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An Otto Julius Bierbaum

(Aus »Der Heidegänger und andere Gedichte«, 1890)

 

              Otto Julius, frischester Dragonerlieutenant,
Mit den roten Backen, mit dem weichen Schnurrbart,
Mit der mächtigen Dichterstirn, mit großen, klugen
Augen, die, ob mit Pincenez, ob ohne Klemmer,
Wunderbaren Wechsel zeigen immerwährend,
Einst, erinnerst du dich dessen, saßen oft wir
Bis zum Hahnenruf im Münchner Rathauskeller.
Und wir tranken Ale und Porter, Ale und Porter
Zu der Küche Meisterwerken, Beef und Fischen.
Kniffst du nicht der Kellnerin, der hübschen Betti,
Bettin aus dem Ursulinerinnenkloster,
Gern, doch sanft, doch sanfter stärker drückend,
In die weißen Arme, daß sie leise Au schrie?
Für vorzügliche Zigarren, feinster Kenner,
Sorgtest du, das soll dir nicht vergessen werden.

Jene herzvertrauten Offenbarungs-Nächte,
Die wir miteinander trinkend, plaudernd, lachend,
Rauchend saßen unten am Gedecke Bettis,
Diese sind mir eben wieder eingefallen,
Als ich heute deinen Brief in Händen hatte,
Dem ich schreckensvoll, doch nur im ersten Teile,
Eine Kursabweichung zu entnehmen glaubte,
Die mir säuerlich und muff verraten würde,
Daß du dich verlobt mit Fräulein Würdeengel,
Tochter Seiner Exzellenz, des Herrn Philisters.

Wenn erlauscht die guten Deutschen damals hätten,
Was wir sprachen, ausgelassen uns erzählten,
Glaube mir, sie hätten uns zu Staub gesteinigt:
So der Liebe Rätsel lachend zu entziffern,
So die Welt uns lachend um den Kopf zu schlagen.
Glaube mir, sie hätten uns zu Staub gesteinigt.
Und die Kritiker, es würden diese freilich,
Wenn sie die Epistel an dich lesen möchten,
Erst im Sechstrochäus fehlersuchend wühlen,
Aber dann, o Himmel, welche Lehrerschelte
Müßten wir erleben: »Unmoralisch! Scheußlich!
Seht die beiden als der tiefsten Hölle Diener.«

Wenn wir gegenseitig unsere Liebeshändel
Uns zum besten gaben: Du mir die Geschichte
Deines schlanken, dunkeläugigen Waschermadls,
Das zu dir sich heimlich nachts ins Fenster drängte,
Das dich so beglückt mit ihren sechszehn Jahren;
Wie sie, trennungstraurig habest du geholfen,
Heimlich in der Frühe wieder sich entfernte
Auf dem gleichen Weg; wie du dem muntren Kerlchen
Nachgeschaut; wie rote kleine Morgenwolken
Himmelsheilig ihr die Kinderstirn beglänzten,
Ihr, die durch den Tau, am Wassersturz der Isar,
Schnellen, scheuen, leichten Schrittes sei entschwunden.
Hieß Jeanette nicht dein reizend Waschermadl?
Wenn von meinem Schneidermadl ich erzählte
– Denk an das »Gerümpfe« edler Wackernasen:
»Waschermadel, Schneidermadel: Die Bekanntschaft« –
Wenn von meinem Schneidermadl ich erzählte,
Die, nicht anders ging's derweil, mir immer wieder
Stoffe brachte, Röcke, Hosen, Westen holte.
War nichts mehr zum Flicken vorrätig im Schranke,
Trennten Nähte wir, zerrissen Unterfutter.
Die mich mit den sechszehn Jahren hurtig küßte,
Küßte, bis die wenigen Minuten schwanden.
Später ward es besser, durch des Mädchens Schlauheit,
Eine Stunde blieb sie, stundenlang und länger,
Bis die erste heiße Liebesnacht herankam.
Wie sie nun am andern Morgen ängstlich fortschlich,
Warf sie ungeschickt vom Teller ihrer Rechten,
Ihre Finger spreizend, mir ihr letztes Grüßen:
Rührend war es mir, wie dir, dem ich's vertraute.
Saugend war ihr Kuß, ein wenig unanmutig,
Ganz, als söge noch sie an der Mutter Brüsten;
Doch Natur, Natur, jungwilde Ungezähmtheit.

Denkst du noch an unser kleines Abenteuer
– Cenz und Loni nannten sich die hübschen Frätzchen –,
Das Boccaz zum Vater hätte haben können:
Durch gemeinsam ausgeführte kleine Fahrten
Waren näher wir zu viert bekannt geworden.
Als wir eine Wette machten auf die Treue
Unsrer Schätzchen, und zur gleichbestimmten Stunde
Jede an den andern sandten nach Gewünschtem,
Wie uns dann nach einigem Gesichterschneiden
– Zuckten nicht sekundenlang zwei durstige Dolche –,
Da wir uns das Wort gegeben, wahr zu sprechen,
Ein nicht enden wollendes Gelächter schüttert.
Lüstern nach verbotnem Speck ist jedes Mäuschen.
Spricht nicht irgendwo ein alter Lebenskünstler,
Daß ergötzlich sei der Wechsel in der Liebe?
Apage!
            Doch was ich sagen wollte, Lieber:
Blieb dir jener Winterabend im Gedächtnis?:
Beim Burgunder, Nuits, bei deinem Lieblingsweine,
Saßen wir schon lange. Alles war gegangen.
Unter Aufsicht des Ratskellerküfermeisters
War der Zug, je zwei auf zwei, der Kellnerinnen
In das Nebenhaus zum Schlafen abgezogen.
Nur ein Piccolo, die einzige Bedienung,
Lag, entschlummert, über einer großen Zeitung,
Und ein Blumenmädchen schlief an einer Säule,
Blassen Antlitzes, das wunderbar sich abhob
Aus den dunkelroten Rosen, die dem Korbe
Sich entschüttet hatten um die müden Schläfen.
Plötzlich durch die mitternächtige Stille klang ein
Dumpfes, mattes Rauschen; und ein uralt Männchen
Stand an unserm Tische, sich vor uns verneigend:
»Ihr da, Dichterlinge, tut mir den Gefallen,
Sagt mir, weshalb redet ihr so unablässig
Naseweis von unsrer guten deutschen Dichtung?
Besser wär's, statt immerfort zu räsonieren,
Wenn ihr eure Kritzeleien so dem Landsmann
Dem gewohnten Lotternachmittagsschlafsofa
Näher rücktet, daß er's mühelos verdaute.
Und es würden euch die Portemonnaies bald voll sein,
Könntet ihr euch endlich doch entschließen: einzig
Eure Feder einzutauchen dieser Weise,
Daß sie träuft von faden Honigseimgeschichten,
Für die deutschen Bilderfibeln eingerichtet.«
Wütend sprangst du auf, ich hielt dich fest am Rockschoß,
Sonst, wahrhaftig, hättest du dem armen Männchen
Sicher das Genick gebrochen, und du flammtest:
»Fort, Versucher, fort mit deinem Klingebeutel,
Troll dich in dein Nichts zurück, verdammter Hämmling!
Schreiben wir, so schreiben uns wir und den wenigen
Gleichgesinnten, freiheitsfröhlichstolzen Herzen.
Unaussprechlich schnuppe ist für uns der Leser.«

Alles ist mir eben wieder eingefallen,
Als ich heute deinen Brief in Händen hatte,
Dem ich schreckensvoll, doch nur im ersten Teile,
Eine Kursabweichung zu entnehmen glaubte,
Die mir säuerlich und muff verraten würde,
Daß du dich verlobt mit Fräulein Würdeengel,
Tochter Seiner Exzellenz, des Herrn Philisters.


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