Tag zu Tag dicker, übelriechender und giftiger werden mußte.

Es war zwar schon sehr spät am Abend – acht Glasen – aber Pete, der Raufbold, und Tim, der arbeitslose Hutmacher, spielten an dem schmutzigen Tisch der Back noch immer Karten, und McGarver, der zweite Boss der Morris-Viehwärterrotte sah aus seiner Koje, die Schwefeldünste seines schlechten Pfeifentabaks zu Wrennie emporsendend, aufmerksam dem Spiel zu.

Pete, der Raufbold, war ein sehr übler Geselle. Er machte sich über alles lustig. Er stahl. Er kujonierte. Er war ein versoffener Bursche, über dessen Lippen kein sauberes Wort kam. Tim, der Hutmacher, war ein vorlauter Schwächling, der ganz unter Petes Herrschaft stand. Er trug einen verdreckten Gummikragen ohne Kravatte, und seine Seele glich ganz seiner Halsbekleidung.

McGarver, der zweite Boss, hatte wohl vor kurzem wegen Trunkenheit in Tateinheit mit groben Beschimpfungen und Körperverletzung seine Stellung als Obermeister verloren, war aber nichtsdestoweniger ein guter Hirte unter seinen Leuten. Er sah aus wie die Stiere auf der Merlan; sein Nacken war kurz und breit, seine niedrige Stirn lag stets in dicken Falten. Er zog sich nie aus, immer sah man ihn, wie jetzt, in schweren Schuhen und blaugrauen Wollsocken, die er über der Arbeitshose trug. Er war grob, freundlich, tyrannisch und ehrlich.

Wrennie schüttelte sich und holte tief Atem, als das Nebelhorn wieder einmal aufbrüllte und ihn daran erinnerte, daß sie immer noch durch Nebel fuhren, daß sie darauf gefaßt sein mußten, jeden Augenblick das furchtbare Getöse zu hören, unter dem ein gewaltiger Ozeanriese mit seinem Vordersteven die Bordwände der Back in einem Zusammenstoß zertrümmerte. Sich einbeulende, berstende Bugplatten, das Eindringen einer riesigen schwarzen Schiffsnase, einströmende Wasserfluten, Schreie und – – Nun, das Horn bewies wenigstens, daß man auf der Brücke oben wachte, um ihn sicher durch den Nebel zu führen; und waren die da oben nicht erfahrene Seeleute? Hatten sie diese Fahrt nicht schon ungezählte Male gemacht, ohne daß etwas passierte? Werden sie nicht um ihrer selbst willen nicht weniger als um seinetwillen sorgsam Acht haben?

Aber – trotzdem, wird er wirklich lebendig nach England kommen? Und wenn, wird er noch neun lange Tage hindurch immer den Atem entsetzt anhalten müssen? Wird die Back immer wieder sich heben – heben – heben, wie jetzt, und dann wieder sinken – sinken – sinken, als sollten sie untergehen?

»Na, Wrennie, wie gefällt dir das Nebelhorn?«

Pete spuckte ihm die Frage aus einem Mundwinkel zu. »Hoffentlich rennen wir in kein Schiff hinein.«

Er blinzelte Tim an, der sein Stichwort sofort aufnahm und in kläglichen Tönen fragte:

»Hast du nicht auch son bißchen Schiß, wie ich, Pete? Der Maat hat mir gesagt, er spürt im Bauch, daß sowas passieren wird.«

»Klar passiert sowas. Heh, du Wrennie, wart nur, bis du runtertoben und die Stiere bei nem Sturm hochbinden mußt. Wirst schon sehen! Da wirst du aber fix machen, Jungchen.«

»Ach, halts Maul«, knurrte Wrennies Freund Morton.

Aber Morton war seekrank, und Pete schilderte, ohne auf ihn zu achten, weitere Gefahren, an deren Eintreten er in aller Zufriedenheit nicht zweifelte. Wrennie lief es kalt über den Rücken, als er hörte, daß »der Fraß noch lausiger« werden würde. Er wand sich, als Pete mit schallender Stimme immer wieder Erkundigungen nach dem Sweater einzog, der ihm in irgendeinem Viehstand verloren gegangen war – nach seinem schönen graurot gestreiften Sweater, den er in New York eigens für die Arbeit auf dem Schiff erstanden hatte. Und die Kartenspieler versicherten ihm, daß sein Köfferchen, das er dem kroatischen Schiffzimmermann anvertraut hatte, wahrscheinlich von »Satan« gestohlen werden würde.

Satan! Wrennie lief es noch kälter über den Rücken. Denn wenn er an Satan dachte, an den Obermeister mit dem magern Gesicht und der Hakennase, der teuflisch lächelte, wenn die Wut ihn packte, und ironisch grinste, wenn er guter Laune war – dann hatte er immer die Vorstellung einer scharfen Peitsche in Menschengestalt. Pete kicherte. Er erstattete ausführlich Bericht über den Groll, den Satan gegen Wrennie hegte, weil dieser nicht »mit zehn Dollar rausgerückt war«, wie er, Pete, es getan hatte.

(Er log selbstverständlich. Und das Ganze ist nicht in seinen Worten wiedergegeben. Seine Worte waren nicht schön.)

McGarver, der Unterboss, hatte nie etwas dagegen, wach zu bleiben und sich eine gute, ordentliche unanständige Geschichte anzuhören, aber Wrennie, der ihn unverhohlen bewunderte, besaß seine Zuneigung, und deshalb steckte er seinen Stierschädel heraus und brummte:

»He, Pete, Zeit, daß du dich aufs Ohr haust. Schluß machen.«

Wrennie rief in strengen Tönen hinunter: »Ich bin kein Theologiestudent, Pete, und ich hab nichts gegen Fluchen, aber trotzdem wär mirs lieber, wenn du nicht daherredest wie zehn Misthaufen.«

»He, Theobald, hast du dein Wörterbuch bei dir?« fragte Pete brüllend den keinen halben Meter von ihm entfernten Tim. Dann wandte er sich an Wrennie: »Sag mal, Cä–ci–li–e, hast du keine Angst, daß sone langen Wörter wie Theologiestudent sich plötzlich mal umdrehen und dich ins Bein beißen können?«

»Schnauze!« schrie gereizt ein Kanadier.

»Ach hör schon auf, du –« stöhnte ein Anderer.

»Maul halten«, fügte McGarver, der Unterboss, hinzu. »Alle beide.« Wütend: »Du machst ins Bett, Pete, oder ich hau dir glatt den Schädel vom Hals. Ich mach keine Witze, verstanden! Hörst du!«

Ja, Pete hörte ihn. Zweifellos hörte ihn auch der erste Offizier auf der Brücke, und wahrscheinlich auch die Einwohner von Neufundland. Aber Pete nahm sich, bevor er in seine Koje kroch, noch die Zeit, sich zu strecken und sich am Hals zu kratzen. Dann unterhielt er sich, um Wrennie eine Freude zu machen, noch eine halbe Stunde mit Tim und versicherte ihm, daß der Boss einmal einen Juden, der Wrennie sehr ähnlich sah, über Bord geworfen hätte und mit Wrennie wahrscheinlich ebenso verfahren würde. Tim wiederum schilderte die Situation, die sich ergeben würde, wenn Wrennie, nach dem Kentern des Schiffes, das unvermeidlich sei, wenn das Wetter so bleibe, in ein Boot mit Satan käme.

Wrennies Finger krümmten sich, als wollten sie jemand erdrosseln.

Langsam versank er in unruhigen Schlaf, als Pete schon längst verstummt war.

Dann war Satan da, der Oberboss, und riß ihn aus seiner Koje heraus, zwang ihn wieder zur Sklaverei – zwei Stunden Arbeit und zwei Stunden Warten, bis zum Frühstück gerufen wurde.

Während er sich die Schuhe anzog, wunderte er sich darüber, daß Mr. Wrenn tatsächlich da war, in einer Koje, die sich auf und nieder bewegte wie ein Frachtenfahrstuhl, krumm und lahm hockte und den Befehlen von Menschen gehorchen mußte, für die er nicht das mindeste übrig hatte.

Durch die feuchte graue Seeluft stolperte er hungrig den Gang zur Luke mittschiffs entlang und kletterte die eiserne Leiter hinunter.

Zuerst kam das Tränken der Stiere. Erschöpft vom Rückwärtsgehen mit Eimern schleppte er sich jahrhundertelang, endlos ab, bis er in der ganzen Welt nichts anderes sehen und denken konnte als die Wasserpumpe mit der Pfütze davor und die Viehwärter, die dort unaufhörlich ihre Eimer füllten. Wie diese Stiere soffen!

McGarvers Lieblingsstier, »Der Grenadier«, nahm zehn Eimer und streckte noch immer, unersättlich und gierig, das triefende Maul über das Kopfbrett. Als Wrennie einen Eimer zu den Färsen hinübertrug, packten die Hörner des Grenadiers seine blauen Arbeitshosen und zerrissen sie ihm. Das Schiff holte über. Der Eimer flog ihm aus der Hand. Er hielt sich an einem Eisenpfosten fest und traktierte die Schnauze des Grenadiers mit Fußtritten, bis der Stier sich als gebesserter Charakter in den Hintergrund zurückzog.

McGarver freute sich, denn solche Fußtritte waren Spielregel.

»Gute Arbeit«, bemerkte der Schwächling Tim ironisch.

»Du geh zum Teufel«, knurrte Wrennie, und Tim bekam ein wenig Respekt vor ihm.

Aber dieses Ansehen verlor Wrennie wieder, noch ehe sie mit dem Verfüttern des Heus fertig waren, denn er wurde bald viel zu müde, um sich über Tims Bemerkungen zu ärgern.

Unter gewaltigen Anstrengungen das Heu mit der Gabel in die einzelnen Stände schaffend, während das Schiff rollte, unten bei den Kohlenbunkern, wo die Hitze unerträglich war und nur wenig Licht durch die verschmutzten Bullaugen hereinkam, auf dem nassen Boden ausrutschend, nieste und hustete und stöhnte er, bis er ganz ausgepumpt war. Der herumfliegende Heustaub stach ihn wie mit vergifteten Nadeln in den Gaumen. Am ganzen Leib juckte die Haut. Immer wieder entdeckte er neue Muskeln, die wehtaten. Aber er schuftete weiter, bis er, fünfzehn Minuten nach der Ausgabe, mit der Arbeit fertig war.

Er kletterte zum Hauptdeck hinauf und verkroch sich hinter einem Stapel von Heuballen, in dessen Nähe Pete Tim und den anderen auseinandersetzte, daß Satan »bei ihm nichts landen« könnte.

Morton unterbrach Petes Suada mit der Frage: »Sag mal, ist das wahr, was ich gehört hab, Pete, daß du nämlich der Besitzer von der ganzen Leyland Line bist und daß du deshalb so viel mehr weißt wie wir armen Schweine?«

Wrennie war Morton für diese Worte sehr dankbar, aber er ging achtern auf das oberste Deck, wo er allein auf einem Haufen Persennings liegen konnte. Er schaute auf das Meer hinaus, das ihn, wie Kipling und Jack London ihm in ihren Geschichten ausdrücklich versprochen hatten, von allen Seiten umgab; aber er warf nur einen Blick darauf. Im Norden fuhr ein Schiff, das Kurs auf die Heimat hatte.

Heimat! Wenn er bei der Arbeit war, konnte er, ob er sich wohl fühlte oder nicht, vergessen. Aber als er das Schiff sah, das dort flott dahinfuhr, kam ihm der Viehtransportdampfer ungefähr ebenso romantisch vor, wie der Küchenausguß bei Mrs. Zapp.

Warum, so grübelte er, warum war er so töricht gewesen? Er ein Seefahrer? Nein; er war Arbeiter in einer schwimmenden Molkerei. Nun, er mußte bei dieser verfluchten Arbeit bleiben, bis er sie hinter sich hatte, aber dann – dann rasch zurück in Gottes Land!

Als die Merian, die jetzt elf Tage unterwegs war, behaglich über die irische See schaukelte und im Mondlicht die Küste Angleseys auftauchte, lag ein gewisser Bill Wrenn auf dem Achterdeck. Es war so warm, daß sie nicht unten zu schlafen brauchten, und so hatte sich ein halbes Dutzend der Viehwärter die Strohsäcke aufs Deck heraufgebracht. Neben Bill Wrenn lag der Mann, der ihm diesen Namen gegeben hatte, Tim, der Hutmacher, der Angst und Bewunderung empfand, seit Wrennie es einmal gelernt hatte, mit den Gefühlen eines Jungen in den ersten Ferienwochen aufzustehen und jubelnd eine ordentliche Ladung Heu fünf Meter weit durch die Luft zu schleudern.

Ganz in der Nähe lag Morton, der gleichfalls den Namen »Bill Wrenn« akzeptiert hatte. Morton sprach schon längst viel mehr über Pete und Tim als über die erstaunliche Tatsache, daß es »doch wirklich merkwürdig« sei. Anfangs war Mr. Wrenn eifersüchtig gewesen; als ihm Morton jedoch auseinandersetzte, daß selbst ein Pete als »Opfer des Milieus« zu betrachten sei, ging er ganz systematisch daran, dieses Opfer genau kennen zu lernen.

Für McGarver war er seit dem fünften Tag »Bill Wrenn«; an jenem Tag nämlich hatte er einen Heuballen aufgefangen, der im Schiffsrumpf ins Gleiten gekommen war und dem Boss auf den Kopf zu fallen drohte. Satan und Pete nannten ihn noch »Wrennie«, aber da gerade jetzt Tim seinen Ausführungen über Sozialismus bewundernd lauschte, dachte er nicht an die beiden.

Tim schlief ein. Bill Wrenn lag still da und bevölkerte den Himmel über sich mit den Bildern seiner Erinnerungen. Er sah noch einmal die Gärten der Wässer, die für ihn im Gischt erblüht waren, fremdartige Schiffe und nimmermüde Möven sah er, und die Scharen geschmeidiger schwarzer Tümmler, die für ihn die veilchenblauen Wogen durcheilt hatten. Am innigsten aber gedachte er der großen Wonne des letzten Tages, da er die irischen Küstenhügel – sein erstes fremdes Land – erblickt hatte, die Küste Irlands, mit dem er nie die Vorstellung von Kartoffeln und Politikern, sondern stets Träume von Elfen und Feen verband.

Ein glücklicher Mr. Wrenn schlief er unter der Kuppel des Himmels ein, und ein wütender Bill, der Viehwärter, wachte er auf. Pete stapfte vorbei und gröhlte heiser ein nicht gerade feines Lied.

»Halts Maul«, knurrte Bill Wrenn.

»Mensch, sei vorsichtig!« flehte der gleichfalls erwachte Tim.

Pete tobte: »Wer sagt da ›Halts Maul‹, he? Wer war das, Satan?«

Vom Gangspill, wo der Obermeister noch sein Pfeifchen rauchte, hörte man brummen: »Wetten? Der Kleine sagts nicht noch mal.«

Pete stand an Bill Wrenns Strohsack und fragte in drohendem Ton: »Wer hat ›Halts Maul‹ gesagt?«

Bill setzte sich mit einer Miene, die er für geradezu gefährlich hielt, auf. Er war viel zu schläfrig, um Angst zu haben. »Ich habs gesagt! Und?« Dann bekam er vor seinem eigenen Mut Angst und fügte hinzu: »Ich will schlafen.«

»Ach! Schlafen willst du. Das kleine Bubi will schlafen, ja? Komm mal her!«

Der Raufbold packte Bill am Hemdkragen. Bill duckte sich, holte mit dem Arm aus und traf, halb durch Zufall, Pete. Der stürzte sich mit einem Wutgeheul auf ihn, warf ihn nieder, kniete sich auf seinen Magen und schlug auf ihn ein.

Morton und der Unterboss, der ehrliche McGarver, sprangen hinzu, um Pete fortzuziehen, und der Panter Satan, in dessen Augen zum ersten Mal so etwas wie Interesse zu sehen war, rief: »Sie sollen ordentlich kämpfen. Runden. Du hast recht, Bill.«

»Richtig so«, erklärte Morton.

Gerüstet mit Satans Lob, entschlossen, aber Angst im Herzen, überrascht und entsetzt, daß er so etwas tat, griff Bill Wrenn den Rowdy an. Der Mond warf sein melancholisches Licht auf die verschwommene Küste Angleseys und die gekräuselte Wasserfläche, aber Bill sah nichts von Mond und Traumland, er dachte nur an seinen Kampf.

Sie bewegten sich in Kreisen. Pete stellte sacht einen Fuß vor. Morton sprang dazwischen und schrie wütend: »Keine dreckigen Tricks!«

»Bravo«, rief McGarver.

Pete zog ein finsteres Gesicht, man hatte ihm seine beste Waffe geraubt. Er atmete schwer und wurde schwindlig, als Bill Wrenn unermüdlich um ihn herum tanzte. Ohne die Waffen der Hintergasse war er machtlos. Er schlug Bill die Nase blutig und trommelte ihm auf die Rippen, aber die Whisky- und Zigarettenmengen, die er konsumiert hatte, machten sich fühlbar, und so war er von Herzen gern bereit, albern zu lachen und Frieden zu schließen, als Bills zierliche kleine Faust am Ende der sechsten Runde – wirklich nur zufällig – in einem Geraden auf seiner Kinnspitze landete.

Pete schlug seinen Gegner mit einem Verkehrten zurück, der die ganze in dem furchtbaren Bill schlummernde Grausamkeit weckte. Stumm schlug Bill Wrenn, jedes Gran seiner Stärke nützend, wie ein mordgieriger Wilder auf ihn los.

Genug von Petes beklagenswertem Geschick. Er hatte jetzt gemerkt, daß sein Opfer wirklich kämpfen konnte. Bekümmert, entsetzt, unglücklich suchte er stolpernd davonzulaufen und wurde zu Boden geschlagen.

Diesmal war es der große kleine Bill, der fortgezogen werden mußte. McGarver hielt den wild um sich Tretenden und Fluchenden bis zur nächsten Runde fest, in der dann Pete mit einem wüsten Wirbel von Faustschlägen knock out geschlagen wurde.

Er lag auf dem Deck, über ihm stand Bill und fragte: »Wie heiß ich, na?«

»Jetzt wirds wohl bei Bill bleiben müssen, Wrennie, alter Kerl – Bill, alter Kerl.«

Dann bekam er die Erlaubnis, sich aus dem Staub zu machen.

Bill Wrenn ging hinunter. In dem dunklen Gang an der Kombüse begann er herzzerreißend zu weinen. Aber das salzige Wasser aus dem Hydranten, mit dem er sich das Blut aus dem Gesicht wusch, bewahrte ihn vor Hysterie. Er kletterte zum obersten Deck hinauf, und jetzt konnte er auch wieder seinen Wandergefährten, den Mond, sehen.

Alle sprachen interessiert über den Kampf. Tim drängte sich an ihn heran und rief aufgeregt: »Großartig, alter Junge! Wenn er mir so gekommen war, hätt ich ihn genau so bedient. Ich hab dir ja immer gesagt, daß Pete ein Bluffer ist.«

»Abzug«, sagte Satan.

Tim floh.

Morton kam heran, sah Bill Wrenn in die Augen, klopfte ihm auf die Schulter und ging zu seinem Strohsack zurück, aber McGarver und Satan diskutierten den Kampf weiter.

Auf dem harten, schwarzen Persenningstapel liegend unterhielt sich Bill mit ihnen, gewann sie lieb und wurde wieder Mr. Wrenn. Er erzählte von seiner Absicht, alle schönen Straßen Europas zu durchwandern.

»Gute Arbeit.« – »Klar.« – »Du wirst n tadelloser kleiner Globetrotter werden.« – »Klar; fürn Vierteldollar wirst dun ganzen Tag tadellos futtern kommen.« – »Gute Arbeit«, warf Satan hin und wieder ironisch ein. »Klar. Erzähl weiter. Was hast du sonst noch für Pläne?«

McGarver fuhr dazwischen: »Hör auf damit, Marvin. Du bist wirklich n Satan. Zieh den kleinen Kerl nicht so auf. Der ist tadellos. Und in den letzten drei, vier Tagen hat er blendend gearbeitet.«

Bill lag wieder auf seinem Strohsack und starrte durch das Netz der Werkleinen in den Himmel hinauf. Die sich kreuzenden Taue erinnerten ihn an die Auftragsformulare in der Kunstartikel-Gesellschaft.

»Herrjeh!« überlegte er, »ob Jake meine Arbeit wohl so macht wie wirs – wie sies – haben wollen. Ich möcht das alte Büro wiedersehen und Charley Carpenter, nur auf paar Minuten. Herrjeh! die hätten sehen sollen, wie ichs Pete gegeben hab! Und genau so werd ichs mit den verflixten Engländern machen, wenn mir was an ihnen nicht recht ist.«

 

D. S. Merian lag behaglich an der Landungsstelle in Birkenhead und ruhte sich im Sonnenschein von der Reise aus, während das Vieh ausgeladen wurde. In der Mündung des Mersey waren sie auf Nebelbänke gestoßen. Mr. Wrenn hatte begeistert die Küsten Englands – Englands! – gesehen, wie sie durch den Nebel näher rückten, und sich am Anblick der englischen Dörfchen zwischen den Dünen begeistert. Das Ganze war wie ein Traum, aber die Küste sah mit ihren kräftigen Farben, Rot, Grün und Gelb, sehr fest und beruhigend massiv aus, wenn man von dem nebelnassen Deck, über dem im Dunst unirdische Lichter schimmerten, zu ihr hinblickte.

Jetzt tauchte seine erste fremde Stadt vor ihm auf; er konnte zu Morton, der neugierig neben ihm stand, nicht mehr sagen als: »Herrjeh!« Am anderen Ufer des Mersey lag mit seinen Kirchtürmen und schwärzlichen Kuppeln Liverpool.

Die Viehwärter wurden zusammengerufen, um beim Ausladen des übriggebliebenen Heus zu helfen. Selbst Satan mußte lächeln, und auch die alten Juden verloren den Ernst aus ihren Mienen. Tim, der Hutmacher, führte einen irrsinnigen Tanz auf dem Deck auf, und McGarver heulte ein schottisches Lied.

Alle schrien: »Los, Bill Wrenn, jetzt bist du dran. Mach rasch mit dem Ballen, Pete, oder wir schicken dir Bill auf den Hals.«

Bill Wrenn stellte sich würdevoll in Positur und piepste: »Ich bin der Oberst Eisenstark. Mir gehört das ganze Vieh da, außer dem, das Morris gehört, verstanden? Ihr habt zu machen, was ich sag, verstanden? Tim, geh auf dem Ohr.«

Der Hutmacher legte den Kopf aufs Deck und wedelte gemäß den Anweisungen des Obersten Eisenstark (vormals Wrenn) mit seinen spindeldürren Beinen in der Luft herum.

Das Heuausladen war beendet. Die Merian gab Signal und nahm Kurs quer über den Mersey zum Huskinson Dock in Liverpool, während die Viehwärter auf dem Deck Fangen spielten. Schreiend und lachend wuschen sie sich dann zum letzten Mal auf dem Schiff, holten ihr Gepäck hervor und gingen an Land.

Als die Viehwärter, freundliche Abschiedsgrüße auf englisch oder auf jiddisch rufend, an Bill Wrenn und Morton vorüber kamen, machte Bill seinem Freunde gegenüber nicht gerade fromme Bemerkungen darüber, daß der feste Steinboden, auf dem sie standen, Bewegungen zu machen schien, von denen man seekrank werden könnte. Das war so ziemlich die letzte Äußerung, die er als Bill Wrenn tat. Auf der Straße, als er einen echten englischen Bobby, einen echten englischen Fuhrmann und ein Schild mit der Aufschrift »Kakaostube. Tee 1 d« sah, wurde er wieder Mr. Wrenn, ganz und gar Mr. Wrenn.

England!

»Jetzt aber was Richtiges essen«, rief Morton. »Schluß mit Schiffsmischmasch und Weidenblättertee.«

Bald streckten sie die Beine unter einem Tisch aus, auf dem herrliche Sally-Lunn-Kuchen und Melton-Mowbray-Pasteten standen, serviert von einer Kellnerin, die mit steigendem Akzent »Danke sehr« sagte, bestaunten die Spiegel, die sich nach britischer Sitte in ununterbrochener Reihe über die lange Sitzbank an der Wand hinzogen, und lächelten mit der triumphierenden Zufriedenheit, die den Menschen überkommt, wenn sein Hunger nach Träumen und sein Hunger nach Fleischpasteten gleichzeitig befriedigt werden.


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