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Die neue Zeit

Jahrzehnte hindurch haben wir gezittert, wenn wir das Alte stürzen sahen. Denn es war kein neues Leben, das aus den Ruinen blühte, sondern die trostlose Nüchternheit einer von allen guten Geistern verlassenen Zinsengier. Das ist erfreulicherweise nun aber doch langsam anders geworden. Es gibt heute bereits Städte, in denen man getrosten Mutes die Hacke an das Alte legen sieht, weil man gewiß sein kann, daß künstlerisch Gleichwertiges, in praktischer Einsicht aber Überlegenes an seine Stelle treten wird, wie in Deutschland die kleineren Städte, Ulm, Augsburg, Stuttgart, den Riesenstädten mit gutem Beispiel vorangingen, so ist auch in Tirol der Ruf der Heimatschutzbewegung in der Hauptstadt des Landes erst gehört worden, da bereits andere Städte ihm schon lange Gefolgschaft leisteten, allen voran die rebenumkränzte alte Handelsstadt zwischen Talfer und Eisack, Bozen. Hier hatte eine kunstfreudige Bürgerschaft einen genialen Beherrscher der Raumkunst, den Sachsen Wilhelm Kürschner, an die Spitze des städtischen Bauwesens gestellt. Was dieser in den sieben Jahren, die seinem Wirken vergönnt waren, unterstützt von dem verständnisvollen Patriziertum der reichen Stadt, geschaffen hat, das zählt zu den besten Werken der neuen deutschen Kunst. Seine ersten Werke verraten noch schwankende Zweifel des nicht völlig in den Geist der fremden Stadt Eingelebten. Dann aber hat er seinen, den Stil seiner neuen Heimat, gefunden und handhabt ihn, welches Problem immer an ihn gestellt wird, mit einer beispiellosen Souveränität und Sicherheit. Die Grundfesten der guten alten und der guten neuen Baukunst, Echtheit der Form, der Fügung, des Materials mit peinlicher Sorgfalt wahrend, schreitet er von Bau zu Bau zu immer größerer Klarheit und entzückenderem Gleichmaß. Die schönsten Häuser im alten Straßengewirre werden gefällt und steigen verjüngt, und uns doch so vertraut, an ihre Stelle empor. Mit unendlicher Liebe behandelt er das kleinste, das unscheinbarste Häuschen und findet Lösungen, die so natürlich, so ungezwungen sind, daß sie uns als die einzig möglichen erscheinen. Überraschend schnell stecken die guten Beispiele an. Auch der private setzt einen Stolz darein, gut zu bauen. Und wenn ein einzelner die der Allgemeinheit schuldige Rücksicht außer acht lassen wollte, so schreibt ihm die Baubehörde sie zwangsweise vor.

Von den anderen Südtiroler Städten hat sich Meran etwas später, aber seither auch entschieden auf den Boden des Heimatschutzes gestellt. Seit einigen Jahren auch das kleine Klausen, freilich erst, nachdem einige der berühmten Häuser in der Frag hingeopfert waren.

Auch in der Landeshauptstadt Innsbruck, in der ein allen künstlerischen Empfindens barer Ingenieurgeist bösartige und für lange, lange Zeit nicht mehr gut zu machende Bauvandalismen geschehen ließ, ist seit kurzem ein Umschwung zum Besseren eingetreten. Das Adamhaus und andere Neubauten berechtigen zur Hoffnung, daß die Wiedergeburt der wundervollen Altstadt, zu der der Häuserfraß nunmehr vorgedrungen ist, in einer Weise geschieht, daß dieses Kleinod des Landes kommenden Geschlechtern erhalten bleibt.

Langsam beginnt sich unsere durch die ungeheure Entwicklung der Technik geblendete Zeit zu erinnern, daß sie im besten Begriffe war, unersetzliche geistige Kulturwerte gegen mechanische Errungenschaften einzutauschen. Die Vertiefung des Lebens, der persönliche Stil der Lebensführung wird allmählich wieder ein Ding aufs innigste zu wünschen.

Der Fortschritt wird nicht mehr allein nach dem Ellenmaß, sondern nach seiner Rückwirkung auf unsere gesamte Lebenskultur gemessen. An die Stelle der blinden Nachahmung vergangener Ausdrucksformen einer toten Zeit ist die Neuschöpfung aus der Fülle des reichen Empfindens unserer Tage getreten. Unter harten Kämpfen und Schmerzen wurde der Stil unserer Zeit geboren, der Stil der einfachen Zweckmäßigkeit der Formen und der Lauterkeit des Materiales. Dieses stolze Bewußtsein, daß unsere Zeit, müde des gewaltigen, noch nie in der Geschichte der Menschheit dagewesenen technischen Fortschrittes, nunmehr tatkräftig am Werke ist, die Errungenschaften der Technik künstlerisch auszubauen, den Kreis des menschlichen Wirkens, der in den letzten Jahrzehnten eine nie geahnte Erweiterung erfahren, mit Lebenskultur auszufüllen, nicht fort sich nur zu entwickeln, sondern auch hinauf, läßt uns die Sünden unserer Vätergenerationen langsam vergessen. Von den traurigen Straßenzügen der achtziger Jahre wendet sich unser Blick mit freudiger Genugtuung zu den Schöpfungen der jüngsten Zeit, deren ehrliches Wollen Gewähr dafür bietet, daß wir langsam, wenn auch langsam nur, aufwärts steigen. Die Werke des Dichters, Malers und Bildhauers können, von einzelnen geschaffen und für einzelne bestimmt, über den Kulturgrad eines Volkes täuschen. Die Städte allein offenbaren nicht nur den künstlerischen Geschmack ihrer Erbauer, sondern die Höhe der Kulturentwicklung eines ganzen Volkes.

siehe Bildunterschrift

161. Schild am Rößlwirtshaus in Hall


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