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Ich und die Rose warten

(Aus »Neue Gedichte«, 1892)

 

                              Vor mir
Auf der dunkelbraunen Tischdecke
Liegt eine große hellgelbe Rose.
Sie wartet mit mir
Auf die Liebste,
Der ich ins schwarze Haar
Sie flechten will.

Wir warten schon eine Stunde.
Die Haustür geht.
Sie kommt, sie kommt.
Doch herein tritt
Mein Freund, der Assessor;
Geschniegelt, gebügelt, wie stets.
Der Assessor, ein Streber,
Will Bürgermeister werden.
Gräßlich sind seine Erzählungen
Über Wahlen, Vereine, Gegenpartei.
Endlich bemerkt er die Blume,
Und seine gierigen,
Perlgrauglacebehandschuhten Hände
Greifen nach ihr:
»Äh, süperb!
Müssen mir geben fürs Knopfloch.«
Nein, ruf ich grob.
»Herr Jess' noch mal,
Sind heut nicht in Laune,
Denn nicht.
Empfehl mich Ihnen.
Sie kommen doch morgen in die Versammlung?«

        Ich und die Rose warten

Die Haustür geht.
Sie kommt, sie kommt.
Doch herein tritt
Mein Freund, Herr von Schnelleben.
Unerträglich langweilig sind seine Erzählungen
Über Bälle und Diners.
Endlich bemerkt er die Blume.
Und seine bismarckbraunglacebehandschuhten Hände
Greifen nach ihr:
»Ah, das trifft sich,
Brauch ich nicht erst zu Bünger.
Hinein ins Knopfloch.
Du erlaubst doch?«
Nein, schrei ich wütend.
»Na, aber,
Warum denn so ausfallend,
Bist heut nicht in Laune.
Denn nicht.
Empfehl mich dir.«

        Ich und die Rose warten

Die Haustür geht.
Sie kommt, sie kommt.
Doch herein tritt
Mein Freund, der Dichter.
Der bemerkt sofort die hellgelbe.
Und er leiert ohn' Umstände drauflos:
    »Die Rose wallet am Busen des Mädchens,
    Wenn sie spät abends im Parke des Städtchens
    Gehet allein im mondlichen Schein...«
Halt ein, halt ein!
»Was ist dir denn, Mensch.
Aber du schenkst mir doch die Blume?
Ich will sie mir ins Knopfloch stecken.«
Und gierig greift er nach ihr.
Nein! brüll ich wie rasend.
»Aber was ist denn?
Bist heute nicht in Laune.
Denn nicht.
Empfehl mich dir.«

        Ich und die Rose warten

Die Haustür geht.
Sie kommt, sie kommt.
Und – da ist sie.
Hast du mich aber lange lauern lassen.
»Ich konnte doch nicht eher...
Oh, die Rose, die Rose.«
Hut ab erst.
Stillgestanden!
Nicht gemuckst.
Kopf vorwärts beugt!
Und ich nestl' ihr
Die gelbe Rose ins schwarze Haar.
Ein letzter Sonnenschein
Fällt ins Zimmer
Über ihr reizend Gesicht.


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