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Der kleine Graf Heesten saß auf seinem Gute Heidrehm in seiner Bücherei und las den Schluß von Theodor Storms Novelle: Ein Fest auf Haderslevhuus. Graf Heesten war vor einigen Jahren von einem die Güter der Provinz besuchenden Prinzen »Das Wunder der Herzogtümer« getauft. Der Prinz hatte nämlich später seinen Freunden gesagt, daß er bei allen Gutsbesitzern dieses kleinen weltabgelegenen Ländchens nicht andere Gespräche gehört und gepflogen hätte, als über Ochsenzucht, Parteipolitik und Butterpreise.
Nur Graf Heesten sei ihm aufgefallen. Der habe wenigstens gewußt, daß die Dichter Hebbel, Storm, Klaus Groth, Adolf Bartels, Johann Mayer, Jensen und Heiberg Schleswig-Holsteiner seien, während, wenn er diese Namen auf den übrigen Schlössern und Gütern genannt habe, eine Ahnung von diesen erlauchten Geistern der Provinz nicht gewesen sei. Der Prinz hatte geendet, daß ja in Deutschland überall ein näheres Eingehen in Bezug auf litterarische Dinge nicht zu finden sei, daß sich aber das Ländchen der roten Grütze ganz besonders der Unwissenheit (und wozu auch der Ballast) in schönwissenschaftlichen Dingen zu rühmen habe.
Graf Heesten hatte die obenerwähnte Novelle gelesen, und lag nun, in der Nachwirkung dieser wunderbar feinen Erzählung, mit geschlossenen Augen, zurückgelehnt in seinen Lehnsessel, als ihm der Diener Pastor Tröster meldete.
»Ich bitte.«
Pastor Tröster war dem Grafen ein lieber Freund. In der Wüste seiner Nachbargüter war er ihm der Einzige, mit dem er sich aussprechen konnte auch über andre schöne Sachen als über die Yorkshire-Rasse. Er liebte den jungen frischen Geistlichen. Er schätzte hoch dessen festes Gottvertrauen und hielt es um so heiliger und von ihm unantastbarer, als er selbst ein arger Spötter und Ungläubiger war. Aber er liebte auch den Bredenflehter Seelsorger seines steckenlosen Lebens wegen, wußte er ihm andrerseits auch Dank, daß der Pastor ein lustig Wort, eine fröhliche Gesellschaft, ein Lebensfreude gebendes Glas Wein nie und nirgends verachtete. Nicht zum wenigsten endlich wußte er den Mut der Überzeugung, die klugen Augen, das mit den Menschen fühlende Herz hoch zu preisen.
Und auch Herr Tröster hatte sich dem Grafen Heesten eng angeschlossen, hatte in ihm die Eigenschaften verehren gelernt, die einen ganzen Mann zeigen. Daß er den Grafen nicht in seine heilige Kirche, nicht in den Ankergrund seines Glaubens ziehen konnte, hatte ihn in der ersten Zeit tief geschmerzt. Als aber in einem ernsten Gespräch ein für allemal Herr von Heesten den Geistlichen gebeten hatte, von fernern Überzeugungsreden abstehen zu wollen, schwieg von dann an taktvoll der Pastor.
Der Geistliche trat ein. Graf Heesten, der ihm entgegenging, blieb erschrocken stehen: »Aber Herr Pastor, was ist geschehen; wie sehen Sie aus. So kenne ich Sie ja gar nicht. Nehmen Sie Platz, ich bitte Sie … Hier im Sofa … Sind Sie krank geworden? … Kann ich Ihnen helfen? … Möchten Sie nur ein Wort sagen …«
Der junge blonde Seelsorger sah den Grafen mit so trostlosen Augen an, daß dem die Brust springen wollte.
»Ich beschwöre Sie, was ist Ihnen?« begann ängstlich Herr von Heesten von neuem. »Kann ich Ihnen dienlich sein? Kann mein Freundesarm …«
»Er kann es, Herr Graf: er kann und muß mich stützen in diesen Tagen, sonst bin ich dem Tode verfallen.«
»Aber so erzählen Sie, und was nur irgend in meiner Macht steht, Ihnen nützlich sein zu können, steht Ihnen zu Gebote.«
Der Graf hatte sich neben den Prediger gesetzt, seine Hand in die seinige genommen, und hörte, mit stillen Augen, durch die ab und zu ein heitres, kaum bemerkbares Blitzen zuckte, der Beichte des jungen Predigers zu, der im Grabeston begann:
»Sie wissen, Herr Graf, – wir sprachen kürzlich davon – wie unangenehm es mir ist, seit einigen Sonntagen die Augen von Lise Arp, der Tochter des Hufners Heinrich Arp, ganz besonders auf mir während der Predigt ruhen zu wissen. Ich erzähle Ihnen nicht, daß ich, bei aller Gebetsübung und Überwindungskraft, es nicht vermocht habe, mit unheiligen Gedanken wieder hinabzusehn auf das hübsche Bauernmädchen.«
Der Pastor hielt inne und betupfte mit seinem Taschentuch leicht die nasse Stirn.
Der Graf, der in ein Gelächter ausbrechen wollte, bezwang sich und sagte ernster, als ihm diese kleine Geschichte in ihrem Umfang deuchte: »Ja, ich erinnere mich. Übrigens Lise Arp ist das reizendste Mädel auf zwanzig Meilen in unserm Umkreise. Nie sah ich kleinere Ohren, ein griechischeres Näschen, zum Küssen einladendere Lippen, als bei ihr. Und dann die kleinen Löckchen auf der Stirn, die sie wahrscheinlich mit einem alten glühend gemachten Pfropfenzieher kräuselt.«
Der Pastor fuhr fort: »Sie ist es. Als ich gestern die alte im Sterben liegende Geeschen besucht hatte …«
»Will sie endlich abgehen, das alte böse Weib,« rief der Graf. »Aber ich weiß, wie liebevoll Sie sie ermahnt, ihr keine Teufelskrallen und Höllenöfen gezeigt haben …«
Der Pastor fuhr fort: »Auf dem Rückwege steht die hübsche Lise vor dem Hause ihres Vaters. Nun hatte ich diesem lange schon einen Besuch zugedacht, und, ich hätte mich überwinden sollen, benutzte die Gegenwart des Mädchens, sie zu fragen, ob ich ihren Eltern wohl recht käme in diesem Augenblick. Ohne eine Antwort zu geben, geht sie ins Haus. Ich folge ihr. Ihre Eltern, erklärt sie im Zimmer, seien ausgegangen und kämen erst am Abend zurück. Da trat der Versucher an mich heran. Ich nahm, auf des Mädchens Bitte, Platz im Sofa. Sie setzte sich neben mich. Ein ganz merkwürdiges Gefühl übermannte mich völlig. Wir bogen uns zu einander und – küßten uns. Dann aber gab mir Gott die Kraft, aufzuspringen, und ich floh, als wär ich von Wölfen verfolgt …«
Der Graf konnte kaum sein Lachen bemeistern; aber er dachte an die Röte des jugendlichen Seelsorgers und sagte ruhig:
»Hoffentlich setzten Sie Ihre Flucht in der Dorfstraße, wie von Wölfen verfolgt, nicht fort.«
»Nein, nein, ich besann mich noch …«
»Nun, dann ist ja nichts geschehn …«
»Die ganze Nacht habe ich mit meinem Gott gerungen. Ich wollte durchaus mich töten, und wenn ich daran dachte, daß ich meine Dorothea« – der Pastor war seit seinem ersten Jahr als Student mit der Tochter seiner Wirtin, Dorothea Schlangenbusch, verlobt – »in einigen Monaten heimführen wollte, fass ich mich wild an die Stirn.«
»Ei nun, nichts ist verloren. Nun hören Sie mich, lieber Freund. Zuerst: es war keine Sünde, die Sie begangen haben. Und wenn die christliche Kirche von jeher auch in gewaltsamer Weise sich eingedrängt hat in die geschlechtlichen Verhältnisse der Menschen, um immer mehr ihre Regierungsgewalt auszudehnen, so denkt doch Gott nicht daran, Sie dafür schwer büßen zu lassen. Mut, lieber Freund! Ruhig nächsten Sonntag auf die Kanzel gestiegen. Die Kleine, wenn sie in der Kirche ist, wird Sie nicht stören. Da denkt sie zu natürlich darin. Daß Sie ihr als keuscher Josef entflohn sind, hat sie Ihnen nur in den ersten Stunden übel genommen. Nun denkt sie nicht mehr daran. Und das Geheimnis, das schreckliche« (zum ersten Mal lachte der Graf laut und lustig und gab dem Gebrochnen die Hand), »wird mit uns dreien ins Grab steigen. Im Herbst aber holen Sie Ihre Braut, und wir feiern fröhliche Hochzeit. Also weg mit den Skrupeln; keine Bedenken mehr über Tod und Leben. Sie haben ja nichts Unrechtes gethan. Kopf oben, lieber junger Freund. Sie sind ein viel zu frisches, blutvolles Menschenkind, daß Sie noch weiter darüber nachdenken sollten. Kommt Ihnen wieder der Kampf, drängt es Sie zur kleinen Lise, nun, da weiß ich, finden Sie bessere Stärke und besseren Trost im Gebet als wir Ungläubigen, die wir lediglich auf unsre Vernunft in derlei Fällen angewiesen sind. – Und nun trinken Sie mit mir eine Flasche Milon.«
Der Graf klingelte, und bald brachte der Diener den Wein.
Pastor Tröster wäre am liebsten Herrn von Heesten um den Hals gefallen. Klang ihm doch nicht die zornige Stimme seines Gottes in den Ohren. Ein liebes Engelein hatte ihm milde, beruhigende, klare Worte gesagt.
In seiner Weise wußte der Graf das Gespräch auf andre Gegenstände zu lenken. »In diesen Tagen,« fuhr er fort, »las ich unseres Klaus Groth: De Heisterkrog wieder, und ich gestehe Ihnen, daß mir das Gedicht doch zehnmal besser gefällt als Goethes Philistergedicht: Hermann und Dorothea. Wir brauchen das ja keinem Menschen zu sagen. Aber es ist meine ernste Meinung. Freilich, freilich,« sprach der Graf schneller, als er merkte, daß Herr Tröster ihm in die Rede fallen wollte, »es hat ja seine wundervollen Schönheiten, und es soll und wird auch ein Heiligtum unsers Volkes bleiben, so lange Deutschland lebt …«
»Was haben Sie von unseren Hummelsbüttels gehört, Herr Pastor? Es sind ja nun drei Wochen seit jenen furchtbaren Tagen. Ich vertraue ganz auf die Fürstin. Sie wird alles gut machen. Wissen Sie, daß sie lange meine stille Liebe war? Ihre unbeschreibliche Güte, ihr immer alle Grenzen kennendes Gemüt, ihr klarer, alles erwägender und in Rechnung ziehender Verstand haben mich stets unbeschreiblich angezogen. Sie würde und wird in jeder Lage des Lebens das Richtige finden. Unbegreiflich ist mir der Unterschied zwischen ihr und ihrem Bruder Breide. Hätte er nur ein Tröpfchen von ihrer Klugheit mitbekommen, von ihrer Willensstärke und Festigkeit, wahrlich, es stünde anders.«
»Ich betrachte Baron Breide,« sprach der Pastor weiter, »als einen Tiefunglücklichen. Er gehört zu den rätselhaften Menschen, die nicht zu oft über die Erde schreiten. Sein ganzes Wesen ist von einer Unruhe durchhastet, daß ich seit Jahren zuweilen gefürchtet habe, ihn in einer Irrenanstalt enden zu sehn.«
»Ihn hält der Humor aufrecht. Ich sah nie einen Menschen, dem in so hohem Grade diese Göttergabe verliehn ist, wie Breide. In seiner Sterbensminute wird er noch einen Scherz erzählen oder sich über sich selbst lustig machen.«
»Aber der Humor muß seine Grenzen haben, und diese hat er bei Baron Breide nicht. Er wird den Ernst des Lebens nie begreifen, wird nie mit ihm rechnen können. So charakterfest wie die Fürstin ist, in dem Maße charakterlos ist der Baron. Und ohne Charakter schwimmen wir steuer- und mastenlos im aufgewühlten Meere des Daseins.«
»Wie gesagt, ich vertraue ganz auf die Klugheit der Fürstin. Denn sonst ist alles verloren. Man erzählt sich, daß Breides Gläubiger, als sie von dem beabsichtigten Ankauf Wittensees durch Henning hörten, mit aller Macht über Breide hergefallen sind. Unbegreiflicherweise scheint er sich zu stemmen. Alte Familiengeschichten müssen hineinspielen. Breide will leben und sterben auf Wittensee. Und doch wird ihm all sein Sperren nichts nützen. Er muß vom Thron; er kann sich nicht länger halten. Sein Schwager Trauttenberg wird ihn nicht retten können.«
»Waren Sie in letzter Zeit, wenn ich mir die Frage erlauben darf, auf Schloß Bredenfleth?«
»Nein, seit jenem Tage, als mir Graf Henning zumutete, in die Wittenseeer Familienverhältnisse hineinzusprechen, und ich ihm dies weigerte, nicht mehr.«
»Immer ängstlicher wird mir der religiöse Wahnsinn des Grafen. Der Irrsinn tritt im Hummelsbüttelschen Geschlecht nachweisbar seit Jahrhunderten auf, und immer noch hat er sich in andrer Gestalt gezeigt. Ganze Geschlechtsreihen überspringt er oft. Da haben wir die Lehre von der Vererbung, vom Lauf durchs Blut. Ich glaube fest daran. Doch wir wollen auf das Thema nicht weiter eingehn. Unsere Meinungen gehen zu sehr darin auseinander, obgleich von kirchlicher Seite diese Lehre sehr gut in Einklang zu bringen wäre. Kommen Sie lieber mit mir in den Garten. Ich zeige Ihnen junge Kirschenstämmchen, die ich mir diesen Frühling aus Flandern kommen ließ. Sie gedeihen prächtig. Ihre helle Freude, lieber Freund, werden Sie an den Bäumchen haben.«