Mackay
Der Schwimmer
Mackay

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13

Das war Franz Felders Reise nach England, von deren Triumph nun die Zeitungen berichteten: ein wirres Durcheinander von Bildern aller Art, und leuchtend nur die Erinnerung an seinen Sieg, der ihm erst durch diese Berichte recht deutlich zum Bewußtsein gebracht wurde – den Sieg über die ersten Gegner der Welt, die von keiner Seite fürs erste mehr bestrittene Meisterschaft von Europa, die höchsten erreichbaren Auszeichnungen, und ein Ruhm, der seinen Namen von jenem Tage an für alle Zeiten unvergeßbar in die Annalen des Schwimmsportes eingrub.

Er hatte erreicht, was er gewollt.

Was er ersehnt, war Erfüllung geworden.

Er konnte etwas, was kein anderer Mensch außer ihm konnte.

Er war der Meister des Wassers.

Er hatte seinem Klub zu seinem alten Ansehen verhelfen. Mehr: er hatte seinen Namen mit dem eigenen berühmt gemacht weit über die bisherigen Grenzen. Seine Schuld war beglichen.

Aus dem armen Knaben war ein junger Mensch geworden, auf den alle mit Stolz und Bewunderung sahen, der keine Not mehr zu leiden brauchte, so viele waren der hilfreichen Hände, die sich ihm entgegenstreckten.

Nein, es war nicht richtig, daß er erreicht, was er gewollt. Nie hatte er so hoch gewollt. Er war dahin getragen, wohin er sich nie zu sehnen gewagt.

Und so hoch war er getragen, daß er sich fragen mußte: wohin nun? – So viel hatte er erreicht, daß ihm nichts mehr zu wünschen übrig blieb.

Welcher Weg führte noch über die Höhe hinaus, auf der er stand? – Denn sich dort zu behaupten erschien ihm selbstverständlich.

Die Welt nannte seinen Namen.

Er vergaß nur zweierlei: daß die Welt, die er so nannte, nur ein unendlich kleiner Teil der wirklichen weiten Welt war – wenn es auch die Welt war, in der er lebte; und daß selbst dieser kleine Teil von Menschen, die ihn heute anstaunten und bejubelten, sich seiner vielleicht morgen noch erinnern, ihn aber ganz sicher übermorgen vergessen haben würden.

Aber wie ihm seine Sache von jeher allein nur als die einzig wichtige erschienen war, so konnte er die Welt nie richtig messen, weil ihm von jeher jeder andere Maßstab gefehlt hatte. So war er allmählich dahin gekommen, sie nur unter einem einzigen Gesichtspunkt zu sehen, und jetzt folgerichtig dahin, sich als ihren Mittelpunkt zu betrachten.

Das einzige, was er sich noch wirklich klar machte, war, daß er jetzt die Höhe seiner Kraft erreicht hatte. Über sie hinaus konnte er nun nicht mehr.

Übertraf ihn, ja erreichte ihn nur irgendein anderer, so war es aus.

Es galt daher, sich auf dieser Höhe zu erhalten. Das mußte nun sein nächstes Ziel sein. Aber es war kein Ziel mehr, das ihn reizte.

Daher war er jetzt, auf der Höhe, nicht mehr so glücklich, wie er gewesen war, als er sie erklommen und jede seiner Bewegungen von tausend Augen verfolgt sah. Aber glücklich war er doch noch.

Daß einmal ein Tag kommen mußte, mochte er sich auch noch so lange behaupten, an dem er herabsteigen mußte, um einem anderen Platz zu machen, das wußte er. Darüber gab es keine Täuschung. Das war so sicher wie der Tod.

Aber er dachte nie an diesen Tag. Er wollte es nicht! –

Er stand oben und sah hinab auf den Weg, den er gemacht. Und aus der Tiefe zu ihm heraufklang berauschend Jubel und Neid gleich stark in seine Ohren. –

In dieser Zeit brachte jenes größte und angesehenste Sportblatt der Welt, das seinen Namen »Welt-Sport« daher nicht mit Unrecht führte, abermals sein Bild und erzählte seinen Lesern die einfache Geschichte seines Lebens und die beispiellose Geschichte seiner Erfolge.

Die Biographie konnte nicht mehr sein als die einfache Wiedergabe schlichter Tatsachen. Das Bild war die Reproduktion nach einer vorzüglichen Photographie. Sie zeigte den Meister von Europa im Brustbild, bekleidet, und neben den allerhöchsten Ehrungen nur die eine kleine, schlichte – und doch vielleicht die höchste von allen – , kaum erkennbar neben den schweren Medaillen von Gold und Silber, die kleine Münze, die er sich als erste Ehre einst, vor langen Jahren, geholt, indem er das Leben eines Menschen gerettet.

Das Bild selbst zeigte ein ernstes, schönes und stolzes Gesicht. Es war nicht mehr das Gesicht des Knaben. Derselbe war nur noch der seltsame Zug von Entschlossenheit um den Mund, und unverändert war noch die etwas niedrige, trotzige Stirn. Aber die Weichheit, die Rundung der Wangen und des Kinns, und vor allem der gutmütige, vertrauende Blick der blauen Augen waren verschwunden und einem frühernsten Ausdruck gewichen, so daß das Gesicht an Bedeutung gewann, was es an Liebenswürdigkeit verloren hatte. Es war das Gesicht eines Menschen geworden, der ruhig, selbstbewußt und entschlossen in steter Wachsamkeit um sich und in die Ferne blickt, damit ihm niemand zu nahe komme; der Ausdruck einer stets bereiten Abwehr, der in seiner furchtlosen Kühnheit ersetzte, was dem Gesicht an tieferer geistiger Intelligenz mangelte. In dem Augenblick der Aufnahme war er so lebendig geworden, daß er es eigentümlich belebte und interessant machte.

Es war noch immer ein sympathisches Gesicht, aber das liebenswürdige, gute Gesicht des Knaben war es nicht mehr.

Ein anderes Bild aber – aus derselben Zeit – , das den Meisterschwimmer in voller Figur und im Trikot zeigte und auf dem das Gesicht gegen den Körper zurücktrat, störte in keiner Linie. Es war das Bild einer wundervoll sicher und gleichmäßig entwickelten, vom Leben noch völlig unangetasteten, ganz einzigen Kraft in der Siegessicherheit ihrer Jugend.


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