Lukian von Samosata
Lügengeschichten und Dialoge
Lukian von Samosata

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Simon. Und was dann?

Tychiades. Wenn man künftig auf deine Briefe die Addresse machte, an Simon den Parasiten?

Simon. Das soll mir noch angenehmer seyn als dem DionUnter Vespasian und Domitian hatte sich ein gewisser Dion unter den Philosophen seiner Zeit einen Nahmen gemacht, und Apollonius von Tyana erklärt ihn beym Philostratus (Vita Apoll. L. VIII. c. 7. 2.) für einen seiner vertrautesten Freunde. Er war ein großer Nachahmer des Plato in seinen Reden und Schriften, (wovon aber nichts auf uns gekommen ist) und soll, nach dem Suidas, bey dem Kayser Trajan in besondern Gnaden gestanden haben. Es ist möglich, daß dieser Dion hier gemeynt seyn kann; wiewohl man, aus dem Zusammenhang der Rede, eher einen andern spätern Dion vermuthen sollte, dessen Ansprüche an den Philosophentitel nicht so vollgültig waren, und der sich also durch eine solche Aufschrift auf seinen Briefen geschmeichelt finden mußte., wenn man an den Philosophen auf seine Briefe setzt.

Tychiades. Nun, wie du gern betitelt seyn willst, daran liegt mir wenig oder nichts; aber es kommen hier noch andere Ungereimtheiten in Betrachtung.

Simon. Zum Exempel?

Tychiades. Du verlangst also daß deine Kunst mit den übrigen freyen Künsten in gleichem Rang stehe, und kurz, daß man in eben dem Sinne die Parasitik sage, wie man die Grammatik, die Arithmetik, die Mechanik, sagt?

Simon. Ich bin der Meynung daß sie noch mehr Kunst sey als irgend eine andere: und wenn du Lust hast mich anzuhören, so will ich dir sagen wie ich das verstehe, ob ich gleich, wie gesagt, gar nicht auf die Sache vorbereitet bin.

Tychiades. Rede immer zu, die Wahrheit wird wenig dabey verlieren.

Simon. Wir wollen also, wenn es dir gefällig ist, vor allen Dingen den generischen Begriff der Kunst aufsuchen: wenn wir diesen haben, wird es uns leicht seyn die besondern Arten der Künste auszufinden.

Tychiades. Du weißt doch also was Kunst ist?

Simon. Allerdings.

Tychiades. Nun so halte nicht länger hinterm Berge damit.

Simon. Kunst ist, (wie ich mich erinnere von einem WeisenDie Definition, welche Simon hier von der Kunst giebt, findet sich zwar von Wort zu Wort beym Sextus Empirikus, Adversus Mathematicos L. II. p. 66. edit. Genev. de 1621. Sie steht aber auch schon mit eben so viel lateinischen Worten im Quinctilian (Instit. Orat. L. II. c. 17. Artem constare ex praeceptionibus consentientibus et coexercitatis ad finem vitae utilem) und er sagt ausdrücklich daß sie die gewöhnlichste sey. gehört zu haben) ein System von deutlichen Begriffen, die durch öftere Übung mechanisch worden sind, und auf einen gewissen, im menschlichen Leben nützlichen Zweck abzielen.

Tychiades. Es ist dir, wie ich sehe, kein Wort von seiner Definition entgangen.

Simon. Wenn sich nun das alles bey der Parasitik findet, was sollte sie denn anders seyn als eine Kunst?

Tychiades. Wenn sichs so befindet, allerdings.

Simon. Laß uns also diese Formen der Kunst auf die Parasitik anpassen, um zu sehen ob die Erklärung derselben damit zusammen klingt, oder, wie die schlechten Töpfe wenn man sie anschlägt, einen falschen Ton von sich giebt? – Sie muß, wie jede andere Kunst, ein System von deutlichen Begriffen seyn. Das erste was ein Parasit zu thun hat, ist seinen Mann wohl zu prüfen und richtig zu beurtheilen, ob er die zu einem Tischpatron erfoderliche Eigenschaften hat, und ob er, wenn er ihn zu füttern angefangen, sichs nicht in der Folge wieder gereuen lassen könnte. Wenn wir es den Wechslern für eine Kunst gelten lassen, daß sie die falschen Münzen von den ächten zu unterscheiden wissen: wie sollte es keine Kunst seyn die ächten und unächten Menschen zu unterscheiden, zumal da man es ihnen, so wenig als den Münzen, gleich beym ersten Blick ansehen kann? Denn, wie der weise Euripides sehr wohl gesagt hat,

ein Böser bringt kein Muttermahl
mit auf die Welt, woran er kennbar wäre,Medea, v. 518.19.

und um so größer ist also die Kunst des Parasiten, da sie so verdeckte und unsichtbare Dinge, noch besser als die Physiognomik selbst, zu errathen und zu unterscheiden weiß. Überdieß, zu wissen was man bey jeder Gelegenheit zu reden und zu thun hat, um sich dem, der uns zu essen giebt, angenehm und nothwendig zu machen und ihn von unserer gänzlichen Ergebenheit zu überzeugen, dünkt dir das nicht eine Sache zu seyn, die viel Verstand und einen gesunden Blick erfodert?

Tychiades. Ganz gewiß!

Simon. Und bey Gastmälern selbst, derjenige zu seyn, dem es in allen Stücken am besten dabey ergangen ist, und mehr Beyfall zu erhalten als jeder andere der nicht ebenfalls Meister in unsrer Kunst ist, sollte das ohne Grundsätze und ohne eine gewisse Virtuosität bewerkstelliget werden können?

Tychiades. Auf keine Weise.

Simon. Noch mehr. Um von den Vollkommenheiten und Mängeln so mannichfaltiger Gerichte, Ragouts und Backwerke richtig zu urtheilen, meynst du daß dazu weiter nichts als der läppische Gernwiz eines naseweisen Gecken und nicht vielmehr eine Menge von Kenntnissen erfodert werden? Sagt nicht der göttliche Plato selbstin seinem Theaetelus. S. Opp. Platonis Vol. 2. p. 126. der Zweybrückischen Ausgabe. mit dürren Worten: »Wer schmausen will ohne sich auf die Kochkunst zu verstehen, wird von den Tractamenten kein zuverläßiges Urtheil fällen können.« Daß es aber bey der Parasitik nicht nur auf richtige Begriffe, sondern auch zugleich auf beständige Ausübung ankomme, wird dir aus folgendem begreiflich werden. Bey vielen andern Künsten erhalten sich die Kenntnisse, die man sich von ihnen erworben hat, Tage und Nächte und Monate und oft ganze Jahre, auch ohne Ausübung: bey dem Parasiten hingegen, der seine Theorie nicht täglich in Ausübung bringt, geht nicht nur die Kunst, denke ich, sondern der Künstler selbst zu Grunde. Was endlich den Punct, zu einem im menschlichen Leben nützlichen Zweck, betrifft, wäre es nicht Unsinn eine Erörterung hierüber für nöthig zu halten? Ich meines Ortes kenne im ganzen Leben nichts nützlichers als Essen und Trinken, da ohne beydes vom Leben nicht einmal die Rede wäre.

Tychiades. Da hast du allerdings Recht.

Simon. Die Parasitik ist auch nicht, wie z. B. die Schönheit oder die Stärke, von der Art, daß sie eher für bloße Naturgabe als Kunst anzusehen wäre.

Tychiades. Richtig!

Simon. Noch viel weniger kann man sagen, daß sie eine Unkunst seyd. i. daß sie ohne Studium und Kunsterfahrenheit ausgeübt werden könne. Ich mußte das Wort (Unkunst) wagen, weil ohne ein einziges, dem Griechischen atechnía in unserer Sprache völlig gleichlautendes Wort, das Persifflage in dem beygefügten lächerlich spitzfindigen Beweise (dessen Stachel wir ohnehin nur stumpf fühlen) vollends ganz verlohren gienge., denn mit dieser hat noch niemand jemals irgend etwas recht gemacht. Oder, sage mir, wenn du es auf dich nehmen wolltest, ein Schiff durch ein stürmisches Meer zu führen, ohne daß du dich auf das Steuern verstündest, würdest du wohl mit dem Leben davon kommen?

Tychiades. Gewiß nicht.

Simon. Und warum das, als weil es dir an der Kunst fehlte durch die du dich erhalten könntest?

Tychiades. Allerdings.

Simon. Also würde auch der Parasit von der Parasitik nicht erhalten werden können, wenn sie eine Unkunst wäre?

Tychiades. Schwerlich!

Simon. Die Kunst also erhält, die Unkunst hingegen nicht?

Tychiades. Ohnezweifel.

Simon (mit einer triumphierenden Miene.) Die Parasitik ist also eine Kunst.In diesem ganzen Beweise muß die possierliche Nachahmung der Manier, wie der Platonische Sokrates im Theaetetus, Theages, Euthydemus und so vielen andern Dialogen seine Interlocutoren catechisirt, einem jeden auffallen, der mit Platons Schriften bekannt ist.

Tychiades. Eine Kunst, so scheint es in der That.


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