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Wulfhilde, die eben den Brief an Detlev begonnen hatte, vollendet diesen nicht. Sie läßt ihn liegen. Und mit dem nächsten Zuge ist sie schon unterwegs an die russische Grenze.
* * *
Die Fürstin ist angekommen.
An einem unendlich stillen Wintertage wird Breide begraben. Die Mühlenflügel stehen, weil nicht der geringste Wind sie treiben kann. Der Rauch steigt kerzengrade aus den Schornsteinen. Die Luft ist weich.
Weil auf Meilen in der Runde kein Kirchhof ist, gruben sie ihm die »Kuhle« unter der großen Eiche, wo er zuletzt gestanden hatte. Keiner hat davon eine Kenntnis.
Ein junger katholischer polnischer Geistlicher – die Katholiken denken meist humaner darin, als ihre evangelischen Amtsbrüder – hält in deutscher Sprache die Grabrede. Da ihm bekannt daß Breide aus fernem Himmelsstrich hierhergekommen ist, so spielt er in seiner Rede leicht darauf an, daß die fremde Erde die Toten gleich liebevoll aufnimmt wie die heimatliche.
Wulfhilde giebt dem Priester gerührt nach dem Begräbnis die Hand, dann eilt sie zurück zur immer noch fassungslosen Heilwig.
* * *
Wenige Tage später.
Die Abreise der beiden Frauen nach Trauttenberg ist auf übermorgen festgesetzt.
»Liebe Wulfhilde,« bittet Heilwig leise.
»Mein Herz,« antwortet ein wenig schüchtern die Fürstin, als wüßte sie, was kommen würde.
Und Heilwig, nach einer Pause: »Breide sprach in seinen letzten Minuten noch einmal von seinem Sohne in Berlin; er phantasierte.« Und eine dunkle Röte übergießt sie. »Ich kann, ich kann es nicht.« Dann liegt sie in den Armen Wulfhildes, die ihr das Haar streichelt und ihr die Stirn küßt und sie eng umschlungen läßt …
»Höre mich, Heilwig … Laß mich ausreden …«
Und nur vom Schluchzen Hellwigs unterbrochen, sagt sie himmlische Worte ihrer Schwägerin. Sie spricht von Gott: »Er ist die ewige Liebe. Und wo einer dem andern verzeiht, je schwerer die Kränkung, dem legt er unsichtbar die Vaterhand aufs Haupt: Mensch sein, heißt gut sein. Ich segne Dich …«
Wulfhilde führt die tief Erschütterte in ihr Gemach und läßt sie allein.
Nach einer Stunde tritt die Baronin wieder zur Fürstin, und an ihre Schulter sich lehnend, sagte sie ihr ins Ohr, kaum hörbar, als wär es ein Geheimnis, schwer, langsam:
»Ich will seinen Sohn an Kindesstatt annehmen; er soll seines Vaters Namen tragen.«
* * *
Scalmiercze, 13. Februar 1886.
Wenige Stunden vor Heilwigs und meiner Abreise nach Trauttenberg.
Lieber Detlev!
Du wirst noch kaum Dich erholt haben von der Schreckensnachricht, die ich Dir von hier aus vor einigen Tagen sandte. Dein vortreffliches Herz, das wir alle nicht gekannt haben – o, wie viele Mißverständnisse werden erst im Himmel sich aufklären – wird mit uns begreifen und mit uns empfinden. Breide, weit entfernt von unserm lieben, alten Schleswig-Holstein, liegt unter einer großen Eiche. Der Blick von dort geht in eine flache, ruhige, bescheidene Landschaft.
Ich hätte Dir nicht so bald wieder geschrieben, wenn nicht eine Angelegenheit es erforderte, die vor allem Deine, als des ältesten und einzigen Mannes unsrer Familie, Genehmigung haben müßte:
Heilwig hatte sich entschlossen – o, küsse ihr die treuen Hände dafür – den natürlichen Sohn meines verstorbnen Bruders, den kleinen, jetzt wohl sechsjährigen Breide in Berlin an Kindesstatt anzunehmen. Er soll, so ist es ihr Wunsch, völlig als ihr Sohn gelten, also auch die vollen Rechte seines Vaters – Name und so ferner – genießen.
Wenn ich Deine Erlaubnis vorauszusetzen wage, so sind dennoch manche Schwierigkeiten, wie Dir bekannt sein dürfte, zu überwinden. Ich würde, gegebnen Falles – Deine Antwort bitte ich nach Trauttenberg zu richten – von dort, nachdem ich Heilwig einstweilen bei uns untergebracht habe, nach Berlin fahren, um an Ort und Stelle – immer besser als brieflich – die nötigen Schritte zu thun.
Es wäre mir zu dem Ende, wenn überhaupt Du geneigt bist, im höchsten Grade genehm, wenn Du und ich dort am bestimmten Tage im Kaiserhof uns treffen könnten.
Längeres für heute darf ich mir ersparen. Meine ganze Aufmerksamkeit gehört Heilwig, die noch immer untröstlich ist.
Treu Deine
Wulfhilde Trauttenberg.
* * *
Bredenfleth, den 16. Februar 1886.
Liebe Hilde!
Meinen ersten Brief, die Antwort auf das entsetzliche Ereignis, wirst Du erhalten haben.
In Betreff deiner lieben Zuschrift vom 13. d. M., die ich sofort zu erwidern mich beehre, darf ich als erstes Wort sagen:
Selbstverständlich!
Ich bin in Allem mit Dir einverstanden: Schon aus dem Grunde, weil ich Breiden viel Dank schuldig bin.
Natürlich muß der kleine Breide mit allen Rechten (Wappen, Titel und was dazu gehört) von Heilwig als Sohn angenommen werden. Die Mutter des Kleinen, eines Korbmachers Tochter, hat den Namen: Sternenschein, wenn ich nicht irre. Ich kann nicht unterlassen, liebe Cousine, Dir mitzuteilen, daß der Name Sternenschein ein ganz klein wenig poetischer klänge, als Hummelsbüttel. Doch Du weißt, ich scherze. Wir brauchen uns unsers alten guten Bauernnamens nicht zu schämen.
In Betreff der Adoptierung, und zwar der vollständigen und vollgiltigen, so sind die Hindernisse nicht so schwer, wie Du glaubst. Daß das gute, selige Mamachen Sternenschein (Heilwig sieht ja den Brief nicht) keine näheren Verwandte hat, erfuhr ich schon vor Jahren. Das ist ( entre nous soit dit) ja sehr angenehm, denn, ohne mich des Hochmuts zu zeihen, es könnte nicht zu den weitern Belustigungen meines Lebens gehören, plötzlich in Bredenfleth und Wittensee Gevatter Schuster und Handschuhmacher Sternenschein zu empfangen. Du wirst mich verstehen. Jeder vernünftige Mensch würde mir recht geben.
Eine kleine Bosheit muß ich Dir glühenden Schleswig-Holsteinerin doch noch ins Ohr flüstern: ich bin ganz froh, daß der kleine Vetter Breide Berliner Blut in sich hat. Ich habe nämlich eine Schwäche für die Berliner: es steckt so viele geistige Gesundheit in ihnen. Über die ewige Thräne, genannt Erdenleben, machen sie sich gar zu gern einmal lustig mit ihrem gesalznen Witz. Bravo.
Noch muß ich Dich zu meinem aufrichtigen Bedauern in Kenntnis setzen, daß ich, in den nächsten Wochen wenigstens, leider nicht imstande sein werde, Bredenfleth zu verlassen und Dir in Berlin behilflich zu sein. Dagegen verfüge in jeder andern Weise über mich. Ich leide nämlich (erschrick nicht) an einer leichten Blutvergiftung der linken Hand. Du entsinnst dich vielleicht, daß ich einen zahmen, von mir sehr geliebten Otter habe, mit Namen »Schnuff«. Mein guter Schnuff nun wurde vor einigen Tagen plötzlich von einem großen Dorfköter überfallen. Ich riß das geängstigte Tier an seinem Halsband zu mir in die Höhe. Ob nun am Messing Grünspan gewesen ist, oder wodurch immer, ich weiß es nicht. Es geht mir übrigens ganz gut, wenngleich unser alter Doktor Detlefsen durchaus will, daß ich nach Kiel soll.
Also Schluß: zu Allem bereit! In Treuen
Dein gehorsamster Vetter
Detlev Hummelsbüttel.
* * *
Depesche.
Herrn Grafen Detlev Hummelsbüttel. Schloß Bredenfleth, bei Föhrden. Holstein.
Berlin, den 23. April 1886.
All right.
Wulfhilde Trauttenberg.
* * *
Kiel, den 1. Mai 1886.
Liebe, gute, himmlische Hilde! Innig verehrte, hochherzige Heilwig!
In einigen Tagen (es muß ja doch gesagt sein, deshalb gleich vornweg) werde ich für immer die Augen geschlossen haben. Der linke Arm ist mir – ich bin selbst schuld – zu spät abgenommen. Die Vergiftung ist in den Körper gedrungen. Auf mein dringendes Bitten erklärte mir gestern Professor Ahnsen, daß ich verloren sei und höchstens noch drei oder vier Tage leben könne.
Dies ist mein letztes Schreiben. Dann werden hoffentlich einige Schlafmittel das letzte thun.
Nun hört:
Heute morgen war das Gericht hier, und ich habe mein Testament gemacht. Der kleine Vetter Breide erbt Alles von mir, auch den Grafentitel, den ich nach Hennings Tode zu führen berechtigt war. Möllwind hatte ich als Zeugen gebeten. Ich bitte Euch, ihn ganz in Eure Dienste zu nehmen. Er weiß genau Bescheid und ist ein treuer Mann. Von der Volljährigkeit Breides an habe ich bestimmt, daß er seiner Mutter Heilwig jährlich achtzigtausend Mark zu zahlen hat.
Ich schließe mit dem Worte Wulfhildes: Wie viele Mißverständnisse werden im Himmel aufgeklärt werden.
Nun, wir haben uns schließlich schon auf Erden verstanden.
Lebt wohl! Ich küsse Dir, der Herrlichen, Wulfhilde, Stirn und Mund, und Dir, der treusten deutschen Frau, Heilwig, die lieben, schönen, weißen Hände.
Bis zu meiner letzten Stunde Euer und meines kleinen neuen Vetters Breide
getreuer Detlev Hummelsbüttel.