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Vorwort

Wir gehen einer Zeit steigenden Kunstempfindens und steigender Schätzung künstlerischer Werte entgegen. Auf den grenzenlosen Ungeschmack der achtziger Jahre folgt die Reaktion, die auf keinem Gebiete wärmer zu begrüßen ist als auf dem des Städtebaues; denn hier hat ein nur auf Gelderwerb spekulierender Materialismus Sünden begangen, unter deren Folgen noch zwei Generationen nach uns zu leiden haben werden. Das ist ja in der Baukunst das Schlimme und auch das Große wiederum, daß ihre Schöpfungen nicht für den Tag, sondern für ein Jahrhundert, wenn nicht für Jahrhunderte geschaffen werden. Daß sie nicht wie die Verirrungen sensationslüsterner Maler und Schriftsteller nach kurzer Zeit in das Meer der Vergessenheit zurücksinken, sondern Tag für Tag an unserem Wege stehen und das Unverständnis ihres Schöpfers, zuweilen auch die Kulturlosigkeit eines ganzen Geschlechtes über Plätze und Gassen hin, laut predigen.

In letzter Stunde ist diese Wendung eingetreten. Denn noch ein Jahrzehnt so weiter und dann wären, auch ohne die vielfach zu Unrecht verlästerte Industrie, die wundervollen Städtebilder der Alpen für immer verwüstet gewesen.

Die Aufgabe, die den Stadtgemeinden von heute aber gestellt ist, erscheint mit der bloßen Bewahrung vor pietätloser Verunstaltung und Zerstörung, nicht gelöst. Der »Heimatschutz« ist wohl ein wichtiger Zweig des modernen Städtebaues, das Wichtigste aber ist nicht die Konservierung, sondern die Fortgestaltung. Dem Alten Gleichwertes und mit ihm in harmonischem Einklange Stehendes an die Seite zu stellen, die bleibenden Grundfesten der Städtearchitektur aus dem uns Überlieferten herauszuschälen und auf das künftig Entstehende anzuwenden, den Städtebau den Händen des Ingenieurs, in die er zu seinem Unheil in der Gründerzeit geraten war, zu entnehmen und ihn dem Raumkünstler, dem Architekten, zurückzugeben, ihn wieder zur Städtebaukunst zu erheben, das muß das Endziel jeglicher Bestrebung sein.

In keiner Kunst aber ist das L'art pour l'art, das noch nie die Parole eines großen Könnens gewesen ist, unmöglicher als in der Raumkunst. Gemälde und Statuen wird wohl immer nur ein kleiner Kreis von Kennern kaufen, die große Masse des Volkes wird sich immer mit Reproduktionen begnügen. Das Haus an der Straße aber baut jedermann. Baut Gevatter Schneider und Handschuhmacher, so gut wie der Rentner und der Großkaufmann. Als man 1357 den Bau des Domes zu Florenz wieder aufgenommen hatte, da wurde die gesamte Bürgerschaft aufgefordert, sich mit Vorschlägen oder Kritik zu beteiligen. Und unter beispielloser Anteilnahme der Bevölkerung wurden die Pläne zu dem gewaltigsten Werke der italienischen Frührenaissance entworfen und ausgeführt. Auch unsere Zeit wird die volle Genesung der Baukunst erst erleben, wenn jedermann eine aufgeputzte Gschnasvilla von einem in Maßharmonie erbauten Landhaus zu unterscheiden vermag.

Diesen Werdegang zu fördern, das ist auch die Absicht dieser Bilder. Auf die Begleitworte, die sich ihnen unterordnen und keinen Anspruch darauf erheben, als wissenschaftliche Abhandlung zu gelten, trifft das gleiche zu, was Julius Baum im Vorworte zum Bande »Süddeutschland« sagt: »Sie wollen auch nicht eine Zusammenfassung alles aus diesem Gebiete Wissenswerten geben, sondern lediglich in anspruchsloser Form die Abbildungen erläutern und die notwendigen Voraussetzungen zum Verständnis der Entwicklung der Tiroler Städte vermitteln.«

Daß dabei der Begriff Stadt im verwaltungsrechtlichen Sinne nicht durchwegs strenge Beachtung fand, sondern auch größere Märkte, ja selbst einzelne Ortschaften, die nur auf den Titel Dorf Anspruch zu erheben berechtigt sind, aufgenommen wurden, findet seine Erklärung in der partikularistischen Entwicklung des Tiroler Städtetums, die den Stadttitel vielfach großen und für die Geschichte des Landes wichtigen Orten versagte, während sie ihn kleineren und bedeutungslosen ohne deren Zutun verschaffte.

Wenn die nachfolgenden Zeilen und Bilder schließlich auch ein klein wenig dazu beitragen, daß einer oder der andere von den Hunderttausenden, die Sommers meiner Heimat Berge aufsuchen, aufmerksam wird, daß in Tirol auch noch anderes zu sehen ist, als Felsgipfel und Firnfelder, dann haben sie ihren Zweck vollauf erfüllt.

Torbole, im Jänner 1914
Oskar Friedrich Luchner.


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