Mackay
Der Schwimmer
Mackay

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5

Es war die Bekanntschaft mit Dr. König, die für Felder eine zweite nach sich zog. Eines Abends erschien im Bade ein großer, starkknochiger Herr in guter, aber schlechtsitzender Kleidung, mit großen Händen und scharfem Blick, den der Doktor als seinen Freund vorstellte. Er badete nicht selbst, sah aber den Sprüngen Felders mit höchstem Interesse zu und ließ ihn nicht aus den Augen, so daß dieser schon wieder mißtrauisch geworden wäre, wenn der Fremde ihm nicht als Bildhauer vorgestellt worden wäre. Man trank noch zu dritt ein Glas Bier zusammen, plauderte über allerhand und ging auseinander.

Das nächstemal, als sie wieder allein waren, erfuhr Felder den Zweck dieses Besuches. Der Fremde war ein alter Bekannter des Doktors und einer der bedeutendsten, wenn auch nicht berühmtesten Künstler Deutschlands. Eines Tages war die Rede in seinem Atelier auf seine neuen Werke und damit auf die Modellnot gekommen.

Der Bildhauer trug sich seit Jahren mit der Idee der Darstellung eines jugendlichen Läufers, verzweifelte aber immer von neuem an der Ausführung, da es ihm völlig an einem Modell fehlte, das auch nur einigermaßen seinen Ansprüchen entsprach. Dr. König hatte von seinem jungen Freunde erzählt, und der andere war aus reiner Neugier mitgegangen, um ihn sich einmal anzuschauen.

Er war Feuer und Flamme – ja, das wäre ein Modell! – Aber er wisse wohl, daß nichts daraus werden könne. Einmal werde Felder sich wohl nie zum Modellstehen hergeben, und dann habe er ja auch keine Zeit. – Nun fragte der Doktor, mitleidig mit der fast komischen Verzweiflung des Künstlers, behutsam bei Felder an: er erzählte ihm von der Würde und der Größe echter Kunst, von dem unausgesetzten Ringen einer vornehmen Künstlerseele, ihren Kämpfen und ihren Streben, das nur zu oft an nichtigen, äußerlichen Umständen vor dem Ziele scheitert, von der harten und unbelohnten Arbeit seines Freundes, und es gelang ihm, besser und schneller als er gehofft, in Felder Interesse und Verständnis zu erwecken. So deutete er denn einmal an, wie sehr er selbst zum Gelingen eines solchen Werkes beitragen könne.

Felder war durchaus nicht abgeneigt, doch machte auch er gleich den Mangel an der nötigen Zeit geltend. Einen Versuch könne man ja an den freien Sonntagen einmal machen, meinte er naiv... Als dann aber der Doktor mit seinem letzten Trumpf herausrückte und davon sprach, wie beim Gelingen des Werkes sein Ruhm sich mit dem des Künstlers verbinden und beider Name in einer unvergänglichen und vielleicht unsterblichen Schöpfung weiterleben würde, da war Felder bereits ganz gewonnen, und nun war er es, der den Vorschlag zur weiteren Besprechung der Sache machte... Was die Zeit anbelangte – nun, er hatte ja ausgelernt und war sein eigener Herr, und wenn er seine Arbeit wieder für einige Wochen (länger würde die Geschichte wohl nicht dauern) aufgäbe, so wäre das nicht so schlimm; er fände danach schon wieder andere.

Er würde reichlich entschädigt werden, versicherte Dr. König. Da aber empörte sich der Stolz des Meisterschwimmers. Davon könne keine Rede sein. So sei es bei ihm nicht, »wie bei armen Leuten«. Wenn er einwillige, so tue er es um der Kunst willen und des Ruhmes wegen. Der Doktor konnte nichts darauf erwidern, und man traf sich im Atelier des Künstlers.

Als Schwimmer, der er war, müsse er dargestellt werden, meinte Felder, während der Bildhauer nicht von seiner ursprünglichen Idee des Läufers lassen wollte. Ein Schwimmer? – wie sich Felder denn das denke? – In welcher Lage denn? – liegend wohl? – Und das Wasser? – aus blauem Glase, nicht wahr? – Und dabei der Körper aus Marmor? – Felder nahm das für Ernst, und es gefiel ihm. Aber der Künstler wurde wütend. – Dann wiederholte Felder zum zwanzigsten Male: er sei der Meisterschwimmer von Europa und kein Läufer... Keiner wollte nachgeben, und die Sache war auf dem besten Wege, an der Hartnäckigkeit der beiden zu scheitern, als der lachende Doktor den Vorschlag des Springers machte. Er gefiel. So wurde der eine beruhigt durch die Idee, daß die Gestalt des Körpers im Moment des Abspringens sich nicht zu sehr von der des Läufers im Augenblick des Anlaufs unterscheide; und der andere, daß, wenn er auch noch nicht der Meisterspringer sei, er es doch unzweifelhaft werden würde, und daß die Zeit seines ersten Triumphes als solcher, wenn alles gut ging, mit der der Ausstellung seiner Statue vor den Augen der Welt zusammenfallen könne...

Die Sitzungen in dem großen Atelier in Wilmersdorf begannen. Obwohl Felder nicht mehr arbeitete und mehr Ruhe und Schlaf hatte, als vorher, war er doch schon gegen Abend, wenn er zu seinem Training ging, von den ausgedehnten Stunden der Sitzungen und von den langen Fahrten nach dem Vorort müder, als je zuvor.

Er hatte nie gedacht, daß er so müde werden könne. Erst hatten ihn die langwierigen Vorarbeiten interessiert, das neue der Umgebung und die ganze Art des Künstlers. Dann sah er sich selbst mehr und mehr aus dem rohen Ton hervortreten, immergleicher und ähnlicher werden. Als dann aber die stundenlangen, mühsamen Ausarbeitungen des einzelnen begannen, ohne daß er mit seinen ungeübten Augen irgendeinen Fortschritt wahrnehmen konnte, da hatte er oft die ganze Kraft seines Willens nötig, um auszuhalten. Er hatte sich vorgenommen, so lange zu stehen, bis der andere selbst das Holz aus der Hand legte; aber wenn der Künstler – nach einer, nach zwei Stunden – ganz in sein Werk vertieft und völlig entrückt, keine Miene machte, eine Pause eintreten zulassen, dann war Felder oft einfach so erschöpft, daß er plötzlich abbrach. Erstaunt über die Zeit, die verflossen war, brummte der Bildhauer etwas, das wie eine Entschuldigung klang, und beide warfen sich in irgendeinen Sessel, froh, nicht miteinander sprechen zu brauchen.

Denn zu einer rechten Unterhaltung kam es nie zwischen ihnen. Diese beiden so verschlossenen, nur mit sich und ihren eigenen Zielen lebenden Menschen, von denen keiner die Leichtigkeit und Freundlichkeit des Dr. König besaß, hatten sich nichts zu sagen. Wohl entstand ab und zu ein Gespräch, da man, um keine Zeit zu verlieren, jetzt des öfteren auch draußen in einem mäßigen Restaurant zusammen aß. Aber wenn der eine oder der andere nach so viel Stunden schweigenden Beisammenseins in dem natürlichen Bedürfnis, sich zu äußern, dieser von seinem Werk und seinen Hoffnungen, und jener ebenfalls von seinen Plänen und seinen Hoffnungen anfing, dann konnten sie beide sicher sein, daß sie aneinander vorbeisprachen und keiner dem andern auch nur zuhörte... Denn was wußten, was verstanden sie voneinander? – beide so einseitig, beide so verloren in ihre Ziele: ungleich in ihrer Weite und Größe, gleich nur in ihrer Außergewöhnlichkeit und der Energie, mit der sie verfolgt wurden. In einem aber verstanden sie sich ganz, und dieses eine hielt sie diese lange Zeit – weit länger, als vorausgedacht – zusammen.

Felder bewunderte den rastlosen Eifer, die unwillige und doch so gänzliche Hingabe des Künstlers an sein Werk; er verstand insgeheim dies schmerzliche, heiße Ringen um ein Letztes, nie sich Erfüllendes, und die Art, in der es sich äußerte: in fieberhafter Arbeit, ewigem Gemurr und wilden Flüchen... Und dieser, der Künstler, war sich völlig darüber klar, daß er nie ein Modell wie dieses je gefunden hatte und wiederfinden würde, das so mit ihm bis zur beiderseitigen Ermattung ging und instinktiv mit ihm arbeitete... Er hätte es nie gesagt, vielleicht nicht einmal zugegeben, aber in seiner Art und Weise sprach sich deutlich seine Dankbarkeit aus: ob er Felder eine Zigarette drehte oder ihm von den Tiefen seiner Künstlersehnsucht sprach, die er vor jedem anderen scheu verschloß. Gegen Ende der Sitzungen ging ihm sogar eine Ahnung davon auf, an was dieser junge Mensch sein Leben gesetzt hatte und was die nächste Zeit für ihn bedeutete. Durch Abgründe in ihren Zielen voneinander getrennt, verstanden sie sich in dem, worin sie gleich waren: in dem ungestümen Drang, diese Ziele zu erreichen.

Zwei Flammen schlugen ineinander, und so entstand ein wundervolles Werk, an das sie beide ihre Kräfte gaben. Es kam zu Ende. Es gelang. – – –

Auch Felder kam seinem Ziel näher und näher. Seine Sprünge wurden sicherer und sicherer.

In seinem Klub sprach er weder von dem einen, noch von dem anderen. Ein Erzählen des einen wäre ein Preisgeben des anderen gewesen.

Er schwieg, verschlossener und unzugänglicher, als je zuvor.


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