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Anhang.


Die kleine erst nach dem Tode ihres Verfassers herausgegebene Schrift Lockes über die Leitung des Verstandes (of the conduct of the understanding) steht in genauem innerem Zusammenhang mit dessen Hauptwerk, wozu sie gewissermaßen ein praktisches Korollarium bildet. Sie enthält feine und treffende Bemerkungen über das intellektuelle Verhalten der Menschen im allgemeinen und darauf bezügliche gute Ratschläge, beide von solcher Art, daß dafür auch bei uns noch heutzutage im alltäglichen Leben Gelegenheit genug zu finden wäre. Es ist deshalb passend erschienen, sie der vorstehenden Übersetzung der Abhandlung über den menschlichen Verstand als Anhang beizufügen. Für ihre Übersetzung ist ebenfalls die Ausgabe von Lockes Philosophical Works by J. A. St. John, London 1875 (Vol. 1), benutzt worden. Eine ältere deutsche Übersetzung ist nicht verglichen und vielleicht auch nicht vorhanden.

Über die Leitung des Verstandes.

Quid tam temerarium tamque indignum
sapientis gravitate atque constantia, quam
aut falsum sentire, aut quod non satis explorate
perceptum sit et cognitum, sine
ulla dubitatione defendere?

Cic. de natura deorum, lib. I.

 

§ 1. Einleitung. – Die letzte Instanz, an die jemand sich in betreff seines eigenen Verhaltens wenden kann, ist sein Verstand, denn wenn wir auch die Geistesfähigkeiten unterscheiden und dem Willen wie einem handelnden Wesen den Oberbefehl einräumen, so bestimmt doch in Wahrheit der Mensch, der das handelnde Wesen ist, sich zu dieser oder jener willkürlichen Handlung nach einer voraufgehenden Erkenntnis oder dem Anschein einer solchen im Verstande. Niemals unternimmt jemand etwas ohne den einen oder den anderen Gesichtspunkt, der ihm als Rechtfertigung für seine Handlung diente, und welche Fähigkeiten er sonst auch anwenden mag, immer behält der Verstand mit so viel Einsicht, wie er besitzt, gut oder schlecht unterrichtet, die Führung, und von diesem Lichte, mag es wahr oder falsch sein, empfangen alle seine (des Menschen) wirksamen Kräfte ihre Richtung. Der Wille selbst, für wie unabhängig und unlenkbar man ihn auch halten mag, verweigert den Vorschriften des Verstandes niemals den Gehorsam. Die Tempel enthalten heilige Bilder, und wir sehen, welchen Einfluß diese immer auf einen großen Teil der Menschen gehabt haben. In der That aber sind die Ideen und Bilder in den Gemütern der Menschen die unsichtbaren Mächte, die sie beständig lenken, und denen sie sich alle bereitwillig unterwerfen. Deshalb ist es von der höchsten Wichtigkeit, den Verstand wohl in Obacht zu nehmen, damit er bei dem Suchen nach Erkenntnis und bei den Urteilen, die er fällt, recht geleitet werde.

Die jetzt gebräuchliche Logik hat so lange als die einzige zur Leitung des Geistes bei dem Studium der Künste und Wissenschaften in den Schulen gelehrte Kunst das Katheder eingenommen, daß es vielleicht als ein Haschen nach Originalität betrachtet werden wird, wenn jemand den Verdacht äußert, daß Regeln, die der gelehrten Welt zwei bis dreitausend Jahre lang Dienste geleistet und worauf die Gelehrten sich ohne eine Klage über Mangelhaftigkeit gestützt haben, nicht ausreichend seien, um den Verstand zu leiten. Und ich würde nicht bezweifeln, daß dieser Versuch als Eitelkeit oder Anmaßung werde getadelt werden, wenn er nicht die Autorität des großen Lord Verulam für sich hätte, der, fern von dem sklavischen Gedanken, daß die Wissenschaft nicht über ihren dermaligen Standpunkt hinaus gefördert werden könne, weil das seit manchen Menschenaltern nicht geschehen sei, sich nicht träge dabei beruhigte, dem Vorhandenen, weil es da war, Billigung und Beifall zu schenken, sondern seinen Geist bis zu dem erweiterte, was daraus werden könne. In der Vorrede zu seinem Novum Organum spricht er sich über die Logik folgendermaßen aus: »Qui summas dialecticae partes tribuerunt, atque inde fidissima scientiis praesidia comparari putarunt, verissime et optime viderunt, intellectum humanum sibi permissum merito suspectum esse debere. Verum infirmior omnino est malo medicina, nec ipsa mali expers. Siquidem dialectica, quae recepta est, licet ad civilia et artes, quae in sermone et opinione positae sunt, rectissime adhibeatur, naturae tamen subtilitatem longo intervallo non attingit, et prensando, quod non capit, ad errores potius stabiliendos et quasi fingendos, quam ad viam veritati aperiendam valuit.«

»Diejenigen,« – sagt er – »die der Logik so viel zuschrieben, bemerken sehr wohl und richtig, daß es nicht gefahrlos sei, den Verstand ohne den Schutz irgend welcher Regeln sich selbst zu überlassen. Aber das Heilmittel war dem Übel nicht gewachsen, es ward vielmehr ein Teil desselben, denn die herkömmliche Logik, wenn sie auch in bürgerlichen Angelegenheiten und den Künsten, die auf Gespräch und Meinungsäußerungen hinauslaufen, gute Dienste leisten mochte, bleibt doch den wirklichen Leistungen der Natur gegenüber hinter der notwendigen Feinheit weit zurück und hat, indem sie nach dem für sie Unerreichbaren haschte, mehr dazu gedient, Irrtümer zu bestätigen und dauernd zu machen als einen Weg zur Wahrheit zu eröffnen.«

Und ein wenig weiterhin sagt er deshalb: »es sei unbedingt notwendig, daß eine bessere und vollkommenere Weise den Geist und Verstand zu gebrauchen und anzuwenden eingeführt werde.« – »Necessario requiritur, ut melior et perfectior mentis et intellectus humani usus et adoperatio introducatur.«

§ 2. Natürliche Begabung. – Offenbar besteht eine große Mannigfaltigkeit hinsichtlich des Verstandes der Menschen, und ihre Naturanlagen begründen in dieser Beziehung zwischen einzelnen Menschen einen so weiten Unterschied, daß Kunst und Fleiß ihn niemals würden überbrücken können, und daß in der Natur der einen selbst die Grundlage für die Errichtung eines Gebäudes zu fehlen scheint, dessen Herstellung den anderen ganz leicht wird. Zwischen Menschen von gleicher Erziehung besteht eine große Ungleichheit der Fähigkeiten, und die Wälder von Amerika sowohl wie die Schulen von Athen bringen auf gleiche Weise Menschen von verschiedener Begabung hervor. Wenn aber auch dies der Fall ist, so glaube ich doch, daß die meisten Menschen infolge einer Vernachlässigung ihres Verstandes sehr hinter dem zurückbleiben, was sie je nach ihrem Platze auf der Stufenleiter erreichen könnten. Ein paar logische Regeln werden in diesem Falle als ausreichend für die betrachtet, die auf die höchste Bildung Anspruch machen, während ich meine, daß sehr viele natürliche Mängel des Verstandes einer Verbesserung fähig wären, die übersehen und ganz vernachlässigt werden. Und es läßt sich leicht bemerken, daß die Menschen sich bei der Übung und Vervollkommnung dieses Geistesvermögens sehr vieler Fehler schuldig machen, die sie an Fortschritten hindern und ihr Lebenlang in Unwissenheit und Irrtum festhalten. Auf einige von diesen werde ich in der folgenden Abhandlung aufmerksam machen und versuchen, geeignete Heilmittel dafür anzugeben.

§ 3. Vernünftiges Denken. – Außer dem Mangel bestimmter Ideen, sowie des Scharfsinns und der Übung im Auffinden und Ordnen vermittelnder Ideen giebt es drei Arten des Mißverhaltens, dessen die Menschen sich mit Bezug auf ihre Vernunft schuldig machen, wodurch dieses Vermögen in ihnen an dem Dienste gehindert wird, den es leisten könnte und wozu es bestimmt ist. Und wer auf die Handlungen und Reden der Menschen achtet, wird finden, daß ihre Fehler dieser Art sehr häufig und sehr augenfällig sind.

I. Der erste ist der Fehler derjenigen, die überhaupt selten vernünftig überlegen, sondern nach dem Beispiel anderer handeln und denken, seien es nun Eltern, Nachbarn, Minister oder, wen es ihnen sonst gefällt sich zum unbedingten Vertrauensmann zu wählen, damit sie sich die Mühe und Beschwerde des eignen Denkens und Prüfens ersparen.

II. Der zweite ist der Fehler derjenigen, die die Leidenschaft an die Stelle der Vernunft setzen und, fest entschlossen, daß diese ihre Handlungen und Beweisführungen leiten solle, weder ihre eigene Vernunft irgendwie weiter gebrauchen noch auf die anderer Leute hören, als wie es ihrer Laune, ihrem Interesse oder ihrer Partei gemäß ist; und diese begnügen sich, wie man beobachten kann, gewöhnlich mit Wörtern, die für sie keine bestimmten Ideen bedeuten, obgleich es ihnen bei anderen Dingen, an die sie mit vorurteilsfreier Unbefangenheit hinantreten, nicht an der Fähigkeit, vernünftig zu reden und auf Gründe zu hören, fehlt, wo sie keine heimliche Neigung haben, die sie daran hindert für solche zugänglich zu sein.

III. Die dritte Art ist der Fehler derjenigen, die der Vernunft bereitwillig und aufrichtig folgen, aber, weil ihnen das fehlt, was man einen weiten, gesunden, vielseitigen Sinn nennen könnte, keinen vollen Überblick über alles haben, was sich auf die vorliegende Frage bezieht und bei ihrer Entscheidung von Gewicht sein kann. Wir sind alle kurzsichtig und sehen sehr oft nur die eine Seite einer Sache; unser Blick erstreckt sich nicht auf alles, was damit in Verbindung steht. Von diesem Fehler, denke ich, ist niemand frei. Wir sehen nur teilweise und wir erkennen nur teilweise, und es ist deshalb nicht zu verwundern, daß wir aus unsern auf Teile beschränkten Ansichten keine richtigen Schlüsse ziehen. Dies kann auch den, der von seinen eigenen Talenten die hochmütigste Meinung hat, darüber belehren, wie nützlich es ist, sich mit anderen zu unterreden und zu beraten, selbst mit solchen, die ihm an Fähigkeit, Gewandtheit und Scharfsinn weit nachstehen; denn, weil niemand alles sieht, und wir gewöhnlich gemäß unserer verschiedenen (wie ich sagen möchte) Stellung zu ihr verschiedene Ansichten von derselben Sache haben, so ist es nicht ungereimt, zu denken und nicht unter jemandes Würde, zu versuchen, ob nicht ein anderer Kenntnisse von Dingen besitzen möge, die ihm entgangen seien, und wovon seine Vernunft Gebrauch machen werde, wenn er sich ihrer bewußt würde. Das Vermögen des vernünftigen Denken täuscht die, welche sich darauf verlassen, selten oder niemals; seine Schlußfolgerungen aus dem, worauf es sich stützt, sind augenscheinlich und gewiß; aber das, worin es uns am häufigsten, wenn nicht allein irre leitet, ist, daß die Prinzipien, woraus wir Schlüsse ziehen, die Unterlage, worauf wir unsere Folgerungen gründen, nur einen Teil bilden, daß etwas ausgelassen ist, was mit in Rechnung gezogen werden sollte, um diese richtig und genau zu machen. Hierin mögen, wie wir uns vorstellen können, Engel und für sich bestehende Geister einen gewaltigen und fast unendlichen Vorzug vor uns besitzen, die in ihrer stufenweisen Erhebung über uns mit umfassenderen Fähigkeiten ausgestattet sein mögen, und von denen vielleicht einige so vollkommene und genaue Anschauungen von allen ihrer Betrachtung unterliegenden endlichen Wesen haben, daß sie alle zerstreuten und fast schrankenlosen Beziehungen derselben gleichsam in einem Augenblick zusammenfassen können. Wie viel Grund hat nicht ein so ausgestatteter Geist dazu, sich auf die Sicherheit seiner Schlüsse zu verlassen!

Hierin mögen wir den Grund davon erblicken, weshalb manche gelehrte und nachdenkende Männer, die richtig folgern und die Wahrheit lieben, in ihrer Entdeckung derselben keine großen Fortschritte machen. Irrtum und Wahrheit sind in ihrem Geiste unterschiedslos vermischt, ihre Entscheidungen sind lahm und mangelhaft, und sie irren sich sehr oft in ihrem Urteil, was daher rührt, daß sie nur mit einer Klasse von Menschen verkehren, nur eine Art von Büchern lesen, nur eine Sorte von Begriffen zu hören bekommen; in Wahrheit grenzen sie sich in der intellektuellen Welt ein kleines Gosen ab, wo es hell ist und ihrer Meinung nach der Tag sie beglückt; den Rest des weiten Weltraums aber geben sie der Nacht und Finsternis preis und vermeiden es deshalb ihm nahe zu kommen. Sie haben einen hübschen Handel mit bekannten Geschäftsfreunden in einem gewissen kleinen Winkel; darauf beschränken sie sich, und verstehen sich hinlänglich auf die geschickte Behandlung der Waren und Produkte jenes Winkels, mit dem sie sich begnügen, wollen sich aber nicht in den großen Ocean des Wissens hinauswagen, um die von der Natur anderswo aufgehäuften Reichtümer zu betrachten, die nicht weniger echt, nicht weniger gediegen, nicht weniger nützlich sind als die ihnen in der bewunderten Fülle und Zulänglichkeit ihres eigenen kleinen Flecks zu teil Gewordenen, der für sie alles Gute enthält, was irgendwo im Universum zu finden ist. Die, welche so in ihren eigenen engen Bezirken eingesperrt leben und nicht über die Schranken hinausblicken wollen, die Zufall, Einbildung oder Trägheit ihren Nachforschungen gesetzt haben, sondern von den Begriffen, Reden und Geistesgaben der übrigen Menschen getrennt bleiben, lassen sich nicht unpassend mit den Bewohnern der Marianeninseln vergleichen, die, weil sie durch eine große Meeresfläche von jedem Verkehr mit den bewohnbaren Erdteilen abgeschnitten waren, sich für das einzige Volk auf der Welt hielten. Und obgleich der geringe Umfang ihrer Lebensbedürfnisse sich nicht einmal bis zum Gebrauch des Feuers erstreckt hatte, bevor die Spanier bei ihren Fahrten von Acapulco nach Manilla erst vor wenig Jahren sie damit bekannt machten, so betrachteten sie doch bei dem Mangel und der Unkenntnis fast aller Dinge sich selbst – sogar nachdem die Spanier die Kunde von mancherlei Nationen, die an Wissenschaften, Künsten und Lebensbequemlichkeiten, wovon sie nichts wußten, reich waren, zu ihnen gebracht hatten – sie betrachteten, sage ich, sich selbst als das glücklichste und weiseste Volk der ganzen Welt. Dessenungeachtet wird aber, denke ich, niemand sie für tiefe Naturkundige oder gründliche Metaphysiker halten, niemand wird von dem Scharfsichtigsten unter ihnen meinen, daß er in der Ethik oder Politik weitgehende Einsichten habe; auch kann niemand zugeben, daß der Fähigste unter ihnen in seinem Verständnis weiter fortgeschritten sei als bis zu einem Wissen von den wenigen unbedeutenden Dingen auf seiner eigenen und den benachbarten Inseln im Bereiche seines Verkehrs; was entfernt genug bleibt von der umfassenden Erweiterung des Geistes, die einer der Wahrheit ergebenen, von den Wissenschaften und einer freien Erzeugung der verschiedenen Ansichten und Meinungen nachdenkender Menschen aller Parteien unterstützten Seele zur Zierde gereicht. Wer also einen Anblick davon haben möchte, was jedermann seiner Behauptung nach zu erblicken wünscht, die Wahrheit in ihrem vollen Umfange, der möge seinen eigenen Gesichtskreis nicht einengen und verblenden. Möge niemand denken, es gebe keine Wahrheit als nur in den Wissenschaften, die er studiere, oder in den Büchern, die er lese. Über die Gedanken anderer Menschen abzuurteilen, bevor man Kenntnis von ihnen genommen hat, das heißt nicht deren Dunkelheit aufzeigen, sondern sich selber die Augen ausstechen. »Prüfet alles und behaltet das Gute«, ist eine göttliche Regel, die von dem Vater des Lichtes und der Wahrheit kommt, und es ist schwer zu sagen, auf welchem Wege sonst die Menschen zur Wahrheit gelangen können, um sie zu erfassen, wenn sie nicht nach ihr graben und suchen, wie nach Gold und einem verborgenen Schatze; aber wer das thut, der wird viel Erde und Schutt finden, bevor er das reine Metall erlangt; Sand, Steine und Schlacken liegen gewöhnlich im Gemenge mit ihm, aber das Gold ist gleichwohl Gold und wird den Mann bereichern, der seine Mühe zu dessen Aufsuchung und Ausscheidung verwendet. Auch waltet keine Gefahr dafür ob, daß er durch die Vermischung getäuscht werden könnte. Jedermann führt einen Probierstein bei sich, um – wenn er ihn nur gebrauchen will – echtes Gold von oberflächlichem Glanze, Wahrheit vom Schein zu unterscheiden. Und in der That wird der Gebrauch und Nutzen dieses Probiersteins, nämlich der natürlichen Vernunft, nur verdorben und verloren durch die Annahme von Vorurteilen, durch hochmütigen Dünkel und durch geistige Beschränktheit. Das Unterlassen ihrer Übung in dem vollen Umfange der erkennbaren Dinge ist es, wodurch dieses edle Vermögen in uns geschwächt und ausgelöscht wird. Spüre ihm nach und siehe zu, ob es sich nicht so verhält. Der Tagelöhner auf einem Dorfe hat gewöhnlich nur ein geringes Maß von Wissen, weil seine Ideen und Begriffe in den engen Schranken einer dürftigen Unterhaltung und Beschäftigung befangen geblieben sind; der kleine Handwerker einer Landstadt übertrifft ihn ein wenig, Lastträger und Schuhflicker in großen Städten kommen weiter als diese. Ein Landedelmann, der Latein und Gelehrsamkeit auf der Universität zurücklassend von dort nach seinem Herrenhause übersiedelt und sich Nachbarn desselben Schlages zugesellt, die an nichts Geschmack finden als an der Jagd und der Weinflasche, der bringt seine Zeit mit diesen allein hin, unterhält sich nur mit ihnen, und kann es in keiner Gesellschaft aushalten, worin von etwas mehr die Rede ist als von den Eingebungen des Weines und der Liederlichkeit. Solch ein Patriot, der diesen glücklichen Bildungsgang durchgemacht hat, kann – wie wir sehen – nicht verfehlen, bei den Quartalssitzungen Der Friedensrichter jeder Grafschaft. auf der Gerichtsbank bemerkenswerte Urteile zu fällen, und ausgezeichnete Beweise seiner politischen Befähigung zu geben, wenn die Stärke seiner Börse und Partei ihn zu einer ansehnlicheren Stellung D. h. zum Parlamentsmitglied. befördert haben. Im Vergleich mit einem solchen ist in der That ein gewöhnlicher Kaffeehaus-Sammler der City von London. ein vollendeter Staatsmann, und steht so hoch über ihm wie jemand, der in Whitehall und bei Hofe verkehrt, über einem gewöhnlichen Krämer. Um dieses Thema noch etwas weiter zu führen: hier ist einer in den Eifer und die Unfehlbarkeit seiner eigenen Sekte eingehüllt, und will weder ein Buch anrühren noch mit einer Person verhandeln, die irgend eines der für ihn geheiligten Dinge in Frage stellen werden. Ein anderer betrachtet unsere religiösen Meinungsverschiedenheiten mit billiger und aufrichtiger Unparteilichkeit und findet deshalb wahrscheinlich, daß keine von ihnen in jeder Beziehung einwandsfrei seien. Diese Spaltungen und Systeme sind Menschenwerk und tragen das Merkmal der Fehlbarkeit an sich, und in denen, wovon er abweicht und wogegen er, bis er seine Augen öffnete, ein allgemeines Vorurteil hegte, trifft er viele Dinge, wofür sich mehr sagen läßt, als er früher gewahr geworden war oder sich hätte vorstellen können. Welcher von diesen beiden urteilt nun wahrscheinlich am richtigsten über unsere religiösen Streitigkeiten und kommt der Wahrheit am nächsten, dem Male, wonach alle zu zielen behaupten? Ich setze voraus, daß alle diese von mir als Beispiele angeführten Menschen, so ungleich mit Wahrheit versehen und im Wissen vorgeschritten, der natürlichen Begabung nach einander gleichstehen; der ganze Unterschied zwischen ihnen hat in dem verschiedenen Spielraume bestanden, der ihrem Verstande gegeben war, um darin behufs der Einsammlung von Kenntnissen umherzuschweifen und ihre Köpfe mit Ideen und Begriffen und Beobachtungen zu versehen, die zur Beschäftigung ihres Geistes und zur Bildung ihres Verstandes dienen konnten.

Vielleicht wird der Einwurf erhoben werden: »wer kann alledem Genüge leisten?« Ich antworte: mehre als man glaubt. Jeder weiß, worin sein eigentümliches Geschäft besteht, und was die Welt nach dem Charakter, den er sich selber beilegt, rechtmäßigerweise von ihm erwarten darf; und um dem zu entsprechen, wird er finden, daß er Zeit und Gelegenheit genug zu seiner Ausrüstung habe, wenn er sich nicht durch geistige Beschränktheit selbst der bereitstehenden Hilfsmittel beraubt. Ich sage nicht, daß man um ein guter Geograph zu werden, jedes Gebirge, jeden Fluß, jedes Vorgebirge und jede Bai auf der Erdoberfläche besuchen, überall die Gebäude besichtigen und das Land in Augenschein nehmen müsse, wie wenn man einen Kauf abschließen wollte; aber jedermann wird doch zugeben, daß der ein Land besser kennen lernen wird, wer oft Ausflüge in dasselbe macht und es hieher und dorthin durchkreuzt, als wer wie ein Mühlpferd beständig auf derselben Spur rundum geht oder innerhalb der engen Grenzen eines Feldes oder zweier, die ihm gefallen, verbleibt. Wer sich nach den besten Büchern in jeder Wissenschaft erkundigt und sich aus den wichtigsten Schriftstellern der verschiedenen Sekten der Philosophie und Religion unterrichtet, der wird nicht finden, daß es eine endlose Arbeit sei, sich mit den Ansichten der Menschen über die bedeutendsten und umfassendsten Gegenstände bekannt zu machen. Er möge nur von der Freiheit seiner Vernunft und seines Verstandes in solcher Weite wie angegeben Gebrauch machen, dann wird sein Geist gestärkt, seine Fassungskraft erweitert, seine Fähigkeiten erhöht werden; und das Licht, was die entfernten und zerstreuten Teile der Wahrheit aufeinander werfen, wird seinem Urteil dergestalt zu Hilfe kommen, daß er selten weit vorbeitreffen oder verfehlen wird, einen Beweis für Klarheit des Kopfes und umfassendes Wissen zu geben. Wenigstens ist dies der einzige mir bekannte Weg, dem Verstande die gehörige Ausbildung bis zum vollen Umfange seines Vermögens zu geben und einen logischen Schikaneur von einem vernünftigen Menschen – die beiden verschiedensten Dinge, die ich in der Welt kenne – zu unterscheiden. Nur muß der, welcher so dem Geiste Flügel geben und seine Forschungen nach der Wahrheit in allen Richtungen ausbreiten will, unverbrüchlich in seinem Kopfe bestimmte Ideen von allem, womit er seine Gedanken beschäftigt, festsetzen und nie unterlassen, selbst und vorurteilsfrei über alles zu urteilen, was er von anderen, sei es in ihren Schriften oder in der Unterhaltung, empfängt. Der Hochachtung oder dem Vorurteil muß er niemals gestatten, einer von ihren Meinungen Schönheit oder Häßlichkeit zu verleihen.

§ 4. Von der Übung und den Gewohnheiten. – Wir werden mit Vermögen und Kräften geboren, die fast zu allem fähig sind, wenigstens mit solchen, die uns weiter bringen würden, als man sich leicht vorstellen kann; aber nur die Übung dieser Kräfte giebt uns für irgend etwas Gewandtheit und Geschick und führt uns zur Vollkommenheit.

Einem Bauern im mittleren Lebensalter wird kaum jemals das Benehmen und die Sprache eines Mannes von Stande beigebracht werden, wenn auch sein Körper ebenso wohlgestaltet, seine Glieder ebenso biegsam und seine natürlichen Geistesgaben keineswegs geringer sind. Die Beine eines Tanzlehrers und die Finger eines Musikers führen gleichsam von Natur ohne Absicht oder Anstrengung regelmäßige und bewundernswerte Bewegungen aus. Laß sie ihre Rollen tauschen, und sie werden vergeblich versuchen, in den nicht daran gewöhnten Gliedern gleiche Bewegungen hervorzubringen, und es wird geraume Zeit und lange Übung erfordern, bis sie nur einen gewissen Grad ähnlicher Gewandtheit erlangen. Zu welchen unglaublichen und erstaunlichen Verrichtungen sehen wir nicht Seiltänzer und Gaukler ihre Leiber befähigen! Nicht als ob nicht manche in fast allen Handwerken ebenso wunderbar wären; ich nenne nur die, welche die Welt als solche beachtet, weil man eben deswegen Geld ausgiebt, um sie zu sehen. Alle diese bewunderten Bewegungen, die über die Leistungsfähigkeit und fast das Vorstellungsvermögen der ungeübten Zuschauer hinausliegen, sind nur die Ergebnisse der Übung und Ausdauer bei Menschen, deren Körper an und für sich keine andere Beschaffenheit haben als die der erstaunten Zuschauer.

Wie es sich mit dem Körper verhält ebenso auch mit dem Geiste; die Übung macht ihn zu dem, was er ist, und sogar die meisten der vorzüglichen Eigenschaften, die man als natürliche Anlagen zu betrachten pflegt, werden sich bei näherer Prüfung als ein Erzeugnis der Übung herausstellen, indem sie nur durch wiederholte Bethätigung zu der Höhe, die sie haben, gebracht worden sind. Einige Leute zeichnen sich durch lustige Scherzreden aus, andere durch lehrhafte Vorträge und entsprechend unterhaltende Erzählungen. Dies wird leicht bloß für eine Wirkung ihrer Natur gehalten und zwar um so eher, als es nicht auf der Anwendung von Regeln beruht, und die, welche sich in einem von beiden auszeichnen, sich niemals darauf in der Absicht legen, es wie eine erlernbare Kunst zu studieren. Gleichwohl bleibt es wahr, daß zuerst ein glücklicher Einfall, der ihm gut anschlug und zur Empfehlung diente, jemanden zu einem wiederholten Versuch ermutigte und seine Gedanken und Bestrebungen nach jener Richtung hin lenkte, bis er zuletzt unmerklich eine Fertigkeit darin erlangte ohne zu wissen wie; und daß etwas ausschließlich der Natur zugeschrieben wird, was weit mehr eine Wirkung der praktischen Übung war. Ich leugne nicht, daß der erste Ursprung häufig in einer natürlichen Disposition liegen mag, aber die führt einen Menschen niemals weit ohne Übung und Ausbildung, und es ist allein die Praxis, die sowohl die Kräfte des Geistes wie die des Körpers zur Vollendung bringt. Manche gute poetische Ader wird unter einem Erwerbsgeschäft begraben und fördert aus Mangel an Ausbildung niemals etwas zu Tage. Die Weisen der Rede und der Begründung sind, wie wir sehen, auch wenn sie denselben Gegenstand betreffen, bei Hofe und auf der Universität sehr verschieden. Und wer sich nur von Westminsterhall nach der Börse begeben will, wird in der Art, wie man sich an beiden Orten ausdrückt, einen verschiedenen Geist und eine verschiedene Manier entdecken, und doch läßt sich nicht annehmen, daß alle, denen das Los zu teil ward, in der City zu leben, mit anderen Naturanlagen geboren seien als die, welche auf der Universität oder in den Rechtsschulen groß geworden sind.

Dies alles hat nur den Zweck, zu zeigen, daß der so bemerkbare Unterschied im Verstande und der Begabung der Menschen nicht so sehr aus ihren natürlichen Anlagen als aus den erworbenen Gewohnheiten entspringt. Wer es unternehmen wollte, aus einem mehr als fünfzigjährigen Zaunmacher vom Lande einen eleganten Tänzer zu bilden, der würde ausgelacht werden. Und wenig besseren Erfolg würde einer haben, der es versuchen wollte, in eben dem Lebensalter jemanden zu folgerichtigem Denken oder schönem Reden zu bringen, der niemals hieran gewöhnt worden, auch wenn er ihm eine Sammlung aller der besten Vorschriften der Logik oder Redekunst vorlegte. Aus niemandem wird dadurch etwas, daß er Regeln anhört oder sie in sein Gedächtnis aufnimmt; durch Übung muß sich die Gewohnheit der Ausführung, ohne an die Regel zu denken, festsetzen; und man könnte ebensogut hoffen, durch eine Vorlesung und Unterweisung in den Künsten der Musik und Malerei einen guten Maler oder Musiker ex tempore auszubilden, wie jemandem zusammenhängendes Denken oder strenge Schlußfolgerung durch eine Anzahl von Regeln zu lehren, die ihm zeigten, worin die rechte Weise vernünftiger Untersuchung bestehe.

Da es sich so verhält, daß Fehler und Schwächen im Verstande der Menschen so gut wie in anderen Fähigkeiten von dem Mangel eines richtigen Gebrauches ihrer eigenen Geistesvermögen herrühren, so bin ich zu der Annahme geneigt, daß der Fehler gewöhnlich mit Unrecht der Natur zugeschrieben und oft da über einen Mangel von Anlagen geklagt wird, wo der Fehler in einem Mangel an gehöriger Ausbildung derselben liegt. Wir sehen häufig, daß Menschen beim Abschluß eines Handelsgeschäftes gewandt und schlau genug sind, die, wenn man religiöse Gegenstände mit ihnen bespricht, als vollkommen einfältig erscheinen.

§ 5. Ideen. – Ich will hier bei dem, was die richtige Leitung und Ausbildung des Verstandes anbetrifft, nicht auf den Erwerb klarer und deutlicher Ideen zurückkommen und darauf, daß wir unsere Gedanken lieber mit diesen als mit den sie vertretenden Lauten beschäftigen, auch die Bedeutung der Wörter fest bestimmen sollen, deren wir uns bedienen, wenn wir für uns selbst nach der Wahrheit forschen oder mit anderen darüber reden. Über diese Hindernisse unseres Verstandes bei seinem Streben nach Wissenserwerb habe ich mich an einem anderen Orte hinlänglich verbreitet, so daß es nicht nötig ist, über diese Dinge hier noch mehr zu sagen.

§ 6. Prinzipien. – Es giebt noch einen anderen Fehler, der die Menschen bei ihrem Wissenserwerb hindert oder mißleitet, über den ich auch schon etwas gesagt habe, der aber doch hier von neuem erwähnt werden muß, damit wir ihn bis auf den Grund prüfen und die Wurzel, woraus er entspringt, entdecken können; und der ist die Gewohnheit sich mit Prinzipien zu begnügen, die nicht von selbst einleuchtend und oft nicht einmal wahr sind. Es ist nichts Ungewöhnliches, zu sehen, daß Menschen ihre Meinungen auf Grundlagen stützen, die nicht mehr Gewißheit und Festigkeit besitzen als die Sätze, die auf sie gebaut und um ihretwillen angenommen werden. Zu dieser Art von Grundlagen gehören folgende und dergleichen mehr, nämlich: Die Stifter oder Führer meiner Partei sind tüchtige Männer, und deshalb sind ihre Lehren wahr; das ist die Meinung einer im Irrtum befangenen Sekte, deshalb ist sie falsch; das hat lange in der Welt gegolten, deshalb ist es wahr; oder es ist neu und deshalb falsch. Diese und viele ähnliche, die auf keine Weise Maßstäbe für Wahrheit und Falschheit sind, werden von der großen Mehrzahl der Menschen zu Kriterien erhoben, wonach sie ihren Verstand zu urteilen gewöhnen. Und da sie so in die Gewohnheit verfallen, nach solchen verkehrten Maßstäben über Wahrheit und Falschheit zu entscheiden, so ist es kein Wunder, wenn sie den Irrtum als Gewißheit annehmen und sehr bestimmt auf Dingen bestehen, wofür sie keinen Grund haben.

Niemand, der noch den geringsten Anspruch auf Vernunft hat, kann, wenn irgend einer dieser seiner falschen Grundsätze auf die Probe gestellt wird, umhin, anzuerkennen, daß er trüglich sei, und er selbst derartige Grundsätze anderen, die von seiner Meinung abwichen, nicht zugestehen werde; gleichwohl wird man, nachdem er hievon überzeugt worden, finden, daß er in deren Gebrauch fortfährt, und bei der nächsten Gelegenheit wieder aus denselben Gründen argumentiert. Liegt da nicht der Gedanke nahe, daß Menschen, die nach so falschen Maßstäben urteilen, selbst nachdem sie deren Unzuverlässigkeit eingesehen haben, sich absichtlich selbst täuschen und ihren Verstand irre leiten? Dennoch werden sie nicht so tadelnswürdig erscheinen, wie man beim ersten Anblick denken sollte, denn ich glaube, eine große Anzahl derselben argumentiert im Ernste so und thut das nicht um sich selbst oder andere zu täuschen. Sie sind von dem, was sie sagen, überzeugt und legen ihm Gewicht bei, obgleich sie in einem ähnlichen Falle vom Gegenteil überführt worden; aber die Menschen würden für sich selbst unerträglich und anderen verächtlich sein, wenn sie sich ohne irgend welchen Grund Meinungen aneignen und etwas behaupten wollten, was sie auf keine Weise rechtfertigen könnten. Wahr oder falsch, felsenfest oder lose wie Sand, irgend welche Grundlage muß der Geist haben, um sich darauf zu stützen, und – wie ich an einer anderen Stelle bemerkt habe – kaum hat er irgend einen Satz aufgenommen, so eilt er auch sofort zu einer Hypothese, die demselben als Boden dienen könne; bis dahin ist er unruhig und schwankend. So sehr macht uns schon unser Temperament selbst zu einem richtigen Gebrauch unseres Verstandes geneigt, wenn wir nur dem Zuge unserer Natur, wie sich gebührte, folgen wollten.

In einigen wichtigen Angelegenheiten, namentlich den religiösen, ist es den Menschen nicht gestattet, beständig schwankend und ungewiß zu sein; sie müssen diese oder jene Lehrsätze annehmen, und es würde ihnen zur Beschämung gereichen, ja ein Widerspruch sein, zu schwer, als daß der Geist eines Menschen ihm beständig unterliegen könnte, wenn jemand behaupten wollte, von der Wahrheit einer Religion überzeugt zu sein, und doch außer stande wäre, irgend welchen Grund seines Glaubens anzugeben oder für seine Bevorzugung dieser Meinung vor allen anderen irgend etwas zu sagen. Deshalb müssen sie (die Menschen) von den einen oder den anderen Prinzipien Gebrauch machen, und die können nur solche sein, wie sie haben und behandeln können; und wenn man sagen wollte, sie seien nicht ernstlich von denselben überzeugt und verließen sich nicht auf die von ihnen gebrauchten, so wäre das der Erfahrung zuwider und hieße behaupten, daß sie nicht mißleitet seien, während wir gerade hierüber klagen.

Wenn sich das so verhält, so wird man fragen: warum bedienen sie sich dann nicht lieber sicherer und unbestreitbarer Prinzipien, als daß sie sich auf solche Gründe verlassen, die sie täuschen können und ersichtlich ebensogut dazu dienen werden, den Irrtum zu stützen wie die Wahrheit?

Darauf antworte ich: von besseren und sicherern Prinzipien machen sie um deswillen keinen Gebrauch, weil sie dazu außer stande sind; aber dieses Unvermögen entspringt nicht aus einem Mangel natürlicher Anlagen (denn die wenigen, bei denen das der Fall ist, sind zu entschuldigen), sondern aus einem Mangel an Übung und Angewöhnung. Wenig Menschen werden von Jugend auf an streng folgerichtiges Denken und daran gewöhnt, die Ableitung einer Wahrheit durch eine lange Reihe von Schlüssen bis zu ihrem entfernten Ursprung zu verfolgen und deren Verknüpfung zu beobachten, und wenn jemand nicht an diesen Gebrauch seines Verstandes durch häufige Übung gewöhnt worden ist, so ist es nicht wunderbarer, daß er, nachdem er zu Jahren gekommen, seinen Geist nicht dazu zu bringen vermag, als daß einer nicht plötzlich imstande ist, zu gravieren oder zu zeichnen, auf dem Seile zu tanzen oder eine gute Hand zu schreiben, der sich in keinem von diesen Dingen jemals geübt hat. Ja für die meisten Menschen ist dies etwas so völlig Fremdes, daß sie den Mangel davon in ihrer Person nicht einmal bemerken; sie besorgen ihre gewöhnlichen Berufsgeschäfte, um mich so auszudrücken, gedächtnismäßig, wie sie dieselben erlernt haben, und wenn sie ihnen einmal mißlingen, so schreiben sie das irgend welchem Umstande eher zu als dem Mangel an Nachdenken oder Geschicklichkeit, denn die glauben sie (weil sie nichts Besseres kennen) in Vollkommenheit zu besitzen. Oder, wenn es einen Gegenstand giebt, den Interesse oder Phantasie ihrem Nachdenken empfohlen haben, so sind ihre Erwägungen darüber doch immer in ihrer eigenen Manier; mögen sie besser oder schlechter sein, sie genügen ihnen und sie kennen keine besseren; wenn sie deshalb dadurch zu Irrtümern verleitet werden und ihr Geschäft demgemäß abläuft, so schreiben sie dies lieber einem widrigen Zufall oder den Fehlern anderer zu als ihrem eigenen Mangel an Verständnis; dieser ist es, den niemand in sich selber entdeckt oder beklagt. Wodurch immer sein Geschäft mißlungen sein mag, es war nicht ein Mangel an richtigem Denken und Urteilen bei ihm selbst; er findet keinen solchen Fehler in sich, sondern ist überzeugt, daß er seine Pläne nach seinen eigenen Erwägungen gut genug ausführt oder ausgeführt haben würde, wenn nicht unglückliche Zwischenfälle eingetreten wären, die außer seiner Macht lagen. Somit giebt er sich, zufrieden mit diesem beschränkten und sehr unvollkommenen Gebrauch seines Verstandes, niemals die Mühe, Methoden zur Vervollkommnung seines Geistes aufzusuchen, und verbringt sein ganzes Leben ohne irgend welchen Begriff von strenger Schlußfolgerung in dem ununterbrochenen Zusammenhange einer langen Reihe von Konsequenzen aus sicheren Grundlagen, wie sie erforderlich ist, um die meisten der spekulativen Wahrheiten zu ermitteln und klarzustellen, woran die meisten Menschen zu glauben bekennen und ein großes Interesse haben. Hier noch davon zu geschweigen, worauf ich weiterhin vollständiger zurückzukommen Gelegenheit finden werde, nämlich daß in vielen Fällen eine Reihe von Folgerungen nicht genügend ist, vielmehr manche verschiedene und entgegengesetzte Deduktionen geprüft und zusammengestellt werden müssen, bevor man zur Bildung eines richtigen Urteils über den fraglichen Punkt gelangen kann. Was läßt sich also von Menschen erwarten, die weder das Bedürfnis einer Schlußfolgerung von solcher Art einsehen, noch auch, wenn sie das thun, wissen, wie sie die Sache angreifen sollen oder durchführen können. Man könnte ebensogut einem Bauern, der kaum die Zahlzeichen kennt und nie bis in die Hunderte gerechnet hat, zumuten, das umfängliche Konto eines Kaufmanns abzuschließen und dessen wahre Bilanz zu ermitteln.

Was ist denn unter diesen Umständen zu thun? Ich antworte: wir sollten stets dessen eingedenk sein, was ich oben gesagt habe, daß die Kräfte unserer Seele auf dieselbe Weise wie die unseres Körpers entwickelt und für uns nützlich gemacht werden. Daß jemand gut schreiben oder malen, tanzen oder fechten, oder irgend welche Handarbeit geschickt und mit Leichtigkeit verrichten solle, das erwartet, wenn er auch noch so viel Kraft und Behendigkeit, Geschmeidigkeit und Gewandtheit von Natur besitzt, doch niemand von ihm, ohne daß er sich darin geübt, und Zeit und Mühe darauf verwendet hätte, um seine Hand oder äußeren Glieder diesen Bewegungen anzupassen und dafür auszubilden. Geradeso steht es mit dem Geiste; soll jemand zu folgerichtigem Denken wohl befähigt sein, so muß er beizeiten daran gewöhnt und sein Geist darin geübt werden, den Zusammenhang von Ideen zu beobachten und sie der Reihe nach zu verfolgen. Nichts dient besser hiezu als die Mathematik, die deshalb allen denen, die Zeit und Gelegenheit dazu haben, gelehrt werden sollte, nicht sowohl um sie zu Mathematikern als vielmehr um sie zu vernünftigen Wesen auszubilden; denn, obgleich wir uns alle so nennen, weil wir, wenn es uns beliebt, dazu geboren sind, so müssen wir doch der Wahrheit gemäß sagen, daß die Natur uns nur den Samen dazu giebt; wir sind geboren, um, wenn es uns beliebt, vernünftige Wesen zu sein, allein nur Übung und Anstrengung machen uns dazu, und wir sind es in der That nur soweit, wie Fleiß und Bemühung uns vorwärts gebracht haben. Deshalb muß der, welcher die Schlüsse der Menschen bei solchen Untersuchungsarten beobachtet, woran sie nicht gewöhnt sind, die Überzeugung gewinnen, daß sie nicht alle vernünftig seien.

Hierauf hat man um so weniger acht gegeben, weil jedermann in seinen Privatgeschäften die eine oder die andere Art von Raisonnement gebraucht, die ausreicht, um ihn als vernünftig zu bezeichnen. Der Irrtum liegt aber darin, daß man schließt, wer sich in einer Sache als vernünftig zeige, der sei es in allen; und anders zu denken oder zu reden gilt für eine so ungerechte Beleidigung und einen so sinnlosen Tadel, daß niemand es zu thun wagt. Es sieht aus wie die Herabsetzung eines Menschen unter die Würde seiner Natur. Wahr ist es, daß der Geist dessen, der mit Bezug auf irgend einen Gegenstand richtige Schlüsse zieht, von Natur eben dazu auch mit Bezug auf andere Dinge befähigt ist, mit demselben Grade von Kraft und Klarheit und vielleicht in einem viel höheren, wenn sein Verstand aus diese hingewendet worden wäre. Ebenso wahr aber ist es, daß der, welcher heute über eine gewisse Art von Sachen ganz vernünftig urteilen kann, hinsichtlich anderer dazu heute völlig außer stande, ein Jahr später jedoch vielleicht imstande sein mag. Überall aber, wo die Vernunftanlage eines Menschen ihm versagt und ihm kein folgerichtiges Denken ermöglicht, da können wir nicht sagen, daß er vernünftig sei, wie fähig er auch sein möge, dies mit der Zeit durch Übung zu werden.

Man stelle euren Versuch an mit Menschen von niedriger und gemeiner Erziehung, deren Gedanken sich nie über den Spaten und den Pflug erhoben haben, und deren Blick nie über die gewöhnliche Plackerei eines Tagelöhners hinausgereicht hat. Man führe die seit vielen Jahren an ein Geleise gewöhnten Gedanken eines solchen aus dem engen Umkreis hervor, worauf er sein Lebenlang beschränkt gewesen ist, und man wird ihn zu folgerichtigem Denken fast ebensowenig befähigt finden, wie einen Blödsinnigen. Bei den meisten Menschen wird man finden, daß ein oder zwei Regeln, worauf ihre Schlüsse unmittelbar beruhen, alle ihre Gedanken beherrscht haben; diese, wahr oder falsch, sind die Maximen gewesen, von denen sie geleitet worden, werden diese ihnen genommen, dann sind sie vollkommen ratlos, ihr Kompaß und Polarstern sind verschwunden und ihr Verstand steht völlig still; sie kehren deshalb entweder zu ihren alten Maximen als den Grundlagen aller Wahrheit für sie unmittelbar wieder zurück trotz alledem, was zum Beweise ihrer Schwäche gesagt sein mag, oder, wenn sie dieselben um der Gegengründe willerr aufgeben, so geben sie zugleich alle Wahrheit und fernere Forschung auf und denken, daß es so etwas wie Gewißheit nicht gebe. Denn, wenn man ihren Gedankenkreis ausdehnen und ihm weiter abliegende und sichrere Prinzipien zur Grundlage geben wollte, so könnten sie die entweder nicht leicht begreifen, oder wenn sie das könnten, verständen sie doch nicht dieselben zu gebrauchen, denn lange Ableitungen aus entfernten Prinzipien sind etwas, woran sie nicht gewöhnt worden, und was sie nicht handhaben können.

»Wieso denn, kann bei erwachsenen Menschen der Verstand niemals vervollkommnet oder erweitert werden?« – Das behaupte ich nicht; so viel aber glaube ich sagen zu dürfen, daß es nicht ohne Fleiß und Ausdauer möglich ist, wozu mehr Zeit und Anstrengung erforderlich sind, als erwachsene Leute, die einen bestimmten Lebensberuf ergriffen haben, dafür aufwenden können, und daß es deshalb sehr selten geschieht. Und eben diese Möglichkeit, es nur durch Übung und Kraftgebrauch zu erlangen, führt uns zu dem zurück, was ich vorher behauptet habe, daß unser Geist so gut wie unser Körper nur durch Thätigkeit ausgebildet wird, und wir nur soweit Leistungen von unserm Verstande erwarten dürfen, wie er durch Angewöhnung vervollkommnet worden ist.

Die Amerikaner D. h. Indianer. werden nicht alle mit einem schlechteren Verstande geboren als die Europäer, obgleich wir sehen, daß keine von ihnen in den Künsten und Wissenschaften soweit vorgeschritten sind. Und unter den Kindern eines armen Bauern giebt die ihm durch einen glücklichen Zufall zu teil gewordene Erziehung und sein Hinauskommen in die Welt dem einen eine unermeßliche Überlegenheit an Fähigkeiten über die anderen, der, wenn er das väterliche Haus nicht verlassen hätte auf derselben Stufe mit seinen Brüdern stehen geblieben wäre.

Wer mit jungen Schülern zu thun hat, namentlich in der Mathematik, kann bemerken, wie ihnen das Verständnis stufenweise aufgeht, und wie es allein die Übung ist, wodurch sie dazu gelangen. Zuweilen geraten sie vor einem gewissen Teile eines Beweises auf lange Zeit ins Stocken, nicht aus Mangel an gutem Willen und Aufmerksamkeit, sondern weil sie thatsächlich den Zusammenhang zweier Ideen nicht wahrnehmen, der für jemand mit geübterem Verstande so augenfällig ist, wie irgend etwas sein kann. Dasselbe würde der Fall sein, wenn ein Erwachsener anfinge Mathematik zu studieren; der Verstand stockt aus Mangel an Übung häufig auf ganz ebenem Wege, und wenn der so in Verlegenheit Geratene den Zusammenhang einzusehen beginnt, so wundert er sich darüber, was es gewesen, das ihn in einem so einfachen Falle zum Stocken brachte.

§ 7. Die Mathematik. – Ich habe der Mathematik als eines Mittels gedacht, um den Geist an ein genaues und folgerichtiges Denken zu gewöhnen, nicht weil ich es für nötig hielte, daß alle Menschen gute Mathematiker seien, sondern in der Meinung, daß, wenn sie sich die Art und Weise der Schlußfolgerung angeeignet hätten, woraus jene Wissenschaft den Geist notwendig hinführt, sie imstande sein würden, dieselbe auf andere Wissensgebiete zu übertragen, je nachdem sie dazu Gelegenheit fänden. Denn bei allen Arten der Beweisführung sollte jedes einzelne Argument wie eine mathematische Demonstration behandelt werden, man sollte die Verknüpfung und die Abhängigkeit der Ideen mit und voneinander verfolgen, bis der Geist zu der Quelle gelangte, woraus es (das Argument) entspringt, und den durchgängigen Zusammenhang wahrnähme; obgleich bei Wahrscheinlichkeitsbeweisen nicht wie bei demonstrativer Erkenntnis schon eine solche Reihe genügt.

Wo eine Wahrheit durch eine Demonstration vollständig dargethan wird, da bedarf es keiner weiteren Untersuchung, in Fällen bloßer Wahrscheinlichkeit aber, wo es an einer Demonstration fehlt, die die Wahrheit zweifellos feststellte, da genügt es nicht, ein Argument bis zu seinem Ursprung zu verfolgen und dessen Stärke und Schwäche in Betracht zu ziehen, vielmehr müssen alle Argumente, nachdem sie für beide Seiten der Frage so geprüft worden, gegeneinander ausgewogen werden, und nach dem Gesamtergebnis muß der Verstand über seinen Beifall entscheiden.

Dies ist eine Weise der Untersuchung, woran man seinen Verstand gewöhnen sollte, die aber von dem bei den Ungebildeten üblichen Verfahren so verschieden ist, daß selbst Gelehrte mitunter nur eine sehr geringe oder gar keine Kenntnis davon zu haben scheinen. Darüber darf man sich auch nicht wundern, weil die Art, wie in den Schulen disputiert wird, sie ganz abseits davon leitet, indem hiebei von einem topischen Argument ausgegangen wird, und durch Folgerungen daraus über die Wahrheit oder Falschheit der Frage entschieden, und der Sieg dem Opponenten oder dem Verteidiger zugesprochen werden soll, was ganz dasselbe ist, als wenn jemand ein Konto durch Debitierung und Kreditierung einer Summe bilanzieren würde, während noch hundert andere da sind, die in Betracht gezogen werden müßten.

Es wäre also gut, wenn der Sinn der Menschen hieran gewöhnt würde und zwar frühzeitig, damit sie nicht ihre Meinungen auf einen einzelnen Gesichtspunkt stützen, wenn noch viele andere erforderlich sind, um die Rechnung aufzumachen und berücksichtigt werden müssen, bevor jemand ein richtiges Urteil fällen kann. Dies würde ihren Geist erweitern und ihrem Verstande gehörige Freiheit geben, so daß sie nicht durch Einbildung, Trägheit oder Übereilung zum Irrtum verführt würden; denn ich denke, niemand kann solch eine Leitung des Verstandes billigen, die ihn von der Wahrheit abzöge, wenn es auch noch so sehr in der Mode ist sich ihrer zu bedienen.

Hiegegen wird man vielleicht einwenden, daß, um den Verstand nach meinem Vorschlage auszubilden, jedermann ein Gelehrter werden und mit allem Stoff des Wissens ausgerüstet, sowie in allen Methoden der Untersuchung geübt sein müsse. Darauf erwidere ich, daß es für diejenigen, denen es nicht an Zeit und Mitteln zum Erwerb von Kenntnissen fehlt, eine Schande ist, wenn es ihnen an irgend welcher zu erlangenden Beihilfe oder Unterstützung zur Ausbildung ihres Verstandes gebricht, und für solche ist das, was ich hier sage, hauptsächlich bestimmt. Meines Bedünkens sollten die, welche durch den Fleiß und die Talente ihrer Vorfahren von einer beständigen Plackerei für ihre Schultern und ihre Bäuche frei geworden sind, einen Teil ihrer freien Zeit auf ihren Kopf verwenden, und ihren Geist durch einige Proben und Versuche in allen Arten und Gegenständen vernünftigen Nachdenkens aufschließen. Ich habe oben die Mathematik erwähnt, worin die Algebra dem Verstande neue Hilfsmittel und Gesichtspunke darbietet. Wenn ich diese vorschlug, so geschah das, wie gesagt, nicht um aus jedem Menschen einen durchgebildeten Mathematiker oder einen gründlichen Algebraisten zu machen; gleichwohl meine ich, daß das Studium dieser Wissenschaften selbst für erwachsene Personen von unbegrenztem Nutzen ist, zunächst um sie durch Erfahrung davon zu überzeugen, daß es, um jemanden zum folgerichtigen Denken zu befähigen, nicht genügt, daß er Geistesanlagen besitze, womit er zufrieden ist, und die ihm in seinem alltäglichen Lebenslauf ausreichende Dienste leisten. Wer sich mit diesen Studien befaßt, der wird einsehen, daß sein Verstand, für wie gut er ihn auch halten mag, ihm doch bei manchen und noch dazu sehr einleuchtenden Dingen versagen kann. Das würde die Einbildung vernichten, die die meisten Menschen in dieser Hinsicht von sich selber hegen, und sie würden nicht so geneigt zu dem Glauben sein, daß ihr Geist keiner Hilfsmittel zu seiner Erweiterung bedürfe, daß die Schärfe und eindringende Kraft ihres Verstandes keiner Steigerung mehr fähig seien. Zweitens würde das Studium der Mathematik ihnen zeigen, daß es bei Schlußfolgerungen notwendig ist, alle unterschiedenen Ideen voneinander zu sondern und die Verhältnisse ins Auge zu fassen, die unter allen den bei der vorliegenden Untersuchung in Betracht kommenden obwalten, diejenigen aber, die in keiner Beziehung dazu stehen, beiseite zu setzen und ganz außer Rechnung zu lassen. Dies ist etwas, was auch bei anderen Gegenständen außer der Quantität für eine richtige Schlußfolgerung unbedingt nötig ist, obwohl es dabei nicht so leicht beobachtet und nicht so sorgfältig geübt wird. Auf solchen Gebieten des Wissens, wo – wie man meint – Beweisführungen nicht hingehören, raisonnieren die Menschen sozusagen in Bausch und Bogen, und wenn sie auf einen summarischen und verwirrten Überblick oder auf eine teilweise Erwägung hin den Anschein einer Wahrscheinlichkeit hervorrufen können, so sind sie gewöhnlich zufrieden, namentlich wenn es sich um einen Streit handelt, wobei jeder Strohhalm ergriffen und alles mit Ostentation vorgebracht wird, was irgendwie dazu dienen kann, dem Argument einen guten Anstrich zu geben. Allein kein Verstand ist in der Lage, die Wahrheit aufzufinden, der nicht alle Seiten der Sache deutlich auseinander hält und mit Beiseitesetzung dessen, was die vorliegende Frage gar nicht berührt, seinen Schluß aus dem Ergebnis aller der Einzelheiten zieht, die irgend welchen Einfluß darauf äußern. Noch eine andere nicht weniger nützliche Angewöhnung läßt sich aus der Beschäftigung mit mathematischen Demonstrationen gewinnen, nämlich die des Verstandes an eine lange Reihe von Folgerungen; da ich aber hievon schon gesprochen habe, so will ich hier nicht wieder darauf zurückkommen.

Die Menschen anbelangend, deren Glücksgüter und Zeit beschränkter sind, so hat das, was für sie genügt, nicht einen so großen Umfang, wie man wohl meint, und es läßt sich der obgedachte Einwurf daraus nicht entnehmen. Niemand ist verpflichtet alles zu wissen. Erkenntnis und Wissenschaft sind im allgemeinen nur die Aufgabe derer, die in Bequemlichkeit und Muße leben. Die, welche einen speciellen Beruf haben, müssen diesen verstehen, und es ist kein unvernünftiges Verlangen, dessen Erfüllung unmöglich wäre, daß sie darüber, was ihr tägliches Geschäft ausmacht, folgerichtig denken sollten. Daß sie dazu nicht imstande seien, kann niemand denken, ohne sie mit den Tieren auf eine Linie zu stellen und sie einer Dummheit zu beschuldigen, die sie unter den Rang vernünftiger Geschöpfe herabsetzen würde.

§ 8. Religion. – Neben seinem besonderen Beruf für den Unterhalt dieses Lebens hat jedermann ein Interesse an einem künftigen Leben, worum er sich zu bekümmern verpflichtet ist. Das führt seine Gedanken auf die Religion hin, und hier fällt es für ihn schwer ins Gewicht, daß er richtig verstehe und denke. Deshalb kann es den Menschen nicht erlassen werden, daß sie die auf die Religion bezüglichen Worte und allgemeinen Begriffe recht verstehen und auffassen. Der eine Tag von sieben gewährt neben anderen Ruhetagen in der christlichen Welt Zeit genug hiefür (auch wenn sich sonst keine müßigen Stunden fänden), falls sie nur von diesen Pausen in ihrer täglichen Arbeit Gebrauch machen und mit ebensoviel Fleiß nach einer Verbesserung ihrer Einsicht trachten wollten, wie sie oft nach sehr vielen anderen nutzlosen Dingen thun, und wenn sie nur Leute hätten, die sie ihren verschiedenen Fähigkeiten gemäß auf die rechte Weise zu jener Einsicht hinführen wollten. Die ursprüngliche Natur ihres Geistes ist dieselbe wie bei anderen Menschen, und es würde sich zeigen, daß es ihnen an hinlänglichem Verstande zur Aufnahme religiöser Erkenntnisse nicht fehle, wenn ihnen dabei, wie das geschehen sollte, ein wenig Ermutigung und Unterstützung gewährt würde. Denn es giebt Beispiele von Leuten sehr niedrigen Standes, die ihren Geist zu einem hohen Grade von Sinn und Verständnis für die Religion erhoben haben; und obgleich diese nicht so zahlreich gewesen sind, wie man wünschen möchte, so genügen sie doch, um jene Lebenslage von der Notwendigkeit grober Unwissenheit zu befreien und zu beweisen, daß noch mehre dazu gebracht werden könnten, vernünftige Geschöpfe und Christen zu sein (denn, daß sie wirklich solche seien, kann man schwerlich von denen annehmen, die, während sie den Namen führen, nicht einmal auch nur die Grundlagen dieser Religion kennen), wenn gehörig für sie gesorgt würde. Denn, wenn ich mich nicht täusche, verstanden vor kurzem die französischen Bauern (eine Volksklasse unter einem viel schwereren Druck von Mangel und Armut als die englischen Tagelöhner) reformierter Religion diese weit besser und konnten mehr dafür vorbringen als Personen höheren Standes unter uns.

Wenn man aber zu dem Schlusse kommen sollte, daß die unteren Volksklassen in den Dingen, die sie am nächsten angehen, einer viehischen Dummheit hingegeben bleiben müßten – wofür ich keinen Grund einsehe – so entschuldigt dies doch nicht die von reichlicheren Glücksgütern und besserer Erziehung, wenn sie ihren Verstand vernachlässigen und nicht darauf Bedacht nehmen, ihn in gehöriger Weise zu beschäftigen und zur rechten Erkenntnis der Dinge zu bringen, um derentwillen er ihnen hauptsächlich gegeben ist. Wenigstens ist die Zahl derer, denen ein beträchtliches Vermögen die Gelegenheit und die Hilfsmittel zur Ausbildung gewährt, nicht so gering, daß sich nicht hoffen ließe, es würden große Fortschritte in allen Zweigen des Wissens und besonders in denen von der größten Wichtigkeit und dem umfassenden Gesichtskreise gemacht werden, wenn die Menschen von ihren Fähigkeiten den rechten Gebrauch machen und ihren eigenen Verstand studieren wollten.

§ 9. Ideen. – Äußere körperliche Gegenstände, die sich unsern Sinnen beständig aufdrängen und unsere Begierden fesseln, verfehlen nicht unsern Kopf mit lebhaften und dauernden Ideen solcher Art anzufüllen. Hier ist es nicht nötig, den Geist zur Gewinnung eines größeren Vorrats anzutreiben; sie bieten sich oft genug von selbst dar, und werden gewöhnlich so reichlich aufgenommen und so sorgfältig bewahrt, daß es dem Geiste an Raum oder Aufmerksamkeit für andere fehlt, die ihm nützlicher und nötiger wären. Um deshalb den Geist für solche Schlußfolgerungen wie die, wovon ich oben gesprochen habe, zu befähigen, sollte man darauf Bedacht nehmen, ihn mit moralischen und mehr abstrakten Ideen zu erfüllen; denn da diese sich nicht von selbst den Sinnen darbieten, sondern für den Verstand hergestellt werden müssen, so vernachlässigen die Menschen im allgemeinen ein Vermögen, das, wie sie glauben, nichts nötig hat, so sehr, daß ich fürchte, der Geist der meisten ist mit solchen Ideen viel weniger versehen, als man sich vorstellt. Sie gebrauchen häufig die Wörter, und wie kann man da argwöhnen, daß ihnen die Ideen fehlen? Was ich im dritten Buche meiner Abhandlung über den menschlichen Verstand. gesagt habe, wird mich jeder weiteren Antwort auf diese Frage überheben. Um jedoch die Leute davon zu überzeugen, wie wichtig es für ihren Verstand ist, mit solchen abstrakten, in ihrem Bewußtsein fest eingebürgerten Ideen versehen zu werden, möge man mir die Frage gestatten, wie jemand imstande sein soll zu erkennen, ob er verpflichtet sei gerecht zu handeln, wenn er nicht in seinem Geiste Ideen von Verpflichtung und Gerechtigkeit festgestellt hat, da die Erkenntnis in nichts anderem besteht als in der Wahrnehmung der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung dieser Ideen? Und dasselbe gilt von allen anderen ähnlichen, die unsere Lebensführung und Sitten betreffen. Und wenn es sich für manchen als schwierig zeigt, die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung zweier Winkel zu erkennen, die ihm in einer Zeichnung unveränderlich vor Augen liegen, wie völlig unmöglich wird es dann sein dieselben an Ideen wahrzunehmen, die dem Geiste durch keine anderen sinnlichen Objekte dargestellt werden können als durch Laute, denen sie auf keine Weise gleichförmig sind, und die deshalb selbst im Geiste fest und deutlich bestimmt sein müssen, wenn wir irgend ein klares Urteil über sie sollen fällen können. Dies ist also einer der ersten Punkte, womit der Geist bei der rechten Leitung des Verstandes sich befassen sollte, weil es ohnedem unmöglich ist, daß er zu einem folgerichtigen Nachdenken über solche Gegenstände imstande wäre. Bei diesen und allen anderen Ideen muß aber sorgfältig darauf geachtet werden, daß sie keine Widersprüche in sich schließen, und daß ihnen reales Dasein zukomme, wo ein solches vorausgesetzt ist, und sie nicht bloße Schimären mit einem nur eingebildeten Dasein sind.

§ 10. Vorurteil. – Jeder ist schnell damit bei der Hand über die Vorurteile zu klagen, die andere Leute oder Parteien irre leiten, als ob er frei davon wäre und selbst keine hätte. Da dieser Vorwurf von allen Seiten erhoben wird, so herrscht darüber Einverständnis, daß hierin ein Fehler und ein Hindernis des Erkennens liegt. Wie ist nun dem abzuhelfen? Nur dadurch, daß jedermann die Vorurteile anderer auf sich beruhen läßt und seine eigenen in Betracht zieht. Niemand wird von den seinigen dadurch überzeugt, daß ein anderer ihn deren beschuldigt; er giebt den Vorwurf auf dieselbe Weise zurück und ist gereinigt. Der einzige Weg, diese große Ursache der Unwissenheit und des Irrtums aus der Welt zu schaffen, besteht darin, daß jeder sich selbst unparteiisch prüfe. Wenn andere nicht ehrlich mit ihrem eigenen Verstande umgehen, macht das meine Irrtümer zu Wahrheiten? oder muß ich deshalb in sie verliebt sein und geneigt mich selbst zu täuschen? Wenn andere gerne den Star in ihren Augen tragen, soll mich das davon abhalten, mir den meinigen sobald wie möglich stechen zu lassen? Jedermann deklamiert gegen die Blindheit, und doch giebt es kaum einen, der nicht in eben die vernarrt wäre, die seinen Blick verdunkelt und von seinem Geiste das helle Licht ausschließt, was ihn zur Wahrheit und Erkenntnis hinführen sollte. Falsche oder zweifelhafte Sätze, auf die man sich als unbestreitbare Axiome verläßt, halten die, welche darauf bauen, fern von der Wahrheit im Dunkel fest. Von solcher Art sind gewöhnlich die aus der Erziehung, dem Parteigeist, der Ehrfurcht, der Mode, dem Interesse etc. eingesogenen Vorurteile. Das ist der Splitter, den jeder in seines Bruders Auge sieht, während er den Balken in seinem eigenen niemals gewahr wird. Denn kaum einer läßt sich jemals dazu bestimmen, seine eigenen Grundsätze ehrlich zu untersuchen und zuzusehen, ob sie derart sind, daß sie die Prüfung bestehen können. Gleichwohl müßte dies eine der ersten Aufgaben sein, womit sich jeder auf gewissenhafte Weise befassen sollte, der seinen Verstand bei dem Streben nach Wahrheit und Erkenntnis recht leiten will.

Denen, die willens sind, sich von diesem großen Hindernis der Erkenntnis frei zu machen (denn nur für solche schreibe ich), denen, die diesen großen und gefährlichen Betrüger, das Vorurteil, abschütteln wollen, der die Lüge in den Schein der Wahrheit kleidet und den Geist der Menschen so geschickt verblendet, daß er sie im Dunkel festhält, während sie sich mehr im Lichte zu befinden glauben als irgend jemand, der nicht mit ihren Augen sieht – denen will ich dieses eine Merkmal darbieten, woran das Vorurteil sich erkennen läßt. Wer irgend einer Meinung fest anhängt, der muß (wenn er sich nicht selbst verurteilen will) voraussetzen, daß seine Überzeugung aus guten Unterlagen beruhe, und daß sein Beifall nicht größer sei, als wozu die Evidenz der Wahrheit, die er behauptet, ihn nötigt, und daß es Gründe, nicht aber Neigungen und Einbildungen seien, die ihn so zuversichtlich und positiv in seinen Lehrsätzen machen. Wenn er nun nach allen seinen Äußerungen keinen Widerspruch gegen seine Ansicht ertragen kann, wenn er Gründen für das Gegenteil nicht einmal geduldig Gehör schenken, geschweige denn sie prüfen und erwägen kann, gesteht er dann nicht deutlich ein, daß er vom Vorurteil beherrscht werde, und daß es nicht die Evidenz der Wahrheit, sondern eine gedankenlos aufgegriffene Meinung ( some lazy anticipation), eine ihm lieb gewordene Vermutung sei, wobei er ungestört zu verbleiben wünsche? Denn, wenn seine Behauptung, wie er vorgiebt, durch Beweise wohl geschützt wäre, und er ihre Wahrheit einsähe, warum brauchte er sich dann davor zu fürchten, sie auf die Probe zu stellen? Wenn seine Ansicht auf einer festen Grundlage beruht, wenn die Beweise, die sie stützen und seinen Beifall gefunden haben, klar, gut und überzeugend sind, warum sollte ihm dann vor einer Untersuchung darüber angst sein, ob sie stichhaltig seien oder nicht? Wessen Beifall über diese Evidenz hinausgeht, der verdankt das Übermaß seiner Anhänglichkeit nur dem Vorurteil; und das räumt er thatsächlich ein, wenn er es ablehnt zu hören, was jemand dagegen anführen will, indem er hiedurch erklärt, daß er nicht nach Evidenz verlange, sondern nach dem ruhigen Genuß der ihm ans Herz gewachsenen Meinung, zugleich mit übereilter Verdammung alles dessen, was ihr entgegenstehen möge, ohne Gehör und Prüfung; und was ist dies anders als Vorurteil? » qui aequum statuerit parte inaudita altera, etiamsi aequum statuerit, haud aequus fuerit.« Wer sich in diesem Falle als einen Freund der Wahrheit erweisen will, der keiner Voreingenommenheit und keinem Hange, der ihn mißleiten könnte, zugänglich sei, muß zweierlei thun, was weder sehr gewöhnlich noch sehr leicht ist.

§ 11. Gleichmut. – Erstens muß er für keine Meinung eine Vorliebe hegen oder wünschen, daß sie wahr sein möge, bevor er dies von ihr weiß; und dann wird er einen solchen Wunsch nicht nötig haben, denn nichts Falsches kann unsere guten Wünsche verdienen oder ein Verlangen, daß ihm die Stelle und die Kraft der Wahrheit zukommen möge; und dennoch ist nichts gewöhnlicher als eben dieses. Die Menschen sind in gewisse Lehrsätze verliebt, ohne einen weiteren Beweis dafür zu haben als Respekt und Gewohnheit, und glauben, alles sei verloren, wenn sie dieselben nicht aufrecht erhielten, obgleich sie den Grund, worauf sie beruhen, niemals geprüft, und sie niemals sich selber dargethan haben oder anderen darthun können. Wir sollten ernstlich für die Wahrheit kämpfen, aber wir sollten uns vorher darüber vergewissern, daß etwas die Wahrheit sei, sonst streiten wir gegen Gott, der der Gott der Wahrheit ist, und thun des Teufels Werk, der der Vater und Verbreiter der Lügen ist; und unser Eifer, wie warm er auch sei, wird uns nicht zur Entschuldigung gereichen, denn dies ist augenscheinlich Vorurteil.

§ 12. Prüfung. – Zweitens muß er etwas thun, wogegen er sich selbst sehr abgeneigt finden wird in der Meinung, es sei unnötig oder er selbst nicht dazu imstande. Er muß prüfen, ob seine Grundsätze gewiß wahr sind oder nicht, und wie weit er sich mit Sicherheit auf sie verlassen kann. Ob es mehr Leuten an Mut oder an Geschicklichkeit hiezu fehlt, will ich nicht entscheiden, so viel aber weiß ich, daß jeder dies thun müßte, der die Wahrheit zu lieben behauptet und sich nicht selbst täuschen will, was ein sichrerer Weg ist zum Narren gemacht zu werden, als wenn man sich der Sophisterei anderer ausgesetzt findet. Die Neigung, uns selbst hinters Licht zu führen, ist beständig wirksam und macht uns Vergnügen, wogegen wir es nicht leiden können, daß andere uns zum besten haben oder irreleiten. Das Unvermögen, wovon ich hier rede, ist kein natürlicher Fehler, der die Menschen außer stand setzte, ihre eigenen Grundsätze zu prüfen. Für solche wären Regeln zur Leitung ihres Verstandes nutzlos, das aber ist nur mit sehr wenigen der Fall. Die große Mehrzahl wird von denen gebildet, die durch die böse Gewohnheit, ihr Denkvermögen niemals anzustrengen, die Fähigkeit dazu verloren haben. Ihre Geisteskräfte sind durch Nichtgebrauch verkümmert und haben den Umfang und die Stärke verloren, zu deren Erwerb durch Übung sie von Natur geeignet waren. Die, welche in der Lage sind, die ersten Regeln der einfachen Arithmetik zu erlernen, und dazu gebracht werden könnten, ein gewöhnliches Additionsexempel auszurechnen, sind dazu imstande, wenn sie ihren Geist nur an folgerichtiges Denken gewöhnt hatten; dagegen werden die, welche eine solche Übung ihres Verstandes ganz vernachlässigt haben, zunächst weit davon entfernt sein, das auszuführen, und ebenso ungeschickt dazu wie jemand, der die Zahlzeichen nicht kennt, zur Summierung eines Ladenbuches, und vielleicht werden sie es ebenso sonderbar finden, daß ihnen so etwas zugemutet werde. Dessenungeachtet aber muß man zugeben, daß es ein verkehrter Gebrauch unseres Verstandes sei, wenn wir (in Sachen, wobei wir an der Behauptung der Wahrheit ein Interesse haben) unsere Lehrsätze auf Prinzipien gründen, die uns irreführen können. Wir nehmen unsere Prinzipien aufs Geratewohl auf Treu und Glauben an, ohne sie jemals geprüft zu haben, und glauben dann an ein ganzes System auf die Vermutung hin, daß sie wahr und haltbar seien; was ist das alles aber anders als kindische sinnlose Leichtgläubigkeit, deren wir uns schämen sollten?

In diesen beiden Dingen, nämlich einer unparteiischen Gleichmütigkeit jeder Wahrheit gegenüber – ich meine ihre Aufnahme und die Liebe zu ihr als Wahrheit, dagegen keine Liebe aus andern Ursachen, bevor wir etwas als wahr erkennen – und in der Prüfung unserer Prinzipien, darin, daß wir keine dazu erheben und uns auf sie verlassen, bevor wir als vernünftige Wesen von ihrer Haltbarkeit, Wahrheit und Gewißheit vollkommen überzeugt sind, besteht die für ein solches Wesen notwendige Freiheit des Verstandes, ohne die er nicht wahrhaft Verstand ist. Er ist Einbildung, Phantasie, Überspanntheit und sonst alles mögliche eher als Verstand, wenn er genötigt sein soll, Meinungen um der Autorität von irgend etwas anderem willen anzunehmen und zu behaupten, als um ihrer eigenen nicht eingebildeten, sondern erkannten Evidenz willen. Das wird mit Recht als Betrug bezeichnet und ist unter allen übrigen die schlimmste und gefährlichste Art desselben. Denn wir betrügen uns selbst, was der stärkste Betrug unter allen anderen ist, und wir betrügen uns selbst an der Stelle, die mit der größten Sorgfalt von jeder Täuschung freigehalten werden sollte. Ich fürchte, hierin liegt der Grund zu großem Irrtum und noch schlimmeren Folgen. Gleichmütig ( indifferent) dagegen zu sein, welche von zwei Meinungen wahr sei, ist die richtige Stimmung des Geistes, die ihn davor schützt getäuscht zu werden, und dazu geneigt macht mit solcher Unparteilichkeit zu prüfen, bis er sein Bestes zur Auffindung der Wahrheit gethan hat, was der einzige gerade und sichere Weg zu ihr ist. Aber gleichgültig ( indifferent) dagegen zu sein, ob wir das Falsche oder das Wahre ergreifen, ist die große Heerstraße zum Irrtum. Dessen machen sich diejenigen schuldig, die nicht gleichmütig dagegen sind, welche Meinung wahr sei; sie setzen ohne Prüfung voraus, daß das wahr sei, was sie behaupten, und glauben dann, sie müßten sich dafür ereifern. Aus ihrer Wärme und Heftigkeit geht klar hervor, daß solche Leute nicht gleichmütig gegen ihre eigenen Meinungen sind, mir scheint aber, daß es ihnen sehr gleichgültig ist, ob diese wahr oder falsch seien, weil sie es nicht ertragen können, daß dagegen irgend welche Zweifel erhoben oder Einwürfe gemacht werden, und sie selbst augenscheinlich nie solche erhoben haben, also, da sie dieselben niemals geprüft haben, nicht wissen, ob sie wahr oder falsch seien, noch auch – was sie doch thun sollten – Wert darauf legen, dies zu wissen.

Dies sind die gewöhnlichen und allgemeinsten Weisen des Mißverhaltens, die, wie ich meine, die Menschen bei einer richtigen Leitung ihres Verstandes vermeiden oder abstellen sollten, und worauf man besonders bei der Erziehung acht geben müßte. Die Aufgabe bezüglich des Wissens ist dabei, wie ich meine, nicht, jemandem beim Erlernen aller oder irgend welcher Wissenschaften zur Vollkommenheit zu verhelfen, sondern seinem Geiste die Freiheit, die Beschaffenheit und solche Gewohnheiten zu geben, die ihn befähigen, sich in seinem künftigen Lebenslaufe jeden Teil des Wissens anzueignen, dem er sich zuwenden oder dessen er bedürfen möchte.

Dies und dies allein heißt eine gute Grundlage geben, nicht aber das Einflößen von Ehrfurcht und Verehrung für gewisse Dogmen unter dem schönklingenden Titel von Prinzipien, die oft von der solchen zukommenden Wahrheit und Evidenz soweit entfernt sind, daß sie als falsch und irrtümlich verworfen werden müßten, und häufig die so erzogenen Menschen, wenn sie in die Welt hinauskommen und finden, daß sie die so als verläßlich angenommenen Grundsätze nicht aufrecht erhalten können, dazu bestimmen, alle Prinzipien über Bord zu werfen und vollkommene um Wissen und Tugend unbekümmerte Skeptiker zu werden.

Der Verstand ist mit verschiedenen Schwächen und Fehlern behaftet, die, entweder aus dem natürlichen Temperament des Geistes oder aus üblen Angewohnheiten entsprungen, ihn daran hindern, im Wissen Fortschritte zu machen. Wenn der Geist gründlich studiert würde, ließen sich davon vielleicht ebensoviele auffinden, wie es körperliche Krankheiten giebt; jede derselben beschwert und lähmt den Verstand in gewissem Grade und verdient deshalb, daß man auf sie achte und ihr abhelfe. Ich werde einige davon namhaft machen, um namentlich solche Personen, die sich die Wissenschaft zum Beruf erwählt haben, dazu anzuregen, ihren Blick auf ihr Inneres zu richten und zu beobachten, ob sie nicht gewissen Schwächen nachgeben, gewisse Weisen des Mißverhaltens bei der Handhabung ihrer intellektuellen Fähigkeiten zulassen, woraus ihnen bei ihren Forschungen nach der Wahrheit Hindernisse erwachsen.

§ 13. Betrachtungen. – Einzelne Thatsachen bilden zweifellos die Grundlagen, worauf unsere Kenntnis der gesellschaftlichen und natürlichen Verhältnisse sich stützt; der Verstand macht sich dieselben in der Weise zu Nutzen, daß er aus ihnen Schlüsse zieht, die als dauernde Regeln der Erkenntnis und folglich auch des Handelns dienen können. Der Geist macht sich jedoch die aus den Berichten von Geschichtschreibern oder Naturforschern erhaltene Auskunft oft nicht in dem Maße zu Nutzen, wie er sollte, weil er zu vorschnell oder zu langsam dabei ist, über die einzelnen darin verzeichneten Thatsachen Betrachtungen anzustellen.

Es giebt Leute, die sehr andauernd fleißige Leser sind, ihre Einsicht aber dadurch nicht sonderlich vermehren. Sie freuen sich über die erzählten Geschichten und können sie vielleicht wieder erzählen, denn sie machen aus allem, was sie lesen, für sich selbst nur etwas Geschichtliches. Da sie aber nicht darüber nachdenken, nicht über das Gelesene für sich Betrachtungen anstellen, so werden sie durch den ganzen Haufen von Einzelheiten, die entweder durch ihren Verstand passieren oder darin verbleiben, wenig gefördert. Sie träumen fort in einem beständigen Zuge des Lesens und sich Vollstopfens; da sie aber nichts verdauen, so kommt dabei nichts heraus als ein Haufe von Kruditäten. Wenn ihr Gedächtnis stark und fest ist, so kann man sagen, sie besitzen das Material des Wissens, aber das ist ebenso wie Baumaterial nutzlos, wenn davon kein anderer Gebrauch gemacht wird, als es zusammengehäuft liegen zu lassen. Diesen gegenüber stehen andere, welche die Förderung, die sie aus Thatsachen gewinnen sollten, durch ein ganz entgegengesetztes Benehmen verlieren. Sie sind geneigt, aus jeder Einzelheit, die ihnen aufstößt, allgemeine Schlüsse zu ziehen und Axiome darauf zu bauen. Diese machen sich die Geschichte ebensowenig wahrhaft zu Nutzen wie die anderen, ja sie gereicht ihnen, weil sie von voreiligem und thatlustigem Charakter sind, mehr zum Schaden, da es schlimmere Folgen hat, sich von einer falschen Regel des Denkens leiten zu lassen, als gar keine zu haben, indem der Irrtum geschäftigen Menschen viel mehr Schaden zufügt als die Unwissenheit den langsamen und trägen. Inmitten dieser scheinen die am besten zu thun, die wichtige und nützliche Winke – mitunter von einzelnen Thatsachen – auffassen und sie im Sinne behalten, um ein Urteil darüber aus dem zu gewinnen, was sie zur Bestätigung oder Widerlegung ihrer unvollkommenen Beobachtungen in der Geschichte finden werden, die zu verläßlichen Regeln erhoben werden mögen, wenn sie durch eine genügende und behutsame Induktion aus Einzelheiten gerechtfertigt worden sind. Wer über das, was er liest, keine solche Reflexionen anstellt, belädt seinen Geist nur mit einem Schwall von Geschichten, womit sich andere an Winterabenden unterhalten lassen; und wer jede Thatsache zu einem Axiom erheben will, der wird im Überfluß Gelegenheit zu entgegengesetzten Beobachtungen finden, die nur dazu dienen können ihn verwirrt und bestürzt zu machen, wenn er sie vergleicht, oder ihn irre zu führen, wenn er sich der Autorität dessen hingiebt, was ihm wegen seiner Neuheit oder wegen irgend einer anderen Laune am besten gefällt.

§ 14. Neigungen. – Neben diese mögen wir diejenigen stellen, die ihrem eigenen natürlichen Temperament und den sie beherrschenden Leidenschaften einen Einfluß auf ihr Urteil gestatten, namentlich über Personen und Dinge, die in irgend welcher Beziehung zu ihren gegenwärtigen Umständen und Interessen stehen. Die Wahrheit ist völlig einfach, völlig rein und verträgt keine Beimischung von irgend etwas anderem. Sie ist starr und unbeugsam gegen alle und jede Nebeninteressen, und dasselbe sollte der Verstand sein, dessen Nutzen und Güte darin liegt, daß er sich ihr anpasse. Über jedes Ding geradeso zu urteilen, wie es an sich selbst beschaffen ist, das ist die eigentliche Aufgabe des Verstandes, wenn auch nicht das, wozu er von den Menschen immer gebraucht wird. Das geben alle Menschen, so wie sie davon hören, als den rechten Gebrauch zu, den jeder von seinem Verstande machen sollte. Niemand will dem gesunden Sinne so offen Trotz bieten, daß er behauptete, wir sollten nicht versuchen, die Dinge so zu erkennen und so über sie zu denken, wie sie an sich beschaffen sind; gleichwohl ist nichts gewöhnlicher, als daß das Gegenteil geschieht, und die Menschen sind geneigt sich selbst zu entschuldigen und zu glauben, daß sie Ursache dazu hätten, wenn sie nur vorschützen können, daß es um Gottes oder der guten Sache willen geschehe, d. h. thatsächlich für sie selbst, ihre eigne Denkart oder Partei, denn diese betiteln die verschiedenen Sekten der Menschen der Reihe nach, namentlich in Sachen der Religion, als Gott und die gute Sache. Allein Gott verlangt nicht, daß die Menschen um seinetwillen ihre Fähigkeiten verderben oder mißbrauchen, und anderen oder sich selber etwas vorlügen sollen, was diejenigen vorsätzlich thun, die nicht zugeben wollen, daß ihr Verstand richtige Begriffe von den ihnen vorkommenden Dingen gewinne, und sich selbst absichtlich daran hindern, wahre Gedanken über ein jedes Ding zu haben, soweit ihnen an dessen Untersuchung etwas gelegen ist. Und was die gute Sache anbelangt, so bedarf eine solche nicht so schlechter Hilfsmittel; ist sie gut, so wird die Wahrheit sie unterstützen, und sie hat Trug und Falschheit nicht nötig.

§ 15. Beweisgründe. – Hiemit sehr nahe verwandt ist die Jagd nach Beweisgründen zu Gunsten der einen Seite einer Frage, während die für die andere Seite sprechenden völlig vernachlässigt und zurückgewiesen werden. Was heißt das anders als den Verstand absichtlich irreleiten? Der Wahrheit wird dabei so wenig die gebührende Ehre erwiesen, daß sie vielmehr dadurch völlig herabgewürdigt wird. Darf man sich Meinungen aneignen, die für die Macht, den Vorteil oder das Ansehen eines jeden am zuträglichsten sind, und dann nach Beweisgründen zu ihrer Unterstützung suchen? Eine Wahrheit, worauf man bei diesem Verfahren trifft, nützt uns nicht mehr als der Irrtum, denn, was wir so aufgreifen, kann ebensogut falsch wie wahr sein, und wer so auf seinem Wege zur Bevorzugung der einen oder der anderen Ansicht; – in his way to preferment. zufällig auf die Wahrheit stößt, hat seine Schuldigkeit nicht gethan.

Es giebt noch einen anderen und immerhin unschuldigeren Weg Beweisgründe zu sammeln, der unter Büchergelehrten sehr gewöhnlich ist und darin besteht, daß sie sich die Argumente aneignen, die ihnen für und wider die von ihnen studierten Fragen begegnen. Das verhilft ihnen nicht zu einem richtigen Urteil und einer bündigen Beweisführung, sondern nur zu ausführlichen Reden für beide Seiten, ohne daß sie selbst eine feste und beständige Ansicht hätten; denn solche aus den Gedanken anderer Leute aufgelesenen Argumente, die nur im Gedächtnis schweben, stehen hier freilich zur Verfügung, um wortreiche Reden mit einem gewissen Anschein von Vernunftmäßigkeit zu liefern, sind jedoch weit davon entfernt, uns zu einem richtigen Urteil zu verhelfen. Solche Mannigfaltigkeit von Beweisgründen zerstreut nur den Verstand, der sich auf sie verläßt, wenn er nicht über solch eine oberflächliche Prüfungsweise hinausgegangen ist; dies heißt, die Wahrheit mit dem Schein vertauschen bloß um unserer Eitelkeit zu schmeicheln. Der sichere und einzige Weg, wahre Erkenntnis zu erlangen, ist, in unserm Geiste klare, feststehende Begriffe von Dingen auszubilden und mit diesen bestimmten Ideen Namen zu verbinden. Diese müssen wir dann mit ihren verschiedenen Beziehungen und Verhältnissen betrachten, und uns nicht mit schwankenden Namen und Wörtern von unbestimmter Bedeutung belustigen, die wir in verschiedenem Sinne, wie es uns gerade paßt, gebrauchen können. In der Wahrnehmung der Verhältnisse und Beziehungen, die unsere Ideen zu einander haben, besteht das sachliche Wissen, und wenn jemand einmal erkannt hat, inwiefern sie miteinander übereinstimmen oder nicht übereinstimmen, so wird er imstande sein, die Äußerungen anderer Leute zu beurteilen, und wird nicht nötig haben, sich durch die Argumente anderer leiten zu lassen, die zum großen Teile nichts als plausible Sophismen sind. Das wird ihn lehren, die Frage richtig zu stellen und deren Angelpunkt aufzufinden, und damit wird er auf seinen eignen Beinen stehen und mit seinem eigenen Verstande erkennen. Wohingegen er, wenn er Argumente sammelt und auswendig lernt, nur ein Kleinhändler mit fremder Ware sein wird, und sobald jemand die Grundlagen, worauf sie gebaut sind, in Frage stellt, lahm gelegt und genötigt sein wird, seinen blinden Glauben aufzugeben.

§ 16. Eilfertigkeit. – Arbeit um der Arbeit willen ist gegen die Natur. Wie alle anderen Fähigkeiten wählt auch der Verstand immer den kürzesten Weg zu seinem Ziele, er möchte sofort die Erkenntnis gewinnen, wonach er strebt, und sich dann einer neuen Untersuchung zuwenden. Mag dies aber Trägheit oder Eilfertigkeit sein, jedenfalls leitet es oft den Verstand irre und bestimmt ihn, sich mit ungeeigneten Untersuchungsweisen zu begnügen, die nicht zum Ziele führen; zuweilen verläßt er sich auf Zeugnisse, wo solche von Rechts wegen nicht hingehören, weil es leichter ist zu glauben als sich wissenschaftlich zu unterrichten; zuweilen begnügt er sich mit einem Argument und läßt sich von dem überzeugen, als wenn es eine Demonstration wäre, obwohl die der Prüfung unterzogene Frage keine Demonstration zuläßt, vielmehr nach Wahrscheinlichkeitsgründen beurteilt werden muß, und alle wesentlichen Argumente für und wider geprüft und gegeneinander aufgewogen werden müssen. In manchen Fällen läßt sich der Geist durch wahrscheinliche Gemeinplätze bei Untersuchungen bestimmen, wo eine Demonstration möglich ist. Alle diese Verhaltungsweisen und verschiedene andere, wozu die Menschen aus Trägheit, Ungeduld, Gewohnheit, sowie Mangel an Übung und Aufmerksamkeit gelangen, sind falsche Anwendungen des Verstandes bei dem Forschen nach Wahrheit. Bei jeder Frage sollte die Natur und der Charakter des Beweises, den sie gestattet, erwogen werden, damit unsere Untersuchung die Gestalt gewinne, die sie annehmen sollte. Dies würde einen großen Teil der oft falsch aufgewandten Mühe ersparen, und uns schneller zur Entdeckung und zum Besitz der Wahrheit führen, deren wir fähig sind. Die Mannigfaltigkeit der Argumente, namentlich der gehaltlosen, wozu alle bloß verbalen gehören, zu vermehren, ist nicht nur verlorene Mühe, sondern eine zwecklose Belastung des Gedächtnisses und dient nur dazu, dieses an der Auffassung und dem Festhalten der Wahrheit in allen der Demonstration zugänglichen Fällen zu hindern. Bei dieser Art des Beweises werden die Wahrheit und Gewißheit erblickt und vom Geiste vollständig in Besitz genommen, während er bei der anderen Art, des Beifalls, nur um sie herumgeht und mit Ungewißheiten unterhalten wird. Freilich ist bei dieser oberflächlichen Weise der Geist zu größerer Mannigfaltigkeit von plausiblem Hin- und Herreden befähigt, aber er kommt nicht, wie er sollte, in seinem Wissen weiter. Eben dieser Eilfertigkeit und Ungeduld des Geistes ist es auch zu verdanken, wenn die Argumente nicht bis zu ihren wahren Grundlagen verfolgt werden. Die Menschen sehen ein wenig, vermuten viel mehr und kommen so mit einem Sprunge zum Schlusse. Dies ist ein kurzer Weg zu Phantasien und Einbildungen und (wenn er konsequent verfolgt wird) zur Rechthaberei, aber sicherlich der weiteste Umweg zur Erkenntnis. Denn wer diese gewinnen will, muß mit Hilfe des Zusammenhanges der Beweismittel die Wahrheit und den Boden, worauf sie steht, erblicken; und wenn er deshalb aus Eilfertigkeit übersprungen hat, was er hätte prüfen sollen, so muß er wieder von vorne anfangen und alles nochmals durchgehen, sonst wird er niemals zur Erkenntnis gelangen.

§ 17. Flatterhaftigkeit. – Ein anderer von ebenso schlimmen Folgen begleiteter Fehler, der auch aus Trägheit mit einer Beimischung von Eitelkeit entspringt, ist das Hinüberspringen von einer Art des Wissens zu einer anderen. Das Temperament mancher Leute läßt sie bald einer und derselben Sache müde werden, Beharrlichkeit und Ausdauer können sie nicht ertragen. Ein und dasselbe Studium lange fortzusetzen, ist für sie ebenso unleidlich wie für eine Hofdame, lange in derselben Kleidung oder nach derselben Mode zu erscheinen.

§ 18. Oberflächlichkeit. – Andere erwerben sich, um als von allem unterrichtet zu erscheinen, von jedem Dinge ein wenig oberflächliche Kenntnis. Diese mögen beide ihren Kopf mit flüchtigen Gedanken über die Dinge anfüllen, sind aber sehr weit davon entfernt, zur Wahrheit oder zum Wissen zu gelangen.

§ 19. Universalität. – Ich rede hier nicht dagegen, daß man von jeder Art des Wissens ein wenig kosten solle; das ist zur Geistesbildung gewiß sehr nützlich und notwendig, aber es muß dann in anderer Weise und zu einem anderen Zwecke geschehen. Nicht aus Eitelkeit um des Redens halber den Kopf mit Schnitzel aller Art anzufüllen, damit der Besitzer solches Trödels imstande sein möge, allen Begegnenden im Disputieren die Stange zu halten, als wenn ihm nichts zur Unpaß kommen könne, und sein Kopf ein so wohl versorgtes Magazin wäre, daß sich nichts aufs Tapet bringen ließe, dessen er nicht Meister sei, und wofür er nicht das Material zur Hand habe, um jedermann darüber zu unterhalten. Es ist allerdings ein Vorzug und noch dazu ein großer, von allen oder den meisten Objekten der Betrachtung eine sachliche und wahre Kenntnis zu besitzen. Allein das ist etwas, wozu der Geist eines und desselben Menschen schwerlich gelangen kann, und es giebt so wenig Beispiele von Personen, die sich dem einigermaßen angenähert haben, daß ich nicht weiß, ob sie sich für die gewöhnliche Leitung des Verstandes als Vorbilder aufstellen lassen. Die Ausübung seines eigentümlichen Berufes in dem Gemeinwesen und der Religion, die sein Beruf als Mensch in dieser Welt ist, reicht gewöhnlich hin, um seine ganze Zeit in Anspruch zu nehmen, und es giebt wenige, die sich in diesem eigentlichen und besonderen Geschäft jedes Menschen so gründlich unterrichten, wie sie thun sollten. Obgleich sich dies aber so verhält, und es nur sehr wenige Menschen giebt, die ihren Gedankenkreis bis zu einem universellen Wissen auszudehnen suchen, so bezweifle ich doch nicht, daß, wenn der rechte Weg eingeschlagen und die Forschungsmethoden, so wie sie sollten, angeordnet würden, Menschen, die wenig Geschäfte und viel freie Zeit haben, darin um einen guten Teil weiter vorwärts kommen könnten, als gewöhnlich der Fall ist. Um auf unser Thema zurückzukommen, so bestehen der Zweck und Nutzen eines geringen Einblicks in diejenigen Wissensgebiete, die nicht zu dem eigentlichen Berufe eines Menschen gehören, darin, unsern Geist an alle Arten von Ideen und die zur Prüfung ihrer Verhältnisse und Beziehungen geeigneten Wege zu gewöhnen. Dies giebt dem Geiste Freiheit, und die Übung des Verstandes in den verschiedenen Weisen der Untersuchung und Begründung, deren sich die Befähigtsten bedient haben, lehrt dem Geiste Scharfsinn und Vorsicht und eine Geschmeidigkeit, um sich bei allen seinen Untersuchungen den Biegungen und Wendungen des Gegenstandes enger und gewandter anzuschließen. Außerdem wird dieses allgemeine und gleichmütige Kosten aller Wissenschaften, bevor der Geist von irgend einer speciell in Beschlag genommen ist, und sich in Liebe und Bewunderung für die, welche sein Schoßkind geworden, hineingelebt hat, einem anderen Übel vorbeugen, das sich sehr häufig bei denen beobachten läßt, die von Anfang an nur bei einem Teile des Wissens groß geworden sind. Wenn jemand sich der Betrachtung einer Art des Wissens ganz hingiebt, dann wird diese für ihn sein Alles werden. Sein Geist wird von der Vertrautheit mit diesem Gegenstande eine solche Färbung annehmen, daß alles übrige, wie fern es auch liegen mag, unter denselben Gesichtspunkt gestellt werden wird. Ein Metaphysiker wird den Ackerbau und die Gärtnerei unmittelbar auf abstrakte Begriffe bringen, die Naturgeschichte wird für ihn keine Bedeutung haben. Ein Alchimist dagegen wird die Gottesgelehrtheit auf die Grundsätze seines Laboratoriums zurückführen, die Moralität aus Salz, Schwefel und Quecksilber erklären, und die Bibel selbst, sowie deren heilige Mysterien zum Stein der Weisen allegorisieren. Und ich habe einmal gehört, wie jemand, der ein mehr als gewöhnliches Talent für Musik besaß, die sieben Tage der ersten Woche nach Moses den Noten der Musik anpaßte, als ob der Maßstab und die Methode der Schöpfung von diesen entnommen wären. Es ist von nicht geringer Bedeutung, den Geist von einer solchen Befangenheit frei zu halten, was meiner Meinung nach am besten dadurch geschieht, daß ihm ein offener und gleichmäßiger Überblick der ganzen intellektuellen Welt gegeben wird, worin er die Ordnung, Abstufung und Schönheit des Ganzen erkennen und den voneinander gesonderten Provinzen der verschiedenen Wissenschaften nach der richtigen Stelle und dem Nutzen einer jeden, was ihnen gebührt, einräumen möge.

Wenn dies etwas ist, was alte Leute nicht für nötig halten, und wozu sie nicht leicht zu bringen sind, so eignet es sich wenigstens dazu, bei der Erziehung der Jugend ins Werk gesetzt zu werden. Wie ich schon bemerkt habe, besteht die Aufgabe der Erziehung meiner Meinung nach nicht darin, die jungen Leute in irgend einer der Wissenschaften vollkommen auszubilden, sondern darin, ihren Geist so zu erschließen und vorzubereiten, wie sie am besten die Fähigkeit für eine jede erhalten, worauf sie sich legen möchten. Wenn Menschen lange Zeit hindurch sich nur an eine Art oder Methode des Denkens gewöhnt haben, so wird ihr Geist hierin steif und wendet sich nicht leicht einer anderen zu. Ich meine deshalb, um ihnen diese Freiheit zu gewähren, sollten sie veranlaßt werden, in alle Arten des Wissens einen Blick zu werfen, und ihren Verstand auf einem so weiten und mannigfachen Felde des Wissens zu üben. Ich schlage dies jedoch nicht vor, um der Mannigfaltigkeit und Menge von Kenntnissen willen, sondern wegen der Mannigfaltigkeit und Freiheit des Denkens, als einen Zuwachs an Kraft und Gewandtheit des Geistes nicht als eine Vermehrung seines Besitztums.

§ 20. Das Lesen. – Dies ist, glaube ich, etwas, wobei eifrige Leser leicht in Irrtum verfallen. Man meint, daß die, welche über alles etwas gelesen haben, auch alles verstehen; das ist jedoch nicht immer der Fall. Das Lesen versieht den Geist nur mit Material für das Wissen, erst das Denken macht das Gelesene zu unserm Eigentum. Wir gehören zu den Wiederkäuern und es genügt nicht, daß wir uns mit einer großen Ladung von Sammelgütern anfüllen; wenn wir diese nicht von neuem durchkauen, werden sie uns keine Kraft und Nahrung geben. Man findet allerdings bei einigen Schriftstellern augenscheinliche Beispiele von tiefen Gedanken, genauen und scharfen Folgerungen und wohl entwickelten Ideen. Das von diesen dargebotene Licht würde von großem Nutzen sein, wenn ihr Leser sie beachten und nachahmen wollte; alles übrige sind bestenfalls nur Einzelheiten, die sich in ein Wissen umwandeln lassen, dies kann jedoch nur durch unser eigenes Nachdenken geschehen, indem wir den Bereich, die Kraft und den Zusammenhang des Gesagten prüfen; und soweit wir dann die Verknüpfung der Ideen begreifen und einsehen, ebensoweit gehört sie uns an, ohnedem ist sie nur so viel loser in unserem Gehirn schwebender Stoff. Das Gedächtnis mag angefüllt werden, aber das Urteil gewinnt wenig und der Schatz unseres Wissens vermehrt sich nicht dadurch, daß wir imstande sind, das von andern Gesagte zu wiederholen oder die bei ihnen aufgefundenen Argumente vorzutragen. Solch ein Wissen wie dieses ist nur ein Wissen von Hörensagen, und seine zur Schau Stellung ist bestenfalls ein Reden aus dem Gedächtnis und sehr häufig auf schwache und verkehrte Grundsätze hin. Denn nicht alles, was man in Büchern findet, ist auf echten Grundlagen gebaut, noch auch immer aus den Prinzipien, worauf es angeblich beruht, richtig abgeleitet. Solch eine Prüfung anzustellen, wie dazu gehört, um dies zu entdecken, ist nicht jedes Lesers Geist bereit, besonders bei denen, die sich einer Partei angeschlossen haben und nur danach jagen, alles zusammen zu scharren, was deren Lehrsätze fördern und unterstützen kann. Solche Menschen verschließen sich absichtlich gegen die Wahrheit und gegen jeden wahren Vorteil, der sich aus dem Lesen ziehen ließe. Anderen von größerer Unparteilichkeit fehlt es oft an Aufmerksamkeit und Fleiß. Der Geist ist innerlich abgeneigt, sich die Mühe zu machen, jedes Argument bis zu seinem Ursprunge zu verfolgen, um zu sehen, auf welcher Unterlage es ruht und wie fest; gleichwohl liegt es hieran, wenn einer aus dem Lesen einen weit größeren Gewinn zieht als der andere. Der Geist sollte durch strenge Regeln zu diesem zuerst unliebsamen Versuch herangezogen werden; Übung und Ausdauer werden ihm Fertigkeit darin geben, so daß die daran Gewöhnten, indem sie gleichsam nur einmal die Augen darauf werfen, von einem Argument schnell einen Überblick gewinnen und in den meisten Fällen sofort sehen, worauf es sich gründet. Die, welche hiezu befähigt geworden, haben – wie man wohl sagen darf – den wahren Schlüssel der Bücher und den Leitfaden gewonnen, der sie durch das Labyrinth der Mannigfaltigkeit von Meinungen und Schriftstellern zur Wahrheit und Gewißheit hinführen wird. Hiezu sollten junge Anfänger angeleitet und ihnen dessen Gebrauch gezeigt werden, damit sie aus ihrem Lesen Nutzen ziehen.

Diejenigen, denen ein solches Verfahren fremd ist, werden geneigt sein, darin ein zu großes Hemmnis auf dem Wege menschlicher Studien zu erblicken, und sie werden besorgen, daß sie nur wenig vorwärts kommen würden, wenn sie beim Lesen der Bücher vor jedem Argument Halt machen sollten, um es zu prüfen und zu entwirren und ihm Schritt vor Schritt bis zu seinem Ursprung nachzugehen. Darauf erwidere ich: das ist ein guter Einwurf, der für alle ins Gewicht fallen muß, deren Lesen auf vieles Reden und wenig Wissen abzweckt, und insofern habe ich nichts dagegen einzuwenden. Der Gegenstand meiner Untersuchung aber ist die Leitung des Verstandes auf seinem Wege zur Erkenntnis, und denen, welche dieses Ziel im Auge haben, darf ich sagen, daß der, welcher redlich und langsam auf einem Kurs in der rechten Richtung beständig vorwärts geht, früher an das Ziel seiner Reise gelangen wird als jemand, der hinter jedem ihm Begegnenden herläuft, wenn er auch den ganzen Tag lang in voller Eile galoppiert. Dem möchte ich noch hinzufügen, daß diese Weise, über das Gelesene nachzudenken und Nutzen daraus zu ziehen, nur anfangs für jemand eine Last und ein Hindernis sein wird; wenn sie uns durch Gewohnheit und Übung vertraut geworden ist, wird sie bei den meisten Gelegenheiten im Laufe unserer Lektüre ohne Stillstand oder Unterbrechung abgemacht werden. Die Bewegungen und Blicke eines in dieser Weise geübten Geistes sind wunderbar schnell, und jemand, der an eine solche Art von Reflexionen gewöhnt ist, sieht auf einen Blick so viel, daß eine lange Auseinandersetzung nötig sein würde, um dasselbe einem anderen vorzutragen und in einer vollständigen und stufenweisen Deduktion zu beweisen. Überdies ermutigen und beleben, wenn die ersten Schwierigkeiten überwunden sind, die Freude und der fühlbare Gewinn, den sie mit sich bringt, den Geist in hohem Maße zur Lektüre, die ohnedem nur sehr uneigentlich Studium genannt werden kann.

§ 21. Vermittelnde Grundsätze. – Als ein Hilfsmittel hiebei ließe sich, denke ich, der Vorschlag machen, daß der Geist, um den Gedanken den langen Weg bis zu den entfernten und obersten Prinzipien in jedem Falle zu ersparen, sich mit verschiedenen Stationen versehen sollte, das will sagen mit vermittelnden Grundsätzen, worauf er bei der Prüfung solcher Sätze, die ihm in den Weg kommen, zurückgreifen könnte. Wenn diese auch keine von selbst einleuchtende Prinzipien sind, so kann man sich doch, falls sie aus solchen durch eine vorsichtige und unanfechtbare Deduktion abgeleitet sind, auf sie wie auf sichere und unfehlbare Wahrheiten stützen, um andere von ihnen abhängige Punkte durch einen näheren und kürzeren Rückblick als bis auf entfernte und allgemeine Maximen zu beweisen. Sie können als Grenzsteine dienen, um zu zeigen, was auf dem direkten Wege zur Wahrheit liegt, oder ganz abseits davon. So verhalten es auch die Mathematiker, die nicht bei jedem neuen Problem durch die ganze lange Reihe vermittelnder Sätze auf die ersten Axiome zurückgehen. Gewisse Theoreme, die sie auf Grund einer sicheren Demonstration für sich festgestellt haben, dienen ihnen zum Beweise einer Menge von Sätzen, die auf jenen beruhen und aus ihnen ebenso sicher abgeleitet werden, wie wenn der Geist von neuem jedes Glied der ganzen Kette in Betracht zöge, die sie mit obersten von selbst einleuchtenden Prinzipien verbindet. Nur müßte man in anderen Wissenschaften mit großer Sorgfalt darauf bedacht sein, diese vermittelnden Grundsätze mit ebenso vieler Vorsicht, Genauigkeit und Unbefangenheit aufzustellen, wie die Mathematiker bei der Aufstellung eines jeden ihrer großen Theoreme anwenden. Wenn dies nicht geschieht, sondern die Menschen in dieser oder jener Wissenschaft Prinzipien aus guten Glauben, Zuneigung, Interesse etc. hin eilig ohne gehörige Prüfung und ganz unzweifelhafte Beweise annehmen, so legen sie sich selber eine Falle und lassen, so viel an ihnen liegt, ihren Verstand von Mißverständnis, Falschheit und Irrtum gefangen nehmen.

§ 22. Parteilichkeit. – Wie es für Meinungen eine Parteilichkeit giebt, die – wie wir schon oben bemerkt haben – den Verstand leicht irre führt, so findet sich oft auch eine Parteilichkeit für Studien, die für die Erkenntnis und den Fortschritt gleichfalls nachteilig ist. Diejenigen Wissenschaften, worin die Menschen vorzugsweise bewandert sind, sind sie geneigt zu schätzen und zu erheben, als ob der Teil des Wissens, womit jeder sich bekannt gemacht hat, allein des Besitzens wert wäre, alle übrigen dagegen müßige und leere Zeitvertreibe und vergleichsweise ohne Nutzen oder Bedeutung. Dies ist eine Folge der Unwissenheit und nicht des Wissens, eitle Aufgeblasenheit durch einen aus schwacher und beschränkter Fassungskraft entstandenen Hochmut. Es ist ganz in der Ordnung, daß jeder an der Wissenschaft Geschmack finde, die er speciell zum Gegenstande seines Studiums gemacht hat; ein Auge für deren Schönheiten und ein Sinn für ihre Nützlichkeit bringen ihn mit um so mehr Freude und Wärme in der Verfolgung und Förderung derselben weiter. Aber die Verachtung alles anderen Wissens, als ob es im Vergleich mit der Rechtskunde oder der Medizin, der Astronomie oder der Chemie – oder vielleicht einem noch niedriger stehenden Teile des Wissens, wovon man selbst eine oberflächliche Kenntnis erworben, oder worin man einige Fortschritte gemacht hat – nichts wäre, ist nicht bloß das Merkmal eines eitlen oder beschränkten Geistes, sondern bringt bei der Leitung des Verstandes den Nachteil zuwege, daß sie diesen in enge Schranken einschließt und ihn hindert, darüber hinaus einen Einblick in andere Provinzen der intellektuellen Welt zu gewinnen, die vielleicht schöner und fruchtbarer sind als die bisher von ihm bearbeiteten, und worin er außerdem neue Kenntnisse, Methoden oder Fingerzeige finden könnte, die ihn zur besseren Kultivierung seiner eigenen befähigten.

§ 23. Theologie. – Es giebt allerdings eine Wissenschaft (nach der heutzutage üblichen Unterscheidung derselben), die unvergleichlich hoch über allen anderen steht, wo sie nicht durch Korruption zu einem Gewerbe oder zur Parteisache für gemeine oder schlechte Zwecke und weltliche Interessen gemacht worden ist; ich meine die Theologie, die, da sie das Wissen von Gott und dessen Geschöpfen, von unserer Pflicht gegen ihn und unsere Mitgeschöpfe und die Betrachtung unseres gegenwärtigen und künftigen Zustandes zum Inhalte hat, die auf sein wahres Ziel – d. h. die Verehrung und Anbetung des Schöpfers und das Glück der Menschheit – gerichtete Zusammenfassung alles anderen Wissens ist. Dies ist jenes edle Studium, was eine Pflicht für jeden Menschen ausmacht, und wozu jeder, dem der Name eines vernünftigen Wesens zukommt, befähigt ist. Die Werke der Natur und die Worte der Offenbarung entfalten es vor den Menschen in so großen und sichtbaren Schriftzügen, daß alle nicht völlig blinden darin die ersten Prinzipien und die notwendigsten Teile desselben lesen und wahrnehmen und, je nachdem sie Zeit und Eifer haben, imstande sein mögen, von diesen aus zu den verborgeneren Teilen fortzuschreiten und in die mit den Schätzen der Weisheit und Erkenntnis erfüllten unendlichen Tiefen einzudringen. Dies ist jene Wissenschaft, die den Geist der Menschen in Wahrheit erweitern würde, wenn sie überall mit eben der Freiheit, Wahrheits- und Nächstenliebe, die sie lehrt, studiert würde oder werden dürste, und nicht ihrer Natur zuwider zur Veranlassung von Streit, Parteisucht, Übelwollen und engherziger Bedrückung ( narrow impositions) gemacht würde. Hierüber werde ich an dieser Stelle nicht mehr sagen, als daß es zweifellos ein verkehrter Gebrauch meines Verstandes ist, wenn ich ihn zur Richtschnur und zum Maße für den eines andern Menschen mache, eine Verwendung, wozu er weder geeignet ist noch überhaupt dienen kann.

§ 24. Parteilichkeit. – Wo diese Parteilichkeit Der Gedankengang knüpft hier wieder an den Schluß des § 22 an, während der § 23 eine Parenthese bildet. nicht die Höhe erreicht, daß sie alle übrigen Studien als unbedeutend oder verächtlich erscheinen läßt, da wird ihr doch häufig insoweit nachgegeben, daß man sich in anderen Wissensgebieten, wo sie Der Ausdruck ist nachlässig, denn hier und im folgenden ist nicht die Parteilichkeit gemeint, sondern der Wissenszweig, für den jemand Parteilichkeit hegt. gar nicht hingehört, und womit sie in keiner Weise verwandt ist, auf sie verläßt und von ihr Gebrauch macht. Manche Leute haben ihren Kopf so an mathematische Figuren gewöhnt, daß sie wegen des Vorzugs, den sie den Methoden dieser Wissenschaft einräumen, bei ihrem Studium der Gottesgelehrtheit oder politischen Untersuchungen Linien und Zeichnungen anwenden, als ob sich ohne solche nichts erkennen lasse; und manche, die an übersinnliche ( retired) Spekulationen gewöhnt sind, lassen sich die Naturwissenschaften in metaphysische Begriffe und die abstrakten Allgemeinheiten der Logik verlaufen; und wie oft findet man nicht, daß von der Religion und Moral in Ausdrücken des Laboratoriums gehandelt wird und die Meinung obwaltet, daß sie durch die Methoden und Begriffe der Chemie gefördert werden könnten. Wer aber für die Leitung seines Verstandes Sorge tragen und ihn richtig auf die Erkenntnis der Dinge hinlenken will, der muß solche ungehörige Mischungen vermeiden und nicht aus Eingenommenheit für das, was er in einer Wissenschaft nützlich und notwendig gefunden hat, es in eine andere hinübertragen, wo es nur dazu dient, den Verstand in Verwirrung und Verlegenheit zu setzen. Res nolunt male administrari, ist eine ausgemachte Wahrheit, aber nicht weniger gewiß ist es, daß res nolunt male intelligi. Man muß die Dinge so betrachten, wie sie an sich selbst beschaffen sind, dann werden sie uns zeigen, in welcher Weise sie sich verstehen lassen. Um richtige Vorstellungen von ihnen zu gewinnen, müssen wir unser Verständnis der unbeugsamen Natur und den unveränderlichen Beziehungen der Dinge anpassen und nicht versuchen, sie auf irgend welche vorgefaßte Begriffe in unserem Besitze zurückzuführen.

Eine andere bei Gelehrten sehr häufig bemerkbare Parteilichkeit, die nicht weniger nachteilig oder lächerlich als die bisher erwähnten ist, besteht darin, daß alles Wissen launenhafter und seltsamerweise ausschließlich den Alten oder den Modernen zugeschrieben wird. Dieses Vernarrtsein in das Altertum auf dem Gebiete der Dichtkunst hat Horaz in einer seiner Satiren Epist. II, 1, 34, hqq. witzig beschrieben und lächerlich gemacht. Dieselbe Art von Tollheit läßt sich mit Bezug auf alle übrigen Wissenschaften antreffen. Manche wollen keiner Ansicht Raum geben, die nicht von Männern des Altertums – die damals alle Riesen an Wissen waren – autorisiert worden. In der Schatzkammer der Wahrheit oder des Wissens darf nichts Platz finden, was nicht den Stempel Griechenlands oder Roms an sich trägt, und es wird kaum zugegeben, daß seit den Tagen dieser die Menschen imstande gewesen sind sehen, denken oder schreiben. Andere verachten mit gleicher Übertreibung alles, was die Alten uns hinterlassen haben, und werfen von den modernen Erfindungen und Entdeckungen eingenommen alles Frühere beiseite; als ob alles, was alt heißt, sich vom Zahn der Zeit angegriffen zeige und auch die Wahrheit dem Vermodern und Verrotten ausgesetzt sei. Die natürliche Begabung der Menschen ist, denke ich, zu allen Zeiten so ziemlich dieselbe gewesen. Sitte, Unterricht und Erziehung haben erhebliche Unterschiede zwischen den Zeitaltern mancher Länder begründet und bewirkt, daß eine Generation von der anderen in den Künsten und Wissenschaften weit abstand; allein die Wahrheit ist stets dieselbe, die Zeit verändert sie nicht, und es macht sie weder besser noch schlechter, wenn sie schon aus alter oder erst aus neuerer Zeit überliefert ist. Viele haben sich durch deren Entdeckung und Vortrag in früheren Zeitaltern der Welt ausgezeichnet; wenn aber auch das uns von ihnen hinterlassene Wissen unseres Studiums wert ist, so haben sie doch dessen Schatzkammer nicht ganz erschöpft, sie haben einen großen Teil für den Fleiß und den Scharfsinn der Folgezeit übrig gelassen, und dasselbe werden wir thun. Einstmals war das für sie etwas Neues, was gegenwärtig jeder wegen seines Alters mit Ehrerbietung aufnimmt, ohne daß es schlechter gewesen wäre, weil es als neu erschien; und das, wonach man jetzt wegen seiner Neuheit greift, wird für die Nachwelt alt sein, deshalb aber nicht weniger wahr oder weniger echt. Es liegt kein Grund vor, deswegen die Alten und die Modernen einander entgegen zu setzen, oder wählerisch für diese oder jene Seite zu sein. Wer seinen Verstand weislich zur Verfolgung des Wissens anleitet, wird so viel Licht und Beistand wie möglich von jeder derselben zu gewinnen suchen, wo sie am besten zu bekommen sind, ohne die Irrtümer zu verehren oder die Wahrheiten zu verwerfen, die er ihnen beigemischt finden mag.

Eine andere Parteilichkeit läßt sich bei einigen für vulgäre, bei anderen für heterodoxe Lehrsätze wahrnehmen; einige sind zu dem Schlusse geneigt, daß, was die gemeine Meinung ausmache, notwendig wahr sein müsse – so vieler Leute Augen, denken sie, können nicht anders als das Rechte sehen, so vieler Menschen Verstand von jeder Art kann sich nicht täuschen; deshalb wollen sie es nicht wagen, über die allgemein gültigen Begriffe des Ortes und der Zeit hinauszublicken und den anmaßlichen Gedanken zu fassen, daß sie weiser seien als ihre Nachbarn. Sie sind zufrieden mit dem großen Haufen zu gehen; so geht es sich bequem, und das, meinen sie, sei so gut wie auf dem rechten Wege gehen, oder wenigstens leistet es ihnen denselben Dienst. Obgleich aber vox populi vox Dei das Ansehen einer Maxime erhalten hat, so ist mir doch nicht bekannt, daß Gott irgendwo seine Orakel durch die Menge offenbart hätte, oder die Natur Wahrheiten vermittelst der Herde. Andererseits verwerfen einige alle gemeingültigen Ansichten als falsch oder gehaltlos. Für sie ist der Titel des vielköpfigen Tieres ein ausreichender Grund zu dem Schlusse, daß dort keine gewichtigen oder folgenreichen Wahrheiten zu finden seien. Vulgäre Meinungen passen für die Fassungskraft der Menge und entsprechen den Endzwecken der Herrschenden. Wer die Wahrheit der Dinge erkennen will, muß den gemeinen und ausgetretenen Pfad verlassen, den beständig entlang zu traben nur schwachen und sklavischen Geistern zur Befriedigung gereicht. Solchen feinen Gaumen schmeckt nichts als seltsame, ganz abseits liegende Gedanken; alles allgemein Anerkannte hat das Zeichen des Tierischen an sich, und sie sehen für sich eine Herabwürdigung darin, wenn sie danach hinhören oder es annehmen wollten. Ihr Geist ist nur hinter Paradoxen her, diese suchen sie, diese ergreifen sie, diese allein haben sie zu Kauf und unterscheiden sich, wie sie meinen, so von dem Pöbel. Aber die Gemeingültigkeit oder ihr Gegenteil sind nicht die Merkmale, um Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden, und sollten deshalb bei unseren Untersuchungen nicht irgendwie für uns ins Gewicht fallen. Wir sollten nicht nach den Meinungen der Leute über die Dinge urteilen, sondern über die Meinungen nach den Dingen. Die Menge ist nur schwach im folgerichtigen Denken, sie fordert deshalb den Argwohn heraus und verdient kein Vertrauen, und man kann ihr nicht als einem sicheren Führer folgen; aber Philosophen, die sich von der Orthodoxie der Gesellschaft und den volkstümlichen Lehren ihrer Heimat abgewendet hatten, sind in ebenso ausschweifende und ungereimte Ansichten verfallen, wie nur jemals bei der allgemeinen Volksstimme Unterstützung gefunden haben. Es wäre Wahnsinn, wenn jemand die allen gemeinsame Luft nicht einatmen oder seinen Durst nicht mit Wasser löschen wollte, weil der große Haufe sie dazu gebrauche, und wenn es Bequemlichkeiten des Lebens giebt, worauf der gemeine Gebrauch sich nicht erstreckt, so liegt kein Grund zu ihrer Verwerfung darin, daß sie kein Teil der allgemeinen Landessitte geworden sind und nicht jeder Dorfbewohner sie kennt.

Die Wahrheit, gleichviel, ob in der Mode oder nicht, ist das Maß der Erkenntnis und die Angelegenheit des Verstandes; alles, was abseits von ihr liegt, wie sehr auch der allgemeine Beifall ihm Ansehen verleihen oder die Seltenheit es empfehlen mag, ist nichts als Unwissenheit oder etwas noch Schlimmeres.

Noch eine andere Art der Parteilichkeit giebt es, wodurch die Menschen sich selbst täuschen und ihre Lektüre selbst für sich wenig nutzbringend machen; ich meine, wenn sie sich der Ansichten von Schriftstellern überall da bedienen und aus ihre Autorität Gewicht legen, wo sie finden, daß dieselben ihre eigene Meinung begünstigen.

Fast nichts hat denen, die sich den Wissenschaften widmeten, mehr geschadet, als wenn sie das Lesen als Studium bezeichneten und den Mann von großer Belesenheit mit dem von umfassendem Wissen identifizierten oder wenigstens darin einen Ehrentitel erblickten. Alles, was schriftlich aufgezeichnet werden kann, besteht nur entweder in Thatsachen oder in Vernunfterkenntnissen. Thatsachen giebt es dreierlei: 1. Bloß aus natürlichen Ursachen, die sich in den gewöhnlichen Wirkungen der Körper aufeinander beobachten lassen, sei es nun in dem sichtbaren Verlauf der sich selbst überlassenen Dinge, oder bei Versuchen, die mit ihnen angestellt werden, indem man nach einer eigentümlichen und künstlichen Methode wirksame und passive aufeinander anwendet. 2. Solche, die von willkürlich thätigen Wesen ausgehen, und ganz besonders die Handlungen der in Gesellschaft lebenden Menschen, woraus die bürgerliche und moralische Geschichte besteht. 3. Meinungen.

In diesen dreien besteht, wie mir scheint, das, was gewöhnlich den Namen Gelehrsamkeit führt; wozu man vielleicht als besonderes Kapitel noch die kritischen Schriften wird hinzufügen wollen, die freilich im Grunde nichts als Thatsachen enthalten und darauf hinauslaufen, daß der und der Mann oder die und die Gruppe von Männern, das und das Wort oder die und die Redewendung in dem und dem Sinne gebraucht, d. h., daß sie die und die Laute zum Zeichen der und der Ideen gemacht haben.

Unter Vernunfterkenntnissen begreife ich alle von der menschlichen Vernunft gemachten Entdeckungen allgemeiner Wahrheiten, gleichviel ob sie durch Anschauung, Beweisführung oder Ableitung aus Wahrscheinlichkeitsgründen gefunden sind. Und hierin besteht das Wissen, wenn auch nicht allein (weil auch die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit von Sätzen, die einzelne Dinge betreffen, gewußt werden kann), es ist jedoch, wie man annehmen darf, vorzugsweise das Geschäft derer, die darauf Anspruch machen, daß sie ihren Verstand ausbilden und sich durch Lesen unterrichten.

Bücher und Lektüre werden als die großen Hilfsmittel des Verstandes und Werkzeuge der Erkenntnis angesehen, und man muß einräumen, daß sie es sind. Gleichwohl möge es mir erlaubt sein die Frage aufzuwerfen, ob sie sich nicht für viele als ein Hindernis erweisen, und manche Buchgelehrte von dem Erwerb gründlichen und wahrhaften Wissens abhalten? So viel, denke ich, wird man mir gestatten zu sagen, daß es nichts giebt, wobei der Verstand einer sorgfältigeren und vorsichtigeren Leitung bedarf als der Gebrauch von Büchern; ohnedem wird dieser sich eher als unschuldige Unterhaltung wie als nützliche Verwendung unserer Zeit herausstellen und unser Wissen nur wenig vermehren.

Man findet nicht selten Statt: There is not seldom to be found, lies: There are not seldom to be found. selbst unter denen, die nach Erkenntnis streben, solche, die mit unermüdlichem Fleiß ihre ganze Zeit auf Bücher verwenden, die sich kaum zum Essen und Schlafen Zeit lassen, sondern lesen und lesen und immerfort lesen, dennoch aber im wahrhaften Wissen nicht viel weiter kommen, obgleich ihre intellektuellen Fähigkeiten keinen Mangel erkennen lassen, dem ihre geringen Fortschritte zugeschrieben werden könnten. Der Irrtum liegt darin, daß man gewöhnlich annimmt, durch das Lesen eines Buches werde das Wissen seines Verfassers in den Verstand des Lesers hinübergeleitet; und so verhält es sich auch, aber nicht durch bloßes Lesen, sondern durch Lesen und Verstehen dessen, was jener geschrieben hat. Dabei meine ich nicht bloß ein Begreifen dessen, was in jedem Satze bejaht oder verneint worden ist (obgleich große Leser nicht immer denken, daß sie nötig hätten, dies genau zu thun), sondern daß man den Gang der Schlußfolgerungen erkenne und verfolge, die Kraft und Klarheit ihres Zusammenhanges beobachte und ihre Unterlagen prüfe. Ohnedem kann jemand die Ausführungen eines sehr vernünftigen Schriftstellers lesen, die in einer ihm sehr gut verständlichen Sprache und ebensowohl verständlichen Sätzen geschrieben sind, und sich doch nicht ein Jota von dessen Wissen aneignen; denn da dieses nur in der wahrgenommenen – gewissen oder wahrscheinlichen – Verknüpfung der in seinen Folgerungen verwendeten Ideen besteht, so nimmt das Wissen des Lesers nur insoweit zu, wie auch er diese wahrnimmt; soweit wie er diese Verknüpfung einsieht, ebensoweit erkennt er die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit der Meinungen jenes Schriftstellers.

Alles, worauf er sich ohne diese Wahrnehmung verläßt, das nimmt er im Vertrauen auf die Glaubwürdigkeit des Schriftstellers an, ohne irgend ein eigenes Wissen davon zu haben. Es wundert mich deshalb gar nicht, wenn ich sehe, daß einige Menschen so von Citaten überfließen und so stark auf Autoritäten bauen, da dies die einzige Grundlage ist, worauf sie die meisten ihrer eigenen Lehrsätze stützen, so daß sie in der That nur ein mittelbares Wissen aus zweiter Hand haben, d. h. sich im Rechte befinden, wenn der und der, von dem sie geborgt haben, sich mit der Meinung im Rechte befand, die sie von ihm annahmen, was eigentlich gar kein Wissen ist. Die Schriftsteller des gegenwärtigen oder früherer Zeitalter mögen gute Zeugen für die von ihnen berichteten Thatsachen sein, und wir mögen wohl daran thun, sie auf deren Autorität hin gelten zu lassen; allein hierüber hinaus kann ihre Glaubwürdigkeit sich nicht erstrecken, sie kann überhaupt nicht die Wahrheit und Falschheit von Meinungen berühren, die nur durch Vernunft und Beweise geprüft werden können, deren sich jene selbst bedienten, um zu ihrem Wissen zu gelangen, und deren sich auch andere bedienen müssen, die an dem Wissen jener teilhaben wollen. Allerdings ist es ein Gewinn, daß sie sich die Mühe gegeben haben, die Beweise aufzufinden und so zu ordnen, daß sich die Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit ihrer Folgerungen daraus ergiebt, und hiefür sind wir ihnen große Anerkennung schuldig, weil sie uns die Mühe des Aufsuchens der Beweise, die sie für uns gesammelt, erspart haben, und die wir möglicherweise nach aller eigenen Anstrengung nicht gefunden oder nicht in so gutes Licht zu stellen vermocht hätten, wie das, worin sie uns von ihnen hinterlassen sind. Aus diesem Grunde sind wir den scharfsinnigen Schriftstellern aller Zeitalter für die Entdeckungen und die Abhandlungen höchlich verpflichtet, die sie zu unserer Belehrung hinterlassen haben, wenn wir es verstehen richtigen Gebrauch davon zu machen, der nicht darin besteht, sie mit hastigem Lesen zu durchlaufen, und vielleicht die darin vorgetragenen Ansichten oder einige bemerkenswerte Stellen in unser Gedächtnis aufzunehmen, sondern darin, daß wir auf ihre Schlußfolgerungen eingehen, ihre Beweise prüfen, und dann über die Wahrheit oder Falschheit, die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit ihrer Aufstellungen nicht nach irgend welcher Meinung urteilen, die wir uns über den Schriftsteller gebildet haben, sondern nach den Beweisen, die er beibringt, und der aus den Dingen selbst gewonnenen Überzeugung, die er uns verschafft. Wissen heißt so viel wie sehen, und wenn dem so ist, dann ist es Thorheit uns einzubilden, wir könnten das mit den Augen eines anderen thun, wenn dieser auch noch so viele Worte gebraucht, um uns zu sagen, daß das, was er behaupte, klar ersichtlich sei. Solange wir es nicht mit unseren eigenen Augen sehen und mit unserm eigenen Verstande wahrnehmen, bleiben wir nach wie vor im Dunkel und in der Unwissenheit, mögen wir auch einem gelehrten Schriftsteller glauben, so viel wir wollen.

Von Euklid und Archimedes giebt man zu, daß sie etwas gewußt und bewiesen haben, was sie sagten; gleichwohl wird jemand, der ihre Schriften liest, ohne den Zusammenhang ihrer Beweise zu erkennen und einzusehen, was sie zeigen, wenn er auch alle ihre Worte versteht, sein Wissen dadurch nicht vermehren; glauben mag er ihnen freilich, aber nicht einsehen, was sie sagen, und er wird deshalb durch all sein Lesen dieser anerkannten Mathematiker nicht um ein Jota im mathematischen Wissen vorwärts kommen.

§ 25. Eilfertigkeit. – Das eifrige Verlangen und die starke Neigung des Geistes für das Wissen werden oft, wenn sie nicht behutsam geregelt werden, zu Hindernissen desselben. Er drängt beständig vorwärts zu weiteren Entdeckungen und neuen Gegenständen und hascht nach einer Mannigfaltigkeit von Kenntnissen, und verweilt deshalb nicht lange genug bei dem ihm gerade Vorliegenden und dessen gehöriger Betrachtung aus Eilfertigkeit, das zu verfolgen, was noch außerhalb seines Gesichtskreises liegt. Wer mit Kurierpferden ein Land durchreist, mag nach dem flüchtigen Überblick die Lage seiner Teile im allgemeinen angeben können, er mag imstande sein, eine ungefähre Beschreibung von einem Gebirge hier und einer Ebene dort, einem Sumpfe hier und einem Flusse dort, Waldungen in der einen Gegend und Grasland in einer anderen zu liefern. Solche oberflächliche Ideen und Betrachtungen wie diese mag er während des Hinübergaloppierens sammeln, die nützlicheren Beobachtungen aber des Bodens, der Pflanzen, Tiere und Bewohner, sowie der verschiedenen Arten und Eigenschaften derselben müssen ihm notwendig entgehen, und selten werden reiche Minen von den Menschen ohne einige Nachgrabungen entdeckt. Gewöhnlich verbirgt die Natur ihre Schätze und Edelsteine in felsigem Boden. Wenn die Materie verwickelt ist und der Sinn tief liegt, dann muß der Geist bei ihr anhalten, sich auf sie legen und mit Anstrengung, Nachdenken und genauer Betrachtung an ihr festhaften, und sie nicht fahren lassen, bevor er die Schwierigkeit bemeistert hat und zum Besitz der Wahrheit gelangt ist. Hier muß man jedoch auch sich davor hüten, nicht in das andere Extrem zu verfallen; man muß nicht an jeder nutzlosen Spitzfindigkeit festkleben, und hinter jeder trivialen Frage oder jedem möglichen Zweifel Geheimnisse der Wissenschaft erwarten. Wer stehen bleiben will, um jeden auf seinem Wege liegenden Kieselstein aufzuheben und zu untersuchen, für den ist es ebenso unwahrscheinlich, daß er mit Juwelen bereichert und beladen zurückkehren werde, wie für jenen anderen, der mit voller Eile reiste. Wahrheiten sind nicht deshalb besser oder schlechter, weil sie zu Tage liegen oder schwer erkennbar sind, vielmehr bemißt sich ihr Wert nach ihrem Nutzen und ihrem Endziel. Unbedeutende Beobachtungen sollten uns auch nicht minutenlang in Anspruch nehmen, und die, welche unseren Gesichtskreis erweitern und uns für fernere und nützliche Entdeckungen Licht geben, sollten nicht vernachlässigt werden, wenn sie auch unsern Lauf anhalten und einen Teil unserer Zeit für eine unverwandte Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

Es giebt noch eine andere Eilfertigkeit, die den Geist oft irre führt und ihn irre führen wird, wenn er sich selbst und seiner eigenen Leitung überlassen bleibt. Der Verstand ist von Natur bereit, nicht nur sein Wissen mannigfaltig zu gestalten (was ihn dazu bringt, leicht über einen Teil desselben hinweg zu hüpfen, um rasch zu einem anderen zu gelangen), sondern auch begierig, seine Ansichten dadurch zu erweitern, daß er zu schnell zu allgemeinen Erfahrungen und Schlüssen übergeht ohne gehörige Prüfung einer genügenden Menge von Einzelheiten, worauf jene generellen Axiome sich gründen ließen. Das scheint deren Vorrat zu vermehren, aber es geschieht mit Einbildungen nicht mit Realitäten; solche auf schmaler Grundlage gebauten Theorien stehen nur auf schwachen Füßen, und wenn sie nicht von selbst fallen, lassen sie sich wenigstens gegen die Angriffe einer Opposition sehr schwer aufrecht erhalten. Und so finden sich Menschen, die zu eilfertig allgemeine Begriffe und schlecht begründete Theorien für sich aufstellen, in betreff ihres Wissensschatzes getäuscht, wenn sie dazu kommen, ihre eilig angenommenen Maximen selbst zu prüfen oder gegen die Angriffe anderer verteidigen zu sollen. Aus einzelnen Fällen gezogene allgemeine Erfahrungen sind die Juwelen des Wissens, weil sie in einem kleinen Raume großen Reichtum enthalten, sie müssen aber deshalb mit um so größerer Sorgfalt und Vorsicht gebildet werden, damit nicht, wenn wir Nachgemachtes für echt annehmen, unser Verlust und unsere Beschämung um so größer werden, sobald unser Lager einer strengen Revision unterzogen wird. Ein oder zwei einzelne Fälle mögen Winke für weitere Nachforschungen darbieten, und man thut wohl daran auf solche Winke zu achten; aber wenn man sie zu Schlüssen umgestaltet und sofort zu allgemeinen Regeln erhebt, so kommt man freilich rasch vorwärts, jedoch nur, um sich selbst mit Sätzen zu betrügen, die ohne hinreichende Gewähr als Wahrheiten angenommen sind. Solche Erfahrungen sammeln heißt, wie schon bemerkt worden, aus seinem Kopfe ein Magazin von Materialien machen, was schwerlich ein Wissen genannt werden kann, oder es gleicht höchstens einer Sammlung von unbrauchbarem und ordnungslosem Plunder, denn der, welcher aus jeder Sache eine Erfahrung macht, besitzt dieselbe nutzlose Menge und noch viel mehr Falsches darunter gemischt. Nach beiden Seiten hin muß man die Extreme vermeiden, und der wird imstande sein, über seine Studien am besten Rechenschaft zu geben, welcher seinen Verstand auf der rechten Mittelstraße zwischen beiden hält.

§ 26. Vorgefaßte Meinungen. – Mag es nun eine Vorliebe für das sein, was ihrem Geiste zuerst Licht und Erkenntnis gegeben hat, und ein Mangel an Kraft und Fleiß für weitere Nachforschung, oder aber, daß die Menschen sich an irgend welchem Anschein von Wissen, wahr oder falsch, genügen lassen und daran festhalten, wenn sie ihn einmal erlangt haben: so viel ist augenfällig, daß viele Menschen sich den von ihrem Geiste zuerst aufgefaßten Meinungen hingeben und mit großer Zähigkeit an den Ansichten festhalten, die sie sich zuerst angeeignet haben; sie sind häufig in ihre frühesten Gedanken ebenso verliebt wie in ihre erstgeborenen Kinder, und wollen um keinen Preis von dem Urteil zurücktreten, was sie einmal gefällt, oder von irgend einer Vermutung oder Einbildung, der sie einmal Aufnahme gewährt haben. Dies ist ein Fehler bei der Leitung des Verstandes, weil diese Festigkeit oder vielmehr Starrheit des Geistes nicht aus einer Anhänglichkeit an die Wahrheit entspringt, sondern aus einer Unterwerfung unter das Vorurteil. Es ist eine unvernünftige, der Voreingenommenheit dargebrachte Huldigung, wodurch wir nicht der Wahrheit (die wir zu suchen behaupten) Ehrfurcht bezeugen, sondern dem, worauf wir zufälligerweise aufs Geratewohl hin gestoßen sind, es sei, was es wolle. Dies ist augenscheinlich ein verkehrter Gebrauch unserer Fähigkeiten, und es ist geradezu eine Prostitution des Geistes, ihn so preiszugeben und der Gewalt des ersten Besten zu unterwerfen. Dies kann und darf niemals als ein rechter Weg zur Erkenntnis gelten und befolgt werden, so lange nicht der Verstand (dessen Aufgabe darin besteht, sich dem anzupassen, was er in den äußeren Objekten vorfindet) durch seine eigene Hartnäckigkeit dies umwandeln und bewirken kann, daß die unveränderliche Natur der Dinge mit seinen eigenen eilfertigen Entscheidungen übereinstimme, was nie geschehen wird. Wir mögen uns einbilden, was wir wollen, die Dinge beharren in ihrem Gange, und ihre Zustände, Abhängigkeiten und Beziehungen bleiben im Verhältnis zu einander, was sie sind.

§ 27. Resignation. – Diesen entgegengesetzt, aber durch einen gleich gefährlichen Exceß nach der anderen Seite hin, sind diejenigen, die sich in ihrem Urteil durch den letzten bestimmen lassen, Who always resign their judgement to the last man etc. Ein passendes deutsches Wort für die hier bezeichnete Schwäche giebt es wohl kaum. den sie gehört oder gelesen haben. Die Wahrheit tritt nie in den Geist solcher Menschen ein noch giebt sie ihm irgend welche Farbe, vielmehr nehmen sie chamäleonartig von allem, was ihnen vor die Augen kommt, dessen Farbe an und verlieren sie ebenso rasch und geben sie für die nächste auf, die ihnen zufällig in den Weg kommt. Die Ordnung, worin uns Meinungen vorgetragen oder von uns angenommen werden, bildet keine Norm für ihre Nichtigkeit und sollte keinen Grund des Vorzugs abgeben. Welche die erste und welche die letzte ist, das hängt in diesem Falle vom Zufall ab, und kann nicht als Maßstab für die Wahrheit oder Falschheit dienen. Das muß jeder zugeben und sollte deshalb beim Forschen nach der Wahrheit seinen Geist von dem Einfluß solcher zufälligen Umstände frei halten. Es wäre ebenso vernünftig, wenn jemand über seine Lehrsätze das Los ziehen, seine Überzeugung nach dem Falle eines Würfels regeln wollte, als wenn er etwas um seiner Neuheit willen annimmt, oder daran festhält, weil er ihm zuerst beigepflichtet hat und nie anderer Ansicht gewesen ist. Wohlerwogene Gründe müssen das Urteil bestimmen; auf diese zu hören und sich ihnen zu unterwerfen, sollte der Geist stets bereit sein, und nach ihrem Zeugnis und ihrer Stimme jeden Lehrsatz unparteiisch annehmen oder verwerfen, möge er nun ein vollständiger Fremdling oder ein alter Bekannter sein.

§ 28. Praxis. – Obgleich die Kräfte des Geistes sich durch Übung entwickeln, so dürfen sie doch nicht über ihr Vermögen hinaus angespannt werden. » Quid valeant humeri, quid ferre recusent,« muß jeder zum Maße seines Verstandesgebrauches machen, der nicht bloß Verlangen trägt, etwas Gutes zu leisten, sondern auch seine Fähigkeiten bei Kraft zu erhalten und nicht seinem Verstande durch etwas zu schaden, was für ihn zu schwer ist. Wie dem bei dem Aufheben eines zu schweren Gewichtes angestrengten Körper wird auch dem Geiste, der in ein seine Kräfte übersteigendes Unternehmen verwickelt worden, oft die Kraft gebrochen und er dadurch für alle Folgezeit zu irgend welchem kräftigen Versuch unfähig oder unlustig gemacht. Eine zerrissene Sehne erlangt selten ihre frühere Stärke wieder, oder es dauert wenigstens die Empfindlichkeit der verletzten Stelle eine gute Weile hernach noch fort und die Erinnerung daran noch länger, und hinterläßt in dem Menschen eine beständige Vorsicht, das Glied nicht wieder rasch für eine Kraft erfordernde Leistung zu gebrauchen. Ebenso ergeht es dem Geiste, der einmal durch einen seine Kraft übersteigenden Versuch ermattet ist; er ist entweder für die Zukunft dienstunfähig geworden oder stutzt doch hernach immer vor jeder schwierigen Aufgabe und ist wenigstens sehr schwer dazu zu bringen, seine Kraft nochmals bei irgend welchem Thema anzustrengen, welches Nachdenken und Überlegung erfordert. Zu den schwierigen und verwickelten Teilen des Wissens, die die Kraft des Denkens auf die Probe stellen und eine volle Anspannung des Geistes erfordern, sollte der Verstand ganz allmählich hingeführt werden, und bei solchem stufenweisen Vorgehen ist nichts zu schwer für ihn. Auch läßt sich nicht hiegegen einwenden, daß bei einem so langsamen Fortschreiten der Umfang mancher Wissenschaften stets unerreichbar bleiben werde. Wie weit die Ausdauer einen Menschen bringen werde, kann man sich nicht vorstellen, und es ist jedenfalls besser, auf einem rauhen Pfade langsam zu gehen, als ein Bein zu brechen und zum Krüppel zu werden. Wer mit dem Kalbe anfängt, mag es dahin bringen den Ochsen zu tragen; wer aber zuerst dazu schreitet, einen Ochsen aufzuheben, der kann sich so entkräften, daß er hernach nicht einmal imstande sein wird, ein Kalb zu tragen. Wenn der Geist sich durch unmerkliche Abstufungen an Aufmerksamkeit und scharfes Nachdenken gewöhnt hat, so wird er imstande sein, mit Schwierigkeiten zu ringen und dieselben ohne Beschädigung seiner selbst zu bemeistern, und dann mag er rasch vorwärts gehen. Kein dunkles Problem, keine verwickelte Frage wird ihn verwirren, entmutigen oder niederschlagen. Wenn es aber auch vermieden werden muß, den Geist unvorbereitet zu einer ungewöhnlichen Anstrengung anzuhalten, die ihn für die Zukunft entmutigen oder niederschlagen könnte, so muß er doch nicht deshalb vermittelst einer übergroßen Scheu vor Schwierigkeiten zu einem trägen Umherschlendern bei alltäglichen und auf der Hand liegenden Dingen verleitet werden, die weder Nachdenken noch Aufmerksamkeit erfordern. Dies erniedrigt und entkräftet den Verstand und macht ihn schwach und arbeitsunfähig. Es ist das eine Art von Schweben über der Oberfläche der Dinge, ohne irgend welche Einsicht in sie oder Durchdringung; und wenn der Geist einmal an diese träge Ruhe und Befriedigung auf der offenbaren Oberfläche der Dinge gewöhnt worden, so ist er der Gefahr ausgesetzt, hiemit zufrieden zu sein und nicht tiefer einzudringen, weil ihm das nicht ohne Mühe und Nachgrabung möglich ist. Wer sich eine Zeitlang daran gewöhnt hat, sich an dem genügen zu lassen, was sich leicht und auf den ersten Blick darbietet, hat Grund zu der Besorgnis, daß er sich nie wieder mit der Beschwerde befreunden wird, die Dinge in seinem Geiste zu drehen und zu wenden, um ihre verborgeneren und wertvolleren Geheimnisse zu entdecken.

Es kann nicht Wunder nehmen, daß Lernmethoden, woran die Schüler bei ihrem ersten Beginn des Studiums und Eintritt in die Wissenschaften gewöhnt worden sind, sie ihr ganzes Lebenlang beeinflussen und sich in ihrem Geiste vermittelst einer überwältigenden Ehrfurcht einbürgern, namentlich wenn es solche sind, die der allgemeine Gebrauch festgestellt hat. Lernende müssen zuerst Glaubende sein, und wenn die Regeln ihres Lehrers einmal Axiome für sie geworden sind, so ist es nicht zu verwundern, daß diese Würde ihnen verbleibt, und daß sie durch das einmal erlangte Ansehen diejenigen verführen, welche dieses für genug halten, um sie zu entschuldigen, wenn sie ihren Weg auf einem wohlbetretenen Pfade nicht verlassen. if they go out of their way etc.; vor out scheint not zu fehlen.

§ 29. Wörter. – Ich habe an einem anderen Orte Abhandlung über den menschlichen Verstand, Buch III, Kapitel 10.. ausführlich genug über den Mißbrauch von Wörtern gesprochen, und will deshalb mit Rücksicht darauf, daß die Wissenschaften voll davon sind, die, welche ihren Verstand recht leiten wollen, davor warnen, keinen Ausdruck, wie sehr er auch durch die Sprache der Schulen autorisiert sein möge, als Vertreter irgend einer Sache anzusehen, bevor sie eine Idee von dieser gewonnen haben. Ein Wort mag bei manchen Schriftstellern in häufigem Gebrauche und großem Ansehen stehen und sie mögen sich seiner bedienen, als ob es etwas Sachliches bedeute; gleichwohl ist es, wenn der Leser sich hievon keine deutliche Idee bilden kann, für ihn sicherlich nur ein leerer Laut ohne Sinn, und er lernt aus allem, was von ihm gesagt oder ihm zugeschrieben wird, nicht mehr, als wenn es lediglich von jenem bloßen leeren Laute ausgesagt wäre. Wer im Wissen fortschreiten und sich nicht täuschen und mit ein wenig artikuliertem Lufthauch aufblähen will, der sollte es sich zur fundamentalen Regel machen, niemals Wörter für Dinge anzusehen und nicht anzunehmen, daß Namen in Büchern reale Wesenheiten in der Natur bezeichnen, bevor er sich klare und deutliche Ideen von diesen Wesenheiten bilden kann. Es wird mir vielleicht nicht eingeräumt werden, wenn ich »substantielle Formen« und »intentionale Arten« als solche nenne, gegen die man mit Recht den Verdacht hegen könnte, daß sie zu dieser Art bedeutungsloser Ausdrücke gehörten. Dessen bin ich aber sicher, daß sie für jemanden, der sich keine bestimmte Ideen von dem bilden kann, was sie vertreten, überhaupt nichts bedeuten, und daß alles, was er von ihnen zu wissen glaubt, für ihn ebensoviel Wissen von nichts ist und höchstens darauf hinausläuft, eine gelehrte Unwissenheit zu sein. Man vermutet nicht ohne Grund, daß sich bei gewissen gelehrten Schriftstellern viele solche leeren Ausdrücke finden ließen, zu denen sie ihre Zuflucht nahmen, um die Radierung to etch out their systems; ein Vergleich der Systeme mit Kupferstichen. ihrer Systeme in solchen Punkten zu vollenden, wo ihr Verstand sie nicht mit Begriffen von Dingen versehen konnte. Dennoch glaube ich, daß bei dem Naturstudium durch die Voraussetzung, es seien in der Natur diesen und ähnlichen Wörtern entsprechende Realitäten vorhanden, einige sehr in Verwirrung gebracht und andere völlig irregeführt worden sind. Was in irgend einer Abhandlung »ich weiß nicht was« bedeutet, das sollte »ich weiß nicht wann« in Betracht gezogen werden. Wo jemand überhaupt Begriffe hat, da kann er, mögen sie auch noch so abstrus und abstrakt sein, sie und die dafür gebrauchten Ausdrücke erklären. Denn, da unsere Begriffe nichts anderes als Ideen sind, die alle aus einfachen zusammengesetzt worden, so ist klar, daß, wenn er uns die von seinen Wörtern vertretenen Ideen nicht angeben kann, er dergleichen nicht hat. Was kann es nützen, nach den Begriffen dessen zu jagen, der überhaupt keine oder doch keine bestimmten hat? Wer selbst nicht weiß, was er unter einem gelehrten Ausdruck versteht, kann durch dessen Gebrauch uns nicht irgend etwas lehren, wenn wir uns auch noch so lange den Kopf darüber zerbrechen. Ob wir imstande sind, alle Wirksamkeiten der Natur und deren Art und Weise zu begreifen, ist hier nicht nötig zu untersuchen; so viel ist jedoch gewiß, daß wir von ihnen nicht mehr begreifen können, als wir uns deutlich vorzustellen vermögen, und deshalb ist es nur ein Kunstgriff gelehrter Eitelkeit zur Verdeckung eines Mangels in einer Hypothese oder in unserem Verstande, wenn man uns Kunstausdrücke aufdrängt, wo uns deutliche Begriffe fehlen, als ob sie etwas enthielten oder vielmehr verheimlichten. Wörter sind nicht gebildet, um etwas zu verbergen, sondern um es zu erklären und zu zeigen; wo sie von denen, die darauf Anspruch machen zu belehren, anders gebraucht werden, da verbergen sie allerdings etwas, aber dies von ihnen Verdeckte ist nichts als die Unwissenheit, der Irrtum oder die Sophistik des Redners, denn sonst ist hinter ihnen in der That nichts zu finden.

§ 30. Zerstreutheit. – Daß in unserm Geiste eine beständige Aufeinanderfolge und ein beständiger Fluß von Ideen stattfinde, habe ich in dem früheren Teile dieser Abhandlung Vielmehr im Buch II, Kapitel 14, der Abhandlung über den menschlichen Verstand, wozu die posthume Schrift über die Leitung des Verstandes vielleicht nach Lockes Absicht eine Fortsetzung hat bilden sollen. bemerkt, und jeder kann das in sich selber beobachten. Dies mag, wie ich glaube, wohl einen Teil unserer Sorgfalt bei der Leitung unseres Verstandes verdienen, und ich denke, es würde von großem Nutzen für uns sein, wenn wir durch Übung eine hinlängliche Macht über unsern Geist gewinnen könnten, um jenen Zug der Ideen so zu lenken, daß wir, während beständig neue in ununterbrochener Reihenfolge uns in Gedanken kommen wollen, imstande wären, sie durch unsere Wahl so zu lenken, Die Ausdrucksweise ist etwas unbeholfen pleonastisch: – – – that power over our minds, as to be able to direct that train of ideas, that so – – – we may be able by choice so to direct them etc. daß uns nur solche vor Augen kämen, die zu unserer gegenwärtigen Untersuchung gehören, und in einer solchen Ordnung, wie sie uns für die Entdeckung, worüber wir aus sind, am nützlichsten wäre; oder daß wir doch wenigstens, wenn einige fremdartige und nicht gesuchte Ideen sich darbieten sollten, fähig wären, sie zurückzuweisen und davon abzuhalten, unsern Geist von seiner vorliegenden Aufgabe abzuziehen, sowie daran zu verhindern, sich mit unsern Gedanken ganz von dem behandelten Thema zu entfernen. Dies läßt sich, fürchte ich, nicht so leicht erreichen, wie man wohl glaubt, und doch mag darin, so viel ich weiß, wenn nicht der hauptsächlichste, doch einer der großen Unterschiede bestehen, wodurch einige Menschen im folgerichtigen Denken soweit über andere hinausgelangen, während sie von Natur gleich gute Anlagen zu haben schienen. Ich würde froh sein, ein geeignetes und wirksames Heilmittel gegen diese Unstetigkeit der Gedanken zu finden. Wer ein solches angeben könnte, der würde dem zum Forschen und Nachdenken geneigten Teile der Menschheit einen großen Dienst erweisen, und vielleicht gedankenlosen Menschen dazu verhelfen nachdenklich zu werden. Ich muß gestehen, daß ich bisher keinen anderen Weg, um unsere Gedanken strenge bei ihrer Ausgabe zu erhalten, zu entdecken vermocht habe, als dies zu versuchen, so viel wir vermögen, und durch häufige Aufmerksamkeit und Verbleiben bei einer Sache die Gewohnheit von beidem zu erwerben. Wer Kinder beobachtet, der wird finden, daß sie, selbst wenn sie sich aufs äußerste bemühen, ihren Geist nicht vor Zerstreuung schützen können. Das Heilmittel hiegegen besteht meiner Überzeugung nach nicht in zornigem Schelten oder Schlagen, denn das erfüllt ihre Köpfe sofort mit allen den Ideen, die Furcht, Schreck oder Verwirrung ihnen darbieten können. Sanftmütiges Zurückführen ihrer zerstreuten Gedanken, indem man sie auf den Pfad hinleitet, den sie verfolgen sollten, und ihnen darin Schritt vor Schritt voraufgeht, ohne ihnen Vorwürfe zu machen, oder auch nur (wo es sich vermeiden läßt) von ihrer Abschweifung Notiz zu nehmen; das, meine ich, würde sie schneller mit der Aufmerksamkeit befreunden und an diese gewöhnen als alle jene rauheren Methoden, die ihre Gedanken noch mehr ablenken, und, indem sie das bei-der-Sache-Bleiben, was sie befördern wollen, verhindern, eine entgegengesetzte Gewohnheit hervorrufen.

§ 31. Unterscheidung. – Unterscheidung und Einteilung sind (wenn ich die Bedeutung dieser Wörter nicht mißverstehe) sehr verschiedene Dinge; die eine besteht in der Wahrnehmung eines Unterschiedes, der von Natur zwischen den Dingen besteht, die andere darin, daß wir eine Teilung vornehmen, wo noch keine vorhanden ist; wenigstens glaube ich, falls es erlaubt ist, sie in diesem Sinne aufzufassen, von ihnen sagen zu dürfen, daß die eine die notwendigste und für wahrhafte Erkenntnis nützlichste Sache ist, die es geben kann, während die andere bei zu häufigem Gebrauch nur dazu dient, den Verstand in Verlegenheit und Verwirrung zu setzen. Jeden, auch den kleinsten, Unterschied zu bemerken, der zwischen den Dingen besteht, das zeigt einen lebhaften und klaren Blick, und dieser hält den Verstand stetig und richtig auf seinem Wege zur Erkenntnis. Wenn es aber auch nützlich ist, jede Mannigfaltigkeit, die sich in der Natur findet, zu unterscheiden, so ist es doch nicht angemessen, jede zwischen den Dingen bestehende Verschiedenheit in Betracht zu ziehen, und sie nach jedem solchen Unterschiede in besondere Klassen einzuteilen. Dies würde uns, konsequent durchgeführt, zu lauter Einzelheiten bringen (denn jedes Individuum hat etwas, wodurch es sich von anderen unterscheidet) und wir würden in der Lage sein, überhaupt keine allgemeinen Wahrheiten aufzustellen, oder doch wenigstens geneigt, den Geist in betreff solcher verwirrt zu machen. Die Zusammenfassung verschiedener Dinge in verschiedene Klassen giebt dem Geiste allgemeinere und weitere Überblicke, aber wir müssen sorgsam darauf bedacht sein, sie nur darin und insoweit zu vereinigen, worin und wie sie übereinstimmen, denn soweit lassen sie sich unter einer Betrachtung zusammenfassen; denn das Sein selbst, welches alle Dinge begreift, kann, so allgemein es auch ist, uns klare und vernünftige Begriffe darbieten. Wenn wir erwägen und im Sinne behalten wollten, was den Gegenstand unseres Nachdenkens ausmacht, so würde dies uns am besten darüber belehren, wann wir uns auf weitere Unterscheidungen einlassen sollten und wann nicht, die nur aus einer gehörigen Erwägung der Dinge entnommen werden dürfen, In den Worten: which are not to be taken ist das not zu streichen oder das folgende only in but zu verwandeln. welcher nichts mehr entgegengesetzt ist als die Kunst, in gelehrten und nach Gutdünken erfundenen Ausdrücken beliebig verbale Unterscheidungen zu machen, um auf gut Glück angewandt zu werden, ohne irgend welche deutliche Begriffe zu enthalten oder mitzuteilen, die also lediglich für künstliche Reden oder hohlen Lärm beim Disputieren dienlich sind, ohne irgendwie zur Aufklärung von Schwierigkeiten oder Förderung des Wissens beizutragen. Jeden Gegenstand, den wir prüfen, und womit wir uns bekannt machen wollen, den sollten wir, denke ich, für so allgemein und umfassend annehmen, wie seine Natur gestattet; auch kann sich hieraus keine Gefahr ergeben, wenn seine Idee fest und bestimmt ist; denn alsdann werden wir ihn leicht von jeder anderen Idee, auch wenn sie unter demselben Namen begriffen ist, unterscheiden. Denn, um gegen die Schlingen zweideutiger Wörter und die in diesen enthaltene große Kunst der Sophistik zu fechten, ist die Anzahl der Unterscheidungen so sehr vermehrt und ihr Gebrauch für so notwendig gehalten worden. Wenn jedoch jede besondere abstrakte Idee einen besonderen bekannten Namen hätte, so würde für diese zahlreichen scholastischen Unterscheidungen kaum ein Bedürfnis vorhanden sein, obwohl es dessen ungeachtet immer noch ebenso nötig sein würde, daß der Geist die zwischen den Dingen bestehenden Verschiedenheiten beobachte und sie danach voneinander unterscheide. Es ist deshalb nicht der richtige Weg zur Erkenntnis nach einem Überfluß künstlicher und scholastischer Unterscheidungen zu jagen und damit den Kopf anzufüllen, womit die Schriften gelehrter Leute oft angefüllt sind; mitunter finden wir den von ihnen behandelten Gegenstand so eingeteilt und untereingeteilt, daß der Geist des aufmerksamsten Lesers den Gang der Einteilung aus dem Gesichte verliert, was gewiß auch dem Schriftsteller selbst begegnet sein wird, denn es ist vergeblich, bei in Staub zerbröckelten Dingen den Schein einer Ordnung vorzugeben oder zu behaupten oder Klarheit zu erwarten. Verwirrung durch zu wenige oder zu viele Einteilungen zu vermeiden, erfordert große Geschicklichkeit beim Denken sowohl wie beim Schreiben, was nur ein Kopieren unserer Gedanken ist; aber wo die Grenzen der Mittelstraße zwischen den fehlerhaften Excessen zu beiden Seiten liegen, das läßt sich, glaube ich, in Worten kaum angeben, klare und deutliche Ideen sind alles, was meines Wissens zu deren Regelung dienen kann. Was aber verbale Unterscheidungen anbetrifft, die für gemeingebräuchliche Ausdrücke, d. h. zweideutige Wörter, gelten und auf solche Anwendung leiden, so sind dieselben, denke ich, eigentlich mehr eine Aufgabe für kritische Anmerkungen und Wörterbücher als für sachliche Wissenschaft und Philosophie, weil sie größtenteils den Sinn von Wörtern erklären und uns deren verschiedene Bedeutungen angeben. Die geschickte Handhabung von Ausdrücken und die Fähigkeit, mit solchen zu disputieren und zu beweisen, hat, wie ich wohl weiß, in der Welt für ein großes Stück der Gelehrsamkeit gegolten und gilt noch dafür Statt: has and does pass, lies: has passed and does pass.; aber das ist eine vom Wissen verschiedene Gelehrsamkeit, denn das Wissen besteht nur in der Wahrnehmung der Verhältnisse und Beziehungen von Ideen aufeinander, die ohne Wörter vor sich geht, indem die Dazwischenkunft eines Lautes dabei nichts nützt. Daher sehen wir, daß von Unterscheidungen am wenigsten dort Gebrauch gemacht wird, wo am meisten Wissen zu finden ist, ich meine in der Mathematik, wo die Menschen bestimmte Ideen ohne bekannte Namen dafür haben, und es somit keiner Unterscheidungen bedarf, weil für Zweideutigkeiten kein Raum gelassen ist. Beim Disputieren bedient sich der Opponent so umfassender und zweideutiger Wörter wie möglich, um seinen Gegner in der Zweifelhaftigkeit seiner Ausdrücke zu verwickeln; das wird erwartet, und deshalb macht dieser es zu seiner Aufgabe, so viel wie möglich zu unterscheiden, und denkt, daß er dies niemals genug thun könne; auch kann er das in der That nicht auf dem Wege, worauf der Sieg sich ohne Wahrheit und ohne Wissen erringen läßt. Hierin scheint mir die Kunst des Disputierens zu bestehen. Auf der einen Seite gilt es beim Argumentieren die Wörter in so verfänglicher Weise wie möglich zu gebrauchen, auf der anderen so viel Unterscheidungen wie möglich auf jeden Ausdruck anzuwenden, um den Gegner in die Enge zu treiben, so daß, da bei dieser Art von Gelehrsamkeit dem Unterscheiden keine Grenzen gesetzt sind, einige Menschen auf den Gedanken gekommen sind, daß aller Scharfsinn darin liege, weshalb es bei allem, was sie gelesen oder überdacht haben, ihre Hauptaufgabe gewesen ist, sich mit Unterscheidungen zu belustigen, und die Einteilungen für sich zu vervielfachen, wenigstens mehr als die Natur der Dinge erfordern würde. Wie gesagt, scheint es mir dafür keine andere Regel zu geben als eine gehörige und richtige Erwägung der Dinge, wie sie an und für sich beschaffen sind. Wer in seinem Geiste bestimmte Ideen mit Namen dafür festgestellt hat, der wird imstande sein, sowohl deren Verschiedenheiten voneinander zu unterscheiden, worin das sachliche Unterscheiden besteht, als auch, wo die Wortarmut (der Sprache) nicht für jede besondere Idee einen entsprechenden Ausdruck darbietet, Die Wiederholung der Worte: will be able, ist zu streichen. den umfassenden und zweideutigen Namen, von denen er notgedrungen Gebrauch macht, geeignete unterscheidende Ausdrücke hinzuzufügen. Darauf beschränkt sich meines Wissens der Bedarf von unterscheidenden Ausdrücken, und bei solchen verbalen Unterscheidungen ist jeder Ausdruck der Unterscheidung in Verbindung mit der ganzen durch ihn unterschiedenen Bedeutung nur ein besonderer Name für eine besondere Idee. Wo sie von solcher Art sind, und die Menschen klare und deutliche Vorstellungen haben, die ihren verbalen Unterscheidungen entsprechen, da sind sie gut und sind zweckmäßig, soweit sie dazu dienen, in dem der Betrachtung unterzogenen Thema irgend etwas aufzuklären. Und hierin liegt, wie mir scheint, das eigentliche und alleinige Maß für Unterscheidungen und Einteilungen, was der, welcher seinen Verstand recht leiten will, nicht in dem Scharfsinn ihrer Erfindung noch auch in dem Ansehn der Schriftsteller suchen darf, sondern nur in der Erwägung der Dinge selbst finden wird, mag er nun durch eigenes Nachdenken oder Belehrung aus Büchern darauf hingeführt sein.

Eine Geneigtheit, alle Dinge, woran sich irgend welche Ähnlichkeit entdecken läßt, zusammen zu werfen, ist ein Mangel des Verstandes nach der entgegengesetzten Richtung hin, der ihn unfehlbar irre leiten, und durch solch eine Behandlung der Dinge in Bausch und Bogen den Geist daran hindern wird, deutliche und genaue Begriffe von ihnen zu gewinnen.

§ 32. Gleichnisse. – Diesem (Fehler) will ich einen anderen ihm wenigstens dem Namen nach nahe verwandten hier anreihen, der darin besteht, daß man seinen Geist, sobald sich ihm irgend ein neuer Begriff darbietet, unverzüglich hinter Gleichnissen her rennen läßt, um ihn sich deutlicher zu machen; was zwar ein guter und nützlicher Weg sein mag, um unsere Gedanken anderen zu erläutern, aber keineswegs die richtige Methode ist, wahre Begriffe von irgend etwas für uns selbst festzusetzen, weil Gleichnisse immer in der einen oder der anderen Beziehung hinken und hinter der Genauigkeit zurückbleiben, die unsere Begriffe von den Dingen haben sollten, wenn wir richtig denken wollen. Dies D. h. die bildliche Ausdrucksweise. gewährt den Menschen allerdings die Fähigkeit leichter Überredung, denn deren Worte finden stets die bereitwilligste Aufnahme, die es verstehen, ihre Gedanken mit der größten Bequemlichkeit und Leichtigkeit in den Geist anderer Menschen übergehen zu lassen, wobei nichts darauf ankommt, ob diese Gedanken gut gebildet sind und den Dingen entsprechen; wenigen Menschen liegt etwas daran, belehrt zu werden, wenn es nicht in müheloser Weise geschieht. Die, welche mit ihren Reden die Phantasie anregen und die Vorstellungen der Hörer ebensoschnell mit sich ziehen, wie ihnen die Worte vom Munde fließen, sind die Redner, denen Beifall zu teil wird, und die allein für Leute von klaren Gedanken gelten. Nichts trägt hiezu so viel bei wie Gleichnisse, wodurch die Menschen zu dem Glauben gelangen, daß sie selbst etwas besser verstehen, weil sie besser verstanden werden. Es sind jedoch zwei verschiedene Dinge, richtig zu denken und den rechten Weg zu kennen, unsere Gedanken, mögen sie richtig oder falsch sein, anderen vorteilhaft und deutlich vorzutragen. Wohl gewählte Gleichnisse, Metaphern und Allegorien, mit Methode und Ordnung angewendet, thun dies besser als irgend etwas sonst, weil sie, von schon bekannten und dem Verstande vertrauten Gegenständen entnommen, ebensoschnell begriffen wie gesprochen werden, und, indem auf die Übereinstimmung beider geschlossen wird, das Ding, zu dessen Erklärung und Erläuterung sie beigebracht werden, gleichfalls für verstanden gilt. So wird die Phantasie für Erkenntnis angesehen und, was hübsch gesagt ist, irrigerweise für gediegen gehalten. Ich sage dieses nicht, um die bildliche Rede herabzusetzen, oder diese Zierde der Sprache vorsätzlich zu beseitigen; ich habe es hier nicht mit Lehrern der Beredsamkeit und Rednern zu thun, sondern mit Philosophen und Freunden der Wahrheit, und ich bitte um die Erlaubnis, diesen folgendes als die alleinige Norm anzugeben, um danach zu prüfen, ob sie bei der Hinwendung ihrer Gedanken auf irgend etwas zur Vermehrung ihres Wissens in Wahrheit die ihnen vorliegende Sache thatsächlich so begreifen, wie sie an sich beschaffen ist. Der Weg, hierüber ins klare zu kommen, besteht darin, zu beobachten, ob sie sich, wenn sie sich selber oder anderen etwas vorlegen, nur erborgter Repräsentationen und den Dingen fremder Ideen bedienen, die darauf vermittelst einer Anpassung angewendet werden, als wenn sie zu dem betrachteten Gegenstand in einem gewissen Verhältnis ständen, oder eine denkbare Ähnlichkeit mit ihm hätten. Bildliche und metaphorische Ausdrücke sind nützlich, um dunklere und ungewöhnlichere Ideen zu beleuchten, woran der Geist noch nicht vollständig gewöhnt ist; aber dann müssen sie gebraucht werden, um Ideen zu erläutern, die wir schon haben, nicht aber, um uns solche auszumalen, die wir noch nicht haben. Solche erborgten und anspielenden Ideen mögen der reellen und soliden Wahrheit nachfolgen, um sie hervorzuheben, nachdem sie gefunden worden, dürfen aber in keiner Weise an deren Stelle gesetzt, und für sie angesehen werden. Wenn all unser Forschen noch nicht weiter gelangt ist als bis zu Gleichnissen und Metaphern, so dürfen wir versichert sein, daß wir uns eher etwas einbilden als wissen und noch nicht in das Innere und das wirkliche Wesen des Dinges eingedrungen sind, möge es sein, was es wolle, sondern uns mit dem begnügen, womit unsere Einbildungen und nicht die Dinge, selbst uns versorgen.

§ 33. Beifall. – Bei der gesamten Leitung des Verstandes giebt es nichts Wichtigeres als zu wissen, wann und wo und wie weit wir unsern Beifall geben sollen, und vielleicht hat nichts größere Schwierigkeit. Es ist sehr leicht gesagt und wird von niemand bezweifelt, daß die Erteilung und Versagung unseres Beifalls und die Abstufungen desselben sich nach der Evidenz richten müssen, die die Dinge mit sich bringen; gleichwohl sehen wir, daß die Menschen mit dieser Regel nicht besser daran sind (als ohne sie); einige nehmen gewisse Lehren auf schwache Gründe hin an, andere ohne alle Gründe und noch andere gegen den Augenschein; für einige giebt es Gewißheit, und sie lassen sich in ihren Ansichten nicht erschüttern, andere schwanken in allem, und es fehlt nicht an solchen, die alles als ungewiß verwerfen. Was soll denn ein Neuling, ein Fragender, ein Fremder in solchem Falle thun? Ich antworte: seine Augen gebrauchen. Es giebt einen Zusammenhang unter den Dingen und Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung unter den Ideen, die in sehr verschiedenem Grade erkennbar sind; und die Menschen haben Augen, um sie wahrzunehmen, wenn es ihnen beliebt, nur können ihre Augen getrübt oder geblendet sein, und das Unterscheidungsvermögen ihres Gesichtes geschwächt oder verloren. Interesse und Leidenschaft verblenden uns; die Gewohnheit, auch gegen unsere Überzeugung für diese oder jene Seite zu argumentieren, verdunkelt den Verstand und läßt ihn allmählich die Fähigkeit einbüßen, zwischen Wahrheit und Falschheit zu unterscheiden und sich so der rechten Seite anzuschließen. Es ist nicht ohne Gefahr, mit dem Irrtum zu spielen und ihn für uns selbst oder andere unter der Maske der Wahrheit aufzuputzen. Der Geist verliert allmählich seinen natürlichen Geschmack an der reellen soliden Wahrheit und befreundet sich unmerklich mit allem, was sich zu irgend welchem täuschenden Anschein derselben aufputzen läßt, und wenn der Phantasie der Platz des Urteils zuerst nur scherzweise eingeräumt wird, so kommt sie bald dahin, ihn durch Gewohnheit zu usurpieren, und was von dieser Schmeichlerin (die nur bemüht ist zu gefallen) empfohlen wird, das wird als gut angenommen. Für diese Hofputzmacherin ( court-dresser), die Phantasie, giebt es so viele Wege des Betruges, solche Künste, den Dingen Farbe, Anschein und Ähnlichkeit zu geben, daß jeder dadurch gefangen wird, der nicht behutsam alles abwehrt außer der Wahrheit selbst und es mit höchster Sorgfalt vermeidet, seinen Geist irgend etwas anderem dienstbar werden zu lassen. Wer Lust hat zu glauben, der hat schon halbwegs zugestimmt, und wer anderen Unwahrheiten aufbindet, indem er häufig gegen seine eigene Einsicht argumentiert, ist nicht weit davon entfernt sie selbst zu glauben. Hiedurch wird der große Abstand, der zwischen Wahrheit und Falschheit liegt, beseitigt; beide werden fast miteinander in Berührung gebracht, so daß es keinen großen Unterschied macht, welches von zweien einander so nahe stehenden Dingen man wählt, und wenn die Dinge auf diesen Punkt gebracht sind, dann entscheiden Leidenschaft oder Interesse etc. leicht und unmerklich darüber, was für recht gelten soll.

§ 34. Gleichmut. – Ich habe oben gesagt, daß wir allen Meinungen gegenüber einen vollkommenen Gleichmut bewahren und nicht wünschen sollen, daß diese oder jene wahr sei, oder versuchen, sie als wahr erscheinen zu lassen, sondern sie unparteiisch aufnehmen und ergreifen, je nachdem die Evidenz und diese allein ihre Wahrheit bezeugt. Wer so verfährt, d. h. seinen Geist gleichmütig bleiben läßt gegen Meinungen, worüber nur nach ihrer Evidenz entschieden werden soll, der wird immer finden, daß sein Verstand Fassungskraft genug besitzt, um zwischen Evidenz und Nichtevidenz, zwischen klar und zweifelhaft zu unterscheiden, und wenn er seinen Beifall nur nach diesem Maßstabe erteilt oder verweigert, so wird er sich auf seine Meinungen sicher verlassen können. Und da deren Zahl vielleicht nur klein sein wird, so wird diese Vorsicht auch die gute Folge haben, daß sie ihn zum Nachdenken antreiben und ihn die Notwendigkeit lehren wird, mehr zu untersuchen, als er bisher gethan hat, da der Geist ohnedem nur ein Behälter für Ungereimtheiten und nicht ein Vorratshaus für Wahrheiten ist. Wer nicht in sich diesen Gleichmut gegen alles andere bewahrt als die nicht vorausgesetzte, sondern ihm bewiesene Wahrheit, der setzt eine farbige Brille vor seine Augen und sieht die Dinge durch täuschende Gläser, und hält sich dann für entschuldigt, wenn er dem falschen Anschein folgt, den er sich selbst vorgespiegelt hat. Ich erwarte nicht, daß aus diesem Wege der Beifall eines jeden nach den Gründen und der Klarheit werde bemessen werden, womit jede Wahrheit sich ausfindig machen läßt, oder daß die Menschen vor Irrtum völlig würden bewahrt bleiben, das ist mehr, als wozu die menschliche Natur durch irgend welche Mittel gefördert werden kann; ein so unerreichbares Privilegium habe ich nicht im Auge, ich spreche nur davon, was die thun sollten, die mit ihrem eigenen Geiste ehrlich umgehen und ihre Fähigkeiten beim Aufsuchen der Wahrheit recht gebrauchen wollen; wir machen uns diese um einen guten Teil weniger zunutze, als sie uns im Stiche lassen. we fail them a great deal more, than they fail us. Über eine schlechte Verwendung ihrer Fähigkeiten haben die Menschen mehr Grund sich zu beklagen als über einen Mangel daran, und sie beklagen sich darüber in der That auch mit Bezug auf andere, die von ihnen abweichender Meinung sind. Wer, gleichmütig gegen alles außer der Wahrheit, seinen Beifall nicht erteilt, bevor er von etwas überzeugt worden, und nicht darüber hinaus, der wird lernen zu prüfen und wird ehrlich prüfen anstatt zu vermuten, und niemand wird in Verlegenheit oder in Gefahr geraten, weil er die Wahrheiten nicht erfassen könnte, die für seine Lage und Umstände notwendig sind. Auf jede andere Weise als diese wird alle Welt zur Rechtgläubigkeit geboren; sie saugen zuerst die anerkannten Meinungen ihres Landes und ihrer Partei ein, und da sie demnach deren Wahrheit niemals in Frage stellen, so kommt nicht einer von hundert jemals zu einer Prüfung. Man lobt sie, weil sie voraussetzen, daß sie recht hätten. Wer nachdenkt, ist ein Feind der Rechtgläubigkeit, weil er möglicherweise von einigen der dort geltenden Lehren abweichen könnte. So erben die Menschen, ohne selbst etwas zu erstreben oder zu erwerben lokale Wahrheiten (denn es sind nicht überall dieselben), und gewöhnen sich ihren Beifall ohne Beweis zu erteilen. Der Einfluß hievon reicht weiter, als man glaubt, denn wo ist unter hundert der blind eifrigen Anhänger aller Parteien auch nur einer zu finden, der jemals die Lehrsätze geprüft hätte, woran er so steif festhält, oder der eine solche Prüfung jemals für seine Aufgabe oder seine Pflicht gehalten hätte? Das für nötig zu halten erregt den Verdacht der Lauigkeit, und es zu unternehmen den einer Neigung zum Abfall. Und wenn jemand seinen Sinn einmal dazu bringen kann, entschieden und heftig für Sätze zu sein, deren Evidenz er niemals geprüft hat, und zwar in Angelegenheiten von der größten Wichtigkeit für ihn, was wird ihn dann in Fällen von geringerer Bedeutung von diesem kurzen und leichten Wege recht zu haben abhalten? So lehrt man uns wie unsern Körper so auch unsern Geist nach der landesüblichen Mode zu kleiden, und das nicht zu thun gilt für Sonderbarkeit oder noch etwas Schlimmeres. Diese Sitte, der sich niemand zu widersetzen wagt, macht, soweit ihre Herrschaft reicht, aus den Kurzsichtigen Bigotte und aus den Behutsameren Skeptiker, und die, welche von ihr abweichen, laufen Gefahr für Ketzer gehalten zu werden; denn, wenn wir die ganze Welt durchgehen, wie oft finden wir einen, der Wahrheit und Rechtgläubigkeit zugleich besäße? Freilich ist es die letztere allein (die sich glücklicherweise überall vorfindet), wonach über Irrtum und Ketzerei geurteilt wird; denn Begründung und Beweis haben hiebei nichts zu bedeuten und dienen nirgends zur Entschuldigung, sondern sind sicher, in allen Gesellschaften durch die unfehlbare Rechtgläubigkeit des Ortes unterdrückt zu werden. Ob dies der Weg zur Wahrheit und rechtem Beifall sei, das möge man aus den Meinungen ersehen, die in den verschiedenen bewohnbaren Erdteilen sich breit machen und das große Wort führen. Ich habe noch niemals einen Grund dafür zu entdecken vermocht, weshalb man sich nicht auf die Wahrheit um ihrer eigenen Evidenz willen sollte verlassen können; ich bin gewiß, daß, wenn diese nicht imstande ist, sie zu stützen, es keine Schutzwehr gegen den Irrtum giebt, und dann sind Wahrheit und Falschheit nur Namen, die ein und dasselbe bedeuten. Die Evidenz ist es also, die allein jedermann lehren kann (und lehren sollte) seinen Beifall zu regeln, der dann und nur dann, wenn er ihr folgt, sich auf dem rechten Wege befindet.

Menschen von ungenügendem Wissen sind gewöhnlich in einem der drei folgenden Zustände befangen: entweder sind sie völlig unwissend, oder sie zweifeln an irgend einem Satze, den sie entweder früher angenommen hatten, oder dem sie gegenwärtig zugeneigt sind, oder endlich sie behaupten und versichern etwas, ohne es jemals geprüft zu haben und durch wohlbegründete Argumente überzeugt zu sein.

Von diesen befinden sich die ersten in dem günstigsten Zustande unter den dreien, weil ihr Geist noch völlig frei und vorurteilslos ist, und sie wahrscheinlich um so besser der Wahrheit nachgehen werden, als ihnen noch kein Hang, der sie irre leiten könnte, beigebracht ist.

§ 35. Denn Unwissenheit mit Gleichmut für die Wahrheit ist dieser näher als eine Meinung mit grundloser Zuneigung, worin die Hauptquelle des Irrtums liegt; und die Gefahr, vom Wege abzukommen, ist größer für die, welche einem Führer folgen, der sie in hundert Fällen gegen einen irre leiten wird, als für den, der noch keinen Schritt gethan hat und sich wahrscheinlicher bewegen lassen wird, nach dem rechten Wege zu fragen. Die der letzten jener drei Klassen angehören, sind in der schlimmsten Lage von allen; denn, wenn jemand von der Wahrheit einer Sache überzeugt und völlig vergewissert sein kann, ohne sie geprüft zu haben, was giebt es dann, das er nicht für wahr annehmen könnte? Und wenn er sich dazu hergegeben hat eine Lüge zu glauben, welche Mittel sind da noch übrig, um jemanden hievon zurückzubringen, der ohne Prüfung überzeugt sein kann. Den andern beiden möge es mir gestattet sein zu sagen, daß der völlig Unwissende, da er sich von beiden in der besten Lage befindet, der Wahrheit auf eine dieser Lage entsprechende Weise nachgehen sollte, d. h. indem er direkt die Natur des Dinges selbst untersucht, ohne sich um die Ansichten anderer zu bekümmern oder sich mit ihren Fragen und Streitigkeiten darüber abzumühen, vielmehr zusieht, was er selbst durch aufrichtiges Forschen nach der Wahrheit ausfindig machen kann. Wer bei dem Studium irgend einer Wissenschaft nach andern Grundsätzen verfährt, mag er auch entschlossen sein sie zu prüfen und unbefangen über sie zu urteilen, der stellt sich doch wenigstens auf die eine Seite und schließt sich einer Partei an, die er nicht verlassen wird, bis er hinausgeschlagen ist, wodurch der Geist unmerklich dazu getrieben wird, sich auf jede mögliche Weise zu verteidigen, und so unversehens seine Unabhängigkeit verliert. Ich leugne nicht, daß jemand sich irgend welche Meinung aneignen muß, nachdem er geprüft hat, sonst hätte seine Untersuchung keinen Zweck; aber der sicherste und gefahrloseste Weg ist, überhaupt keine Meinung zu hegen, bevor er geprüft hat, und dann ohne die geringste Rücksicht auf die Meinungen oder Systeme anderer Leute darüber. Z. B. wenn es mein Geschäft wäre, mich auf die Medizin zu verstehen, würde es nicht der gefahrlosere und geradere Weg sein, die Natur selbst um Rat zu fragen und mich in der Geschichte der Krankheiten und ihrer Heilungen zu unterrichten, als die Prinzipien der Dogmatisten, Methodisten oder Chemisten anzunehmen, auch mich an allen den Streitigkeiten zu beteiligen, die eins von diesen Systemen betreffen, und es für wahr zu halten, bis ich erfahren habe, was die Gegner sagen können, um mich hinauszutreiben? Oder angenommen, daß Hippokrates oder irgend ein anderes Buch unfehlbar die ganze Kunst der Medizin enthalte, würde es dann nicht eher der gerade Weg zur Auffindung der Wahrheit sein, dieses Buch zu studieren, zu lesen und zu betrachten, seine Teile zu erwägen und zu vergleichen, als sich die Lehren irgend einer Partei anzueignen, die, obgleich sie seine Autorität anerkennt, doch schon seinen ganzen Text nach ihrem eigenen Sinne ausgelegt und verdreht hat? Wenn ich die Tinktur hievon eingesogen habe, dann laufe ich mehr Gefahr, seine wahre Meinung mißzuverstehen, als wenn ich zu ihm gekommen wäre mit einem Geiste ohne Voreingenommenheit durch die Doktoren und Kommentatoren meiner Sekte, deren Folgerungen, Auslegungen und Redeweise, woran ich gewöhnt worden, natürlich alles in einem gewissen Tone klingen und jede andere, auch vielleicht die wahre Meinung des Schriftstellers, mir hart, gezwungen und sonderbar erscheinen lassen. Denn, da Wörter von Natur keine eigene Bedeutung haben, so rufen sie dem Hörer diejenige in den Sinn, die er ihnen beizulegen gewohnt ist, gleichviel wie der sie versteht, der sie gebraucht. Dies, denke ich, verhält sich augenscheinlich so, und wenn das der Fall ist, so sollte jemand, der an einem seiner ohne Prüfung angenommenen Lehrsätze irgendwie zu zweifeln beginnt, sich, so viel er vermag, mit Bezug auf diese Frage ganz in jenen Zustand der Unwissenheit versetzen, alle seine früheren Begriffe und die Meinungen anderer beiseite werfen, und mit vollkommener Unparteilichkeit die Frage bis auf ihren Ursprung hin prüfen, ohne irgend welche Zuneigung für die eine oder die andere Seite oder irgend welche Rücksicht auf seine oder anderer Leute ungeprüfte Meinungen. Ich räume ein, daß dies sich nicht leicht ausführen läßt, aber ich forsche nicht nach dem leichten Wege zur Meinung, sondern nach dem rechten Wege zur Wahrheit, dem diejenigen folgen müssen, die mit ihrem eigenen Verstande und ihrer eigenen Seele ehrlich umgehen wollen.

§ 36. Die Fragestellung. – Der Gleichmut, den ich hier empfehle, wird sie auch in den Stand setzen, die ihnen zweifelhaft erscheinende Frage richtig zu stellen; ohnedem aber können sie niemals zu einer reinen und klaren Entscheidung derselben gelangen.

§ 37. Ausdauer. – Eine andere Frucht dieses Gleichmuts und der Betrachtung der Dinge an und für sich selbst, abgesehen von unsern eignen Meinungen und den Gedanken und Reden anderer Leute über sie, wird darin bestehen, daß jedermann seine Gedanken nach der Methode verfolgen wird, die am besten mit der Natur der Dinge und mit seiner Auffassung dessen übereinstimmt, was diese ihm an die Hand giebt, worin er mit Regelmäßigkeit und Beständigkeit fortschreiten sollte, bis er zu einem wohlbegründeten Resultat gelangt, wobei er sich beruhigen mag. Wenn man hiegegen einwenden sollte, danach müsse jeder Mensch ein Gelehrter werden, alle seine sonstigen Geschäfte aufgeben und sich ausschließlich dem Studium widmen, so antworte ich, daß ich niemandem mehr anrate, als wofür er Zeit hat. Der Stand und die Lebensumstände mancher Menschen erfordern keinen großen Wissensumfang, die notwendige Sorge für das Leben verschlingt den größten Teil ihrer Zeit. Daß es aber dem einen an Muße fehlt, ist keine Entschuldigung für die Lässigkeit und Unwissenheit derer, die Zeit übrig haben; und jeder hat genug davon, um so viel Wissen zu erwerben, wie für ihn erforderlich ist und bei ihm erwartet wird, und wer das nicht thut, ist ein Freund der Unwissenheit und dafür verantwortlich.

§ 38. Dünkel. – Die Mannigfaltigkeit der Krankheitszustände ist im menschlichen Geiste ebensogroß wie im menschlichen Körper; einige sind epidemisch, wenige entgehen ihnen, und dazu würde jeder, wenn er in sein Inneres blicken wollte, irgend einen Mangel an seinem individuellen Charakter finden. Es giebt kaum irgend jemanden, der nicht an dieser oder jener Idiosynkrasie litte. Der eine ist stolz auf seine Talente, die ihm im Falle der Not nicht versagen würden, und hält es deshalb für unnötig, irgend welche Fürsorge im voraus zu treffen. Sein Verstand ist für ihn wie die Börse des Fortunatus immer nach Bedarf gefüllt, ohne daß jemals vorher etwas hineingethan würde; und somit sitzt er ruhig still, ohne daß er versuchte seinen Verstand mit Wissen auszustatten. Das ist ein freiwilliges Erzeugnis des Bodens, warum also sich mit dessen Bearbeitung abmühen? Solche Leute mögen ihre natürlichen Reichtümer vor dem Unwissenden entfalten, aber sie thäten wohl daran, sich nicht mit einem Kundigen auf eine Kraftprobe einzulassen. Bei unserer Geburt wissen wir von nichts. Die Oberfläche der sie umgebenden Dinge macht auf die Nachlässigen einen gewissen Eindruck, aber niemand dringt ohne Mühe, Aufmerksamkeit und Fleiß in das Innere derselben ein. Steine und Bauholz wachsen von selbst, dennoch aber giebt es kein einförmiges Gebäude mit Symmetrie und bequemer Wohnungsgelegenheit no uniform pile with symmetry and convenience to lodge in. ohne Arbeit und Mühe. Gott hat die intellektuelle Welt außer uns harmonisch und schön gemacht, aber sie wird niemals auf einmal ganz in unsern Kopf eintreten; wir müssen sie stückweise hineintragen und in uns durch unsern eigenen Fleiß aufbauen, sonst werden wir im Innern nichts als Dunkelheit und ein Chaos haben, wie viel Ordnung und Licht auch in den Dingen außer uns vorhanden sein möge.

§ 39. Verzagtheit. – Andererseits giebt es solche, die ihren eigenen Geist niederschlagen, bei der ersten Schwierigkeit verzweifeln und zu dem Schlusse kommen, daß es ihre Fähigkeiten übersteige, Einsicht in irgend eine Wissenschaft zu erlangen, oder irgend welchen Fortschritt im Wissen über das hinaus zu machen, was ihr alltägliches Geschäft erfordert. Diese sitzen still, weil sie meinen, daß sie keine Beine zum Gehen hätten, wie die andern vorhin von mir Erwähnten, weil sie meinen, Schwingen zum Fliegen zu haben und sich emporheben zu können, wann es ihnen beliebe. Auf diese letzteren könnte man statt einer Antwort das Sprichwort anwenden: »Gebraucht eure Beine, dann habt ihr welche.« Niemand weiß, was seine Anlagen zu leisten vermögen, bevor er sie auf die Probe gestellt hat. Und von dem Verstande kann mein mit größter Wahrheit sagen, daß er im allgemeinen mehr Kraft besitzt, als er glaubt, so lange er nicht versucht hat sie zu gebrauchen. Viresque acquirit eundo. Deshalb besteht hier das geeignete Heilmittel nur darin, den Verstand in Thätigkeit zu setzen und die Gedanken frischweg mit der Aufgabe zu befassen, denn von den Kämpfen des Geistes gilt, wie von denen im Kriege, dum putant se vincere, vicere. Die Überzeugung, daß wir irgend welche Schwierigkeiten, auf die wir in den Wissenschaften stoßen, überwinden werden, verfehlt selten uns durch dieselben hindurch zu führen. Niemand kennt die Stärke seines Geistes und die Kraft einer stetigen und regelmäßigen Anstrengung desselben, bis er sie versucht hat. So viel ist gewiß, daß, wer mit schwachen Beinen sich auf den Weg macht, nicht nur weiter kommen, sondern auch stärker werden wird als der, welcher mit kräftigem Körperbau und festen Gliedern bloß stillsitzt.

Etwas hiemit Verwandtes kann man in sich selber beobachten, wenn der Geist (wie er oft thut) sich selbst mit irgend etwas erschreckt, was er nur in groben Umrissen wahrgenommen und flüchtig, verworren und aus der Ferne überblickt hat. Dinge, die sich dem Geiste so darstellen, tragen den Anschein von nichts als Schwierigkeiten an sich, und man glaubt, daß sie in ein undurchdringliches Dunkel eingehüllt seien. In Wahrheit aber sind das nur Gespenster, die der Verstand für sich selber heraufbeschwört, um seiner eigenen Trägheit zu schmeicheln. An entfernten und unordentlich zusammengehäuften Dingen sieht er nichts deutlich, und zieht hieraus allzu kleinmütig den Schluß, daß sich nichts Klareres an ihnen werde entdecken lassen. Man braucht nur näher hinanzutreten, und der von uns selbst geschaffene Nebel, der sie einhüllte, wird verschwinden, und was in diesem Nebel als furchtbare Riesen erschien, mit denen ein Kampf unmöglich sei, wird sich als etwas von der gewöhnlichen und natürlichen Größe und Gestalt zeigen. Dingen, die bei einem entfernten und verworrenen Anblick sehr dunkel erscheinen, muß man sich mit sachten und regelmäßigen Schritten nähern und zuerst das an ihnen in Betracht ziehen, was am sichtbarsten, leichtesten und augenfälligsten ist. Man zerlege sie in ihre verschiedenen Teile und bringe dann alles, was in betreff eines jeden dieser Teile erkannt werden sollte, ihrer Ordnung gehörig entsprechend in klare und einfache Fragen: alsdann wird, was als dunkel, verworren und zu schwer für unsere schwachen Fähigkeiten erschien, sich dem Verstande in einer reinen Übersicht offen darlegen und den Geist in das einführen, wovon er vorher in Schrecken gesetzt, und wie von etwas völlig Geheimnisvollem fern gehalten ward. Ich berufe mich auf die Erfahrung meines Lesers, ob ihm dieses nicht einmal begegnet ist, namentlich wenn er mit einem Gegenstande beschäftigt beiläufig auf einen andern reflektierte. Ich frage ihn, ob er nicht einmal so von einer plötzlichen Vorstellung gewaltiger Schwierigkeiten erschreckt worden ist, die doch verschwanden, als er sich ernstlich und methodisch der Betrachtung dieses scheinbar schrecklichen Themas widmete, und ob nicht keine andere Ursache zum Erstaunen übrigblieb, als daß er sich mit einer von ihm selbst geschaffenen so entmutigenden Aussicht auf einen Gegenstand unterhalten hatte, der, wie sich bei seiner Behandlung ergab, keinen befremdlicheren oder verwickelteren Charakter hatte als manche andere Dinge, über die er vorlängst mit Leichtigkeit Herr geworden war. Diese Erfahrung sollte Statt would lies should. uns lehren, wie wir ein anderes Mal mit solchem Popanz zu verfahren haben, der eher dazu dienen müßte unsern Mut zu erwecken als unsern Eifer zu entkräften. Der sicherste Weg für einen Lernenden ist in diesem wie in allen anderen Fällen, nicht in Sprüngen und großen Schritten vorwärts zu gehen; das, dessen Erlernung er zunächst unternimmt, muß in der That das Nächstliegende sein, d. h. so nahe wie möglich mit dem, was er schon weiß, verbunden, es muß von diesem verschieden, aber nicht entlegen sein; es muß neu sein und etwas bisher noch Unbekanntes, damit der Verstand weiter komme, aber es muß so wenig wie möglich auf einmal sein, damit seine Fortschritte klar und sicher seien. Allen Boden, den er auf diese Art gewinnt, wird er festhalten. Die deutlich stufenweise Zunahme an Wissen ist fest und sicher, bei jedem Schritte ihres Fortgangs in gemächlichem und geordnetem Zuge führt sie ihr eigenes Licht mit sich, und nichts ist für den Verstand nützlicher als dieses. Und obgleich dies vielleicht als ein sehr langsamer und zeitraubender Weg zum Wissen erscheinen mag, so glaube ich doch bestimmt behaupten zu dürfen, daß jeder, der ihn an sich selbst oder einem Schüler von ihm erproben will, die Fortschritte bei dieser Methode größer finden wird, als sie in demselben Zeitraum bei irgend welcher anderen gewesen wären, die er hätte anwenden können. Der größte Teil des wahren Wissens liegt in einer bestimmten Wahrnehmung von an sich selbst bestimmten Dingen. Und manche Leute gewähren mehr helles Licht und Erkenntnis bloß durch die bestimmte Aufstellung einer Frage als andere dadurch, daß sie volle Stundenlang im großen und ganzen darüber reden. Hiebei thun die, welche eine Frage so aufstellen, nicht mehr, als daß sie die Teile derselben voneinander sondern und loswickeln und sie, nachdem sie so entwirrt worden, in gehörige Ordnung bringen. Dadurch wird oft ohne weitere Umstände der Zweifel gelöst und dem Geiste gezeigt, wo die Wahrheit liegt. Die Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der fraglichen Ideen wird, wenn sie nur einmal getrennt und deutlich ins Auge gefaßt sind, in manchen Fällen sofort erkannt und dadurch klares und dauerndes Wissen gewonnen; wohingegen die Dinge, die haufenweise miteinander aufgenommen, verwirrt durcheinander liegen, im Geiste nur eine verworrene, d. h. effektiv gar keine Kenntnis hervorbringen können, oder wenigstens nur eine solche, die, wenn es zu einer Prüfung und einem Gebrauch derselben kommt, sich wenig besser als gar keine zeigen wird. Ich nehme mir deshalb die Freiheit, hier nochmals zu wiederholen, was ich oben (elsewhere) gesagt habe, daß bei dem Erlernen von irgend etwas dem Geiste so wenig wie möglich auf einmal vorgeführt, und, nachdem dieses verstanden und völlig bemeistert worden, zu dem nächst anstoßenden Teile weiter gegangen werden sollte, zu einem noch unbekannten einfachen unverworrenen Satze, der zu der vorliegenden Sache gehört und zur Aufklärung des hauptsächlichsten Zielpunktes dienen kann.

§ 40. Analogie.. – Die Analogie ist für den Verstand in vielen Fällen von großem Nutzen, namentlich in der Naturwissenschaft und hauptsächlich in dem Teile derselben, der in glücklichen und erfolgreichen Experimenten besteht. Aber hier müssen wir achtsam darauf sein, uns innerhalb der Grenzen dessen zu halten, worin die Analogie ihren Grund hat. Z. B. »die Vitriolölsäure (Schwefelsäure) zeigt sich in einem gewissen Falle als nützlich, deshalb läßt sich der Spiritus von Salpeter oder Weinessig (Salpeter- oder Essigsäure) in demselben Falle gebrauchen.« Wenn die gute Wirkung derselben lediglich ihrer Eigenschaft als Säure zu verdanken ist, dann mag der Versuch gerechtfertigt sein; wenn aber das Vitriolöl noch etwas anderes als die Säure enthält, was den von uns erstrebten Nutzen in dem fraglichen Falle bewirkte, so halten wir Dinge für analog, die es nicht sind, und lassen unsern Verstand durch die falsche Voraussetzung einer Analogie irre leiten, wo keine vorhanden ist.

§ 41. Association. – Ich habe zwar schon in dem zweiten Buche meiner Abhandlung über den menschlichen Verstand von der Association der Ideen gehandelt, Kapitel 33. dies ist jedoch dort auf historische Art geschehen und mehr, um über diese sowohl wie über die mancherlei anderen Thätigkeitsweisen des Verstandes einen Überblick zu geben, als in der Absicht, nach den Heilmitteln zu forschen, die dagegen anzuwenden wären; deshalb wird sie unter diesem letzteren Gesichtspunkte neuen Stoff zum Nachdenken denen darbieten, die geneigt sind, sich über den rechten Weg zur Leitung ihres Verstandes gründlich zu unterrichten; und das um so eher, weil sie, wenn ich nicht irre, eine so häufige Ursache der Täuschung und des Irrtums in uns ist wie kaum irgend etwas, was sonst namhaft gemacht werden könnte, und eine so schwer heilbare Geisteskrankheit wie irgend eine andere, indem es eine sehr schwierige Sache ist, jemanden davon zu überzeugen, daß die Dinge nicht so und natürlicherweise so beschaffen sind, wie sie ihm beständig erscheinen.

Durch dieses eine leicht vorkommende und unbeachtet bleibende Mißverhalten des Verstandes werden aus lockeren und losen Grundlagen unfehlbare Prinzipien, die es nicht dulden angetastet oder in Frage gestellt zu werden; solche unnatürliche Verbindungen werden durch die Gewohnheit für den Geist so natürlich, wie Sonne und Licht, Feuer und Wärme zusammen gehören, und scheinen so eine ebenso natürliche Evidenz mit sich zu führen wie von selbst einleuchtende Wahrheiten. Und wo soll man denn die Heilung mit Aussicht auf Erfolg beginnen? Viele Menschen halten an etwas Falschem fest wie an der Wahrheit, nicht bloß weil sie niemals anders gedacht haben, sondern auch weil sie, so geblendet wie sie von Anfang an gewesen sind, niemals anders haben denken können, wenigstens nicht ohne eine Kraft des Geistes, die imstande gewesen wäre, die Herrschaft der Gewohnheit zu bekämpfen und seine eigenen Prinzipien zu untersuchen, eine Freiheit, wovon wenige Menschen einen Begriff haben, und deren Ausübung noch wenigeren von anderen gestattet wird, da es die große Kunst und Hauptaufgabe der Lehrer und Führer in den meisten Sekten ist, diese fundamentale Pflicht, die jedermann gegen sich selbst hat, und die in dem ganzen Zuge seiner Handlungen und Meinungen den erster: sicheren Schritt zum Rechten und Wahren bildet, so viel wie ihnen möglich ist, zu unterdrücken. Dies könnte einen Grund zu dem Argwohn geben, daß solche Lehrer sich der Falschheit oder Schwäche der Glaubenssätze, die sie verkünden, wohl bewußt sind, weil sie nicht dulden wollen, daß die Grundlagen, worauf sie gebaut sind, untersucht werden: wohingegen diejenigen, die nur nach Wahrheit forschen und nichts anderes zu bekennen und auszubreiten streben, ihre Grundsätze bereitwillig auf die Probe stellen lassen, es gerne sehen, daß sie untersucht werden, den Menschen gestatten sie zu verwerfen, wenn sie das können, und wenn sie etwas Schwaches und Ungesundes enthalten, dessen Aufdeckung wünschen, damit sie selbst so wenig wie andere auf irgend einen angenommenen Satz mehr Gewicht legen mögen, als die Evidenz seiner Wahrheit rechtfertigt und gestattet.

Es findet sich meines Wissens bei allen Klassen von Menschen der große Fehler, daß sie ihren Kindern und Schülern Grundsätze beibringen, was wenigstens, genau betrachtet, auf nicht mehr hinausläuft als darauf, daß sie bewogen werden, die Begriffe und Behauptungen ihres Lehrers mit blindem Glauben anzunehmen und ihnen fest anzuhängen, mögen sie wahr oder falsch sein. Welchen Anstrich man diesem Verfahren geben mag, oder welchen Nutzen es in seiner Anwendung auf das gemeine Volk haben mag, das zur Arbeit bestimmt und allein dem Dienste seines Bauches hingegeben ist, das will ich hier nicht untersuchen. Was aber den freigeborenen Teil der Menschheit anbelangt, dessen Lebenslage seinen Angehörigen Muße, wissenschaftliche Beschäftigung und Wahrheitserforschung gestattet, so kann ich keinen anderen richtigen Weg, ihnen Grundsätze beizubringen, absehen, als so viel wie möglich darauf acht zu geben, daß nicht in ihren zarten Jahren Ideen, die keinen natürlichen Zusammenhang haben, in ihren Köpfen vereinigt werden, und daß ihnen häufig diese Regel als ihr Führer im ganzen Laufe ihres Lebens und ihrer Studien eingeschärft werde, nämlich, daß sie niemals irgend welchen Ideen gestatten sollen, in ihrem Verstande in eine andere oder festere Verbindung miteinander zu treten als die, welche ihre eigene Natur und Wechselbeziehung mit sich bringt, und daß sie häufig die, welche sie in ihrem Geiste verknüpft finden, daraufhin prüfen sollen, ob diese Ideenassociation von der in den Ideen selbst sichtbaren Übereinstimmung oder von der eingewurzelten und vorherrschenden Gewohnheit des Geistes, sie im Denken so zusammenzufügen, herrührt.

Dies dient um dem Übel vorzubeugen, bevor es durch die Gewohnheit niet- und nagelfest geworden ist; wer es aber heilen will, nachdem es durch die Gewohnheit befestigt worden, der muß die sehr schnellen und fast unmerklichen Bewegungen des Geistes bei seiner gewohnheitsmäßigen Thätigkeit genau beobachten. Was ich an einem anderen Orte Über den menschlichen Verstand, Buch II, Kapitel 9, §§ 8–10. über die Umwandlung der sinnlichen Ideen in solche, die ein Urteil enthalten, gesagt habe, kann als Beweis hiefür dienen. Man sage jemandem, der mit Gemälden unbekannt ist, wenn er Flaschen, Tabakspfeifen und andere Dinge so gemalt sieht, wie sie an einigen Orten gezeigt werden, daß er keine hervorragenden Teile sehe, so wird man ihn davon nur durch die Betastung überzeugen können; er wird nicht glauben, daß durch ein momentanes Taschenspieler-Kunststück seiner eigenen Gedanken ihm eine Idee für eine andere untergeschoben sei. Wie häufig begegnen uns Beispiele hievon in den Beweisführungen Gelehrter, die nicht selten von zwei Ideen, die sie sich in ihrem Geiste zu verbinden gewöhnt haben, die eine an die Stelle der anderen setzen und, wie ich anzunehmen geneigt bin, oft ohne es selbst zu bemerken. Dies macht sie, so lange sie hiedurch getäuscht werden, jeder Überführung unzugänglich, und sie zollen sich selber Beifall als eifrigen Kämpfern für die Wahrheit, während sie in der That für den Irrtum streiten. Und die Vermischung zweier verschiedenen Ideen, die durch eine gewohnheitsmäßige Verbindung in ihrem Bewußtsein fast zu einer geworden sind, erfüllt ihre Köpfe mit falschen Ansichten und ihre Begründungen mit falschen Schlüssen.

§ 42. Trugschlüsse. – Das rechte Verständnis besteht in der Entdeckung der Wahrheit und dem Festhalten an ihr, und diese in der Wahrnehmung der sichtbaren oder wahrscheinlichen Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung von Ideen, so wie diese voneinander bejaht und verneint werden. Daraus erhellt, daß die rechte Anwendung und Leitung des Verstandes, dessen Angelegenheit lediglich die Wahrheit ist und nichts anderes, darin besteht, daß der Geist in vollkommenem Gleichmut erhalten werde, so daß er sich keiner Seite irgendwie mehr zuneigt, als entweder die Evidenz sie durch Erkenntnis feststellt, oder das Übergewicht der Wahrscheinlichkeit ihr den Ausschlag des Beifalls und Glaubens giebt; gleichwohl ist es sehr schwer, eine Abhandlung anzutreffen, worin man nicht wahrnehmen könnte, daß der Verfasser nicht bloß für die eine Seite der Frage sich entscheidet (denn das ist vernünftig und sachgemäß), sondern eine Neigung und einen Hang für sie verrät mit Anzeichen eines Verlangens danach, daß sie wahr sein möge. Wenn man mich fragen sollte, woran sich Schriftsteller erkennen lassen, die solch einen Hang haben, und ihm zugeneigt sind, so antworte ich: indem man beobachtet, wie sie in ihren Schriften oder Argumentationen durch ihre Neigungen oft dazu geführt werden, die in Frage stehenden Ideen zu wechseln, entweder durch eine Vertauschung der Ausdrücke, oder indem diesen andere hinzugefügt und mit ihnen verbunden werden, wodurch die in Betracht gezogenen Ideen so abgeändert werden, daß sie ihrem Zwecke besser dienen, und dadurch miteinander in eine leichtere und nähere Übereinstimmung oder in eine deutlichere und weiter reichende Nichtübereinstimmung gebracht werden. Dies ist einfach und geradezu Sophistik; ich bin jedoch weit davon entfernt zu denken, daß überall, wo sich ein solches Verfahren findet, dasselbe in der Absicht, den Leser zu täuschen und irre zu führen, angewendet sei. Offenbar täuschen die Vorurteile und Zuneigungen der Menschen auf diese Weise häufig sie selbst, und ihre Liebe zur Wahrheit ist in Verbindung mit ihrer Voreingenommenheit zu Gunsten der einen Seite gerade das, was sie von ihr entfernt. Die Zuneigung giebt ihnen günstige Ausdrücke an die Hand und läßt diese in ihre Reden einfließen, wodurch günstige Ideen erweckt werden, bis zuletzt durch diese Mittel das so Aufgeputzte für klar und evident erwiesen gilt, was in seiner natürlichen Beschaffenheit genommen, wenn nur von genau bestimmten Ideen Gebrauch gemacht wäre, überhaupt keine Zulassung gefunden hätte. Daß die Behauptungen mit solch einem glänzenden Firnis – diesen vermeintlich Statt as they thought lies as they are thought. schönen, leichten und anmutigen Entwickelungen des Themas der Reden – versehen werden, ist so sehr der Charakter dessen, was ein guter Stil genannt und als ein solcher geschätzt wird, daß sich schwerlich annehmen läßt, die Schriftsteller würden jemals dazu überredet werden, das, was so gut dazu dient, ihre Meinungen zu verbreiten und ihnen in der Welt Ansehen zu verschaffen, mit einer nüchternem und trockenem Schreibweise zu vertauschen, indem sie sich genau an die gleichen mit denselben Ideen verknüpften Ausdrücke hielten; eine herbe und plumpe Steifheit, nur erträglich an Mathematikern, die sich ihren Weg erzwingen und der Wahrheit durch unwiderstehliche Beweise Geltung verschaffen.

Wenn sich aber auch die Schriftsteller nicht bewegen lassen, die loseren sich jedoch mehr einschmeichelnden Schreibweisen aufzugeben, wenn es ihnen auch nicht angemessen erscheint, sich strenge an die Wahrheit zu halten und an die Belehrung durch unveränderliche Ausdrücke und schlichte unsophistische Argumente, so ist doch den Lesern daran gelegen, nicht durch Trugschlüsse und die herrschenden Weisen der Insinuation getäuscht zu werden. Das sicherste und wirksamste Hilfsmittel dagegen ist, in seinem Geiste die klaren und deutlichen Ideen der Frage, von Worten entkleidet, festzustellen, und gleichermaßen in dem Verlaufe der Argumentation die Ideen des Schriftstellers mit Beiseitesetzung seiner Worte aufzufassen und zu beobachten, wie sie die in Frage stehenden verbinden oder trennen. Wer so verfährt, der wird imstande sein alles Überflüssige zu entfernen; er wird sehen, was zur Sache gehört, was zusammenhängt, was die Frage trifft und was ihr vorbeigeht. Dies wird ihm sofort alle fremdartigen Ideen in der Abhandlung zeigen und die Stellen, wo sie eingeführt sind, und er wird, wenn sie auch vielleicht den Verfasser blendeten, doch erkennen, daß sie dessen Folgerungen weder Licht noch Kraft verleihen.

Obgleich dies der kürzeste und leichteste Weg ist, Bücher mit Nutzen zu lesen und sich davor zu hüten, durch große Namen oder plausible Reden irre geführt zu werden, so läßt sich doch, weil er für die nicht daran Gewöhnten schwer und ermüdend ist, nicht erwarten, daß unter den wenigen, die wirklich der Wahrheit nachgehen, ein jeder auf diese Weise seinen Verstand davor bewahren werde, durch die absichtliche oder wenigstens unabsichtliche Sophistik, die sich in die meisten argumentierenden Bücher einschleicht, getäuscht zu werden. Die gegen ihre Überzeugung schreiben, oder ihnen zunächst, die entschlossen sind die Lehren einer Partei, deren Fahne sie folgen, aufrecht zu erhalten, von denen kann man nicht annehmen, daß sie irgend welche Waffen verschmähen sollten, die dazu dienen könnten ihre Sache zu verteidigen, deshalb sollte man die Schriften solcher nur mit der größten Vorsicht lesen. Und die, welche für Meinungen schreiben, wovon sie aufrichtig überzeugt sind und an deren Wahrheit sie glauben, denken, sie dürften es sich soweit erlauben, sich ihrer lobenswerten Wahrheitsliebe hinzugeben, daß sie ihrer Hochachtung für diese (die Wahrheit) gestatten, ihr die schönsten Farben zu verleihen und sie durch die möglichst besten Ausdrücke und Einkleidungen hervorzuheben, um hiedurch für sie den leichtesten Eingang in den Geist ihrer Leser zu gewinnen und sie dort aufs tiefste zu befestigen.

Da wir mit Recht annehmen dürfen, daß die meisten Schriftsteller sich in dem einen dieser beiden Gemütszustände befinden, so empfiehlt es sich, daß ihre Leser, die bei ihnen Belehrung suchen, die Vorsicht nicht verabsäumen, die sich für eine aufrichtige Verfolgung der Wahrheit gehört, und beständig gegen alles wachsam bleiben, was zu deren Verheimlichung oder Entstellung dienen könnte. Wenn ihnen die Geschicklichkeit dafür fehlt, sich den Sinn des Schriftstellers vermittelst reiner Ideen vorzustellen, die von Wortlauten getrennt und dadurch der falschen Beleuchtung und des trügerischen Schmuckes der Sprache entkleidet sind, so sollten sie wenigstens so viel thun: sie sollten sich genau die Frage, worum es sich handelt, beständig vor Augen halten, sie durch die ganze Abhandlung hindurch mit sich führen, und nicht die geringste Veränderung der Ausdrücke dulden, sei es durch Zusätze, Abzüge oder Vertauschungen. Dies kann jeder thun, der Lust dazu hat, und wer die nicht hat, von dem ist klar, daß er seinen Verstand lieber nur zum Packhaus für anderer Leute Plunder macht – ich meine für falsche und unschlüssige Raisonnements – als zu einer Niederlage von Wahrheiten für seinen eigenen Gebrauch, die sich bei eintretender Gelegenheit als wesenhaft erweisen und ihm zu statten kommen werden. Und ob ein solcher mit seinem eigenen Geiste redlich umgeht und seinen eigenen Verstand richtig leitet, das zu beurteilen überlasse ich seinem eigenen Verstande.

§ 43. Fundamentale Wahrheiten. – Da der menschliche Geist sehr beschränkt ist, und so langsam dabei, mit Dingen bekannt zu werden und neue Wahrheiten in sich aufzunehmen, daß kein einzelner Mensch in einem viel längeren Leben als dem unserigen imstande sein würde alle Wahrheiten zu lernen, so entspricht es der Klugheit, bei unserm Streben nach Wissen unser Denken mit fundamentalen und wichtigen Fragen zu beschäftigen unter sorgfältiger Vermeidung der gehaltlosen, und indem wir uns nicht durch bloß nebensächliche von unserm eigentlichen Hauptzweck ablenken lassen. Wie viel von der Zeit mancher jungen Leute mit bloß logischen Untersuchungen weggeworfen wird, brauche ich nicht zu sagen. Das ist nicht besser, als wenn jemand, aus dem ein Maler werden sollte, alle seine Zeit damit hinbringen würde, die Fäden der verschiedenen Leinwandstücke, worauf er malen soll, zu untersuchen, und die Haare in jedem kleinen und großen Pinsel, die er bei dem Auftragen seiner Farben zu gebrauchen beabsichtigt, zu zählen. Ja, es ist viel schlimmer, als wenn ein junger Maler seine Lehrjahre mit solchen nutzlosen Subtilitäten hinbringen würde, denn dieser findet am Ende aller seiner nutzlosen Bemühungen, daß die Malerkunst darin nicht besteht und dadurch nicht gefördert wird, daß sie also wirklich zwecklos waren; wohingegen zum Gelehrtenstande bestimmten Menschen die Köpfe oft mit Streitigkeiten über logische Fragen so angefüllt und erwärmt werden, daß sie diese lustigen und nutzlosen Begriffe für sachliche und wesenhafte Erkenntnisse halten, und meinen, ihr Verstand sei so wohl mit Wissenschaft versehen, daß sie nicht nötig hätten, irgendwie weiter auf die Natur der Dinge einzugehen, oder sich zu der mechanischen Plackerei des Experiments und der Untersuchung herabzulassen. Dies ist eine so offenbar unrichtige Behandlung des Verstandes und zwar eine in den öffentlichen Lehranstalten übliche ( and that in the professed way to knowledge), daß sie sich nicht stillschweigend übergehen ließ, und man könnte dem einen Überfluß von Fragen und die Methode ihrer Behandlung in den Schulen hinzufügen. Eine Aufzählung der eigentümlichen Fehler dieser Art, Das heißt von Verstößen gegen die in dem ersten Satze dieses Paragraphen aufgestellte Regel. deren jedermann sich schuldig macht oder machen kann, würde kein Ende nehmen; es genügt, gezeigt zu haben, daß wir oberflächliche und unbedeutende Entdeckungen und Beobachtungen, die weder an sich selbst von Gewicht sind, noch auch uns als Schlüssel zu weiterer Erkenntnis dienen, nicht für unserer Nachforschung wert halten sollen.

Es giebt fundamentale Wahrheiten, die zu Grunde liegen, die Basis, worauf sehr viele andere beruhen und worin sie ihren Bestand haben. Das sind fruchtbare Wahrheiten, reich an Schätzen, womit sie den Geist versehen, und wie die himmlischen Lichter nicht nur an und für sich schön und unterhaltend, sondern sie geben auch anderen Dingen Licht und Evidenz, die ohne sie nicht gesehen oder erkannt werden könnten. Dazu gehört die bewundernswürdige Entdeckung des Herrn Newton, daß alle Körper aufeinander gravitieren, die als die Grundlage der Naturwissenschaft angesehen werden darf, von der er zum Erstaunen der gelehrten Welt gezeigt hat, welchen Nutzen sie für das Verständnis des großen Baues unseres Sonnensystems hat, während sich noch nicht wissen läßt, wie viel weiter sie uns bei richtiger Verfolgung in anderen Dingen führen wird. Unsers Heilands Hauptgesetz, daß wir unsern Nächsten lieben sollen wie uns selbst, ist solch eine fundamentale Wahrheit für die Ordnung der menschlichen Gesellschaft, daß ich denke, man könnte nach ihr allein alle Fälle und Zweifel aus dem Gebiete der gesellschaftlichen Moral entscheiden. Diese und ähnliche sind die Wahrheiten, die wir versuchen sollten aufzufinden, um unsern Geist damit zu bereichern. Dies führt mich auf einen andern Punkt bei der Leitung des Verstandes, der nicht weniger notwendig ist, nämlich

§ 44. Begründung. – uns daran zu gewöhnen, bei jeder aufgeworfenen Frage zu untersuchen und zu ermitteln, worauf sie beruhe. Die meisten Schwierigkeiten, die uns in den Weg kommen, führen uns wohl erwogen und verfolgt zu einem Satze, der, weil er als wahr bekannt ist, den Zweifel aufhellt und eine leichte Lösung der Frage giebt, während topische und oberflächliche Argumente, die sich auf beiden Seiten in Menge finden lassen, indem sie den Kopf mit vielerlei Gedanken und den Mund mit einem Überfluß von Worten anfüllen, nur dazu dienen, den Verstand zu belustigen und die Gesellschaft zu unterhalten, ohne auf den Grund der Frage zu gelangen, den einzigen Ruheplatz und festen Standort für einen forschenden Geist, dessen Streben nur auf Wahrheit und Erkenntnis gerichtet ist.

Wenn z. B. gefragt wird, ob der oberste Lehnsherr ( grand seignior) rechtmäßigerweise jedem seiner Leute wegnehmen dürfe, was er wolle, so läßt sich diese Frage nicht beantworten, ohne Gewißheit darüber zu erlangen, ob alle Menschen von Natur gleich seien, denn darin liegt ihr Angelpunkt; und wenn diese Wahrheit im Verstände festen Boden gewonnen hat, und von dem Geiste durch die mancherlei Debatten über die verschiedenen Rechte der Menschen in der Gesellschaft hindurchgeführt wird, so wird sie viel dazu beitragen, denselben ein Ende zu machen und zu zeigen, auf welcher Seite die Wahrheit liegt.

§ 45. Der Übergang der Gedanken. von einem Gegenstande auf einen anderen. – Es giebt kaum irgend etwas von größerem Nutzen für den Fortschritt im Wissen, die Bequemlichkeit des Lebens und die Erledigung der Geschäfte, als wenn jemand imstande ist, über seine eigenen Gedanken zu verfügen, und es giebt in der ganzen Leitung des Verstandes kaum etwas Schwierigeres, als eine volle Herrschaft über denselben zu erlangen. Es handelt sich hier wie auch schon oben im § 30 um die Ausbildung der Herrschaft des bewußten Willens über den Intellekt oder das große Gehirn, durch deren Besitz der Mensch sich von der übrigen Tierwelt auf Erden unterscheidet. Vgl. die Anmerkung zum Buch II, Kapitel 10, § 10 der Abhandlung über den menschlichen Verstand. Bei dem wachenden Menschen hat der Geist beständig ein Objekt vor sich, womit er sich beschäftigt, was wir, falls wir lässig oder uninteressiert sind, leicht wechseln können, indem wir unsere Gedanken nach Belieben auf ein anderes übertragen, und von diesem auf ein drittes, was zu keinem der beiden früheren in Beziehung steht. Daher schließen die Menschen voreilig und behaupten häufig, nichts sei so frei wie der Gedanke, und es wäre gut, wenn das der Fall wäre; allein es fehlt nicht an Beispielen, wo sich das Gegenteil als wahr zeigt, und es giebt kaum etwas Stätischeres und Unlenksameres, als in vielen Fällen unsere Gedanken sind; sie wollen sich die zu verfolgenden Gegenstände nicht anweisen und von denen nicht abziehen lassen, woran sie sich einmal gefesselt haben, sondern laufen auf der Jagd nach den Ideen, die sie im Auge haben, mit uns davon, mögen wir uns auch dagegen wehren, so viel wir können.

Ich will hier nicht das wiederholen, worauf ich oben aufmerksam gemacht habe, wie schwer es ist, den Geist, der durch eine Gewohnheit von dreißig oder vierzigjähriger Dauer auf eine dürftige Sammlung von auf der Hand liegenden und alltäglichen Ideen eingeschränkt worden, dazu zu bringen, sich mit einem größeren Vorrat zu bereichern und sich nach und nach mit solchen bekannt zu machen, die ihm mehr Stoff zu nützlicher Betrachtung darbieten würden; das ist es nicht, wovon ich hier rede. Die Unzuträglichkeit, die ich hier zur Anschauung bringen und wofür ich ein Heilmittel finden möchte, ist die Schwierigkeit, die es zuweilen hat, unser Denken von einem Gegenstände auf einen anderen hinüber zu führen in Fällen, wo die Ideen uns gleichermaßen vertraut sind.

Sachen, die unseren Gedanken durch eine unserer Leidenschaften empfohlen sind, nehmen unseren Geist mit einer Art von Autorität in Besitz und lassen sich nicht ausschließen oder vertreiben, sondern, gleich als ob die herrschende Leidenschaft zeitweilig der Sheriff des Ortes wäre und mit dem ganzen Aufgebot (von Mannschaft) anrückte, wird der Verstand ergriffen und für das von ihr eingeführte Objekt in Beschlag genommen, als wenn dieses ein gesetzliches Recht darauf hätte, allein von ihm in Betracht gezogen zu werden. Es giebt wohl, denke ich, kaum jemanden von so ruhigem Temperament, daß er nicht mitunter seinen Verstand dieser Tyrannei unterworfen gefunden und von deren Unzuträglichkeit gelitten hätte. Wo wäre etwa einer zu finden, dessen Geist nicht zu dieser oder jener Zeit Liebe oder Zorn, Furcht oder Kummer so an irgend einen Klotz gefesselt hätten, daß er sich keinem anderen Gegenstande zuwenden konnte? Ich nenne das einen Klotz, denn es hängt dergestalt an dem Geiste, daß es dessen Kraft und Thätigkeit bei der Verfolgung anderer Betrachtungen hindert, und kommt doch selbst wenig oder gar nicht in der Erkenntnis des Dinges weiter, welches es so eng umfaßt und beständig anstarrt. So besessene Menschen sind zuweilen, als ob sie dies im schlimmsten Sinne wären und der Macht eines Zaubers unterlägen. Sie sehen nicht, was vor ihren Augen geschieht, hören nicht die laute Unterredung der Gesellschaft, und wenn sie durch irgend eine starke Einwirkung auf ihre eigene Person ein wenig aufgerüttelt werden, dann sind sie wie Menschen, die aus einer entfernten Gegend nach Hause zurückgebracht worden, während sie in der That nicht weiter herkommen als aus dem geheimen Kabinett ihres Innern, wo sie gänzlich von der Puppe eingenommen waren, die gerade damals zu ihrer Unterhaltung diente. Die Beschämung, die solche Geistesabwesenheit wohlerzogenen Leuten verursacht, wenn sie diese der Gesellschaft entzieht, worin sie an der Unterhaltung teilnehmen sollten, ist ein hinlänglicher Beweis dafür, daß es ein Mangel in der Leitung unseres Verstandes ist, wenn wir ihn nicht so in unserer Gewalt haben, daß wir ihn für die Zwecke und bei den Gelegenheiten gebrauchen können, wobei wir seines Beistandes bedürfen. Der Geist sollte beständig frei und bereit sein, sich der Mannigfaltigkeit der vorkommenden Objekte zuzuwenden und ihnen so viel Betrachtung zu widmen, als zu jeder Zeit passend erscheint. Wenn er von einem Objekt so eingenommen ist, daß er sich nicht bewegen läßt, es um eines anderen willen zu verlassen, was wir unserer Betrachtung mehr wert halten, so wird er für uns nutzlos. Wenn dieser Geisteszustand immer so bliebe, dann würde jedermann ohne Bedenken ihn als vollkommene Verrücktheit bezeichnen, und so oft er wiederkehrt, würde solch ein Kreislauf der Gedanken um dasselbe Objekt, so lange er dauert, uns im Wissenserwerb nicht mehr vorwärts bringen, als jemand durch Besteigung eines Mühlpferdes, während es in seiner Kreisbahn entlang trabt, einen Reiseweg zurücklegen könnte.

Ich gebe zu, daß berechtigten Leidenschaften und natürlichen Neigungen etwas eingeräumt werden muß. Jedermann hat von gelegentlichen Affekten abgesehen Lieblingsstudien, und diesen wird der Geist fester anhängen; gleichwohl ist es am besten, daß er beständig frei und zur unbeschränkten Verfügung des Menschen bleibe und thätig werde, wie und woraufhin ihn dieser leitet. Dies sollten wir zu erreichen suchen, wenn wir nicht mit solch einem Mangel an unserm Verstande zufrieden sein wollen, daß wir mitunter gleichsam so sind, als ob wir überhaupt keinen hätten; denn in einer wenig besseren Lage befinden wir uns in Fällen, wo wir ihn nicht zu den Zwecken gebrauchen können, wozu wir ihn gebrauchen möchten und wofür wir ihn augenblicklich nötig haben.

Bevor sich jedoch auf geeignete Heilmittel für diese Übel Beoacht nehmen läßt, müssen wir dessen verschiedene Ursachen erkennen und danach die Kur regeln, wenn wir mit Hoffnung auf Erfolg arbeiten wollen.

Eine haben wir schon beispielsweise erwähnt, die allen nachdenkenden Menschen so allgemein bekannt ist und ihnen so oft erfahrungsmäßig an ihrer eigenen Person begegnet, daß niemand daran zweifeln kann. Eine vorherrschende Leidenschaft bindet unsere Gedanken so fest an ihren Gegenstand und ihr Interesse, daß ein leidenschaftlich verliebter Mann sich nicht dazu bringen kann, an seine alltäglichen Geschäfte zu denken, oder eine zärtliche Mutter im Grame über den Verlust ihres Kindes außer stande ist, wie sie zu thun pflegte, an der Unterhaltung einer Gesellschaft oder dem Gespräch ihrer Freunde teilzunehmen.

Die Leidenschaft ist aber, wenn gleich die augenfälligste und allgemeinste, doch nicht die einzige Ursache, die den Verstand fesselt und ihn zeitweilig auf ein Objekt beschränkt, wovon er sich nicht abziehen läßt. Außerdem finden wir häufig, daß der Verstand, wenn er sich eine Zeitlang mit einem ihm vom Zufall oder einem unbedeutenden Umstande dargebotenen Thema beschäftigt hat, ohne das Interesse oder die Empfehlung einer Leidenschaft sich selbst in eine Erwärmung dafür hineinarbeitet, und allmählich in ein Rennen gerät, dessen Geschwindigkeit wie bei einer von einem Hügel hinabrollenden Kugel stetig zunimmt, und was sich nicht anhalten oder ablenken läßt, obgleich er (der Verstand), wenn die Hitze verflogen ist, einsieht, daß diese ganze ernste Anstrengung einer nicht eines Gedankens werten Kleinigkeit galt, und alle dabei aufgewendete Mühe verlorene Arbeit war.

Es giebt, wenn ich nicht irre, eine dritte noch tiefer stehende Art, nämlich eine Art von – wenn ich so sagen darf – kindischem Wesen des Verstandes, worin er, solange der Anfall dauert, mit einer bedeutungslosen Puppe ohne Zweck und überhaupt ohne irgend eine Absicht spielt und tändelt, und doch nicht leicht hievon abgebracht werden kann. So kommt zuweilen eine triviale Sentenz oder ein poetischer Brocken den Menschen in den Kopf, und macht dort einen Klingklang, der nicht zu stillen ist; keine Ruhe läßt sich herstellen, keine Aufmerksamkeit für irgend etwas sonst erlangen, vielmehr nimmt dieser unverschämte Gast den Geist in Beschlag und die Gedanken in Besitz trotz aller Versuche ihn los zu werden. Ob ein jeder an sich selbst dieses störende Eindringen von lustig hüpfenden ( frisking) Ideen erfahren hat, die den Verstand so belästigen und an besserer Beschäftigung hindern, weiß ich nicht. Ich habe jedoch Personen von sehr guten Anlagen, und mehr als eine, davon reden und darüber klagen gehört. Der Grund, weshalb ich diesen Zweifel äußere, liegt in der Erfahrung, die ich über etwas hiemit Verwandtes aber noch viel Seltsameres gemacht habe, nämlich über eine Art von Visionen, die manche Leute haben, wenn sie im Dunklen oder mit geschlossenen Augen ruhig, aber vollkommen wach daliegen. Ihnen erscheint dann eine große Mannigfaltigkeit von gewöhnlich höchst sonderbaren Gesichtern in einem Zuge eines nach dem anderen, so daß, wenn sie das eine eben erblickt haben, es sofort verschwindet, um einem anderen Platz zu machen, welches in demselben Augenblick nachfolgt, und sich ebenso schnell wieder entfernt wie sein Vorgänger, und so gehen sie einher in beständiger Aufeinanderfolge, auch kann keines von ihnen durch irgend welche Anstrengung zum Stillstand gebracht oder über den Augenblick seiner Erscheinung hinaus zurückgehalten werden, sondern es wird von seinem Nachfolger, an dem die Reihe ist, verdrängt. Über dieses phantastische Phänomen habe ich mit verschiedenen Leuten gesprochen, von denen einige es sehr gut kannten, während es anderen so völlig fremd war, daß sie kaum dazu gebracht werden konnten, es zu verstehen oder zu glauben. Ich kannte eine Dame von vorzüglicher Begabung, die das dreißigste Lebensjahr überschritten hatte, ohne jemals die geringste Kenntnis von so etwas zu erlangen; es war ihr so vollkommen fremd, daß sie, als sie mich und jemand anders davon reden hörte, sich kaum des Gedankens erwehren konnte, daß wir sie zum Besten hätten. Einige Zeit hernach aber, als sie vor dem Zubettegehen nach ärztlicher Verordnung eine große Dosis schwachen Thees zu sich genommen hatte, sagte sie uns bei dem nächsten Zusammentreffen, daß sie jetzt erfahren habe, wovon unsere Reden sie nur mit vieler Mühe zu überzeugen vermocht hatten. Sie habe eine große Mannigfaltigkeit von Gesichtern, in langem Zuge auseinander folgend, gesehen, wie wir es beschrieben; alle seien Fremde und Eindringlinge gewesen, solche, womit sie vorher keine Bekanntschaft gehabt, und wonach sie auch damals nicht gesucht habe; und, wie sie von selbst gekommen, so seien sie auch wieder gegangen; keines von ihnen hätte einen Augenblick verweilt, oder sich bei aller ihr möglichen Anstrengung festhalten lassen, sondern sie seien in feierlicher Prozession einhergeschritten, in diesem Augenblick erschienen und im nächsten verschwunden. Dieses seltsame Phänomen scheint eine mechanische Ursache zu haben und auf dem Stoffe und der Bewegung des Blutes oder der Lebensgeister zu beruhen.

Wenn die Phantasie durch Leidenschaft gefesselt ist, so kenne ich keinen anderen Weg, um den Geist zu befreien und ihm die Möglichkeit zu geben, die von uns bevorzugten Gedanken zu verfolgen, als die gegenwärtige Leidenschaft zu dämpfen, oder ihr eine andere als Gegengewicht zu geben, eine Kunst, die sich durch Studium und Bekanntschaft mit den Leidenschaften erwerben läßt.

Die, welche Neigung haben, von dem spontanen Lauf ihrer eigenen Gedanken ohne Antrieb durch eine Leidenschaft oder ein Interesse fortgerissen zu werden, müssen bei allen Beispielen hievon sorgfältig darauf bedacht sein, dem entgegen zu treten, und niemals ihrem Geiste bei solchen gehaltlosen Beschäftigungen willfährig sein. Den Wert ihrer körperlichen Freiheit wissen die Menschen zu schätzen und geben deshalb nicht gerne zu, daß ihnen Fesseln und Ketten angelegt werden; einen zeitweilig gefesselten Geist zu haben ist aber sicherlich das größere Übel von beiden, und die Freiheit unseres besseren Teiles zu erhalten, verdient unsere äußerste Sorgfalt und Anstrengung. In diesem Falle wird unsere Mühe nicht verloren sein, durch Anstrengung und Kampf werden wir die Oberhand gewinnen, wenn wir beständig bei allen solchen Gelegenheiten uns dieser Mittel bedienen. Wir dürfen uns niemals solchen trivialen Aufmerksamkeiten des Gedankens hingeben; sobald wir finden, daß der Geist sich mit nichts etwas zu thun macht, müssen wir ihn sofort stören und hindern, neue und ernsthaftere Erwägungen einführen und nicht ablassen, bis wir ihn von der Spur, die er verfolgte, abgebracht haben. Wenn wir das entgegengesetzte Verhalten zu einer Gewohnheit haben werden lassen, so wird dies zuerst vielleicht schwer sein: aber unausgesetzte Versuche werden nach und nach die Oberhand gewinnen und es zuletzt leicht machen. Und wenn jemand hierin gute Fortschritte gemacht hat, und seinen Geist nach Belieben von beiläufigen nicht in seiner Absicht liegenden Forschungen abberufen kann, dann wird es für ihn vielleicht nicht unrichtig sein weiter zu gehen und sich an Betrachtungen von größerer Bedeutung zu versuchen, damit er zuletzt eine volle Gewalt über seinen eigenen Geist erlange, und so vollständig über seine eigenen Gedanken Herr werde, daß er imstande sei, sie von einem Gegenstand auf einen anderen mit derselben Leichtigkeit zu übertragen, wie er etwas beiseite legen kann, was er in seiner Hand trägt, und an dessen Stelle etwas anderes ergreifen, wozu er Lust hat. Diese Freiheit des Geistes ist sowohl in Geschäftssachen wie bei dem Studium von großem Nutzen, und wer sie sich erworben hat, dem wird bei allem, was die erwählte und nützliche Anwendung seines Verstandes ausmacht, kein geringer Gewinn an Leichtigkeit und Schnelligkeit zufallen.

Die dritte und letzte von mir erwähnte Weise, wie der Geist mitunter eingenommen ist, ich meine das Fortklingen gewisser einzelner Wörter oder Sentenzen im Gedächtnis, die gleichsam einen Lärm im Kopfe verursachen, u. dgl. kommt nur selten vor, wenn der Geist nicht müßig oder nur sehr lose und nachlässig beschäftigt ist. Es wäre freilich besser, solcher zudringlichen und nutzlosen Wiederholungen entledigt zu sein, da die erste beste Idee, die sich sorglos auf gut Glück (in unserem Kopfe) umhertreibt, nützlicher und eher dazu geeignet ist, uns etwas der Betrachtung Wertes an die Hand zu geben als das bedeutungslose Gesumme bloßer leerer Töne. Da aber der Geist gewöhnlich von diesen nichtsnutzigen Begleitern sofort freigemacht wird, wenn wir ihn aufrütteln und den Verstand einigermaßen energisch in Thätigkeit versetzen, so wird es sich jedesmal, so oft wir uns durch sie belästigt finden, empfehlen, von einem so vorteilhaften Heilmittel, was stets zur Hand ist, Gebrauch zu machen.

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