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Simon. Auch er lebte um dieselbe Zeit zu Syrakus, und schmarotzte bey Dionysen, bey dem er sich besser als alle übrigen Philosophen in Achtung zu setzen wußte. In der That hatte er ein ganz vorzügliches Geschick zu unsrer Kunst, und dieß gieng so weit, daß Dionysius seine Köche täglich zu ihm schickte, um von seinen Einsichten zu profitiren. Man muß gestehen, er machte unsrer Kunst Ehre. Aber sogar euer hochgepriesner Plato selbst kam in keiner andern Absicht nach Sicilien, als den Parasiten bey dem Tyrannen zu machen; und daß er, nach einem Versuche von wenigen Tagen, wieder davon abstehen mußte, kam bloß daher weil er zu wenig Genie für die Kunst hatte. Er kehrte also nach Athen zurück, gab sich alle mögliche Mühe sich zu einem neuen Versuche vorzubereiten, machte eine zweyte Reise nach Sicilien, schmausete abermals einige Tage, sah sich aber bald wieder genöthigt, die Profession aus gänzlichem Mangel an Geschicklichkeit aufzugebenEs ist drollicht einen Parasiten einen Schlüssel zu Platons geheimer Geschichte am Hofe des Dionysius, in seiner Manier schmieden zu sehen. Wer Lust hat, dieses merkwürdige Stück von Platons Leben auf eine seiner würdigere Art erzählt zu sehen, wird sich in einem Buche, das vor zwanzig Jahren ziemlich Mode war, Agathon genannt, befriedigen können, wo diese geheime Geschichte den Inhalt einiger Kapitel im 9ten Buche ausmacht.: so daß sich sein Abenteuer am Hofe des Dionysius nicht übel mit der unglücklichen Expedition des NiciasDie Athenienser hatten sich vom Alcibiades ein luftiges Eroberungsproject in den Kopf setzen lassen, dessen Ausführung mit Sicilien anfangen sollte: weil sie aber dem Alcibiades (wiewohl er ihr Abgott war) nicht recht trauten, gaben sie ihm den Lamachus und Nicias zu, und diese Vorsicht war die erste Ursache, warum die ganze Unternehmung verunglückte. Es ist nicht unwahrscheinlich daß Alcibiades allein, wenn sie ihm die Ausführung gänzlich überlassen hätten, glücklich damit zu Stande gekommen wäre. vergleichen ließe.
Tychiades. Und was für einen Gewährsmann kannst du mir dafür nennen?
Simon. Unter vielen andern den Aristoxenus Musikus, einen berühmten Mann und der selbst ein Parasit des Neleus war. Daß Euripides beym Könige Archelaus bis an seinen Tod geschmarotzt habe, so wie Anaxarchus bey Alexander dem großen, kann dir unmöglich unbekannt seyn. Was den Aristoteles betrifft, so kann man sagen, daß auch er in der Parasitik wenigstens einen Anfang gemacht, da es überhaupt seine Sache war sich bey den Anfangsgründen der Künste aufzuhalten. – Ich habe dir also, versprochner maßen, Philosophen gezeigt, die sich mit der Parasitik abgegeben haben: aber einen Parasiten, dem es eingefallen wäre den Philosophen zu machen, wird mir niemand nennen können. Wenn es nun zur Glückseligkeit (dem großen Problem der Philosophen) sehr wesentlich ist nicht zu dürsten noch zu frieren: wo sind die Philosophen, die hierin den Parasiten nicht den Vorzug lassen müßten? Man wird der ersten ohne Mühe eine Menge finden, welche sehr gut wissen was frieren und hungern ist, aber gewiß keinen Parasiten; oder er müßte nur dieses edeln Nahmens ganz unwürdig, irgend ein schlechter Kerl oder ein Bettler, oder so was – einem Philosophen ähnliches seyn.
Tychiades mit einer wichtigen Miene: Genug hievon! Du thatest ja vorher, als ob du noch andere und größere Vorzüge der Parasitik vor der Philosophie und Redekunst anzuführen hättest?
Simon. Das menschliche Leben, mein vortreflicher Herr, theilt sich in zwey Zeiten, in Friedens- und in Kriegszeiten. In den einen oder den andern muß es sich zeigen, was die Künste und ihre vorgebliche Meister werth sind oder nicht. Nehmen wir zuerst die Kriegszeiten vor, und suchen, wer darin sich selbst sowohl als dem gemeinen Wesen am nützlichsten ist, der Philosoph und Redner, oder der Parasit!
Tychiades. Ein schöner Wettstreit! Ich lache schon lange in mir selbst, wenn ich bedenke was ein Philosoph für eine Figur macht, der sich mit einem Schmarotzer zusammenstellen und vergleichen lassen muß.
Simon. O, die Sache ist nicht halb so seltsam und spashaft als sie dir vorkommt: sie soll bald ein ernsthaftes Gesicht bekommen! Stellen wir uns also vor, es komme die Nachricht: die Feinde seyen plötzlich in unsre Grenzen eingefallen; die Noth erfodre, daß man ihnen entgegen rücke, um sie zu verhindern die Landschaft zu verwüsten; der Feldherr rufe bereits alle aufgeschriebenen, die das Alter zum Kriegsdienste haben, zusammen, und unter den übrigen erscheinen auch einige Philosophen, Redner, und Parasiten. Die erste Operation wird also seyn, daß wir sie auskleiden; denn wer gewaffnet werden soll, muß zuvor nackend ausgezogen werden. Nun bitte ich dich, mein werther Herr, betrachte mir einen nach dem andern, und untersuche ihre allerseitige Leibesbeschaffenheit. Es werden dir sogleich einige in die Augen fallen, die vor Hunger und Mangel so ausgemergelt, blaß und erbärmlich aussehen, als ob sie schon ein paar Tage unter den Blessirten auf dem Schlachtfelde gelegen wären. Urtheile selbst, ob es nicht lächerlich wäre zu sagen, solche kraftlose Invaliden könnten im Stande seyn, den Zusammenstoß mit dem Feinde, das rastlose Gefecht, das Gedränge, den Staub und die Wunden eines Treffens auszuhalten! – Nun sieh einmal dagegen auf der andern Seite den Parasiten, wie ganz anders der aussieht! Er ist stark und wohl bey Leibe, hat eine frische schöne Gesichtsfarbe, nicht zu schwarz noch zu weiß, wovon dieses nur den Weibern, jenes nur den Sclaven geziemt; er ist muthig, hat Feuer im Auge wie ich, (denn ein feiges weibisches Auge thut im Handgemenge schlechte Wirkung) kurz sieht aus wie ein Mann, der seine Haut nicht wohlfeil geben wird und Blut zu verlieren hat: und nun sage, wird ein solcher Mann nicht einen braven Soldaten abgeben, und, wenn's ja gestorben seyn muß, eines schönen Todes sterben? Doch, wozu brauchen wir uns mit Dichtungen zu helfen, da wir historische Beyspiele genug vor uns haben? Um die Sache rund heraus zu sagen: alle Philosophen und Redner, soviel ihrer jemals in den Krieg gezogen sind, haben sich entweder weislich nicht weit über die Mauern hinausgewagt, oder, wenn sich zuweilen einer genöthigt sah in Reyhe und Glied zu fechten, so behaupte ich daß er sogleich links um gemacht, und davon gelaufen sey.
Tychiades. Wie du in Eifer kommst und übertreibst! Aber rede nur weiter!
Simon. Von den RednernSimon spricht von Rhetoren im eigentlichen Verstande, d. i. von Professoren dieser Kunst, und von Advokaten, die in einem Demokratischen Staate durch Ihre Beredsamkeit auch wohl, wie Demosthenes, Äschines u. a. sich zu Demagogen erheben könnten: nicht von solchen Staatsmännern, die (wie Perikles) zu Demagogen gebohren, sich einer Beredsamkeit, die mehr Talent als Kunst war, bloß als eines Werkzeuges bedienten, und wie groß auch ihre Gabe zu reden seyn mochte, nach der Griechischen Weise zu reden, nicht in die Classe der eigentlichen Rhetorn gestellt wurden. also anzufangen, so fehlte soviel daran, daß Isokrates jemals zu Felde gezogen wäre, daß er nicht einmal das Herz hatte die Rednerkanzel zu besteigen, aus Furcht die Stimme möchte ihm in der Kehle stecken bleiben. Doch was sage ich? Verriethen nicht Demokrates, Äschines und Philokrates, auf die erste Nachricht daß Philippus zu den Waffen gegriffen habe, die Stadt und sich selbst aus bloßer Furcht an diesen Prinzen? oder was thaten sie von diesem Augenblick an anders, als daß sie seine Parteygänger zu Athen machten, und das Volk zu Maaßregeln, die ihm angenehm waren, verleiteten; und dieß so eifrig, daß es einer nur mit dem Philippus zu halten brauchte, um auf ihre Freundschaft rechnen zu können. Und wenn auch Hyperides, Demosthenes und Lykurgus mehr Muth zu haben schienen, und in den Volksversammlungen unaufhörlich Lerm bliesen und auf den Philippus loszogen: wo hat jemals einer von ihnen im Kriege mit ihm brav gethan? Hyperides und Lykurg hatten kaum das Herz ein wenig durchs Stadtthor hinaus zu gucken; und, während die Stadt belagert wurde, saßen sie hinter den Mauern zu Hause um Sentenzen zu drehen und Decrete zu schmieden: ihr großer Vorfechter aberDemosthenes., – der in den Volksversammlungen immer mit dem heillosen Macedonier Philippusόλεθρος und κάθαρμα sind griechische Schimpfnahmen welche wir, wie so viele andere Wörter dieser Sprache, mit andern zu vertauschen genöthigt sind, die, ohne ihren ganzen Nachdruck zu haben, doch auf teutsche Leser ungefehr dieselbe Würkung thun., aus dem Lande »woher kein Mensch nicht einmal einen Sclaven kaufen möchte« um sich warf, – da er doch endlich soviel Herz zusammenraffte ihm in Böotien entgegen zu rücken, warf, eh es noch zum Angriff und Handgemenge kam, seinen Schild weg und lief davonDer Parasit Simon spielt natürlicher Weise dem Demosthenes nicht besser mit als dem Plato und Sokrates. Wer übrigens das Stück der griechischen Geschichte, worauf sich diese ganze Stelle bezieht, mit eben so viel Kürze als Richtigkeit erzählt lesen will, dem können wir dazu nichts bessers vorschlagen als das 9. Kap. im 3. Th. d. Allgem. Damenbibliothek.. Oder solltest du das alles nicht schon von jemand gehört haben, da es nicht etwa blos in Athen, sondern sogar bey den Thraziern und Scythen, wo der verdammte Schwätzer herstammte,Äschines soll dem Demosthenes öffentlich den Vorwurf gemacht haben, seine Mutter sey eine Barbarin gewesen? (Plutarch im Leben des Demosthenes.) Diesen Umstand scheint hier der Parasit, in seinem komischen Eifer gegen den größten der Redner geltend zu machen. bekannt ist.
Tychiades. Ich weiß es. Übrigens waren das Redner, die aufs Reden abgerichtet waren, nicht aufs Handeln. Aber was hast du gegen die Philosophen zu sagen? diesen kannst du doch nicht den nehmlichen Vorwurf machen?
Simon. Ihnen? Sie dissertiren zwar tagtäglich über die Tapferkeit, und zermalmen das arme Wort Tugend unaufhörlich zwischen ihren Zähnen: aber mit allem dem sind sie noch feigere Memmen und größere Zärtlinge als die Redner selbst. Bedenke nur dieß. Fürs erste kann niemand sagen daß jemals ein Philosoph sein Leben in einem Treffen gelassen hätte. Entweder thaten sie gar keine Dienste, oder wenn sie dienten, liefen sie davon. Antisthenes, Diogenes, Krates, Zeno, Plato, Äschines, Aristoteles, und wie sie alle heissen, haben in ihrem Leben kein Kriegsheer in Schlachtordnung gesehen, und der einzige von ihnen, der das Herz hatte dem Treffen bey Amphipolis beyzuwohnen, floh, und lief in einem fort vom Parnes bis in die Fechtschule des Taureas; denn es däuchte ihm viel urbaner zu seyn sich dort zu den schönen Knaben hinzusetzen und ihnen verliebte Possen vorzuplaudern, und dem ersten dem besten der ihm in den Wurf kam seine Sophistereyen aufzurathen zu geben, als sich in blachem Felde mit einem handfesten Spartaner herumzuschlagen.Der Parasit vermengt zwey ganz verschiedene Actionen, denen Sokrates beywohnte, nehmlich die bey Amphipolis und die bey Delium: ein Umstand, an dessen Erörterung unsern Lesern wenig gelegen ist; zumal da die leichtfertige Art, wie Simon die Sache erzählt, dem Sokrates nicht zum Nachtheil gereichen kann. Xenophon und Plato verdienen billig hierüber mehr Glauben.