Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6.

Derweilen saßen in der Taverne bei Vater Scarpina die Leute beisammen mit viel unnützen Reden. Am obern Tische, wo nicht jedermanns Ellenbogen das Holz wetzen durfte, war der Magister Placidi mit seiner Kumpanei seßhaft, und sie wechselten den Wein alle Stunden und ließen die Karten fliegen. Magister Placidi war ein gelehrter Mann, der es verstand, mit schöngeschwungenen Briefen die säumigen Schuldner dessen zu gemahnen, was vor Gott und den Menschen recht war; wußte auch für einen Liebenden die Ehefrau eines anderen auf Pergament zu umgirren, daß sie sich anstatt zur Messe in sein Quartier begäbe; führte um billiges Geld vor den Gerichten Prozesse, schrieb Testamente für Leute, die bald ins Himmelreich einzugehen dachten und doch ihren Erben nichts gönnten; und verstand auch sonst mancherlei Künste, sonderlich die lateinische Sprache nicht viel weniger gut als der Römer Cicero, und machte hieraus kein Hehl.

Dem Magister war ein Kännchen des guten Weines von Torre del Greco hingestellt worden, und er nahm ihn schluckweis ein mit einem lateinischen Segen, daß er ihm fördersam sei:

Primum gotum
bibe totum,
at secundum
vide fundum!

Als der Paternostermacher Zaffi fragte, was das wohl bedeuten sollte, verschob der Magister tiefsinnig die Augenbrauen in seinem großen Gesicht, das nur aus Hautfalten gebildet war, räusperte sich und erklärte, daß Romulus und Remus, die Söhne der Wölfin, die auf dem Campo von Siena erzen in Gesellschaft ihrer Ziehmutter zu erblicken seien, mit diesem Segensspruche die Stadt Rom gegründet hatten, und weil sie dazu reichlich Wein aus Frascati getrunken, so stehe Rom noch heute und werde noch lange stehen, trotz Kaiser, König und Papst.

»Ein heidnischer Spruch!« meinte Bruder Ambrogio und schüttelte bedenklich den Kopf. Aber der Bader Bicci, der weit berühmt war wegen seiner Schröpfkröpfe, mit denen er fast Tote auferwecken konnte, wußte, daß die alten römischen Heiden schon heimlich Christen gewesen wären, um der Apostelfürsten würdig zu sein, und daß sie ein steinernes Bild der Madonna in einer verborgenen Höhle aufbewahrt hätten, bis es sich ans Licht wagen durfte in den Tagen des Glaubens.

»Mag sein! Mag wohl sein!« nickte bedächtig der Magister. – »Wunderbar sind ja die Wege des Herrn!« und forderte einen neuen Krug Wein. – »Montepulciano!« bedeutete er ernsthaft dem Küfer. »Nicht den schlechten aus Val d'Elsa, an dem ich gestern fast gestorben wäre!« – Und dann trank er auf das Gedeihen der sienesischen Wölfin mit ihren beiden Söhnen, ob sie gleich Römer waren, und bot wacker den Krug seinem Nebenmann.

Sie hatten eine Weile des Spieles vergessen, doch jetzt schlug der Bader ihnen neue Karten zu, und sie spähten mit Ehrfurcht in die bunten Blättlein, die der Galgano aus Venedig hergebracht hatte. Der Paternostermacher Zaffi saß aber dahinter und guckte bald beim Magister ein und bald beim Bader und vermaß sich in seinem Eifer: »Ich tät jetzt den blauen Ritter auswerfen!« – Magister Placidi wandte sich um, schaute dem Zaffi mit seinen Kugelaugen ins Gesicht hinein, legte seine Karten auf den Tisch und sprach bedächtig: »Der große Römer Livius lehrt folgendes, das heilige Kartenspiel betreffend: Wer den fleißigen Spielern über die Achsel lugt, also daß sie in eine fiebrische Angst fallen, den soll man gänzlich verjagen und heißt ihn schmählich einen Kiebitzvogel. Wer aber die Karten gar von zweien Spielern beglotzt hat und kommt ihm ein Lüstlein, dem einen was kundzutun durch Klappern mit den Augendeckeln oder er schwatzt gar mit seinem Maul, den soll man in Straf setzen um fünf Batzen oder einen Krug nicht zu schlechten Weines zum gemeinen Besten. Und dann verjag ihn!«

Ganz klein wurde der Paternostermacher vor solch erhabenem Römerwort und schwor bei etlichen Heiligen, nimmer seine Zunge zu schleifen und alles brav hinunterzuwürgen, was ihm beifallen mochte, und war sich hoch der Ehre bewußt, so würdigen Herren ins Spiel einzuspähen. Aber schnell gewann der Vogel Kiebitz, der mit dem Bösen im Bunde steht, wieder Gewalt über ihn, und er konnte sich nicht mehr bezähmen, sonst wäre er gar auseinandergeborsten, und sprach zum Bruder Ambrogio, der gerade den roten Daus geworfen hatte: »Gefehlt! Müsset jetzt das grüne Blättlein ausfliegen lassen!«

Wiederum legte der Magister seine Karten hin, die gesprenkelte Seite oberwärts, so daß man nicht wahrnehmen konnte, was er im Stich hatte, ließ erwägend einen langen Schluck in die Gurgel rinnen, und dann drehte er sich auf seinem Stuhl herum und belehrte von neuem den Zaffi: »Also redet der Livius fort: Wer gar sich bedünkt, so voller Weisheit zu sein, daß er wagt, den Spielern Rat zu geben, oder sich vermißt, es habe einer nicht nach der rechten Art gespielt, den soll man auf sein Maul schlagen und ihm das Käpplein über die Ohren treiben. Maßen er ein Esel ist. Und wirft ihn sodann vor die Tür.« – Der Magister kehrte sich wieder mit viel Geräusch seinen Karten zu, und die anderen wollten gerade auch ihre Meinung kundtun, den lauten Kiebitzvogel anlangend, aber zu seinem Glück begannen die deutschen Lanzknechte nebenbei, die bis jetzt schweigend getrunken hatten, einen starken Gesang und tosten so mächtig, daß man nichts anderes mehr hören konnte unter den schwarzen Wölbungen von Vater Scarpinas Taverne. Ihr Lied ging so:

»Bursche, wälz mir jetzt herbei
Wohlgetanes Futter den Gedärmen!
Und viel Kannen Wein
Sollen mir den lieben Bauch erlaben und erwärmen!«

In der tiefen Mauernische beim Fenster und schon in Finsternis saß der Wucherer Cecco Buonsegni und erklärte dem jungen Bartolomeo aus dem Hause der Guastellani, der ihm viel Geld schuldig war und noch viel mehr Zinsen dazu (denn der Bartolomeo dachte stündlich nach, wie er das Geld seines Vaters vergeuden könnte, und erst gestern hatte er seinem Hengste silberne Eisen aufschlagen lassen); dem setzte der Cecco auseinander, wie es von Gott eingerichtet sei mit den Zinsen, so daß Geld heckt. – »Ihr müßt verstehen, daß es mit dem Gelde beschaffen ist wie mit dem Wein. Legt Ihr heut ein Fäßlein in den Keller, so schmeckt der Wein sauer und gilt nicht viel. Aber er wird süßer von Jahr zu Jahr und teuerer auch. Nach zehn Jahren zahlt Ihr ihn wohl doppelt, und ist er gar fünfundzwanzig Jahre alt geworden, so trinken ihn Fürsten zu Trüffel, Fasan und gebackenen Makrelen. Nicht anders ists mit dem Gelde bestellt! Habt Ihr heute hundert Gulden im Sack, so ist das gut, aber nach zehn Jahren ists noch besser, weil da die jungen Gulden angewachsen sind, und so wird das Geld wie der Wein immer süßer und schmackhafter und teuerer. Denn diese beiden Dinge sind, wie jedermann weiß, das Beste auf der Welt.«

Der Bartolomeo, der ein alberner Bursche war, hielt seine spitzige Nase in die Luft hinein und belehrte sich groß an den klugen Reden des Buonsegni. Und dann bat er ihn, daß er ihm noch hundert schwere Goldgulden liehe, denn er wäre in Bedrängnis. Der andere begehrte des Vaters Unterschrift für zweihundert Goldgulden, und der Bartolomeo versprach es willig, vermochte er doch ganz schön den Namen seines Vaters zu malen. Das wußte der Buonsegni, aber ihn deuchte die falsche Unterschrift mehr wert als die echte, würde doch der Alte ohne ein Widerwort bezahlen, damit nicht Schande auf sein Haus falle.

Vorerst runzelte jedoch der Buonsegni sein Gesicht düster ein und bedachte sich sorgenschwer. – »Verbraucht Ihr nicht allzuviel, Herr Bartolomeo, und mehr, als Eurer Familie lieb ist?«

Der Bartolomeo beeilte sich, die unermeßlich großen Ländereien seines Vaters zu schildern, und wie dort alles gedieh, und der Buonsegni ließ sich erzählen, was er selbst viel besser wußte. Als der Bartolomeo alles gesagt hatte, seufzte er: »Ihr seid mir zu lieb, Herr Bartolomeo, als daß ich Euch in der Not verlassen möchte. Ihr sollt das Geld haben, und müßte ich selbst darob Hunger leiden!« – Er stand auf, reichte seine Hand hin. – »Kommt morgen zeitig früh in mein Haus und vergeßt nicht den Wechselbrief!«

Der junge Bartolomeo entlieh noch, ehe er ging, von Vater Scarpina einen Goldgulden und versprach, ihn morgen zurückzuzahlen, denn morgen würde er reich sein. Der Wirt wußte gut, daß Bartolomeo die Habe seines Vaters dem Buonsegni zuführte Stück für Stück, aber er gab den Gulden und schrieb den getrunkenen Wein zwiefach ins Buch. Bartolomeo fand nichts eiliger zu tun, als in die lichtlosen Gassen von Malborghetto hinabzusteigen, dort ein Spielchen zu machen mit dem Zuhälter Vittorio, der sein Geld zu schätzen wußte, und die schwarze Veronika zu besuchen, die freilich in ihrer Heimat Viterbo auf den Namen Maria getauft worden war; in Siena jedoch hatte man ihr diesen Namen verwehrt, weil sie ein unehrbares Leben führte.

Die Türe, durch die man in Vater Scarpinas Keller hinabstieg, wurde aufgestoßen, und zwei Männer erschienen, der dicke Galgano und der Waffenschmied Cipolla. Mit viel Getös traten sie an den langen Tisch, wo schon etliche beisammensaßen. – »Wir kommen vom Herzog!« schrie der Cipolla. »Daß er zur Hölle fahre!«

Galgano ließ sich dröhnend auf die Bank fallen, nickte zu diesen Worten und tat einen langen Schluck aus dem Kruge, den ihm der Sargmacher Traversaro hinschob.

»Heute gibt es ja ein großes Fest beim Herzog!« sprach einer. – »Seid Ihr dabei gewesen?«

»Haben wir dort was zu suchen, wenn er Feste feiert?« brüllte Cipolla und schlug auf den Tisch. – »Ein Strauchdieb ist dieser Herzog, und mein schönstes Stück hat er mir gestohlen!«

»Das sind die Sitten dort im Hause!« – Galgano ließ den Kopf hängen, und der Goldschmied Neri nickte betrübt: »Läge in meinem Schrein, was mir der Herzog mit seiner Sippe schuldig ist, ich hätte genug bis an mein Ende.«

»Und doch ist er der bravste Mann in Siena!« ließ sich Traversaro vernehmen.

»Weil er dir zu verdienen gibt!« höhnte Cipolla. – »Weil er mehr Leute ins Grab bringt, als du Särge zimmern kannst!«

»Habt Ihr vergessen, was die von Florenz gegen uns ins Werk setzen wollten? Ich habe dabeigestanden, wie ihre Abgesandten frech vor die Signoria getreten sind, und haben nicht einmal einen guten Tag gewünscht und Befehle erteilt, als redeten sie zu Knechten. Reißt Eure Mauern nieder! haben sie mit Hochmut gerufen. Übergebt uns die Stadt und baut eine Feste auf Camporeggio! Tut Ihr es aber nicht, dann erwartet keine Gnade von Florenz! – Geschwiegen haben sie alle, unsere Herren und auch der Podestà, der immer so wohl zu reden weiß, und nach einer Weile hat Herr Bandinello zögernd gesagt: Besser, wir legen die Mauern um und bauen die Burg, wie gefordert wird, als wir sterben alle Hungers. Wie ein eherner Gürtel schnürt ja das Heer von Florenz unsere Stadt ein – uns bleibt keine Wahl! – Dazu haben sie genickt – alle! Ich habe es selbst gesehen! Um den Tisch herum hat einer nach dem andern Beifall genickt, und keiner hat ein Gegenwort gewagt. Wer ist da in den Saal getreten, und wer hat gerufen: Verzaget nicht! Wir vertreiben die Florentiner! König Manfred schützt uns, und seine deutschen Krieger sind in der Stadt! Wir wollen kämpfen! – Wer hat so gesprochen? Kein anderer als der Salvani, der heute unser Herzog ist! Er hat uns gerettet!«

Mehrere stimmten bei. – »Ja, er hat uns gerettet! Dank gebührt ihm!«

»Und gleich hinter ihm her ist Herr Mino eingetreten, das bloße Schwert in der Faust!« schrie der Bäcker Capece. – »Und er hat gerufen: Vor die Mauern! Verjagen wir sie!«

»Nicht der Salvani und nicht der Mino hat uns gerettet, sondern die Krieger König Manfreds!« meinte der Schreiner Petrucci und trank den deutschen Landsknechten zu, die am andern Tische saßen, und ließ ihnen einen Krug minderen Weines hinstellen. – »Sie wissen ja doch nicht, was rechtes Getränk ist!« – Und die Deutschen riefen mit geschwungenen Bechern von drüben her: »Vivat!« und »Lebehoch!« – und die Bürger winkten zurück: »Evviva!« – »In zehn Jahren werden sie noch nicht mit uns sprechen können!«

Die Deutschen aber klingten ihre eisernen Becher aneinander und sangen im Chor:

»Hei! Wie brennt mir das Geweid
Hitzig von gar mannigen Gewürzen!
Hört ihr, wie es dampft und laut nach Kühlung schreit?
Eingeschenkt! Jetzt wollen wir gewaltig unsere Becher stürzen!«

»Können sie auch nicht reden, so können sie doch dreinschlagen!« rief Traversaro. – »Und wie der Guempeba in den Ratssaal getreten ist, herbeigeholt von den Herren, und wie er endlich verstanden hat, was sie meinten, da hat er gerufen: Battaglia! und Vittoria!«

Alle redeten sie jetzt voller Eifer durcheinander, denn alle waren sie mit dabei gewesen, wie die deutschen Landsknechte, die in San Cristofano lagerten, getanzt hatten vor Freude, daß sie endlich loshauen durften, und sie hatten auch alle den Wagen gesehen, der mit scharlachroten Tüchern zugedeckt war und auf dem ihnen Herr Salimbene hundertachtzehntausend Goldgulden hingeschickt hatte, nur aus Liebe zu Siena und ohne Hoffnung, es wiederzubekommen, damit sie sich rüsteten und versorgten. Und die Deutschen hatten alles Leder zusammengekauft, das sie finden konnten, und viele Handwerker waren nach San Cristofano geeilt und hatten den Tag lang geschnitten und genäht und den Pferden lederne Panzer angemessen. Aber Provenzan Salvani hatte alles geordnet und befohlen in der Stadt und hatte es zum Guten geführt!

»Vor allen Truppen ist doch Herr Mino geritten!« schrie Capece, denn Herr Mino war sein Freund.

Die Männer nickten, und Cipolla trank sich den Ärger hinunter mit Wein.

»Und am andern Morgen,« rief begeistert der Sargmacher, »da haben sie die Glocken geläutet, und vor dem Tor des Domes ist unser Herzog gestanden – Herzog noch nicht an dem Tage! – und hat gesprochen: Bürger von Siena, wir wollen unsere Stadt retten, der große König Manfred ist mit uns!«

»Und« – der Schreiner nahm ihm das Wort aus dem Munde – »ihm hat der Bischof erwidert: Lasset unser Leben und unser Gut, unsere Stadt und unser Land der Königin der Ewigkeit, der Jungfrau Maria, weihen! – Und hat seinen Mantel vor sich geworfen, und ist mit nackten Füßen in den Dom eingetreten, wir alle hinter ihm!«

»Wir alle! Wir alle!«

»Und haben gesungen: Misericordia!«

»Und haben der heiligen Mutter unsere Stadt übergeben, und haben uns alle unter ihren Schutz gestellt, und der Herzog hat die Schlüssel der Tore vor sie hingelegt. Und sie wurde unter purpurnem Himmel durch die Stadt getragen, und ihr folgte der Bischof unbeschuht und der Herzog neben ihm –«

»Wir wissen es! Wir wissen es!«

»Gedenkt ihr auch des Gesanges und der Predigt, die der Bischof gehalten? Und wißt ihr noch, wie der Salvani selbst durch die Straßen ging und jeden Mann bat, mit hinauszuziehen gegen den Feind –«

»Auch mich! Auch mich!«

»– und nicht zurückzubleiben! Und wie wir uns unter dem weißen Mantel der Madonna gesammelt haben und gegen diese florentinischen Hunde hinabgezogen sind!«

»Wir wissen es! Wir wissen es!«

»Der Salvani hat uns geführt und der tapfere Herr Mino, und der Guempeba ist seinen Deutschen vorangeritten!«

In dem Augenblick trat der Gempenbach herein, und sie liefen ihm zu mit vollen Bechern, und er mußte einem jeden neu Bescheid trinken.

Vom Ratsturm schlug die Nachtglocke zum erstenmal an.

»Rote Gewänder hatten wir, wir aus San Martino!« schrie der Petrucci. »Und ein Schwert und eine Lanze jeder! Und in große Angst sind die Florentiner geraten, wie sie uns sahen, uns aus San Martino!«

»Und ein silberner Helm saß Herrn Mino auf dem Kopfe und machte ihn noch einmal so schön!« begeisterte sich der dicke Bäcker Capece. Und die anderen lächelten dazu, denn, so glaubte man, die schöne Bianca war Herrn Mino noch besser gewogen als ihr Eheherr.

»Den Helm ist er mir noch heute schuldig!« knurrte Cipolla.

»Und den Carroccio hatten wir mit uns, auf dem die Madonna selber thronte!« schrie Capece, und war ganz rot im Gesicht. Aber die Leute lachten, denn sie wußten, daß sich der Capece hinter seinem Backofen verkrochen hatte beim ersten Erdröhnen der Sturmglocke.

»Ihr Feldherr, der Corrado Gentile, ist mit dem Teufel im Bund gewesen, wie ihr wißt, und er hat ihn immer bei sich getragen in einer kleinen blauen Flasche!«

»Uns aber ist bei Nacht auf einer weißen Wolke die Madonna erschienen!«

Ernsthaft saßen sie um den Tisch und gedachten des großen Tages von Montaperti.

Der Capece begann wieder: »Und Herr Mino, der immer an alle denkt, hat süße Feigen austeilen lassen und Orangen, damit kein Krieger Durst litte!«

»Und hat auch gesagt, daß vergnügte Krieger mehr wert seien als der Carroccio und die Madonna darauf!« sprach bedächtig Galgano.

Aber Capece nahm seinen Freund Mino in Schutz. – »Verleumdung! Lüge! Niemals hat der fromme Herr Mino solches gesagt!«

Wiederum lachten die Leute.

Und der Guempeba hat geschrien: »Wer flieht, der soll sogleich von seinem Nebenmann erstochen werden!«

»Der Wackere!« – Sie tranken ihm zu. – »Als erster ist er in die Feinde geritten und hat sie nur so niedergehaut, einen um den anderen!«

»Zugleich mit Herrn Mino!« fügte Capece bei.

Auch Cipolla wurde jetzt von Begeisterung erfaßt. – »Wie ein Gewitter ist es gewesen! Man hat nicht mehr die Sonne erblickt vor dem Schwirren der Speere, und man hat nichts anderes gehört als das Klingen der Schwerter und das Brechen der Harnische und das Geheul der Verwundeten! Die Florentiner konnten nicht widerstehen!«

»Sie flohen! Sie flohen!«

»Und wir haben ihren Carroccio gewonnen!«

Jetzt ließ sich Cerreto Ceccolini, der Fahnenträger der Stadt, der bisher schweigend dagesessen hatte, vernehmen: »Auf dem Turm der Maliscotti habe ich gestanden, der fast so hoch ist wie der der Tolomei, und habe alles gesehen und habe hinabgerufen in die Stadt, wie die Unsrigen vorgedrungen sind. Unten lagen die Weiber auf den Knieen und flehten zu Gott und der Jungfrau um Sienas Sieg. Und ich habe als erster gerufen: Sieg! Sieg!«

Mit frohen Mienen, mit leuchtenden Augen redeten die Männer.

»Florenz haben wir besiegt und mit ihm Prato und Pistoja, San Gemignano und San Miniato!«

»Provenzan Salvani hat uns alle geführt!«

»Und Herr Mino! Er hat den ersten Streich getan und mit dem ersten Streich hat er den Hauptmann der Lucchesen vom Rosse geschlagen!« – Der dicke Bäcker zitterte vor Stolz über die Heldentaten seines Freundes, die er doch nicht selbst mit angesehen hatte.

»Und wie wir heimgekehrt sind!« rief Cipolla. – »Als erster der freche Gesandte von Florenz, der gefordert hatte, daß wir ihnen eine Zwingburg auf Camporeggio erbauen!« – Sie lachten freudig.

»Auf einem Esel hat er gesessen, das Gesicht verkehrt, und am Schweife des Esels ist das Banner von Florenz nachgezerrt worden durch den Kot!«

»Und auf ihrem Carroccio haben wir drei schwarz-weiße Schweine in die Stadt geführt!«

»Und dann ist die Usiglia Geppo gekommen mit ihrem langen Strick, an dem sechsunddreißig Florentiner hingen, und folgten ihr in die Stadt willig wie Lämmer!«

»Und dann der Guempeba mit den Deutschen, jeder von ihnen hatte den Helm abgenommen und sich einen Kranz von Eichenlaub um die Stirn gelegt!« – Man trank ihnen zu: »Montaperti!« – Tosend standen die Lanzknechte auf und riefen zurück: »Montaperti!« Und sangen:

»Gans und Pfau und Huhn und Schwein
Wollen mir im Wanste all gesippet sein!
Und dazu ein Küferfaß mit welschem Wein!
Frau Seele, wollt ihr sicher sein,
Dann rate ich: hüpft schnell auf eine Rippen!«

»Seit dem Tage gehört Siena der Jungfrau ganz und gar.«

Magister Placidi hatte das letzte vom Nebentisch gehört. Er spielte den Trumpf aus, den er zwischen den Fingern hielt, und nickte: » Civitas Virginis!«

Die Nachtglocke des Rathauses läutete zum andernmal, die Männer rückten unruhig auf ihren Bänken.

»Und den Schutzpatron der deutschen Ritter, den heiligen Georg, haben wir zum Schildhalter der Madonna ernannt!« setzte Capece hinzu.

»Und doch ist er ein Leuteschinder!« schloß Cipolla die Erzählung aller großen Taten.

»Nein! Ein echter Ritter! Der beste Mann in Siena!« – Traversaro nahm den Herzog in Schutz.

»Und Herr Mino gar? Wem hätte er je etwas Böses getan?« fragte voll Unschuld der Bäcker.

»Mir nicht!« lachte Petrucci.

»Und mir auch nicht!« der Sargmacher. – »Dir etwa?«

»Niemalen! Bei unserer Madonna!« schrie Capece, der Herrn Mino kannte und von seinen Besuchen mächtig geehrt war.

»Und deinem Weib erst gar nicht!« lachte Cipolla, aber Capece verhörte es, denn die Nachtglocke schlug eben zum drittenmal, und die Männer hoben sich mit viel Lärmen, daß sie nicht in Buße genommen würden von der strengen Stadtwache.

Aber da riß einer die Tür auf, grau im Gesicht und ohne Atem, die rechte Hand hing ihm blutig vom Arme, und er sank auf die Stufen. Es war Giacopo, der Sohn des Sattlers Manocci, und als er wieder Atem zog, hastig und in Stößen, und was reden wollte, da schnappte er nur, und die Lebensgeister schienen ihn ganz zu verlassen; sein Blut ergoß sich über die Steine.

Sie hoben ihn auf und trugen ihn zu der breiten Bank, und der Bader kam herbei, nachdem er seine Runde gespielt hatte, und schnürte ihm die Hand am Arme fest. – »Wer hat dich verwundet?« fragte Capece, als Giacopo wieder ein wenig schnaufen konnte.

»Von Castel Grignano bin ich heimgegangen, die Betta hatte ich besucht, die ich zur Frau nehmen will. Da jagten aus den Büschen Reiter von den Königlichen hervor, und einer schlug mit dem Spieß auf meine Hand, daß ich hinstürzte und in Schmerzen schrie. Aber ich stand wieder vom Weg auf, mich herzuschleppen, euch das Neue als erster zu sagen, und wenn es mein Tod wäre!«

»Welches Neue? Was ist geschehen?«

»Gefangen haben sie ihn! Herrn Mino, unseren Feldherrn!«

Die Leute schrien durcheinander und wollten mehr wissen, und der Capece gebärdete sich ganz unsinnig. – »Herr Mino! Herr Mino!«

»Die Tore werden geschlossen!« mahnte der Wirt. – »Die Stadtwache biegt schon ums Haus der Tolomei und wird gleich hier sein.« – Aber sie gingen nicht, Strafgeld wollten sie zahlen Mann um Mann!

Zuletzt hatte sich auch Magister Placidi entschlossen. Er legte seufzend seine Karten, die doch gute Aussicht verhießen, auf den Tisch und trat zu den anderen.

Dem Giacopo schwand schon wieder der Geist, aber zuvor hatten sie noch aus ihm herausgezogen, daß einer langsam sein Pferd über die Straße von Castel Grignano geführt hatte, und die Reiter hatten ihn gefaßt und aufgehoben – und das war Herr Mino gewesen! Der Bader horchte am Hals des Bewußtlosen und wiegte bedenklich seinen Kopf.

Die anderen rüttelten ihn – alles wollten sie wissen! Herr Mino war gefangen, der Orvieto gewonnen hatte und den Franzosenkönig besiegt!

Der Bader zeterte: »So laßt doch von ihm! Seht ihr denn nicht, daß er alle irdischen Gedanken abgelegt hat?« – Und Magister Placidi blickte mit seinen Kugelaugen auf den Toten herab und sprach gedankenschwer: »Süß und ehrenvoll ist es, für die Wahrheit zu sterben!«


 << zurück weiter >>