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An meinen Freund, den Dichter

(Aus »Gedichte«, 1889)

 

                      Lieber Hans, verzeihe, daß ich heute dir erst
Antwort schicke deinem letzten langen Schreiben,
Aber Wichtigeres, wirst du auch nicht zanken,
Hatt' ich vor in diesen Tagen, als den Klagen,
Klagen eines unglückseligen deutschen Dichters,
Klagen, die mir nicht verständlich, unbegreiflich,
Nachzuspinnen und mein ganzes Herz zu schenken.
Deshalb dacht' ich: munter erst die Haferernte;
Dann auch mußt' ich einen alten Bock abschießen,
Der die jungen wegstieß vom Beschlag der Ricken;
Endlich streckt' ich jenen bösen Gabelgreis.
Auch in meiner neuen Branntweinbrennerei
Hatt' ich emsig letzte Hände anzulegen.
Doch nun will ich mich dir widmen, Freund. Du schreibst:
»Eben wird mir von der hundertdritten Zeitschrift
Ein Gedicht zurückgesendet mit den Worten:
›Sehr geehrter Herr, wir sehen uns genötigt,
Leider, und so weiter; doch wir sind gezwungen,
Rücksicht unserm Leserkreise, und so weiter.‹
Ist das, bester Alfred, nicht zum Rasendwerden.
Sind in Deutschland nur Familienmütter Richter?
Sind in Deutschland nur Familienblätter giltig?
Ist nicht greulich diese jämmerliche Schlempe,
Die tagtäglich wir als ›Kunst‹ genießen müssen?
Und zudem die törichten Beurteiler.
Oh, wie diese Herrn das Leben mir verbittern;
Niederträchtiges Gelichter ist darunter.«

Alter Hans, bist du denn ganz verrückt geworden?
Schrieb ich dir nicht kürzlich meine Meinung schon
Über vaterländ'sche schöne Wissenschaft?
Fällt es heut wohl dem »Gebildeten« noch ein,
– Wird nicht irgendwo Geb»ü«ldeter gesprochen –
Dramen und Erzählungen, Novellen, Märchen,
Und gar, drehkrank werdend, Lyrik zu verschlucken?
Was denn klagst du? Spendest du nicht immer wieder
Bücher auf den Markt, um Hinz und Kunz zu laben.
Pfui, wie find ich das gemein: an jeden Menschen
Das verraten, was du innerlichst gefühlt;
Deiner Seele Heiligtümer auszubreiten
Jedem Schufterle, ob er ein Laienbruder,
Ob Beurteiler er ist, ob Zunftgenosse.
Jedem dummen Laffen, jedem Nörgelfritzen
Mußt du dich wie eine Dirne niederwerfen;
Pfui, wie find ich das gemein, mein lieber Hans.

Du, der vierzigtausend Mark als Rente hat,
Hast nicht nötig, dich dem Pöbel preiszugeben.
Nur für dich allein laß deine »Sachen« drucken,
Tagebücher sind dir dann, Erinnerungen
Deine Verse; seufzend magst du sie durchblättern:
Daß die Jugendtage dir so eilig schwanden.
Aber – Eitelkeit, die läßt euch nicht in Ruhe,
Alle Welt soll durchaus, soll und muß erfahren,
Welch ein »hehrer« Mordskerl solch ein Dichter ist.
Schäme dich und nimm von mir den guten Rat an:
Für die Zukunft schweige oder wenigstens
Laß in deinen Tempel andere nicht treten.
Wärst du arm, ja, dann verstünd' ich dein Geschwätze:
Du versuchtest, Geld dir für dein Werk zu tauschen,
Wenn dir auch bekannt, daß wir, die alten Deutschen,
Nimmermehr uns jene immergrünen Kränze
Aus den hellen blonden Locken rauben lassen:
Unsre Dichter in den Hungerturm zu sperren.

»Keiner hat mir dankend je die Hand gegeben
Für ein gut Gedicht, das mir gelungen wäre.
Wenn du wüßtest, wenn du ahntest, wie das wohltut.
Wie das Brot dem Körper, ist der Dichterseele
Unbedingt notwendige Nahrung: Anerkennung.«
Bist du wirklich toll? Davon kann doch die Rede
Niemals sein in Deutschland; überflüssig ist es.
Offen dir gestanden, nichts für ungut, Freundchen,
Stell ich, glaub ich, meinen Kammerdiener höher
Als den Dichter; und so denken auch die andern
Guten Deutschen: Exzellenzen, Schneider, Gärtner,
Bürgermeister, Staatsanwälte, Bauern, Krämer,
Wagenbauer, Staatsminister, Sattler, Wirte,
Prinzen, Pfefferküchler, Klempner, Wuchrer,
Scharfrichter, Matrosen, Priester, Karrenschieber,
Reichs- und Landtagsabgeordnete, Barone,
Droschkenkutscher, Seiler und Regierungsräte,
Und was sonst zusammenfällt in bunter Mischung
Unsres skatdurchtobten lieben Vaterlandes.
Außerdem, so bitt ich, lieg nur erst im Sarge,
Laß die Rosen erst auf deinem Hügel blühen,
Laß den Weizen erst aus deinen Knochen wachsen,
Dann, ja dann vielleicht will ich dir fünfzig Pfennig
Opfern, daß wir zum Gedenken eine Tafel
Dir errichten, irgendwo, wo du gewohnt hast.
Doch bis dahin, Guter, magst du dich bescheiden.
Anerkennung, sagst du, ist dem Dichter nötig;
Daß er lechzt nach einem Wörtchen nur des Lobes.
Seid ihr Dichter denn gefälligst andre Menschen?
Seid ihr etwa Schützenbrüder, Sängerfestler,
Denen jedes kleinste Eisenbahnrastörtchen
Tausend Kränze wirft und tausend Hurras brüllt?
Meinem Schuster zoll ich Anerkennung, wenn er
Mir den Stiefelsitz nach meinen Wünschen fertigt.
Einem Dichter? für das alberne Gewäsche,
Das ich niemals lese, soll ich auch noch schreien;
Schreien: Hoch! er lebe hoch und dreimal hoch!
Lächerlich! Viel eher klatsch ich in die Hände:
Folgt mein Blick den Gauklersprüngen auf dem Seile.
Habt ihr aneinander völlig nicht genug:
Daß ihr gegenseitig euch die Hüte schwenkt;
Bis zur Erde gegenseitig euch bewundert?
Allerdings, das will ich gern auch zugestehen,
Daß der Neid, dies süße, allerliebste Tierlein,
Dieses Tierlein mit den Augen überall,
– Wie sie schielen, zwinkern bald, bald auf sich reißen –
Mehr in euren Hirnen seinen Freßsack findet
Als in allen anderen »Genossenschaften«.

»Wie gefallen meine Liebeslieder dir?«
Teurer, immer noch viel Säuselsummgezwitscher.
Einer fetten Gräsung scheinst du sehr bedürftig;
Komm zu mir aufs Land und trinke Buttermilch,
Übermorgen wird die Hühnerjagd eröffnet.
Durch die Stoppeln, durch die braune Heide ziehen
Dann wir beide: Unterm Knickbusch schmeckt das Frühstück.
Gestern abend ging allein ich durch die Heide,
Und im Lilaschimmer stand die ganze Fläche,
Blüt' an Blüte, und dem Lilaschimmer schenkte
Stumpfen Glanz die Sonne, die zum müden Abschied
Sich versteckte hinter weiße Riesenwolken,
Deren Spitzen, gleich wie höchste Bergesgipfel,
Sie umrandete in Gold und roten Tinten.
Eben noch im dunkel-klaren Dämmer hob sich
In der Schweigsamkeit der leeren Heidelandschaft
Eine einzige Fichte, und die Fichte schattet
Über das Geheimnis eines Hünengrabes.
Oft und oft hab ich dies Hünengrab besucht.
Sag ich: Hokuspokus; mach ich krause Zeichen:
Steigt empor der junge König Ringelhaar.
Seine flachsengelben Locken, die vom Streithelm
Kaum sich fesseln lassen, fluten um die Schultern.
Und sein blanker Streithelm ist ein köstlich Kunstwerk.
Einst trug Caracalla ihn auf seinen Borsten.
Später raubte, dorthin war er wohl verschlagen,
Auf Sizilien ihn ein trotziger Nordlandsmann,
Der dem König Ringelhaar ihn, knieend, reichte. –
Und der König, nach gemessenster Verbeugung,
Sagt mir kindlich seine schweren Herzensleiden,
Daß er Merf, das schöne Friesenmädchen liebe,
Und wie hart von ihr der Abschied sei gewesen,
Aber in den Kriegslärm hab er reiten müssen.
Und er richtet seinen Finger in die Heide:
Dort, in mählich aufgestiegner Mondessichel,
Kämpfen, blitzend, wogend, große Reitermassen,
Funkeln, blitzend, hinter ihnen, lange Spieße,
Und nun hebt es an aus vielgewundnen Tuben,
Ganz barbarisch klingend, eine Schlachtmusik –
Doch schon tönt sie sanfter und die lustigen Klänge
Hör ich einer flinken Jägerkompagnie,
Die schnellfüßig fernen Wegs vorüberschreitet.
Und mich, träumend, an die Fichte lehnend,
Kreist um mich die friedumhalste Sommernacht
Eng und enger ihre stummen Zauberringe,
Einmal unterbrochen nur: Ein Rabe schwang sich
Klatschend aus den Zweigen und zog plump und dummdreist
Ostwärts in den keuschen frühsten Rosenhimmel,
Wie der erste schwarze Sündgedanke einzieht
In die reine unberührte Morgenseele. –
Komm, Poetlein; komm und bringe deine Harfe,
Deine Lyra oder wie das Ding sich nennt,
Bring es mit auf diesen Hügel, singe, sing mir
Von der zarten, lieben Erika ein Lied.

Einen guten Tropfen hab ich auch im Keller;
Und nach Hamburg können, wenn du magst, wir fahren,
Das von meinem Hofe nur zwei Stunden fern liegt.
Dort, willst du dich meiner Führung anvertrauen,
Weiß ich tiefe Quellen wunderbarer Biere.
Auch gefällig findest du dort manches Mädel:
So ein kleines Techtelmechtelchen am Arme
Ist für einen Mondscheindichter ganz gesund.
Also komm zu mir und trinke Buttermilch.


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