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15.

Als Provenzan hinabgestiegen war und in den Saal trat, nicht wissend, was er durfte, was er vermochte, da stand noch sinnend Bruder Masseo im Schatten der Wand. Auf seinem greisen Angesicht blühte unverwelklich der Widerglanz des Heiligen, dessen Auge ihn als Jüngling angerührt hatte. Dieses Leuchten wanderte mit ihm, wurde niemals matt, mußte einst noch seinen Tod verklären.

Masseo kannte den Herzog seit vielen Jahren, und er wußte sich nicht geliebt von ihm. Jetzt glaubte er die Stunde gekommen, dem Allgekränkten nahe zu sein. – »Es schmerzt, wenn sich die Hochmütigen blähen und ihren Spott mit uns haben. Doch aus diesem Schmerze wächst Süßigkeit, Sieg über alles Widerspenstige, das in unserer Seele wohnt.«

Provenzan sah auf ihn und schien ihn doch nicht zu erkennen. – »Was redest du, Mensch?«

»Ich will dir von meinem Vater erzählen, der jetzt aufgenommen ist in die Glorie des Herrn. Als ich mit ihm von Assisi in diese Stadt wandern durfte – gelobt sei die Stunde, die dem heiligen Franziskus diesen Entschluß eingepflanzt, die ihn den geringsten seiner Brüder zum Wegegeleiter hat erküren lassen! Auf den Feldern ist Schnee gelegen an dem Tage, und unsere nackten Füße schmerzten sehr. Ich habe gemurrt und gefragt, ob wir nicht bald einem Dorf nah kämen. Aber der Heilige lächelte, mit dem Lächeln, das nur einmal unsere Erde getroffen hat, und er redete so zu mir: ›Du siehst nur den Schnee auf den Feldern, aber die Blumen, die darunter blühen, siehst du nicht!‹ – Ich konnte nichts sehen, als die weißgraue Decke des Schnees, denn meine Augen waren noch nicht aufgeschlossen in dieser Zeit; und ich sagte es ihm. Da kauerte er sich nieder und grub mit seinen Händen den Schnee auf. Staunend nahm ich wahr, daß rote Rosen unterm Schnee blühten. Der Vater sprach lächelnd zu mir: ›Wie im Kleide des Winters Frühling prangt, so lebt in unseren Schmerzen Seligkeit!‹«

Abglanz des Hohen, das er einst geschaut, zitterte um die Augen des alten Mannes; doch Provenzan sah nur die Runzeln, die in sein braunes Gesicht geschnitten waren.

»›Betrachte diese Blumen!‹ hat der Heilige zu mir gesprochen. Und denke ihrer, wenn sich der Hochmut recken will. Verborgen blühen sie unterm Schnee und sind doch die lieblichsten Geschöpfe Gottes!« – Bruder Masseo redete weiter zum Herzog: »Heute, als du niedrig warst vor den Geringen, da hast du deinen Fuß auf den Weg der Demut und der Liebe gesetzt, die Rosen der Ewigkeit suchend, die unterm Schnee blühen.«

Die Worte des Alten hatten Provenzan mild umschlungen, er hörte in Ruhe, was Masseo sprach. Doch nun fragte er ihn: »Willst du eines Großen Seele deuten?«

»Denen ist die Krone des Lebens geschenkt, die liebevoll sind in ihrem Herzen, die sich nicht aufrecken über die Brüder.«

»Und wer sich selbst zerstört?« fragte es schmerzhaft.

»Dem erbaut sich eine neue Seele im Licht aus den Scherben der versinkenden!«

»Not hat mir den Nacken gebeugt – nicht die Seele!«

»Ist dir nicht die Gnade der Demut zuerteilt worden, ihr Segen, der dich stärker macht als du jemals gewesen?«

Aber der Herzog erwiderte sinnend: »Demut ist gut für die Demütigen, Liebe ist gut für die Liebenden. Wir aber müssen erhobenen Hauptes dahingehen, denn unsere Sünde heißt: sich beugen.«

»Sich beugen ist Seligkeit, nicht Sünde!«

»Du kannst mich nicht verstehen! Uns ist keine Wahl gegeben zwischen Größe und Niedrigkeit! Wir müssen!«

Bruder Masseo trat in die Finsternis des Saales zurück. Er kniete vors Kreuz hin und betete, daß die höchste Gabe, die Gabe der Demut, ihm selbst geschenkt werde. Und er betete, daß in das Herz Provenzans Licht leuchte, und daß der rechte Weg sich ihm weise. Seine Lippen verstummten, aber sein Herz redete: »Wenn mich unser Vater Franziskus recht belehrt hat durch sein Wort und durch seine Tat, dann muß es der gute Weg sein, der vom Stolze der Welt wegführt in die Liebe Gottes, die ja Ruhe des Herzens ist. Aber nicht ich weiß, ob dieser gute Weg auch dem Herzog Provenzan gewiesen ist. Du weißt es, Herr – führe du ihn seinen guten Weg!« – So redete ohne ein Wort der Bruder, den einst das Lächeln des Heiligen gesegnet hatte, hochmutlos zu Gott, und die demütige Liebe war so groß in ihm, daß er auch noch den Stolz des Großen segnen konnte in seinem Herzen.


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