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10.

Als Mino dem jungen Pecorai das Kettlein für Ginevra in die Hand gegeben, da glaubte er nicht anders, als daß er sterben müßte. Allzusehr haßte ihn ja der König, dessen Antlitz niemals von einem Tropfen Blut gerötet worden war, der nie im Leben gelacht hatte und nie eine Frau geküßt. Seit je war er den Frohen feind gewesen, und mit dem Streich von Orvieto, den er schamlos nannte, hatte Mino aufs neue seinen Haß zu Flammen geschürt.

Doch so lange Leben in Mino war, so lange sann er auch, wie er es festhalten könnte. Er betrachtete genau die drei Söldner, die ihn zum Richtplatz führten; es waren die gleichen, die ihn gestern auf der Straße von Castel Grignano gefangen hatten, und sie waren aufgebläht von dem Stolze, daß der Feldherr des Feindes zwischen ihnen waffenlos ging. Von allen Fähnlein waren die Hauptleute herbeigekommen, Herrn Mino zu sehen – der König jedoch war ihm ferngeblieben –, und jeder hatte diesen Söldnern ein Geschenk hinterlassen. Das Ansehen, in das sie plötzlich getreten waren, hatte ihnen einen leichten Nebel um die Köpfe gelegt, seit Tagesanbruch hatten sie Freunde bewirtet und selbst ordentlich mitgetan. So gingen denn die drei nicht allzu sicher auf ihren Füßen.

Mino begann mit dem einen, der ein Bärtchen trug wie er selbst, zu reden, und er meinte, daß ihm und keinem sonst sein schöner neuer Harnisch hinterbleiben sollte und der Helm dazu, da es ja doch zum Tode ginge. Der Mann setzte seinen Spieß an einen Baum, entledigte sich des blauen Mantels, den er trug, und des dürftigen rostroten Halsberges und schnürte sich den neuen Harnisch, das gute Werk des Cipolla, um den Leib. Als ihm gar noch der Helm mit dem goldbeschnittenen Drachen auf dem Kopfe saß, da dünkte sich der Beppo, der eines armen Schweinehirten Sohn war, nicht geringer als ein ritterlicher Feldhauptmann.

Bei diesem Tun waren sie hinter den anderen zurückgeblieben. Herr Mino legte sich den blauen Mantel des Söldners und seinen Eisenhut mit dem Gesichtsnetz an und deutete dem Beppo, er sollte nur weitergehen. Der Mann, der schon den Kopf mit Wein voll hatte, tat es auch, und als noch ein paar andere des Weges kamen, sahen sie Mino, der jetzt wie einer der ihrigen gekleidet war, nicht weiter an, vor ihnen ging ja der Feldherr in seinem strahlenden Eisenkleid. Sie achteten auch gar nicht darauf, daß Mino immer näher dem tief eingeschnittenen trockenen Flußbette kam, die Böschung hinabklomm und durch den grauen Lehm emsig bergauf schritt, der Stadt entgegen, bis er vor Porta Ovile stand. Indes wurde der Beppo in seinem schönen Harnisch gerichtet statt seiner, und die Söldner und Henker merkten es nicht und vielleicht er selbst noch weniger.

Mino wußte, daß Provenzan das Lösegeld nicht senden konnte, bis Mittag hatten ja die Leute des Königs gewartet, ob es käme. Sicherlich hatte Pecorai schon seinen Tod verkündet in Siena. Er ging, in den blauen Mantel gehüllt und den großen Sturmhut bis über die Nase gezogen, zum Hause des Herzogs, unerkannt von allen, die ihm begegneten.

Vor der Türe der Pannochieschi kam ihm zu Sinn, daß er der schönen Angelica zuerst ein Wort sagen könnte, gewißlich weinte sie ja um ihn. Er ließ den ehernen Ring schwer aufs Holz fallen und bedeutete dem Pförtner, der aufschloß, daß er eine Botschaft von Herrn Benvenuto zu bringen hätte. – »Oder ist mir der Herr zuvorgekommen?« fragte er klug, denn der Benvenuto trachtete ihm ja nach dem Leben.

»Er sitzt in Poggibonsi!« – Der Krieger, der völlig mit Lehm bespritzt war, stieg die Treppe hinauf zu Angelica.

Fast wäre sie umgefallen, zuerst vor Schreck und dann vor Freude, als Mino seinen eisernen Hut vom Kopfe hob. Mit ihren zarten Händen zog sie ihm die Stiefel ab, die unter Lehmkrusten schier verschwunden waren, sie schnitt sich an den Spornen, aber sie achtete es nicht, sie jubelte und küßte ihn und pries sich als die glücklichste der Frauen. Sie erzählte, wie Provenzan vor der Türe seines Hauses gebettelt hatte für den Freund. Sie rief ihre Magd herein, die nahe gestanden hatte, als Monna Ginevra unter die Bürger getreten war und mit erhobenen Händen jeden von ihnen angefleht hatte um eine Gabe. Das Mädchen konnte den Tränen nicht wehren, allzu schmerzhaft war es gewesen, die Fürstin, deren Stimme kaum jemand noch gehört, betteln zu sehen vor den Menschen.

Angelica biß sich die Lippen dabei.

Mino war bleich geworden, er saß da und redete kein Wort. Die Magd ging, und die schöne Angelica wand ihm heiß ihre Arme um den Hals und wollte ihn aufs Lager ziehen. Aber er hielt sie starr von sich, hatte nicht Kuß noch Wort. Sie umschmeichelte ihn. – »Hat denn die Liebe dich nicht hergeführt, zu mir, ehe du den Freund gesucht?«

Was immer schon dunkel gegoren, brach brennend in seiner Seele auf. Der Schmerz Ginevras war in ihm, er glaubte zu fühlen, wie ihre Wunden in die eigene Brust ihm einbluteten, mit Zittern ahnte er ihre Tat. Eine Heilige, vor der man das Knie beugt, war sie ihm gewesen bisher, nun erschauerte er unter der Gewalt ihrer Seele, die sich aus ungekannten Tiefen, ein Strom von Feuer, über ihn ergoß. Er hatte kein Lächeln mehr und keinen Kuß für andere Frauen.

Er kehrte sich, ging aus dem Hause.

Angelica weinte in ihrer Kammer – das Opfer Ginevras hatte ihn bezwungen, sie fühlte, daß er von ihr ging für immer ...

Provenzan stand vor Mino, vermochte kein Wort. Neben ihm saß Ginevra.

Sie stand groß auf, der letzte Tropfen Blutes starb in ihren Wangen, ihr Atem schwand. Es war, als wollte sie einen Schritt gegen Mino tun – aber plötzlich schlug sie die Hände vors Gesicht und floh.

»Ginevra!« – Sein ewiges Heil war es, das von ihm ging ...

Der Herzog hatte sich gefaßt. – »Du lebst? Hat dich der König entlassen?«

»Ich stand schon nahe dem Block. Die Lösung ist nicht gekommen.«

Provenzan verpreßte die Lippen.

»Da habe ich mich selbst gelöst! Einen Kriegsknecht, schwer vom Wein, der mir ein wenig glich, schob ich an meine Stelle. Verwunderlich wirds ihm sein, wenn er von seinem Rausch im Paradies erwacht.«

Plötzlich sah Provenzan, wie er sich vor den Niedrigen beugte, und er sah den Visconti, der Gaspara hielt und zu ihm redete wie zu einem Knecht. – »Daß du geblieben wärest!«

»Provenzan!« – Mino schrak zurück. – »Ich weiß, was du getan hast! Freust du dich nicht, daß ich lebe?«

Der andere schwieg eine Weile und dann sprach er kalt: »Ich freue mich!«

Mino sah auf ihn, flehend um die Liebe des Freundes. – »Ich verstehe dich nicht!«

»Ich verstehe mich selbst nicht! Frag mich nicht mehr!«

»Ich weiß, was Ginevra getan hat!«

Wild fuhr der Herzog auf. – »Schweige!«

Vor dem Angesicht Provenzans, das feindlich funkelte, schwanden ihm in nichts der Haß des Königs, die Waffen der Wächter, der Richtblock ...

Provenzan schlug ihm hart entgegen: »Sie hat es für den Sterbenden getan!«

»Ich war am Sterben!« – Ergriffen streckte Mino seine Hand hin.

Aber sie wurde nicht gefaßt. Und Provenzan sprach finster: »Dem Sterbenden ist sie treu gewesen – treuer als ich! Aber jetzt – da sie Auge in Auge dem Lebendigen stand, da alle Heimlichkeit von ihr abgerissen war – das hat sie nicht ertragen!«

In Erschütterung konnte Mino nur stammeln: »Aus der Liebe zu ihr habe ich Kraft geschöpft, Kraft zu einem neuen Leben, das nicht mehr endet. Zu ihr werde ich immer aufblicken, die heilig ist, wird mich leiten!«

»›Was ist all Euer Stolz vor der Liebe!‹ So hat sie gesprochen, da sie dich tot wähnte.« – Die alte Freundschaft leuchtete auf in den Augen Provenzans. Doch er erstickte ihre wärmende Flamme. – »Vielleicht ist auch in ihr der Stolz das größte – größer als die Liebe!«

»Auch in ihr!« bebte Mino.

»Frag sie selbst!« Der Herzog wandte sich, ließ ihn allein.

Wie hilfesuchend tasteten seine Augen die Wände entlang. War dies noch das Haus, wo man ihn geliebt hatte wie einen Sohn – vielleicht mehr als einen Sohn? Hatte Provenzan für ihn nicht gebettelt, daß er lebe? Und Ginevra gar? War ihre heimliche Liebe nicht über alle Menschen zum Himmel aufgestiegen wie ein Stern, daß jeder anderen Frau Liebe vergehen mußte vor dieser? Was hatte Angelica gewagt? Die Magd ausgesandt, um Kunde zu gewinnen – nicht mehr.


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