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Zueignung

(Aus »Neue Gedichte«, 1892)

 

                  Lieber Gustav Falke, schwer im Sechstrochäus
Nah ich Ihnen. Plumpgerüstet, mürrisch, schleppend
Stolpert, knarrt er, knurrt er durch die Dichterwälder
(Dichterwälder ist nicht übel) unsrer Deutschen.
Aber ganz gemütlich läßt sich drin erzählen,
Und es kommt mir vor, als wenn Matrosen, Schiffer
Hinter ihren Bier- und Portergläsern lügen,
Einer sehr erstaunten Landphilistersippschaft
Mordgeschichten aus Manila, China, Japan
Mit gelaßner Miene, mit Tabak im Munde,
Ruhig, etwas finster, ernst zum besten geben,
Untermischt zuweilen mit fatalem Schmunzeln,
Wenn zu dumm die gläubigen Zuhörer starren.
Gräßlich klingt der Silbenschlag in »gläubigen Zuhörern«;
Was, ein Siebentakter auch noch? Apage.

Dieses Buch, des Sommers Spende, eignet Ihnen.
Trafen wir nicht im soliden, frommen Hamburg,
Fromm ist Hamburg sehr, denn, wahrlich, heißt es, leichter
Ziehen durch ein Nadelöhrchen die Kamele,
Als ein Reicher jemals komm»e«t in den Himmel,
Und da wollen die Kommerzen sich versichern
Auf die Sterne, und sind deshalb frumbe Leute –
Also, trafen wir uns nicht im frommen Hamburg
Viel zu lustigen Stunden und zu lustigen Fahrten?
Saßen wir nicht oft bei Pfordte und am Dornbusch,
Austern, Hummern, Krebse sehr gewandt vertilgend,
Und dazu das wundervolle Pale Ale trinkend?
Gingen wir nicht weit in schönen Einsamkeiten,
Othmarschen und hinter Bahrenfeld spazieren,
Uns von allem unterhaltend, was die Erde
Bietet: Weibern, Stiefelwichse, Kriegen, Fischmarkt,
Lüge, Neid, Verlogenheit, Gemeinheit, Herrschsucht
Und so weiter. Nur von einem sprachen niemals,
Gottes Tod! wir, von der deutschen Literatur.

Und erinnern Sie sich unsrer stillen Gärten,
Die wir hier und dort an fernen Wegen fanden,
Wo uns Grog kredenzt ward, mitten in der Hitze,
Grog des Nordens; was auch wären ohne Grog wir.
Und die Finken schlugen, und die Maienbäume
Freuten sich im Sonnenlichte, und wir freuten
Uns, daß wir der Riesenstadt nicht mehr im Schoße
Saßen, keine Häuser sahen, keine Menschen.
Klingt entzückend nicht des alten Claudius Liedel:
 

Der Frühling      
 
        Heute will ich fröhlich, fröhlich sein,
        Keine Weis' und keine Sitte hören,
        Will mich wälzen und für Freude schrein,
        Und der König soll mir das nicht wehren.

        Denn er kommt mit seiner Freuden Schar
        Heute aus der Morgenröte Hallen,
        Einen Blumenkranz um Brust und Haar,
        Und auf seinen Schultern Nachtigallen.

        Und sein Antlitz ist ihm rot und weiß,
        Und er träuft von Tau und Duft und Segen,
        Ha! mein Thyrsus sei ein Knospenreis,
        Und so tauml' ich meinem Freund entgegen.
 

Dann von allem unterhielten wir uns, was die
Erde bietet: Weibern, Stiefelwichse, Kriegen,
Lüge, Neid, Verlogenheit, Gemeinheit, Herrschsucht
Und so weiter. Nur von einem sprachen niemals,
Gottes Tod! wir, von der deutschen Literatur.

Liebster Falke, wie Sie lachen können! Gar zu
Gerne hör ich dieses helle köstliche Geplätscher,
Wenn ein wenig Bosheit sanft hindurch sich trichtert.
Wie Sie lachen können! Wenn Sie sich entsinnen:
Glühheiß flirrt der Julitag; es war bei Flottbek;
Ich erzählte, daß ich gestern einem Freunde,
Der die »Seestadt« Hamburg kennenlernen wollte,
Endlich auch nach »Sehenswürdigkeiten« führte,
Warum sind sie nicht im Baedeker verzeichnet,
Die besonders Fremde höchlichst interessieren:
Und wir landeten Ulricusstraße tausend,
Wo die Honourables sitzen, die am Tage,
Ach, so sittsam, ehrbar durch die Gassen wandeln,
Haute-Finance, Fondsmakler, Jobber, Direktoren,
Selbstverständlich alle reichtumüberlastet.
Ob sie hier als Glieder von Vereinen hausen,
Gar vom christlichen Verein der Jünglinge? Oh!
Heuchelei, du süßes, süßes Turteltäubchen.
Nur ein einziges Getränk gibt's dort: Champagner.
Mohr, Portier, und Smyrnateppich, faustdick schwellend,
Echte Bronzen, Ampeln, Kronen, Glühlichtflammen,
Ungeheure Spiegel, und Fauteuils, die weichsten,
Und die Hauptsache, der Liebeshof, mit Schleppen,
Ungelogen, vier, fünf Meter langen Schleppen.
Eine kleine Ungarin mit schwarzen Haaren,
Stahlblau schwarzem Haar, Baszom Teremtette, blieb
Meine Nachbarin. Ein einzig deutsches Sätzchen
Konnte sie nur radebrechen: »Ei' Flass Sekt noch.«
Auf den Marmortischen lagerten Journale,
Lagen unsre herrlichen Familienblätter:
»Gartenlaube«, »Über Land und Meer« und, oh, oh,
»Deutsche Langweil-Rundschau« mußt' ich selbst hier finden,
Auch »Daheim«, das keusche, schwamm, oh, oh, dazwischen,
»Jordansbächlein«, »Kidronsquellchen« fehlten leider.
Und am Himmelbette fand ich aufgeschlagen
»Freie Bühne« und »Moderne Kunst« mit, ja mit
Kunst von Dehmel, Bierbaum, Liliencron und Falke.
Nie vergeß im Leben Ihr Gelächter ich.

Nun zu Ernstem. Glücklich machte mich Ihr Schreiben,
Daß Sie heut mit mir nach Poggfred fahren wollen.
Bertouch mit den Küchenjungen ist schon draußen.
Paßt es Ihnen, hab ich das Programm entworfen:
Erster Tag: Ritt hinter meiner Meute, vierzehn
Koppeln, Sie und ich allein, kein Jagdfeld weiter.
Look out reiten Sie, ich reite meinen Nante.
Lieber! Wenn der Wind uns dann erstaunt Gutnacht sagt,
Ärgerlich, daß er uns nicht am Schopf kann fassen;
Über Gräben, Knicke, durch die Heide, hurrah,
Emsig hinterm Keller das full cry der Hunde,
Und nach kurzem oder langen Run Halali.
Oh, wie köstlich, köstlich, fort aus allem Wirrwarr,
Fort aus allem Schmutz der Welt, der Stadt, der Straßen.
Um sechs Uhr Diner. Sie essen wieder heiße
Erbsensuppe. Sittig trinken wir zum Steinbutt
(Nette Harmonie mit Erbsensuppe, tut nichts)
Rauenthaler Nonnenberg, der Ihr lieb Kind ist,
Später Gruaud-Larose-Sarget, beg your pardon,
Denn verstümmelt ist der Tonfall dieses Verses.
Glasklang: Es lebe hoch der Kritiker, hoch, hoch!
Glasklang: Es lebe hoch der Nörgelfritz, hoch, hoch!
Glasklang: Es lebe hoch die Nachtmützenmoral!
Glasklang: Die alten Tanten und Pedanten hoch!
Glasklang: Asketentum und Sauertopf hoch, hoch!
Glasklang: Es lebe hoch die Anonymität!
Glasklang: Feigheit und Katzenbuckel hoch, hoch, hoch!
Hölle, lauter Jamben wurden es auf einmal.
Nach dem Marasquino öffnen wir den Bechstein:
Erster Abend: Robert Franz, den lieben Deutschen.
Für die folgenden sind Schubert da und Mozart.
Von dem Franzerl spielen Sie vor allem andern
Opus hundertvierundsechzig mir, den ersten
Satz der göttlichen a-Moll-Sonate, darauf
Von dem süßen Bengel Wolfgangrl das Schönste,
Ferner Beethovens Klavierkonzert in G-Dur
(Das Orchester wartet schon in Hamburg, stündlich
Meinem Wunsche dienstbereit, auf die Depesche);
Ferner vierhändig wir zwei: Altitaliener,
Bach und Händel viele, viele, viele Stunden.
Schluß: Wen wohl als Schumann könnt' ich anders nennen,
Dem ich, wenn ich einstens ihm begegnen sollte,
Vor die Füße falle: Meister, halt ein Weilchen,
Laß mich die geheimnisvollen Augen schauen,
Fern, o fern sind sie den scheußlichen Philistern,
»Aufschwung«, »Skizze f-Moll«, bitte, muß ich hören,
Bitte, bitte, bitte, immer wieder hören.
Künstler Sie! Poet! Denk ich daran, wie schändlich
Leineweber, Metzger Ihre Dichterseele,
Ach, das nackte Seelchen oft zerreißen werden,
Krieg ich es mit wilder Wut. Fort auf die Heide!
Nebel klebt um Busch und Strauch; kaum daß die Krähe
Auf Sekunden sichtbar wird. Es raunt der Herbsthauch
Zischelnd im Gebüsch, wo letzte braune Blätter
Todessehnsuchtskrank zu Boden langsam sterben.
Meine guten Freunde kommen nun vorüber.
Keine Furcht. Ei, du, Verehrtester, hübsch immer
Trägst du deinen kahlen Kopf noch unterm Arme?
Falke, nur zu mir heran, er ging schon weiter.
Ah, mein Fräulein, einst in Purpurseide trotzend,
Gabst du Gift dem Liebsten, und mußt elend, klagend,
Händeringend ewig diesen Plan durchschreiten.
Falke, nur zu mir heran, sie ging schon weiter.
Du auch bist noch hier, wahnsinniger, greiser Jäger,
Schau uns an nur, so, genug, geh deines Weges.
Jetzt, jetzt, Falke, hart an mich heran, jetzt schütz ich...
Glöckchen klingeln, her zu mir, bei Gott, sie naht, hör:
Silberglöckchen klingeln an geflochtnen Mähnen,
Da, die Hexe von Poggfred, die einst aus Indien
Einer meiner Ahnen brachte; bald aus Heimweh
Siechte sie dahin, nun irrt sie unablässig
Durch den Heidbusch seit Jahrhunderten, da ist sie,
Wachsend aus dem Nebel, auf dem viven Zelter,
Matt erglänzt der goldne Zaum im Rieselregen.
Mit Begleitung kommt sie, Mirjah, halt, halt an, du...
Oh, die edenseligen Himalaja-Augen,
Himalaja heißt des ewigen Schneees Stätte,
Himmel heißt für mich es, Augen aus dem Himmel.
König Ringelhaar und Hengist, Horsa folgen.
Wie die Glöckchen klingeln, wenn das Pferd die Stirn wirft,
Wie den Hals sie streichelt; wie sie lächelte, halb,
Als der Schimmel seine leichte Last im Schütteln
Abgeworfen hätte fast. Sie wendet ihre
Stute und verschwindet langsam. Letztes Trappeln,
Schellenlachen, leiser, schwächer, immer schwächer.
Schweigen senkt sich wie auf nachtumhüllte Gräber,
Nicht ein Ton verrät das Leben, nicht Bewegung,
Starr und bleiern drückt der Dunst, und enger, enger
Zieht um uns den dichten Schleier der November.
Einsam könnt' ich wohnen hier für alle Zeiten,
Nur Verkehr mit meinen stummen Gästen halten,
Keine Zeitung, keine Briefe würd' ich lesen,
Keine Schändlichkeiten hören von den Menschen.
Dennoch, tiefe Sehnsucht würd' ich immer leiden,
Müßt' ich hier verdämmern, Sehnsucht nach den – Menschen.
Und so sind wir kaum an Ort und Stelle, treiben
Wieder uns zu andern Stätten Herz und Hirn.

Am Kamine sitzen wir. Mein liebster Falke,
Sprachen Sie nicht eben über Pamms Gedichte,
Über Gottlieb Jakob Seppel Pamms Gedichte?
Also folgt die Strafe augenblicklich: Morgen
Bitt die kleine Nachbarin ich von Schloß Breitburg,
Gräfin-Tantchen Mimi mit den weißen Löckchen,
Bitt ich, uns die Ehre zu erzeigen, eine
Vorlesung zu halten über Meisterwerke.
Und dann fängt sie an, genauso wie die Lehrer
In den Schulen, Bürger- und gelehrten Schulen,
Pensionaten, Internaten, Externaten,
Kurz, wie überall im ganzen Vaterlande:
Tiedge, ein Kapitel, Hannchen und die Küchlein,
Aus Uarda folgen neunundachtzig Seiten,
Dann, o dann Gedichte, Schrecken aller Schrecken,
Säuselnd, zuckrig, minnig-sinnig, Bächlein, Wönnlein,
Zum Kastratenbusen wallen die Eunuchen.
Das die Strafe, mein Verehrtester, daß Euer
Liebden unsere Verabredung gebrochen,
Niemals über teutsche Literatur zu sprechen.
Noch ein Tröstchen, Gustav, vor dem Schlafengehen:
Einst gewürdigt eines Telegramms auch werden
Sie, mein Bester: »Gestern starb der Dichter Falke.«
Gleich darunter: Schlempenfettner Stadtanleihe,
Zinsfuß viereinhalb, und bar bezahlt, Rabatt.

Doch, Poet, Gutnacht nun. Sind Sie auch nicht ängstlich,
Daß um zwölf Uhr kommt das Hexlein angespenstert?
Ihres Bettes Vorhang biegt sie auseinander,
In der Linken trägt sie eine hohe Kerze,
Und sie beugt sich langsam auf den Schläfer nieder,
Traurig fragen ihre Himalaja-Augen.
Nur beherzt! Ich rate, rasch das Licht getötet!
Rasch die Arme um den schlanken Leib geschlungen.
Und dann wacht sie auf zu blütenvollem Leben.
Ja, das tut sie. Und mein Gustav Falke zieht sie
Stürmisch an sein warmes, liebes Dichterherz.

Gegeben auf Unserm Jagdhaus Poggfred,

im November.

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